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Erich Kästner-Verfilmungen und ihre Remakes

AutorJohannes Schmid
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl156 Seiten
ISBN9783640269624
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2000 im Fachbereich Filmwissenschaft, Note: 1,0, Ludwig-Maximilians-Universität München, 134 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Kästner nahm sich bekannter Volksbücher und Klassiker der Weltliteratur wie 'Till Eulenspiegel' oder 'Gullivers Reisen' an, um sie nach seinem Geschmack zu bearbeiten und für die Kinder seiner Zeit attraktiv zu gestalten. Das Nacherzählen empfand er als notwendig und berechtigt. Auch die meisten von Kästners eigenen Stoffen erwiesen sich im Laufe der Zeit als genauso 'unzerreißbar' wie die Vorlagen seiner Nacherzählungen. Dass auch seine Werke immer wieder wert befunden wurden, bearbeitet und neu erzählt zu werden, dessen konnte sich Kästner noch zu Lebzeiten versichern. Die wohl wichtigste Rolle kam dabei aber nicht der literarischen Nacherzählung, sondern der Übertragung in das Massenmedium Film zu. Über Leinwand und Bildschirm erreichten seine Stoffe Millionen von Menschen in Ländern auf der ganzen Welt. Insbesondere in Deutschland wurden nicht nur Verfilmungen seiner Bücher, sondern auch filmische Nacherzählungen der urprünglichen Verfilmungen, sogenannte Remakes, hergestellt. Mit dem Remake, dem filmgeschichtlichen Äquivalent zu Kästners Nacherzählungen, beschäftigt sich die hier vorliegende Arbeit. Ziel ist es, Motivationen für deren Produktion und unterschiedliche Prozesse der Bearbeitung durchsichtig zu machen. Beispielhaft werden jeweils die deutsche Erstverfilmung und das deutsche Remake dreier Kästner-Stoffe für Kinder herausgegriffen und miteinander verglichen: 'Emil und die Detektive', 'Das doppelte Lottchen' und 'Pünktchen und Anton'. In einem allgemeinen Teil sollen zunächst methodologische und definitorische Überlegungen zum Begriff Remake angestellt werden, die die Grundlage für die sich anschließenden Filmvergleiche bilden sollen. Da es zu den besprochenen Remakes nicht nur eine filmische, sondern jeweils auch eine literarische Vorlage gibt, soll des Weiteren auf das Wechselverhältnis von Literatur und Film eingegangen werden. Außerdem soll aufgezeigt werden, inwieweit Erkenntnisse der Theorie der Literaturverfilmung für die Beschäftigung mit Remakes fruchtbar gemacht werden können. Da Kästner selbst an mehreren der besprochenen Filme mitgearbeitet hat, erscheint es sinnvoll, nach diesen methodologischen Vorüberlegungen Erich Kästners spezielles Verhältnis zum Film und die von ihm über die Mediengrenzen hinweg praktizierte Mehrfachverwertung seiner Texte darzustellen. Bei den drei Vergleichen von den Erstverfilmungen und den Remakes soll versucht werden, die gewonnenen Erkenntnisse am Beispiel anzuwenden und zu überprüfen.

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Leseprobe

2 Erich Kästner-Verfilmungen und ihre Remakes


 

Im Folgenden sollen nun jeweils die Erstverfilmungen der Kästner-Kinderromane Emil und die Detektive, Das doppelte Lottchen und Pünktchen und Anton mit ihrem jeweils ersten deutschen Remake verglichen werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Heraus­arbeitung von Parallelen und Unterschieden inhaltlicher und ästhetischer Art. Weiterhin soll versucht werden, die in Kapitel 1 eingeführten Begriffe für das Remake anzuwenden. Um die Motive für die Produktion des Remakes aufzuzeigen, ist es unabdingbar, Original und Remake jeweils in ihren produktions- und filmgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen. Die kurze Darstellung der Geschichte ihrer Rezeption rundet dies ab. Grundsätzlich sollen die Filme beim Vergleich als eigenständige Werke eines Autoren­kollektivs betrachtet werden. Die Problematik, dass sich bei einigen der Kästner-Verfilmungen Autor der literarischen Vorlage und Autor des Films überschneiden und sich die Themenbereiche Remake und Literaturverfilmung überlappen, ganz auszu­blenden, erscheint aber dennoch weder möglich noch sinnvoll. Es soll jeweils geklärt werden, warum die Neuverfilmungen als Remakes der Erstverfilmung zu betrachten sind und nicht allein als Literaturverfilmungen gelten können. Als Grundlage des Filmver­gleichs soll das zugrunde liegende literarische Werk zumindest in seiner Medialisierungs­geschichte kurz vorgestellt werden

