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E-Book

Die Revolution von 1918/19

AutorVolker Ullrich
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl127 Seiten
ISBN9783406627149
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,49 EUR

Zum Buch
Mit ihren Revolutionen haben sich die Deutschen in der Vergangenheit schwer getan. Das gilt auch für die Revolution von 1918/19 und ihre Bewertung. Am Anfang des revolutionären Geschehens standen der Matrosenaufstand in Kiel und der Staatsumsturz im November 1918, an ihrem Ende die blutige Niederwerfung der Münchner Räterepublik Anfang Mai 1919, die Unterzeichnung des Friedensvertrages von Versailles am 28. Juni und die Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung am 31. Juli. Volker Ullrich schildert mit souveräner Kennerschaft Ursprung und Verlauf der Revolution und geht zugleich der zentralen Frage nach, inwieweit die Konstellation von 1918/19 das katastrophale Scheitern der Weimarer Republik 1930 bis 1933 bereits in sich barg.



<p><strong>&Uuml;ber den Autor</strong><br /> Volker Ullrich, Dr. phil., Dr. h.c., ist Historiker und ZEIT-Autor. Er ist durch zahlreiche Beitr&auml;ge zur Geschichte des Ersten Weltkriegs und der Revolution von 1918/19 ausgewiesen. Bei C. H. Beck ist zuletzt von ihm erschienen: Das erhabene Ungeheuer. Napoleon und andere historische Reportagen (bsr 1774)</p>

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Leseprobe

I. Die Vorgeschichte der Revolution


1. Die Revolutionierung der wilhelminischen Gesellschaft im Ersten Weltkrieg


Am 9. November 1918, dem Tag, als die Revolution die Reichshauptstadt Berlin erreichte, notierte Thomas Mann in sein Tagebuch: «Alles in Allem habe ich ziemlich kaltes und nicht weiter unwilliges Blut. Revolutionen kommen erst, wenn sie gar keinen Widerstand mehr finden (auch bei dieser war es so) und eben dieses Fehlen beweist, daß sie natürlich und berechtigt sind. Die alten Machthaber sind im Grunde froh, ihre Macht, die keine mehr war, los zu sein, und es ist zuzugeben, daß ihre Autorität der Lage, wie sie ist und demnächst sein wird, nicht gewachsen gewesen wäre. Überhaupt sehe ich den Ereignissen mit ziemlicher Heiterkeit und einer gewissen Sympathie zu. Die Bereinigung und Erfrischung der politischen Atmosphäre ist schließlich gut und wohlthätig.»

So entspannt wie der in München lebende Schriftsteller reagierten nur die wenigsten Zeitgenossen auf die umwälzenden Ereignisse der ersten Novembertage 1918. Im Gegenteil: Für die meisten brach damals eine Welt zusammen, so auch für den Schriftsteller Gerhart Hauptmann: «Das Ungeheure ist zur Tatsache geworden», schrieb er ebenfalls am 9. November. «Die Bahn Wilhelms II., dieses eitlen, überheblichen, fleißigen Monarchen ist beendet.» Und Harry Graf Kessler, der Kunstmäzen und Diplomat, bemerkte: «Mir griff es doch an die Gurgel, dieses Ende des Hohenzollernhauses; so kläglich, so nebensächlich: nicht einmal Mittelpunkt der Ereignisse.» Den 9. November nannte er einen «der denkwürdigsten, furchtbarsten Tage der deutschen Geschichte».

So plötzlich, wie viele meinten, war die Revolution jedoch keineswegs ausgebrochen, und es hatte auch mehr als nur eines Anlaufs bedurft, um die scheinbar so festgefügte Bastion der Hohenzollernherrschaft zu schleifen. Die Umwälzung vom November 1918 war nicht nur eine unmittelbare Folge der militärischen Niederlage und der dadurch ausgelösten Schockreaktion in der deutschen Bevölkerung; vielmehr war sie seit Langem in einem Prozess kumulativer Radikalisierung im Schöße der wilhelminischen Gesellschaft herangereift. Unter der Hülle des «Burgfriedens» hatten sich seit August 1914 die gesellschaftlichen Spannungen außerordentlich verschärft. Hauptursache waren die schweren Belastungen, die der Krieg der großen Mehrheit der Bevölkerung aufbürdete. Nicht nur Arbeiter, sondern auch Angestellte und Beamte mussten eine bedeutende Verschlechterung ihres Lebensstandards hinnehmen. Die Einkommen konnten mit der raschen Verteuerung aller lebensnotwendigen Güter, vor allem der Nahrungsmittel, nicht Schritt halten. Die Reallöhne sanken im Schnitt weit unter Vorkriegsniveau. Gleichzeitig wurden Arbeitszeiten verlängert und – besonders in den Rüstungsbetrieben – Schutzbestimmungen außer Kraft gesetzt. Die Erbitterung darüber entlud sich seit 1916 in einer wachsenden Zahl «wilder» Streiks – «wild» deshalb, weil die Gewerkschaftsleitungen seit Kriegsbeginn auf alle Arbeitsniederlegungen verzichtet hatten und die Streikenden von dieser Seite weder mit moralischer noch finanzieller Unterstützung rechnen konnten.

