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E-Book

Die Vorläufer des neueren Sozialismus

Vollständige Ausgabe

AutorKarl Kautsky
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl661 Seiten
ISBN9783849628949
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Kautskys umfassendes Werk greift die Geschichte des Sozialismus auf und beschreibt die historische Entwicklung von den Wurzeln bis ins beginnende 20. Jahrhundert. Inhalt: Erster Abschnitt - Der platonische und der urchristliche Kommunismus Erstes Kapitel - Der Idealstaat Plato's Zweites Kapitel - Der urchristliche Kommunismus Zweiter Abschnitt - Die Lohnarbeiter im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation Erster Kapitel - Die Entstehung eines freien, städtischen Zweites Kapitel - Die Handwerksgesellen Drittes Kapitel - Kapital und Arbeit im Bergbau Viertes Kapitel - Kapital und Arbeit in der Weberei Dritter Abschnitt - Der Kommunismus im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation Erstes Kapitel - Der klösterliche Kommunismus Zweites Kapitel -Der ketzerische Kommunismus. Sein allgemeiner Charakter Drittes Kapitel - Der ketzerische Kommunismus in Italien und Südfrankreich Viertes Kapitel - Die Begharden Fünftes Kapitel - Die Lollharden in England Sechstes Kapitel - Die Taboriten Siebentes Kapitel - Die böhmischen Brüder Achtes Kapitel - Die deutsche Reformation und Thomas Münzer Neuntes Kapitel - Die Wiedertäufer

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Leseprobe

IV. Das Kirchengut im Mittelalter

 

Das Christenthum war nicht im Stande und konnte nicht im Stande sein, eine neue Produktionsweise zu begründen, eine solche Revolution herbeizuführen. Damit war es auch nicht im Stande, das römische Reich vor dem Untergange zu retten. Wenn dieses trotz aller sozialen Verkommenheit seine Existenz durch Jahrhunderte hindurch zu schleppen vermochte, so verdankte es dies nicht dem Christenthum, sondern den heidnischen Barbaren, den Germanen. Diese wurden, wie wir gesehen, als Söldner und Kolonen die Stützen der sinkenden Gesellschaft.

 

Aber Söldnerthum und Kolonisation genügten nicht, die andrängenden Germanen zu befriedigen. Diese Einrichtungen zeigten ihnen blos die Schwäche des Reiches und machten sie mit Genüssen bekannt, die nur im Römerreiche zu befriedigen waren; sie verstärkten den Drang nach dem Süden. Schließlich überflutheten die Germanenschaaren das Reich und nahmen davon Besitz, eine Schaar die andere verdrängend und vordrängend, bis allmälig wieder Ruhe in das Chaos kam, die einzelnen Völker seßhaft wurden und neue Staaten sich bildeten, eine neue gesellschaftliche Ordnung sich entwickelte.

 

Die Germanen standen in der Zeit der Völkerwanderung noch auf der Stufe des urwüchsigen Agrarkommunismus. Die einzelnen Stämme, Gaue und Gemeinden bildeten Genossenschaften, Markgenossenschaften, mit Gemeineigenthum an Grund und Boden. Haus und Hof waren allerdings schon Privateigenthum der einzelnen Familien geworden; das Ackerland wurde unter diese zur Sondernutzung vertheilt, aber das Eigenthumsrecht daran stand der Genossenschaft zu; Weide, Wald und Wasser blieben in der Nutzung der Gemeinschaft.

 

Die Armuth, die Besitzlosigkeit als Massenerscheinung hörte seit der Völkerwanderung auf. Wohl tritt im Mittelalter nicht selten Massenelend auf, aber es rührt von Mißwachs her oder Kriegsnoth oder Seuchen, nicht aber von Besitzlosigkeit. und es war stets ein vorübergehendes und kein Elend für Lebenszeit. Wo sich aber Bedürftige fanden, da standen sie nicht verlassen da: die Genossenschaft, zu der sie gehörten, bot ihnen Schutz und Hülfe.

