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E-Book

Die Stein-Strategie

Von der Kunst, nicht zu handeln

AutorHolm Friebe
VerlagCarl Hanser Fachbuchverlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783446436411
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Ständige Veränderung! So lautet der Imperativ der Gegenwart. Die klügere Option des Abwartens wird ausgeblendet. Dabei führt blinder Aktionismus oft ins Verderben, und Ruhe und Gelassenheit sind der Garant langfristigen Überlebens. Nicht-Handeln ist die mit Abstand erfolgreichste Strategie: ob an der Börse, wo Warren Buffett Geld nicht durch hektisches Zocken, sondern durch kluges Warten verdient, in der Politik, wo Angela Merkel durch Aussitzen Kanzlerin bleibt, oder in der Kommunikation, wo Schweigen die mächtigste Waffe ist. Unterhaltsam und fundiert legt Holm Friebe dar, wie wir in Alltag und Beruf die Trumpfkarte des Nicht-Handelns ausspielen können. Denn von Steinen lernen heißt siegen lernen!

Holm Friebe, Jahrgang 1972, ist Volkswirt, Geschäftsführer der Zentralen Intelligenz Agentur (ZIA) in Berlin und unterrichtet Designtheorie an Kunsthochschulen. Er ist Autor mehrerer Sachbücher, unter anderem des Wirtschaftsbestsellers 'Wir nennen es Arbeit' (2006). Zuletzt erschienen von ihm bei Hanser 'Was Sie schon immer über 6 wissen wollten' (2011, zusammen mit Philipp Albers) und 'Die Stein-Strategie' (2013).

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EINLEITUNG


Wenn du dich bewegst, musst du wissen, wohin. Wenn du dich nicht bewegst, musst du wissen, warum. Dieses Buch will nicht sagen, wo es langgeht. Es will vielmehr zeigen, warum das Nicht-Handeln, Stillhalten, Abwarten in vielen Situationen die bessere Wahl ist – und eine Option, die in den Strukturen und Systemen, in denen wir stecken, allzu oft ausgeblendet und hinweggefegt wird von der allgemeinen Drift zum Aktionistischen: Dem zupackenden Macher gehört die Welt, Wagemut schlägt Wankelmut.

Natürlich, das gleich vorweg, gehen uns, die wir in der Welt etwas erreichen wollen, die Bremser, Verhinderer und Passivisten oft genug auf die Nerven, über deren Schreibtischen eine vergilbte Kopie aus den Zeiten des Fax-Humors hängt: „Wir sind bei der Arbeit und nicht auf der Flucht.“ Wir ärgern uns über ihre Borniertheit nach dem Motto „keine Experimente!“. Unterm Strich aber richten sie deutlich weniger Schaden an als die Umtriebigen und Agilen, die Paniker und Machbarkeitsfanatiker.

Zwar wird der bedächtig Abwartende niemals Lob und Lorbeeren für seine heroische Kühnheit ernten. Er wird häufig nicht das maximale Resultat erzielen. Aber er wird katastrophale Fehlentscheidungen vermeiden, nicht mit fliegenden Fahnen in sein Verderben rennen und im Zweifel länger am Leben bleiben.

In diesem Sinne ist die Stein-Strategie bei gewissenhafter Abwägung die klügere Alternative – und ein Gegengift wider voreiliges Handeln, blauäugige Beherztheit und konfusen Hyperaktivismus. Was sie nicht ist: eine Apologie der Faulheit und ein erneutes Loblied auf die „Prokrastination“, das zwanghafte Aufschiebeverhalten. Das Unterlassen als Strategie setzt voraus, dass man immer auch handeln könnte und sich bewusst dagegen entscheidet – und nicht, dass man durch höhere Mächte, Antriebslosigkeit oder eine pathologische Disposition dazu gezwungen wird, in Untätigkeit zu verharren. „Die Bedingung der möglichen Verhaltensalternativen ist ein konstitutives Moment des Unterlassens“, stellt der Philosoph Dieter Birnbacher klar.