 

2.1 Emil und die Detektive


 

2.1.1 Die Romanvorlage und die Geschichte ihrer Medialisierungen


 

Ende der 20er-Jahre regte die Verlegerin Edith Jacobsohn den jungen Schriftsteller Erich Kästner an, einen Roman für Kinder zu verfassen. Kästner nahm die Herausforderung an und schon im Herbst des Jahres 1929 erschien Emil und die Detektive im Williams & Co. Verlag Berlin. Dieser erste und wohl wichtigste Kinderroman Kästners war der bisher größte Erfolg des Autors und begründete seinen weltweiten Ruhm als Kinderschriftsteller. Schon kurz nach Erscheinen wurden Verträge für Übersetzungen abgeschlossen und bereits im Frühjahr 1930 konnte in Deutschland die zweite Auflage in den Handel gehen.[69] Winfried Kaminski bezeichnet den Roman als „das Ereignis der Kinder – und Jugendliteratur in der Weimarer Republik“[70]. Neu war u. a. die Großstadt als Sujet und die Einbeziehung des sozialen Umfelds der kindlichen Helden. Als Vorläufer und Parallelen in der Kinderliteratur sind hier unter anderem Wolf Durians Kai aus der Kiste und Wilhelm Speyers Kampf der Tertia von 1927 zu nennen. Kästner schuf aber darüber hinaus einen neuartigen Kindertyp, der „selbständig, auch selbstbewußt, klug, kooperationsbereit und zupackend sein eigenes Leben vernünftig und furchtlos ein­richtet“,[71] und bezog Dialekt und Gassenjargon in seine Gestaltung mit ein. Der Erfolg von Emil und die Detektive hält bis heute ungebrochen an, der Roman wurde zum Kinderbuchklassiker auf der ganzen Welt. Ute Harbusch zufolge gibt es inzwischen Übersetzungen in 57 Sprachen.[72]

 

Doch nicht nur der Präsentation in seiner urspünglichen Form als Roman verdankt die Geschichte von Emil, dem Jungen aus Neustadt, der sich in Berlin mit Hilfe solidarischer Kinder gegen die Erwachsenen durchsetzt, ihren Erfolg. Im Laufe der Jahre wurde der Roman mehrfach in andere Medien übertragen. Schon 1930 erstellte Kästner eine Bühnenfassung, was aufgrund des Dialoganteils im Roman von circa 50 Prozent nicht verwundert.[73] Ihre Uraufführung erlebte diese Dramatisierung am 20. November 1930 am Theater am Schiffbauerdamm in Berlin unter der Regie von Karlheinz Martin und konnte einen ähnlichen Erfolg wie die Romanvorlage verbuchen. Noch vor der Theaterfassung gab es, Lutz-Kopp zufolge, Lesungen und Radiosendungen von Emil und die Detektive.[74] Schon im Winter 1931, also nur zwei Jahre nach Erscheinen des Romans, kam die Erstverfilmung durch die UFA in die Kinos. Regie führte Gerhard Lamprecht. Kästner selbst hatte am Drehbuch mitgearbeitet. Ein Mainzer Spieleverlag entwickelte ein Emil-Gesellschaftsspiel, und die UFA selbst brachte als Werbegag ein Spiel zum Film heraus. Das Film-Journal empfahl eine „Gemeinschafts-Schaufensterpropaganda“[75] von Buchhändlern, Kinobesitzern und Spielwarenhändlern. Schon 1935 gab es in Groß­britannien eine Neuverfilmung, und auch in den nächsten Jahrzehnten wurden in verschiedensten Ländern immer wieder Filme nach Emil und die Detektive angefertigt.