 

Die Wohlthätigkeit der Kirche hörte auf, ein für den Bestand der Gesellschaft nothwendiger Faktor zu sein. Die kirchliche Organisation selbst erhielt sich in den Stürmen jener Zeit, aber nur dadurch, daß sie sich den neuen Verhältnissen anpaßte, daß sie ihren Charakter völlig veränderte. Aus einer Wohlthätigkeitsanstalt wurde sie eine politische Einrichtung. Ihre politischen Funktionen wurden neben ihrem Reichthum die Hauptquelle ihrer Macht im Mittelalter. Ihren Reichthum rettete die Kirche in den Stürmen der Völkerwanderung aus der alten in die neue Gesellschaft. Wie viel sie auch davon verlieren mochte, ebenso viel oder noch mehr wußte sie neu zu erwerben. Die Kirche wurde in allen christlich-germanischen Staaten der größte Grundeigenthümer, ein Drittel des Landes gehörte in der Regel ihr, in manchen Gegenden noch mehr.

 

Dies reiche Kirchengut hört nun völlig auf, Armengut zu sein. Karl der Große wollte noch, wie manche andere Einrichtung des Römerreichs, so auch die Viertheilung des Kirchenvermögens in das Frankenreich übertragen. Aber wie die meisten anderen seiner „Reformen“ blieb auch diese auf dem Papier – oder Pergament. Wenige Jahre nach Karl’s Tode schon erschienen die isidorischen Dekretalien, eine Sammlung frech erfundener und gefälschter Dokumente, welche die Ansprüche des Papstthums rechtfertigen sollten und die juristische Grundlage seiner Politik wurden. In Bezug auf das Kirchenvermögen behaupten diese Dekretalien, daß unter den Armen, deren Vermögen es bilde, blos die Geistlichen zu verstehen seien, die das Gelübde der Armuth abgelegt haben. Diese Theorie wurde allgemein zur Geltung gebracht, von da an wurden die Kirchengüter als Güter des Klerus betrachtet. Im 12. Jahrhundert fand diese Theorie ihre folgerichtige Ausbildung durch die Behauptung, alles Kirchenvermögen gehöre dem Papste, der darüber nach Belieben verfügen könne.

 

Diese Anschauungen entsprachen ganz den thatsächlichen Verhältnissen, der Herrschaft, welche die Kirche in Staat und Gesellschaft, welche das Papstthum in der Kirche übte.

 

Aber wenn das Kirchengut auch aufhörte, Armengut zu sein, so ist damit doch nicht gesagt, daß im Mittelalter von Seiten der kirchlichen Organisationen garnichts für die Armen geschehen sei, soweit es Arme damals überhaupt gab. Wenn auch kein Proletariat in unserem Sinne in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters bestand – einige Städte vielleicht ausgenommen –, so gab es doch zeitweise nicht wenige Bedürftige, wie wir schon oben erwähnt, in Zeiten von Mißwachs Hungernde, in Zeiten von Seuchen Kranke und Wittwen und Waisen, denen eine Familie fehlte, die sie aufnahm, in Kriegszeiten sogar landlose Leute aus der Nachbarschaft oder von fernher, die der einbrechende Feind vertrieben hatte.

 

Solche Bedürftigen zu unterstützen, galt im Mittelalter als die Pflicht eines jeden Besitzenden, vor Allem jedes Grundbesitzers, also auch des größten Grundbesitzers, der Kirche. Diese Pflicht erfüllte sie nicht, weil sie eine besondere Wohlthätigkeitsanstalt gewesen wäre, sondern weil sie zu den Besitzenden gehörte; diese Pflichterfüllung war nicht der Ausfluß eines besonderen christlichen, sondern eines allgemeinen, wenn man will, heidnischen Prinzips, eines Prinzips, welches allen Völkern gemein ist, die auf niederer Kulturstufe stehen: der Gastfreundschaft.

 

Die Freude am Theilen, am Mittheilen, ist allen Völkern einen, bei denen der urwüchsige Kommunismus oder mindestens noch dessen Ueberlieferungen herrschen. Und der Fremde ist eben dort eine so seltene, so auffallende Erscheinung, daß man ihm gegenüber unmöglich gleichgültig bleiben kann; je nach seinem Herkommen und Benehmen bekämpft man ihn als Feind, oder ehrt ihn als Gastfreund, als ein geschätztes Mitglied der Familie; man spaltet ihm den Schädel, oder stellt ihm Haus und Hof, Küche und Keller zur Verfügung, mitunter auch das Ehebett.

