Im Folgenden sollen nun jeweils die Erstverfilmungen der Kästner-Kinderromane Emil und die Detektive, Das doppelte Lottchen und Pünktchen und Anton mit ihrem jeweils ersten deutschen Remake verglichen werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Herausarbeitung von Parallelen und Unterschieden inhaltlicher und ästhetischer Art. Weiterhin soll versucht werden, die in Kapitel 1 eingeführten Begriffe für das Remake anzuwenden. Um die Motive für die Produktion des Remakes aufzuzeigen, ist es unabdingbar, Original und Remake jeweils in ihren produktions- und filmgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen. Die kurze Darstellung der Geschichte ihrer Rezeption rundet dies ab. Grundsätzlich sollen die Filme beim Vergleich als eigenständige Werke eines Autorenkollektivs betrachtet werden. Die Problematik, dass sich bei einigen der Kästner-Verfilmungen Autor der literarischen Vorlage und Autor des Films überschneiden und sich die Themenbereiche Remake und Literaturverfilmung überlappen, ganz auszublenden, erscheint aber dennoch weder möglich noch sinnvoll. Es soll jeweils geklärt werden, warum die Neuverfilmungen als Remakes der Erstverfilmung zu betrachten sind und nicht allein als Literaturverfilmungen gelten können. Als Grundlage des Filmvergleichs soll das zugrunde liegende literarische Werk zumindest in seiner Medialisierungsgeschichte kurz vorgestellt werden
Ende der 20er-Jahre regte die Verlegerin Edith Jacobsohn den jungen Schriftsteller Erich Kästner an, einen Roman für Kinder zu verfassen. Kästner nahm die Herausforderung an und schon im Herbst des Jahres 1929 erschien Emil und die Detektive im Williams & Co. Verlag Berlin. Dieser erste und wohl wichtigste Kinderroman Kästners war der bisher größte Erfolg des Autors und begründete seinen weltweiten Ruhm als Kinderschriftsteller. Schon kurz nach Erscheinen wurden Verträge für Übersetzungen abgeschlossen und bereits im Frühjahr 1930 konnte in Deutschland die zweite Auflage in den Handel gehen.[69] Winfried Kaminski bezeichnet den Roman als „das Ereignis der Kinder – und Jugendliteratur in der Weimarer Republik“[70]. Neu war u. a. die Großstadt als Sujet und die Einbeziehung des sozialen Umfelds der kindlichen Helden. Als Vorläufer und Parallelen in der Kinderliteratur sind hier unter anderem Wolf Durians Kai aus der Kiste und Wilhelm Speyers Kampf der Tertia von 1927 zu nennen. Kästner schuf aber darüber hinaus einen neuartigen Kindertyp, der „selbständig, auch selbstbewußt, klug, kooperationsbereit und zupackend sein eigenes Leben vernünftig und furchtlos einrichtet“,[71] und bezog Dialekt und Gassenjargon in seine Gestaltung mit ein. Der Erfolg von Emil und die Detektive hält bis heute ungebrochen an, der Roman wurde zum Kinderbuchklassiker auf der ganzen Welt. Ute Harbusch zufolge gibt es inzwischen Übersetzungen in 57 Sprachen.[72]
Doch nicht nur der Präsentation in seiner urspünglichen Form als Roman verdankt die Geschichte von Emil, dem Jungen aus Neustadt, der sich in Berlin mit Hilfe solidarischer Kinder gegen die Erwachsenen durchsetzt, ihren Erfolg. Im Laufe der Jahre wurde der Roman mehrfach in andere Medien übertragen. Schon 1930 erstellte Kästner eine Bühnenfassung, was aufgrund des Dialoganteils im Roman von circa 50 Prozent nicht verwundert.[73] Ihre Uraufführung erlebte diese Dramatisierung am 20. November 1930 am Theater am Schiffbauerdamm in Berlin unter der Regie von Karlheinz Martin und konnte einen ähnlichen Erfolg wie die Romanvorlage verbuchen. Noch vor der Theaterfassung gab es, Lutz-Kopp zufolge, Lesungen und Radiosendungen von Emil und die Detektive.[74] Schon im Winter 1931, also nur zwei Jahre nach Erscheinen des Romans, kam die Erstverfilmung durch die UFA in die Kinos. Regie führte Gerhard Lamprecht. Kästner selbst hatte am Drehbuch mitgearbeitet. Ein Mainzer Spieleverlag entwickelte ein Emil-Gesellschaftsspiel, und die UFA selbst brachte als Werbegag ein Spiel zum Film heraus. Das Film-Journal empfahl eine „Gemeinschafts-Schaufensterpropaganda“[75] von Buchhändlern, Kinobesitzern und Spielwarenhändlern. Schon 1935 gab es in Großbritannien eine Neuverfilmung, und auch in den nächsten Jahrzehnten wurden in verschiedensten Ländern immer wieder Filme nach Emil und die Detektive angefertigt.
