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E-Book

Die Strenggläubigen

Fundamentalismus und die Zukunft der islamischen Welt

AutorWilfried Buchta
VerlagHanser Berlin
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783446254312
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Der militante Islamismus, der den Weltfrieden bedroht, hat seine Gestalt nicht erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewonnen. Seine moderne Geburtsstunde schlug 1979 in Iran und Saudi-Arabien. Wilfried Buchta, ein intimer Kenner des Nahen und Mittleren Ostens, zeichnet die seither anhaltenden Spannungen und Entwicklungen innerhalb der islamisch-arabischen Welt nach, und er macht deutlich, welche fatale Rolle die Konfessionskonflikte zwischen Sunniten und Schiiten dabei spielen. Er schildert den Aufstieg von radikalen Glaubensführern und erklärt, warum es keinen theologischen Mainstream gibt, der den extremen Positionen der 'Strenggläubigen' und dem Terrorismus etwas entgegensetzen könnte.

Wilfried Buchta, 1961 geboren, ist Islamwissenschaftler und Publizist. Er hat 14 Jahre lang für nationale und internationale Organisationen in Marokko, Iran, Jordanien und Irak gearbeitet, 2005-2011 als politischer Analytiker für die UN in Bagdad. Neben Vorträgen schreibt er u. a. für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Cicero. Zuletzt erschien von ihm Terror vor Europas Toren (2015). Er lebt in Berlin.

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Leseprobe

Einleitung


Am 2. Januar 2016 ließ das Regime in Saudi-Arabien Nimr al-Nimr hinrichten, einen bekannten, bereits seit Jahren inhaftierten oppositionellen Schiitenprediger. Zusammen mit Nimr exekutierte es auch über vierzig andere saudische Oppositionelle, allesamt mit dem »Islamischen Staat« (IS) oder al-Qaida verbundene sunnitische Dschihadisten. Diese Exekutionen werfen ein Schlaglicht darauf, worum es unter anderem in diesem Buch gehen soll, nämlich um den teils ideologisch-religiös, teils militant ausgefochtenen Kampf, den islamische Fundamentalisten sowohl gegeneinander als auch gegen die westliche Moderne führen. Das Regime in Riad fühlte sich durch die einheimischen saudischen Schiiten wie auch durch die IS-Oppositionellen in einem solchen Maße bedroht, dass es ein abschreckendes Exempel statuieren und ein Zeichen der Stärke setzen wollte, um so vor allem nach innen seine Machtlegitimation abzusichern, die auf islamischer Strenggläubigkeit und Härte gründet. Die damit zugleich nach außen gerichtete Botschaft war ebenso unmissverständlich. Sie lautete: Saudi-Arabiens Wahhabiten nehmen es mit ihren zwei ärgsten fundamentalistischen Gegnern auf, sei es der religiös-ideologisch mit den Wahhabiten fast identische IS, der seit 2014 immer mehr Zulauf unter vielen jungen frommen Saudis erfährt, sei es der Iran, die traditionelle Anlehnungsmacht aller – und damit auch der saudischen – Schiiten des Nahen Ostens. Der Iran ist und bleibt Riads großer Antipode, mit dem es seit der Iranischen Revolution von 1979 um die Macht in der Region rivalisiert.

Inzwischen, im Jahr 2016, sehen wir, wie die Kernstaaten des Nahen Ostens, Syrien und Irak, als Ergebnis eines lange zuvor schon einsetzenden Zerfalls nationalstaatlicher Strukturen, aber auch von Interventionen externer Akteure und von Bürgerkriegen zerbrechen. Gleichzeitig sehen wir einen stetig eskalierenden Konflikt zwischen islamisch-fundamentalistischen Staaten und Organisationen, die wie der Iran und Saudi-Arabien in Syrien und im Irak einen Stellvertreterkrieg ausfechten. Der Verlauf und die Ergebnisse dieser Konfrontation werden mit darüber entscheiden, wie die Zukunft der Region aussehen und ob die Sicherheit Europas bewahrt bleiben wird. Der Verlauf dieser Stellvertreterkriege geht Europa auch deswegen an, weil es der Kontinent ist, der bereits jetzt von Flüchtlingsströmen überfordert ist und sich wachsender Gefahr durch dschihadistischen Terror ausgesetzt sieht, beides Phänomene, die auf die eine oder andere Weise mit dieser Konfrontation zusammenhängen.

