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Die Weltgesellschaft in Bewegung

Neue soziale Bewegungen auf dem Weg zur Transnationalisierung

AutorChristoph Virgl
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl171 Seiten
ISBN9783638841214
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Politik - Politische Theorie und Ideengeschichte, Note: 1,0, Universität Wien (Politikwissenschaft), 137 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Neue soziale Bewegungen sehen was andere nicht sehen. Denken wir, dass es durch den fortschreitenden Prozess der Globalisierung zu einer 'Uniformierung' der Weltgesellschaft kommt wird die Frage akut, wie diese Uniform letztlich aussehen soll. Dabei handelt es sich um zentrale Fragestellungen der sich transnationalisierenden globalisierungskritischen Bewegungen. Diese Arbeit umfasst eine intensive theoretische Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Fragen der modernen Gesellschaft (Risiken, Globalisierung und Weltgesellschaft) und führt weiter zu den Theorien der Bewegungsforschung selbst. Damit dies nicht in einem isolierten theoretischen Bezugsrahmen verbleibt, werden empirische Belege einer prominent gewordenen transnationalen (globalisierungskritischen) neuen sozialen Bewegung, namentlich ATTAC, anhand ausgesuchter Problemfelder diskutiert.

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Leseprobe

2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN

 

„Der Weg zum Konkreten erfordert den Umweg über die Abstraktion.“

 

(Niklas Luhmann)[6]

 

Im Zentrum dieses Abschnitts steht die intensive Auseinandersetzung mit den maßgeblichen theoretischen Grundlagen und Begrifflichkeiten im Kontext des hier zur Verhandlung stehenden Themas. Die Diskussion über die jeweilige Leistungsfähigkeit einer Theorie kann nur an Stellen aufgegriffen und vertieft werden, soweit ihr für das hier gestellte Problemniveau Relevanz zugemessen wird. Da es sich bei den neuen sozialen Bewegungen[7] um eine Fragestellung innerhalb der modernen Gesellschaft handelt, wird dem intensiveren Teil der unterschiedlichen Theorieansätze über neue soziale Bewegungen, eine kurze Einführung in die Theorien der modernen Gesellschaft vorgeschaltet sein.[8] Dieser Abschnitt markiert sozusagen einen Ausgangspunkt und stellt die spannenden Schnittstellen zwischen gesellschaftstheoretischen Konzepten und politischer Theorie in den Vordergrund. Ziel der genauen Bestimmung der theoretischen Grundlagen soll es sein, von der theoretischen Makroebene, den genauen Ort der neuen sozialen Bewegungen innerhalb des politischen Systems[9] bestimmen zu können, um in Folge begrifflich geschärft fixieren zu können. Dabei handelt es sich um eine bewusst getroffene Entscheidung. Die Blickrichtung zuerst auf der Makroebene hinsichtlich Wandel und Modernisierung der Gesellschaft anzusiedeln, um zu diskutieren, wo sich das politische System bzw. die neuen sozialen Bewegungen auf dem Monitor der Gesamtgesellschaft befinden, um in Folge den daraus gewonnen Erkenntnisgewinn auf der Mesoebene (also Gruppen und ihr kollektives politisches Verhalten) aufzugreifen und vertiefen zu können.[10] Das Oszillieren zwischen Mikro- und Makroebene, ausgehend von einer bestimmbaren Mesoebene, formuliert der Deutsche Soziologe Dieter Rucht so:

 

„Bewegungen werden zu einer Gruppe von Handlungssystemen gerechnet, die analytisch am ehesten auf einer Mesoebene anzusiedeln sind. Hier liegt der typische soziale Aktionsradius von Bewegungen. Diese Mittellage ergibt sich daraus, dass Bewegungen gleichzeitig auf die Mikro- und Makroebene hin orientiert sind und darin eine Balance wahren müssen.“[11]

 

Nach einem kurzen Überblick über die wesentlichen Ansätze gesellschaftstheoretischer Konzepte, wird eine Einführung - in den zwar nicht alles dominierenden, aber doch sehr im Vordergrund stehenden -  systemtheoretischen Ansatz folgen. Hier wird der Frage nachgegangen, wo und in welcher Form wir neue soziale Bewegungen innerhalb der Gesellschaft ansiedeln können, und welche Funktionen sie innerhalb des politischen Systems zu übernehmen im Stande sind.  Die Wirkungen derartiger Widerspruchskommunikationen befinden sich dieser Annahme nach nicht außerhalb des politischen Systems, sondern werden in der politischen Öffentlichkeit formiert und in das politische Entscheidungszentrum transportiert. Der Anspruch dieser konzeptionellen Rekonstruktion kulminiert in erster Linie darin, sämtliche theoretische Bestimmungsfaktoren zu aggregieren, auf welche im Folgenden Bezug genommen wird.

 

Nach einer kurzen Einführung in die theoretischen Ansätze der modernen Gesellschaft[12] wird versucht anhand der funktional differenzierten Gesellschaft das politische System so zu beschreiben, wie es aufgrund seiner Struktur, Form und autopoietischen Geschlossenheit aus der Sicht der Systemtheorie bestimmbar geworden ist. Auf dieser Ebene hat sich aus den systemtheoretischen Grundlagen eine spannende (wenngleich auch diskussionswürdige) politische Theorie entwickelt, welche hier aufgegriffen wird und im Zusammenhang mit den neuen sozialen Bewegungen als „Protestkommunikation“  dargestellt wird. Die Darstellung des politischen Systems (als geschlossenes Funktionssystem der Gesellschaft) mit Zentrum, Peripherie und Binnendifferenzierung,  leitet zu den theoretischen Bemühungen im Theorienkomplex der Bewegungsforschung über. Seit Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts kam es zu einer regelrechten Forschungskonjunktur in diesem Bereich. Es ist daher nicht als Zufall zu bewerten, dass gerade in diesem Zeitraum  in der Fachliteratur die begriffliche Ergänzung von den sozialen Bewegungen zu den so genannten neuen sozialen Bewegungen eingeführt wurde.   Um diese  begriffliche Trennschärfe etwas auszuleuchten wird es notwendig sein abzuklären, was denn die neuen sozialen Bewegungen eigentlich sind, bzw. welche theoretischen Angebote wir hinsichtlich ihrer Differenzierungskapazitäten vorliegen haben.