Gundel Mattenklott, eine der wenigen Stimmen, die Kästners Kinderbüchern äußerst kritisch gegenübersteht, sieht den Erfolg von Emil und die Detektive sogar weniger in der Qualität des Romans begründet, sondern in der von Kästner „als einem der ersten praktizierten Anwendung einer uns heute in der Kinderliteratur selbstverständlichen Verkaufsstrategie: des Medienverbundes“.[76] Die Vermarktung des Stoffes im Medienverbund im Falle des Emil-Romans erscheint aus heutiger Sicht tatsächlich verblüffend modern und aktuellen Phänomenen der Kindermassenkultur wie Krieg der Sterne oder Pokémon durchaus vergleichbar.[77] Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass Kästner 1934 den Fortsetzungsband Emil und die drei Zwillinge veröffentlichte, in dem er sowohl für seinen Roman Emil und die Detektive als auch für dessen Verfilmung auf äußerst intelligente Art Werbung machte:[78] Die kleinen Helden, die wir schon aus Emil und die Detektive kennen, wohnen einer Aufführung der Verfilmung „ihrer“ Geschichte bei und verwenden die Kinoeinnahmen für einen guten Zweck. Es kann hier nur angedeutet werden, wie sehr diese Vermarktungsstrategie wohl auch eine Überlebensstrategie für einen Autor war, der zu dieser Zeit bereits nicht mehr in Deutschland publizieren durfte. Emil und die drei Zwillinge musste schon in der Schweiz erscheinen, konnte aber in Deutschland gekauft werden; alle früheren Bücher waren bis auf eine Ausnahme verboten: Emil und die Detektive. Allein dieses überaus populäre Buch war noch bis 1936, zumindest de facto, in Deutschland erhältlich und auch die Verfilmung von Lamprecht wurde noch bis 1937 gezeigt.[79] Es verwundert also nicht, wenn Kästner bei seinen stark eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten versuchte, aus den wenigen gebliebenen noch möglichst viel Kapital zu schlagen. Dennoch ist die in Emil und die drei Zwillinge auf die Spitze getriebene Verquickung von Realität und Fiktion, das Spiel mit Autor–, Erzähler- und Figurenebene, eine in erster Linie ästhetische Komponente, die typisch für Kästners Literatur ist. Mag sein, dass dieses Verwirrspiel, wie Steck-Meier einwendet, für das kindliche Publikum nur schwer durchschaubar ist, für den erwachsenen Leser ist es aber umso reizvoller.[80]
Gut 70 Jahre nach der Veröffentlichung stehen wir also vor einem großen Korpus an Rezeptionsmöglichkeiten von Kästners Emil und die Detektive. Der Roman findet sich heutzutage immer noch in mehreren Exemplaren sowohl als Hardcover als auch als Taschenbuch in den Regalen der Buchhandlungen und Bibliotheken.[81] Die Bühnenversion steht immer wieder auf den Spielplänen, am 25. Oktober 1998 hatte sie zum Beispiel im Großen Haus des Deutschen Schauspielhauses Hamburg in der Regie von Götz Loepelmann Premiere. Es gibt eine Hörpielversion auf MC und CD[82] und inzwischen sechs Filmversionen: zwei aus Deutschland, je eine aus Großbritannien, Japan, Brasilien und den USA. Eine siebte Version ist gerade in Vorbereitung. Die Neuverfilmung durch die Lunaris-Film und die Bavaria-Film in der Regie von Franziska Buch wird voraussichtlich 2001 die deutschen Kinoleinwände erobern.[83]
2.1.2.1 Gerhard Lamprechts Emil und die Detektive von 1931
Regisseur Gerhard Lamprecht erwarb bereits 1930 die Rechte für eine Verfilmung von Kästners Emil-Roman für seine eigene Produktionsgesellschaft, konnte aber das Projekt nicht realisieren, da er keinen Verleih fand, der sich dafür interessierte. Die Verleiher winkten ab mit der Begründung, es handele sich nur um einen Kinderfilm.[84] Tatsächlich war zu dieser Zeit die Kinderfilmproduktion in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Zwar gab es seit den 10er-Jahren Märchenfilme von Paul Wegener und die Scherenschnittfilme von Lotte Reiniger, doch waren diese Filme, die in der Tradition der romantischen Märchenrezeption standen und stilistisch dem Expressionismus und dem Jugendstil nahe waren, nicht explizit für Kinder konzipiert.[85] Speziell für Kinder produzierten seit Ende der 20er-Jahre die Gebrüder Diel ihre kurzen und mittellangen Märchen-Trickfilme, die besonders während des NS-Regimes häufig in den Schulen gezeigt wurden.[86] Hans Richter, eines der Filmkinder aus Emil und die Detektive, beschreibt die Kinderfilmsituation der damaligen Zeit folgendermaßen:
Ende der 20er, Anfang der 30er gab es den Kinderfilm noch nicht. In der damaligen Zeit gab es die Vorfilme: Chaplin, Keaton, Lloyd, die kurzen, kleinen Slapstickfilme (...). Der erste Kinderfilm war wohl...