Doch wen meinen wir, wenn wir von islamischen Fundamentalisten reden? Dazu kurz eine Definition dessen, was ich hier unter Fundamentalismus verstehe und was sich zum allergrößten Teil mit dem heute überwiegend von Islamwissenschaftlern benutzten Begriff Islamismus deckt. Demnach handelt es sich um weltanschauliche Bestrebungen zur Umgestaltung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik auf der Grundlage von Werten und Normen, die als islamisch angesehen werden. Mit anderen Worten: Im Mittelpunkt der Ideologie der Fundamentalisten steht das Ziel, einen Zustand politischer, kultureller und gesellschaftlicher Legitimität zu schaffen, in dem die »wahren« islamischen Werte und Normen gelten. Vielfach versuchen die Fundamentalisten diesen Zustand zu verwirklichen, indem sie auf die ihrer Ansicht nach im Laufe der Geschichte bis zur Unkenntlichkeit überwucherten Fundamente des Glaubens zurückgreifen. Diese sehen sie wiederum in ihrer echten und reinen Form in der idealisierten Frühzeit des Islam, also dem 7. Jahrhundert, verwirklicht. Allerdings herrschte und herrscht unter den verschiedenen Strömungen und Gruppen der Fundamentalisten Dissens darüber, was genau unter den »wahren« islamischen Werten zu verstehen sei. Das kann nicht verwundern, zumal viele von ihnen sich in subjektiver und selektiver Weise Werten und Normen bedienen, die sie aus der breiten religiösen, politischen und kulturellen Tradition des Islam auswählen und denen sie Deutungen unterlegen, die ihren politischen Zielen dienlich sind.

Bisweilen aber zeigen sich Fundamentalisten – insbesondere in ihren schiitischen Spielarten – erstaunlich flexibel, wenn es darum geht, neue ideologische Elemente zu schaffen oder moderne Elemente, etwa aus der Demokratie, in Anspruch zu nehmen, gemäß ihrer Lesart umzudeuten und ihren Zielen anzupassen. Beispielhaft dafür ist das von Ayatollah Khomeini im Iran geschaffene theokratische Regierungskonzept der »Rechtsgelehrtenherrschaft«, das in der schiitischen Theologie eine Innovation, ja mehr noch: eine Revolution darstellt. Ihre Innovationsfähigkeit bewiesen die schiitischen Fundamentalisten auch, als sie 1979 nach dem Sturz der Schah-Monarchie dem Iran eine neue Staatsform gaben und zu diesem Zweck eine Verfassung erarbeiteten. In ihr verschmolzen sie auf schöpferische Weise das Theokratiekonzept von Khomeini mit Elementen westlicher Demokratie, etwa mit den alle vier Jahre stattfindenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, Wahlen, wie sie Irans Hauptrivale Saudi-Arabien nicht kennt. Die daraus erwachsene hybride Regierungsform verleiht der Islamischen Republik Iran seither eine Vitalität und Stabilität, die größer ist als die der meisten Nachbarstaaten.

Irans relative Stabilität im regionalen Umfeld fällt gerade in diesen Zeiten besonders ins Auge, denn jeder, der die Nachrichtenlage verfolgt, sieht mit einer Mischung aus Unverständnis, Sorge und Schrecken, wie sich die Staatenordnung des Nahen Ostens aufzulösen beginnt. Und in der Tat toben in dieser östlich des Mittelmeers gelegenen Region, die sich von der Arabischen Halbinsel und dem Iran bis nach Ägypten und Libyen erstreckt, mittlerweile vier Bürgerkriege, nämlich im Irak, in Syrien, im Jemen und in Libyen. Immer deutlicher wird, dass die nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs von den europäischen Kolonialmächten geschaffene Ordnung säkularer Nationalstaaten, die primär auf dem zwischen London und Paris geschlossenen Sykes-Picot-Abkommen von 1916 fußte, größtenteils und unwiderruflich zerbrochen ist. Mehr und mehr formen sich auf den Territorien der Bürgerkriegsstaaten die Umrisse von neuen und kleineren Protostaaten auf rein konfessioneller oder ethnischer Grundlage. Dazu gehören die zwei autonomen Kurdenregionen im Irak und in Syrien, das transnationale sunnitisch-dschihadistische IS-Kalifat, der Rumpfstaat von »Schiastan« in Bagdad und im Südirak, das syrische »Alawitistan« der Assad-Diktatur in Damaskus und andere Teilstaaten im Jemen und in Libyen.