 

Wie alle verhältnismäßig jungen Forschungsansätze, liegt auch der gesamten Bewegungsforschung zu Grunde, dass es sehr divergierende Ansätze und Ausrichtungen gibt, welche zumeist auf Einzelfallstudien abstellen und einen größeren theoretischen Zusammenhang lediglich anskizzierten, jedoch selten vertiefen.[13] So standen anfänglich Handlungstheorien und Theorien kollektiven Verhaltens, sowie gesellschaftsstrukturelle Spannungsverhältnisse mehr im Vordergrund, als sie letztlich zu erklären im Stande waren. Nach einer Diskussion der unterschiedlichen theoretischen Modelle, welche unter der Überschrift Bewegungsforschung[14] firmieren, erfolgt eine wichtige begriffliche Auseinandersetzung, nämlich die der Beobachterperspektive. Hier wird folgender Frage nachgegangen: Wenn die neuen sozialen Bewegungen als Beobachter der Gesellschaft definiert werden, welche zusätzliche theoretische Leistungsfähigkeit uns dies für das Phänomen bzw. für die Erfassung des Gegenstandes bringen kann und welche deskriptiven Konsequenzen ergeben sich daraus?

 

Die Frage, wer beobachtet, ist eine nicht unwesentliche und wird selten ausreichend berücksichtigt. Dies führt nicht selten zu immanenten Schwierigkeiten in Empirie und Analyse. Oder anders gesagt: Wie kann überhaupt beschrieben werden, was gesehen wird, was andere nicht sehen, wenn wir nicht wissen wer beobachtet? Eine weitere Frage, welche schon ein gewolltes Naheverhältnis zu dem Untersuchungsgegenstand unterstreicht, ist jene, wie aufgrund der Beobachtungsoperationen so etwas wie motiviertes kollektives Handeln einsetzt. Nach Festlegung der Beobachterperspektive stehen drei Begrifflichkeiten im Vordergrund, welche in den letzten beiden Jahrzehnten eine beachtliche Prominenz erfahren haben: Risikogesellschaft[15], Weltgesellschaft[16] und Globalisierung[17]. Beim letzt genannten Begriff (Globalisierung) wird fast allen wissenschaftlichen Disziplinen vorgeworfen, dass sie etwas ratlos sind und keine Antworten finden und die Auseinandersetzung mit ihr gleich den Journalisten überlassen.[18] Hier gilt es die oben erwähnten Begrifflichkeiten derart auszuleuchten, damit die besondere Rolle der neuen sozialen Bewegungen als Reaktion darauf verständlich wird. Die theoretische Herangehensweise, Globalisierung als etwas Prozessuales darzustellen, wird seitens der Kritik an ihr, als etwas Beeinflussbares dargestellt. Der Prozess als solches, bleibt somit als etwas Kontingentes im globalen Netzwerk hängen. Der Prozessbegriff suggeriert einen Ausgang hinsichtlich seiner Zukunftsperspektiven. Risiken der Weltgesellschaft werden durch transnationale Bewegungen derart kommuniziert, dass es (für sie) klar scheint, wohin die Entwicklung steuert, und was geschehen wird. Gelesen wird dies anhand des Prozesses und seiner politischen, ökonomischen und ökologischen Entscheidungen. Die Prozessverhandlung ist somit eine Verhandlung um deren Ausgang Strittigkeit herrscht, obwohl es in der dynamischen gesellschaftlichen Entwicklung kein fixierbares Ziel gibt. Dies muss jedoch in konfligierenden Kommunikationen über Zukunftsfragen der modernen Gesellschaft entparadoxiert werden.

 

Die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit erheben somit den Anspruch, die moderne Gesellschaft als funktional differenzierte Gesellschaft zu beschreiben, um weiterhin zentrale Problemfelder begrifflich so zu bearbeiten, dass die besondere Rolle neuer sozialer Bewegungen als gesellschaftliches Korrektiv und Einflusskraft schlüssig wird. Die Frage der Kritik an der Globalisierung als ein weltgesellschaftliches Problem mobilisiert soziale Bewegungen über nationalstaatliche Problemzentren hinweg. Hier wird der Versuch unternommen, diese Wege theoretisch zu begründen, um dies als einen neuen netzwerkartigen Bewegungstypus darzustellen. Plausibel wird dies dadurch gemacht, indem zentrale historische Rekonstruktionen der Vorläuferbewegungen beschrieben, und innerhalb der Bewegungsforschung diskutiert werden.

 

Eine Dokumentationsreihe über den Begründer der modernen Systemtheorie, Niklas Luhmann, trägt den Titel: „Beobachter im Krähennest.“[19] Als Krähennest wird der oberste Ausguck am Schiffmast eines Segelschiffes bezeichnet. Hier oben ist der Ort, der dazu dient, um sich über nahende Gefahren oder andere Unwirtlichkeiten einen Überblick zu verschaffen. Das vor einem liegende Meer scheint unendlich, und das in den Tiefen Verborgene nahezu unkenntlich und bei oberflächlicher Betrachtung verschlossen. Bei allen Problemen, die eine derartige Metapher in sich birgt, scheint sich hier die...

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