Es geht hier also weniger um die Tradition Fürst Oblomovs, jenes Antihelden aus dem gleichnamigen Gontscharow-Roman, der zum Symbol personifizierter Lethargie („der Mittagsschlaf war das Zentrum seines Tagesablaufs“) und damit zur Identifikationsfigur aller Slacker wurde. Dann schon eher um das Erbe von Herman Melvilles Bartleby, dem Schreiber, der durch seine plötzliche starrköpfige Verweigerungshaltung („I would prefer not to“) sein gesamtes Büroumfeld lahmlegte. Sicherlich kann man sich bei den Vorbildern aus der Richtung von Shakespeares Hamlet bis zu Samuel Becketts trantütigen Helden – den „Athleten des Zauderns“, wie sie der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl nennt – einiges abschauen. Allerdings werden wir uns nicht groß mit ihnen aufhalten und verweisen auf die einschlägige Fachliteratur.

Zugleich sollte dieses Buch nicht als ein Plädoyer für die angeblich verlernte Kulturtechnik von Muße, Müßiggang und Nichtstun missverstanden werden. Auch davon hat es in den letzten Jahren zur Genüge gegeben. Anders als jene gutgemeinten, zumeist kulturpessimistisch grundierten Mahnungen zu Entschleunigung und innerer Einkehr, zielt die Stein-Strategie auf die Verfolgung und Durchsetzung handfester Eigeninteressen von Individuen und Organisationen. Sie ist eine Lektion in Abwarten und Aussitzen, ein Lob auf die Tugend des Füße-still-halten-Könnens und Kommen-Lassens. In einer von sinnlosem Stress, Hektik und Atemlosigkeit geprägten Zeit ist intentionale Passivität eine rare und zu Unrecht verfemte Kunstform, die durch nichts besser versinnbildlicht wird als durch den ruhenden Stein.

Manuel De Landa, ein Philosoph des „Neuen Materialismus“, argumentiert in seinem großartigen Buch A Thousand Years of Nonlinear History, dass zwischen der Erd-, Sozial- und Kulturgeschichte mehr strukturelle Ähnlichkeiten bestehen als Unterschiede. Es führt eine direkte, wenn auch keine gerade Linie von der Geologie zur Soziologie: „Wir leben in einer Welt, die von Strukturen bevölkert wird – eine komplexe Mischung aus geologischen, biologischen, sozialen und linguistischen Konstrukten, die nichts sind als Akkumulationen von Material, die von der Geschichte geformt und gehärtet werden.“ In dieser nonlinearen Geschichtsschreibung findet man „Bifurkationslinien“, an denen das System einen Sprung bekommt und in einen anderen Zustand wechselt. Die Spur der Steine und die Spur der Menschen kreuzen sich mehrfach und durchdringen sich wechselseitig. Die Herausbildung von Knochen, die Mineralisierung des tierischen und später menschlichen Endoskeletts bildet einen der Kreuzungspunkte. Ein weiterer liegt vor etwa 8000 Jahren, als Menschen begannen, sich mineralische Exoskelette zu bauen: Häuser aus Stein. So sind wir über die Geschichte mit den Steinen verbandelt.

Zwar haben Steine, nach allem, was man weiß, kein Bewusstsein, keinen eigenen Willen und können ergo auch keine Strategie verfolgen. „Wozu über Steine reden, wenn der Mensch das Thema ist?“, versetzt Peter Sloterdijk in seiner Weltfremdheit: „Von der Seinsweise der Steine führt, so scheint es, kein Weg zu der der Menschen.“ Für den Philosophen erschöpft sich die Parallele von Mensch und Stein im Bild des Findlings, den die Eiszeit in der Ebene zurückgelassen hat: Indem wir uns unserer Existenz bewusst werden, würden wir zu Findlingen unserer selbst, zu „Selbstfindlingen“.

In diesem Buch wollen wir eine andere Abzweigung nehmen, indem wir uns, cum grano salis, von der Metapher des Steins in Richtung strategisches Denken leiten lassen.

