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Die Kopftuchdebatte in der Türkei - am besonderen Beispiel der Studentinnen ab den 80er Jahren

am besonderen Beispiel der Studentinnen ab den 80er Jahren

AutorBeyhan Sentürk
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl107 Seiten
ISBN9783638484299
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient, Note: 2,0, Universität Hamburg, 25 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Die Kopftuchdebatte in der Türkei - am besonderen Beispiel der Studentinnen ab den 80er Jahren' - Gegenstand der vorliegenden Arbeit wird die Erörterung einer seit den 80er Jahren leidenschaftlich geführten politischen Diskussion sein. Auslöser und damit zugleich Mittelpunkt dieses Streites ist bis heute eine relativ kleine Gruppe von Studentinnen. Sie verspüren den Wunsch sich nach islamischem Ritus zu verhüllen und gleichzeitig aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen. Das besondere Problem besteht in einer rigiden Auffassung des Laizismus, also der Trennung von Staat und Religion. Er wird in der Türkei als einer der staatstragenden Pfeiler der Republik verstanden. Der türkische Laizismus sieht unter anderem vor, dass Frauen sich im öffentlichen Raum nicht verhüllen dürfen. Dies trifft vor allem Beamtinnen, aber auch Ärztinnen, Anwältinnen und ebenso Studentinnen. Ihnen ist es nicht erlaubt während der Arbeitszeit bzw. auf dem Hochschulgelände ein Kopftuch zu tragen. Diese Haltung kollidiert jedoch mit dem Bedürfnis junger Frauen, die sich gegenwärtig in der Minderheit befinden. Immer mehr Türkinnen schließen sich dieser Minderheit an. Sie wollen ihren Glauben praktizieren und sehen sich durch das Kopftuch-Verbot in ihrer Religionsfreiheit beeinträchtigt.

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Leseprobe

2) Die Debatte um das Kopftuch an den türkischen Hochschulen

 

2.1) Der Beginn und Verlauf einer politischen Auseinandersetzung

 

Angestoßen wurde der Streit um das türban an den türkischen Hoch­schulen[68] nicht durch traditionelle Frauen, die sich aus Gewohnheit verhül­len. Vielmehr geht es um jene, die gut ausgebildet sind und sich im öffent­lichen Raum bewegen. Es sind Türkinnen, die sich ganz bewusst für die Bedeckung entscheiden und „verschiedenste Ansprüche auf gesellschaft­liche Partizipation“[69] erheben. Das vermehrte Auftreten von verhüllten Stu­dentinnen hat dazu beigetragen, dass der öffentliche Raum, der ansons­ten durch westlich geprägte Stadtbilder gekennzeichnet ist, sich wandelt[70]. Fragen, die im Folgenden geklärt werden, sind: Warum und wann began­nen die Auseinandersetzungen; wie ist der Streit verlaufen; was sind die rechtlichen Grundlagen? Dazu werden im Anschluss die Auseinanderset­zungen auf lokaler Ebene skizziert und der Beginn des Streites bestimmt, der politische Schlagabtausch dargestellt und die juristischen Schwierig­keiten im Streit um das türban aufgewiesen.

 

2.1.1) Der Streit vor Ort und die Auswirkungen des Kopftuch-Verbotes auf der Hochschul-Ebene

 