 

Die Freude an der Mittheilung des Ueberschusses, den die eigene Wirthschaft über die Bedürfnisse der Familie hinaus erzeugt, erhält sich, so lange die sogenannte Naturalwirthschaft besteht, so lange nicht für den Markt oder den Kunden, nicht für den Verkauf produzirt wird, sondern für den Selbstgebrauch. Diese Produktionsweise herrschte während des Mittelalters, wenigstens in der Landwirthschaft, und dieser Produktionszweig war damals für das gesellschaftliche Leben weitaus der entscheidende.

 

Je mehr die Produktion sich entwickelte, desto größer wurde der Ueberschuß, den jedes Landgut erzielte. Namentlich in den Händen der großen Grundherren, der Könige, der hohen Adeligen, der Bischöfe, der Klöster häuften sich enorme Ueberschüsse von Lebensmitteln an, die sie nicht verkaufen konnten. Sie konnten sie nur – verfüttern. Sie benutzten sie, um zahlreiche Kriegsleute zu halten, Handwerker und Künstler, sowie um die freigebigste Gastfreundschaft zu üben. Es hätte damals für höchst unanständig gegolten, wenn ein Bemittelter einem friedfertigen Familienfremden Speise und Trank und ein Obdach versagt hätte, sobald diesen darum ansprach.

 

Wenn Bischöfe und Klöster die Hungrigen speisten, die Nackten kleideten und die Obdachlosen beherbergten, thaten sie nichts, was nicht jeder andere Besitzende im Mittelalter auch that. Der Unterschied war höchstens der, daß sie, als die Reichsten, den anderen Besitzenden darin voraus sein konnten.

 

Aber die Sitte der Gastfreundschaft nimmt rasch ein Ende, sobald die Waarenproduktion beginnt, das Produziren zum Verkauf, sobald ein Markt für die verschiedenen Produkte sich aufthut. Die einzelnen Wirthschaften kommen nun in die Lage, ihre Ueberschüsse gegen Geld umzutauschen, jenen großen Erzeuger von Macht, von dem man nie zu viel haben kann, der nicht verdirbt, der sich aufhäufen läßt. An Stelle der Freude des Mittheilens vom Ueberschuß tritt die Freude am Aufspeichern von Schätzen, die Freigebigkeit wird getödtet durch die Habsucht.

 

Je mehr die sogenannte Geldwirthschaft die Naturalwirthschaft zurückdrängt, ein Vorgang, der von Italien und Südfrankreich aus seit dem 13. Jahrhundert sich rasch über das übrige Europa verbreitet, desto mehr schränken die Besitzenden ihre Gastfreundschaft und Freigebigkeit ein.

 

Aber in demselben Maße, in dem die Freigebigkeit schwand, vermehrte sich die Zahl der Armen. Die Entwickelung der Waarenproduktion erzeugte ein Proletariat, daß rasch anwuchs und in manchen Gegenden eine bedeutende Ausdehnung erreichte.

 

Seine beste Zuflucht fand dies in der Freigebigkeit der Klöster.

 

Große Körperschaften scheinen immer schwerfälliger in ihrer Entwickelung zu sein und sich veränderten Verhältnissen weniger leicht anzupassen, als einzelne Individuen.  Sicher war dies der Fall mit den Klöstern. Sie hielten am längsten an den alten Naturallieferungen ihrer Hintersassen fest, während rund um sie herum die Leistungen in Geldsteuern verwandelt wurden; sie vermieden es mehr, als ihre Nachbarn, die Bauern ihrer Landantheile zu berauben oder deren Leistungen hinaufzuschrauben, sie bewahrten endlich im Allgemeinen länger als diese ihre alte Gastfreundschaft und Freigebigkeit.

 

Aber völlig konnten auch die Klöster der neuen Zeit sich nicht verschließen. Auch ihre Insassen...

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