Neben der Verteuerung bildete die zunehmende Knappheit der Lebensmittel eine Quelle ständiger Unzufriedenheit. Vor dem Krieg hatte das Deutsche Reich 20 Prozent seiner Lebensmittel importiert; die alliierte Wirtschaftsblockade schränkte die Zufuhren stark ein. Verschärft wurde die Mangelsituation allerdings durch die Unfähigkeit der Behörden, eine halbwegs gerechte Verteilung sicherzustellen. Unter den anhaltenden Versorgungsschwierigkeiten hatten vor allem Frauen der unteren Bevölkerungsschichten zu leiden. Seit Ende 1915/Anfang 1916 gehörten Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften zum Alltagsbild vieler Großstädte. «Es herrscht hierbei eine äußerst gereizte Stimmung unter diesen Proletarierfrauen, und die Maßnahmen der Regierung erfahren häufig eine recht gehässige Kritik», beobachtete ein Berliner Polizist Ende September 1915. Nicht selten wurden «Lebensmittelpolonaisen» zum Ausgangspunkt von Hungerrevolten: Frauen und Jugendliche demonstrierten für «Frieden und Brot», stürmten Rathäuser und plünderten Geschäfte. Gegen solche Proteste gingen Polizeibeamte oft mit übertriebener Härte vor, was wiederum den Zorn der hungernden Menschen steigerte. Über den ersten großen Hungerkrawall auf dem Münchner Marienplatz im Juni 1916 schrieb ein Augenzeuge, der Anarchist Erich Mühsam, in sein Tagebuch: «Die Polizisten hatten blank gezogen und ritten jetzt, nach allen Seiten schlagend, über den Platz. Man hörte Schreie von Verwundeten, namenlose Wutäußerungen: Pfui! Sauhunde! Preußenknechte! Helden! Auf Weiber und Kinder habt ihr Mut! Pfui! Pfui!»

Die ersten Äußerungen der Unzufriedenheit und des Aufbegehrens waren noch bestimmt durch ökonomische Beschwernisse, mochte dahinter auch bereits das Verlangen nach Frieden als Grundmotiv erkennbar sein. Mit zunehmender Dauer des Krieges verbanden sich Missstimmung über die materielle Not und Kriegsmüdigkeit mit Ressentiments gegen die Privilegierten und Herrschenden, mit sozialer Kritik und politischem Protest. Eine wesentliche Rolle spielte dabei der immer schlimmere Auswüchse annehmende «Schleichhandel». Kolonnen von Großstädtern durchkämmten an Wochenenden die ländlichen Gebiete, um die schmalen Rationen, die über Karten zu bekommen waren, aufzubessern. Große Erbitterung löste es jedes Mal aus, wenn Polizeibeamte den kleinen «Hamsterern» die mühsam erworbenen Lebensmittel abnahmen, während die Großspekulanten und erwerbsmäßigen Schieber ungeschoren davonkamen. Der größte Teil der auf dem Schwarzmarkt gehandelten Waren landete in den Vorratskellern der Vermögenden. So hatte der «Schleichhandel» eine die Klassengegensätze zugleich enthüllende und verschärfende Funktion. «Alles wird für die Reichen, für die Besitzenden reserviert. Sobald es heißt, Entbehrungen mitmachen zu müssen, dann wollen die Herrschaften keine Brüder und Schwestern mehr von der arbeitenden Klasse sein. Die schönen Reden vom Durchhalten gelten nur für die arbeitende Klasse, die herrschende Klasse hat sich mit ihrem Geldsack schon genügend versorgt», empörte sich eine Hamburger Arbeiterin im Winter 1916/17, der als «Steckrübenwinter» in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Noch zermürbender als Hunger und Mangel in der «Heimat» wirkte die Erfahrung des massenhaften Sterbens an den Fronten. Von der Begeisterung der Augusttage 1914 war gerade hier bald nichts mehr zu spüren. An die Stelle des idealistisch gestimmten Kriegsfreiwilligen trat der desillusionierte, harte Frontkämpfer, für den das Töten zur mechanischen Pflichterfüllung wurde. Alltag im Schützengraben – das hieß ein Maulwurfsleben in Unterständen, manchmal bis zu zehn Metern unter der Erde, mit Dreck, Gestank und Ungeziefer, das hieß das nervenzehrende Warten auf den nächsten Angriff, inmitten einer von Laufgräben und Stacheldrahtverhauen durchzogenen Schlachtlandschaft, wo verstümmelte und faulende Leichenteile herumlagen, wieder und wieder umgepflügt vom oft stundenlangen Trommelfeuer. «Ihr könnt Euch keine Vorstellung von diesem Schrecken machen», schrieb ein Infanterist im Juni 1916 über das Gemetzel bei Verdun. Abstumpfung, Verrohung, Hass auf die militärischen Vorgesetzten und Verachtung für die «Etappenhengste» prägten den Umgangston in dieser Zwangsgemeinschaft des Schützengrabens.

Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht unter Zivilisten und Soldaten verstärkten sich wechselseitig. Urlauber trugen die Missstimmung über die Zustände in der Armee in die «Heimat» und kehrten, über die Not ihrer Familien erst recht erbittert, an die Front zurück. In ihren Erzählungen mischten sich eigene Beobachtungen mit Gerüchten über die ausschweifenden Vergnügungen der Kriegsgewinnler und die Prassereien der Offiziere in der Etappe. Solche Gerüchte fanden bereitwillige Aufnahme, weil sie an die vielfältigen Erfahrungen der Ungleichheit in der Klassengesellschaft anknüpften. So verband sich Kriegsgegnerschaft auch im Heer mit Gesellschaftskritik. Weit verbreitet sei hier die Ansicht, meldete eine mit der Kontrolle der Feldpostbriefe befasste Überwachungsstelle im August 1917, «der Krieg werde nur noch im Interesse unserer Großkapitalisten fortgesetzt». «Gleiche Löhnung, gleiches Fressen, wär’ der Krieg schon längst vergessen!», lautete ein häufig kolportierter Spruch unter den Mannschaften.

Einen starken Auftrieb erhielt der Antikriegsprotest durch den Beginn der Russischen Revolution im Frühjahr 1917. «Als ich vorige Woche bei einem Telegramm stehen blieb und die Revolution in Petersburg las», schrieb eine Münchnerin im März 1917, «hörte ich hinter mir sagen, schade, daß es nicht in Berlin ist. Ich schaute um, und es waren Feldgraue.» Auch in den Unterhaltungen der Frauen vor den Lebensmittelgeschäften...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel2
Zum Buch3
Über den Autor3
Impressum4
Inhalt5
Einleitung7
I. Die Vorgeschichte der Revolution11
1. Die Revolutionierung der wilhelminischen Gesellschaft im Ersten Weltkrieg11
2. «Burgfriede» und Spaltung der Sozialdemokratie16
3. Die verspätete Reform21
II. Die erste Phase der Revolution (November 1918 – Februar 1919)28
1. Der Aufstand in Kiel und die Ausbreitung der revolutionären Bewegung28
2. Der 9. November in Berlin und die Bildung der Regierung der Volksbeauftragten32
3. Der Alltag der Revolution39
4. Revolution und Konterrevolution44
5. Der Rätekongress57
6. Die Weihnachtskrise und das Ausscheiden der USPD aus der Regierung63
7. Von der Gründung der KPD zur Niederschlagung des Januaraufstands67
8. Die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht73
9. Die Wahlen zur Nationalversammlung und die Bildung der Weimarer Koalition76
III. Die zweite Phase der Revolution (Februar 1919 – August 1919)82
1. Der Ruf nach Sozialisierung82
2. Die Berliner Märzmassaker88
3. Die Münchner Räterepublik92
4. Versailler Vertrag und Kriegsschuldfrage101
5. Die Weimarer Verfassung107
6. Ausblick114
Zeittafel119
Literatur121
Personenregister126

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