Manche Beobachter und Experten in Deutschland erklären unermüdlich, dass der Zerfall dieser Staatenordnung erst 2011 mit dem Scheitern des Arabischen Frühlings einsetzte. Andere behaupten, er sei vor allem eine Folge der US-Invasion im Irak. Ich bin anderer Meinung. Obwohl an beiden Erklärungsansätzen viel Wahres ist, glaube ich, dass sie allein zu kurz greifen, da die Konzentration auf diese beiden Faktoren den Blick auf mehrere andere, ebenfalls für die aktuelle Krise verantwortliche Entwicklungslinien verstellt. Eine davon nimmt ihren Anfang bereits in der frühislamischen Geschichte, genauer gesagt mit dem sunnitisch-schiitischen Schisma im 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Eine andere Entwicklungslinie geht auf das Jahr 1979 zurück, das Jahr, als der moderne islamische Fundamentalismus im Zuge der Iranischen Revolution einerseits und der Mekka-Revolte andererseits geboren wurde, die jeweils die schiitisch-revolutionäre und die sunnitisch-dschihadistische Spielart des Fundamentalismus auf die politische Weltbühne treten ließen. Dort erstritten sie sich sukzessive ihre Parts als Rivalen des weitaus älteren sunnitisch-wahhabitischen Fundamentalismus in Saudi-Arabien.

Viele Beobachter verkennen außerdem, wie folgenreich eine dritte Entwicklungslinie ist. Sie ist verbunden mit dem Aufstieg und dem letztlichen Scheitern der Ideologie des säkularen arabischen Nationalismus. Dieser hatte sich im Ordnungsrahmen der künstlichen Nationalstaaten entfaltet, die von den europäischen Kolonial- und Mandatsmächten in der Folge des Ersten Weltkriegs geschaffen worden waren. Und in der Tat erlebten nationalistische Militärregimes, sei es unter Nasser in Ägypten, Ben Bela und Boumedienne in Algerien, Gaddafi in Libyen, Hafiz al-Assad in Syrien und Saddam Hussein im Irak zwischen den 1950er und den 1980er Jahren eine Hochzeit. Ihre Ideologien, die nach außen Freiheit gegenüber den alten Kolonialmächten und dem neuen Imperialismus der USA, nach innen aber soziale Entwicklung und wirtschaftliche Industrialisierung propagierten, bannten und begeisterten jahrzehntelang den Großteil ihrer jeweiligen Völker. Doch mit den Niederlagen der arabischen Staaten in den Kriegen gegen Israel begann die ideologische Strahlkraft des arabischen Nationalismus immer mehr zu verblassen. Und mit Saddam Husseins missglücktem Kriegsabenteuer in Kuwait wurde ihm letztlich der Todesstoß versetzt. In der Folge hatte der islamische Fundamentalismus kein attraktives, die Massen begeisterndes ideologisches Gegengewicht bzw. Gegenmodell mehr und erlebte somit auch und gerade politisch einen enormen Machtzuwachs.

In verkürzter und einseitiger Weise argumentieren heute viele westliche Nahostbeobachter, die Entstehungsursachen der heutigen Krise hätten fast ausschließlich mit – lediglich religiös verbrämten – Interessenkonflikten über die Verteilung von Macht und wirtschaftlichen Ressourcen zu tun. Dem widerspreche ich entschieden, und zwar auf der Basis von Erfahrungen, Erlebnissen und Einsichten aus insgesamt 14 Jahren, die ich in fünf islamischen Ländern gelebt und gearbeitet habe. Meiner Ansicht nach...

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