Im Genre des populären Strategie-Sachbuchs, das uns Orientierung für die private Bewältigung des Alltags und für das professionelle Vorankommen verspricht, ist es modern geworden, niedere Lebensformen zum titelgebenden Vorbild zu machen. Begonnen hat das mit Spencer Johnsons schmalem Büchlein Die Mäuse-Strategie für Manager, das anhand einer Fabel aufschlüsselt, wie wir „Veränderungen erfolgreich begegnen“: Zwei Mäuse und zwei Zwergenmenschen suchen täglich in einem Labyrinth nach Käse. Als sie einen größeren Vorrat gefunden haben, setzen sich die Menschen zur Ruhe und werden bequem, während die Mäuse alert und auf dem Sprung bleiben. Als der Käsevorrat aufgezehrt ist, ziehen die Mäuse sofort wieder hinaus ins Labyrinth, während die Menschen lange über dem Verlust brüten, bevor sie sich endlich aufraffen, neuen Käse zu suchen.

Was will uns das sagen? Was sollen wir von den Mäusen lernen? „Die Mäuse analysierten die Lage nicht übermäßig und belasteten sich nicht mit komplizierten Überlegungen.“ Und für alle, die es noch nicht kapiert haben, sind ganzseitige Merksätze und Sinnsprüche wie „Je schneller Du den alten Käse sausen lässt, desto eher findest Du neuen“ eingestreut. Der Käse steht – logisch, was sonst? – für alles, was uns kostbar ist und was wir im Leben anstreben.

So platt die Botschaft, so imposant am Ende der deutschen Ausgabe die Liste der Unternehmen, in denen das Buch so etwas wie Pflichtlektüre zu sein scheint. Sie reicht von Exxon über General Motors bis Xerox. Seit Erscheinen 1998 hat sich die einfältige kleine Geschichte weltweit 26 Millionen Mal verkauft und wurde zu einem der erfolgreichsten Wirtschaftsbestseller aller Zeiten. Offensichtlich hat sie einen Nerv der Zeit getroffen und einen Bedarf richtig erkannt: den Betroffenen der seit etwa Mitte der 1990er grassierenden Umbaumanie in Unternehmen und Konzernen – den „flexiblen Menschen“, wie Richard Sennett sie getauft hat – etwas Erbauliches und Tröstendes an die Hand zu geben.

Bei so einem Erfolg ließen die Epigonen natürlich nicht lang auf sich warten. Unter anderem liegen mittlerweile vor: Die Bären-Strategie, Die Schaf-Strategie, Das Pinguin-Prinzip und natürlich eine Delfin-Strategie. Den vorläufigen Tiefpunkt markiert Die Kakerlaken-Strategie von Craig Hovey. 2006 erschienen, handelt sie davon, dass ein frustrierter Angestellter, der einer sprechenden Kakerlake das Leben schenkt, zum Dank mit allerlei Kniffen für den täglichen Existenzkampf im Büro versorgt wird. Logisch, denn „als die ultimativen Überlebenskünstler, die schon vor den Dinosauriern existierten, kennen Kakerlaken die besten Überlebenstipps für das Überleben im Job“. Ihre „Kakerlaken-Gebote“ lauten also: „Greif an, während die anderen noch grübeln.“ Oder: „Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker.“

Was ist aus dem schönen Strategie-Ratgeber-Genre geworden, das einst in Asien erfunden wurde, in Europa zur Blüte gelangte und von den Amerikanern verwissenschaftlicht wurde?! Als gesammeltes Erfahrungswissen aus zweitausend Jahren chinesischer Kriegskunst sind die berühmten 36 Strategeme überliefert, die so schöne Namen tragen wie „Einen Backstein hinwerfen, um Jade zu erlangen“ oder „Die Akazie schelten, dabei aber auf den Maulbeer zeigen“ – in Wahrheit sind es weniger Strategien als taktische Finten und Winkelzüge.

Am Anfang der Neuzeit...

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