Konfrontationen zwischen Hochschulleitung und den bedeckten Studen­tinnen drückten sich in verschiedener Form und zu unterschiedlichen Zeitpunkten aus. An manchen Universitäten kam es schon bei der Ein­schreibung zu Auseinandersetzungen, wenn die muslimisch-konservativen Studienanwärterinnen sich weigerten für das obligatorische Foto für den Studentenausweis das Kopftuch abzunehmen. Diese Universitäten be­standen auf die Abnahme der Bedeckung, da alle Studierenden auf ihren Ausweisen einfach zu erkennen sein sollten. Durch das Tragen eines Kopftuches sei das jedoch nicht gewährleistet, so die gängige Argumenta­tion der jeweiligen Hochschulleitung[71]. Weitere Reibungspunkte entstan­den im Lehrbetrieb. Die Frauen wurden beispielsweise aus den Vorlesun­gen verwiesen, oder die Veranstaltungen wurden zuweilen von Dozenten nicht abgehalten, wenn Studentinnen mit Kopftuch sich weigerten den Hörsaal zu verlassen. Durch das Sicherheitspersonal oder den Lehrkörper wurde ihnen der Zutritt zum Campus oder zu den Räumen, in denen Prü­fungen abgehalten wurden, verweigert[72]. Des Weiteren verweigerte man Studentinnen mit Kopftuch zuweilen die Leihung von Büchern aus den Hochschulbibliotheken oder den Frauen wurden ihre Unterkünfte in den universitären Wohnheimen entzogen[73]. Eine weitere Maßnahme, um das Kopftuch-Verbot an den Hochschulen durchzusetzen, waren die ikna odaları, also Überzeugungs- oder Überredungszimmer. Solche Räume wurden laut Ramazanoğlu in verschiedenen Universitäten durch das Rektorat eingerichtet. Die Studentinnen wurden zu einem Gespräch in die ikna odaları gebeten. In diesen Zimmern sollten die Frauen davon über­zeugt werden, ihr Kopftuch abzulegen. Um den psychologischen Druck zu erhöhen, wurde das Gespräch zum Teil auch auf Video aufgezeichnet[74].

 

Der Grad der praktischen Umsetzung des Kopftuch-Verbotes hängt laut Pusch von verschiedenen Faktoren ab. Beispielsweise spiele die persönli­che Einstellung bzw. politische Haltung des Rektors eine Rolle oder aber auch die Zahl der verhüllten Studentinnen. In der Regel sei zu beobach­ten, so Pusch, dass je mehr muslimisch-konservative Frauen im tesettür an einer Universität studierten, desto größer auch die Konflikte seien. Dies sei vor allem an den medizinischen Fakultäten zu sehen, da die bedeck­ten Studentinnen bei ihrer Studienfachwahl[75] den medizinischen Bereich fa­vorisierten und demnach vermehrt dort auftraten. „Die strikte Ablehnung des Kopftuches von Mitgliedern der Medizinischen Fakultät ist allerdings nicht nur mit der vergleichsweise hohen Zahl der bedeckten Studentinnen zu erklären, sondern auch mit der Tatsache, dass das Kopftuch der Klei­derordnung in Krankenhäusern widerspricht“, erklärt Pusch[76].

 

Auf die Einhaltung des Kopftuch-Verbotes auf dem Campus reagierten die verhüllten Studentinnen immer wieder mit Protest[77]. Dufner macht innerhalb der Protestformen eine gewisse Steigerung aus. Zunächst habe man durch sehr ruhige und verhaltene Aktionen auf die eigene Position aufmerksam gemacht. So seien die Kopftuch-Anhänger zum Beispiel in Scharen zu den Postämtern gegangen, um per Telegramm Politikern ihre Meinung mitzuteilen. Mit der Verschärfung der Debatte hatten sich laut Dufner auch die Aktivitäten verändert. In der nächsten Stufe hatten die Studierenden ihre Forderungen durch Demonstrationen, Sit-ins oder sogar Hungerstreiks artikuliert[78]. Abgesehen von Rangeleien oder Handgemen­gen kam es jedoch nicht zu großen Gewaltausschreitungen bei den Pro­testkundgebungen. Sie verliefen normalerweise verhältnismäßig friedlich. Der Polizeieinsatz erscheint bei solchen Aktionen teilweise erheblich ge­wesen zu sein, geradezu unverhältnismäßig. Şişman zitiert eine studenti­sche Augenzeugin: Bei einer Demonstration von rund 60 Studentinnen vor der Universität seien zehn Busladungen Polizisten eingesetzt worden, so­dass auf eine Protestierende etwa acht einsatzbereite Staatsbeamte ent­fielen[79]. Die Empörung der Kopftuch-Befürworter scheint unorganisiert und spontan zum Ausdruck gekommen zu sein. Dufner glaubt, dass keine eigenständige, organisierte und starke Studentenbewegung entstanden sei. Zum einen habe das an den rigiden staatlichen Restriktionen gelegen. Zum anderen sei das Thema zu begrenzt, um dauerhaft von einer Masse von Studenten getragen zu werden. Außerdem habe die Vereinnahmung durch verschiedene politische Parteien eine Unabhängigkeit verhindert, so Dufner[80].

 

Die Reaktionen des Lehrkörpers auf die Studentinnen, das türban sowie auf das Verbot fallen laut Beobachtungen in der Literatur unter­schiedlich aus. Die Haltungen in der Kopftuch-Frage variierten von einer strikt gegnerischen Position bis hin zu einer liberal zulassenden Einstel­lung[81]. Kemalistisch eingestellte Dozenten sahen in dem türban einen Ver­rat an den Ideen Atatürks. Sie machten sich in der Regel stark für eine genaue Umsetzung des Verbotes. Es wird beobachtet, dass diese Gruppe innerhalb des Lehrkörpers auch nicht davor zurückschreckt, Studentinnen mit türban zu schikanieren, um sie vom Unterricht fernzuhalten. In diesen Fällen kommt es häufig zu Streitereien zwischen Lehrendem und Studen­tin, die zum Teil auch in Handreiflichkeiten enden[82]. Um das Studium fortset­zen zu können, entwickeln die Frauen oft eine Strategie der Ver­meidung. Der Stundenplan wird dann nicht nach den eigenen Fähigkeiten oder Interessen ausgerichtet, sondern nach der Toleranz der unterrich­tenden Dozenten. Wahlpflichtfächer werden danach belegt, ob der ent­sprechende Lehrende die Kopftücher in seiner Veranstaltung hinnimmt. Seminare, in denen mit Widerstand des Dozenten zu rechnen ist, werden nach Möglichkeit erst gar nicht besucht[83]. Die liberalen Säkularen halten die Verbote oftmals für unsinnig, trotz ihrer Sorge „über das Erstarken der proislamischen Bewegung und die Zunahme der kopftuchtragenden Stu­dentinnen“[84]. Sie sehen in der Verhüllung nicht zwangsläufig ein Symbol der unterdrückten Frau, sondern auch „neue Möglichkeiten und Chancen für Frauen aus sunnitisch-konservativen Kreisen am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren“[85]. Dieser Teil des Lehrkörpers bevorzuge es, den Studierenden durch Erziehung ein säkulares Bewusstsein nahezubringen. Darüber hinaus werde kritisiert, dass man lange Zeit die massive Zu­nahme der Imam Hatip Gymnasien hingenommen sowie Religion als Pflichtfach wieder an den Schulen eingeführt habe[86]. Auf diese Weise, so der Vorwurf jener liberal-säkularen Dozenten, habe man eine Grundlage für die Bildung einer islamistischen Identität geboten. Dieser Teil des Lehrkörpers vermeide es jedoch laut Pusch, seine Haltung in großem Maße in der Öffentlichkeit publik zu machen, da er Missverständnisse befürchte. Es herrsche die Angst als Anhänger der Refah Partisi (RP), der religiös-konservativen Wohlfahrtspartei unter Necmettin Erbakan, oder gar als Mitglied der islamistischen Bewegung stigmatisiert zu werden und so – je nach Vertragslage – auf lange Sicht die Anstellung zu verlieren[87]. Auch die Gewerkschaft der Universitätslehrer lehne, obgleich sie sich klar ge­gen den politischen Islam ausspreche, jegliche Verbote bezüglich des Kopftuches ab. Dies habe laut Pusch verschiedene Gründe:

 

1.) „Universitäten müssen Orte sein, an denen freie Diskussion mög­lich ist. Alles, was die Diskussionsfreiheit einschränkt, ist nicht tole­rierbar“, wird Prof. Izzetin Önder, Universitätslehrer, zitiert.

 

2.) Das Kopftuch-Verbot sei ein geschlechtsspezifischer Selektions­mechanismus, da sich männliche Studenten gleich welcher Weltan­schauung mit ihrer Kleidung problemlos ihrer Umgebung anpassen können.

 

3.) Ein erzwungenes Ablegen des Kopftuches ändere nichts an der Einstellung bzw. Weltanschauung der betreffenden Studentin.

 

Die Gewerkschaft spricht sich nach Angaben von Pusch...

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