 

Gundel Mattenklott, eine der wenigen Stimmen, die Kästners Kinderbüchern äußerst kritisch gegenübersteht, sieht den Erfolg von Emil und die Detektive sogar weniger in der Qualität des Romans begründet, sondern in der von Kästner „als einem der ersten praktizierten Anwendung einer uns heute in der Kinderliteratur selbstverständlichen Verkaufsstrategie: des Medienverbundes“.[76] Die Vermarktung des Stoffes im Medienverbund im Falle des Emil-Romans erscheint aus heutiger Sicht tatsächlich verblüffend modern und aktuellen Phänomenen der Kindermassenkultur wie Krieg der Sterne oder Pokémon durchaus vergleichbar.[77] Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass Kästner 1934 den Fortsetzungsband Emil und die drei Zwillinge veröffentlichte, in dem er sowohl für seinen Roman Emil und die Detektive als auch für dessen Verfilmung auf äußerst intelligente Art Werbung machte:[78] Die kleinen Helden, die wir schon aus Emil und die Detektive kennen, wohnen einer Aufführung der Verfilmung „ihrer“ Geschichte bei und verwenden die Kinoeinnahmen für einen guten Zweck. Es kann hier nur angedeutet werden, wie sehr diese Vermarktungsstrategie wohl auch eine Überlebensstrategie für einen Autor war, der zu dieser Zeit bereits nicht mehr in Deutschland publizieren durfte. Emil und die drei Zwillinge musste schon in der Schweiz erscheinen, konnte aber in Deutschland gekauft werden; alle früheren Bücher waren bis auf eine Ausnahme verboten: Emil und die Detektive. Allein dieses überaus populäre Buch war noch bis 1936, zumindest de facto, in Deutschland erhältlich und auch die Verfilmung von Lamprecht wurde noch bis 1937 gezeigt.[79] Es verwundert also nicht, wenn Kästner bei seinen stark eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten versuchte, aus den wenigen gebliebenen noch möglichst viel Kapital zu schlagen. Dennoch ist die in Emil und die drei Zwillinge auf die Spitze getriebene Verquickung von Realität und Fiktion, das Spiel mit Autor–, Erzähler- und Figurenebene, eine in erster Linie ästhetische Komponente, die typisch für Kästners Literatur ist. Mag sein, dass dieses Verwirrspiel, wie Steck-Meier einwendet, für das kindliche Publikum nur schwer durchschaubar ist, für den erwachsenen Leser ist es aber umso reizvoller.[80]

 

Gut 70 Jahre nach der Veröffentlichung stehen wir also vor einem großen Korpus an Rezeptionsmöglichkeiten von Kästners Emil und die Detektive. Der Roman findet sich heutzutage immer noch in mehreren Exemplaren sowohl als Hardcover als auch als Taschenbuch in den Regalen der Buchhandlungen und Bibliotheken.[81] Die Bühnen­version steht immer wieder auf den Spielplänen, am 25. Oktober 1998 hatte sie zum Beispiel im Großen Haus des Deutschen Schauspielhauses Hamburg in der Regie von Götz Loepelmann Premiere. Es gibt eine Hörpielversion auf MC und CD[82] und inzwischen sechs Film­versionen: zwei aus Deutschland, je eine aus Großbritannien, Japan, Brasilien und den USA. Eine siebte Version ist gerade in Vorbereitung. Die Neuverfilmung durch die Lunaris-Film und die Bavaria-Film in der Regie von Franziska Buch wird voraussichtlich 2001 die deutschen Kinoleinwände erobern.[83]

 

2.1.2 Produktionsbedingungen von Original und Remake


 

2.1.2.1 Gerhard Lamprechts Emil und die Detektive von 1931

 

Regisseur Gerhard Lamprecht erwarb bereits 1930 die Rechte für eine Verfilmung von Kästners Emil-Roman für seine eigene Produktionsgesellschaft, konnte aber das Projekt nicht realisieren, da er keinen Verleih fand, der sich dafür interessierte. Die Verleiher winkten ab mit der Begründung, es handele sich nur um einen Kinderfilm.[84] Tatsächlich war zu dieser Zeit die Kinderfilmproduktion in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Zwar gab es seit den 10er-Jahren Märchenfilme von Paul Wegener und die Scheren­schnittfilme von Lotte Reiniger, doch waren diese Filme, die in der Tradition der romantischen Märchenrezeption standen und stilistisch dem Expressionismus und dem Jugendstil nahe waren, nicht explizit für Kinder konzipiert.[85] Speziell für Kinder produzierten seit Ende der 20er-Jahre die Gebrüder Diel ihre kurzen und mittellangen Märchen-Trickfilme, die besonders während des NS-Regimes häufig in den Schulen gezeigt wurden.[86] Hans Richter, eines der Filmkinder aus Emil und die Detektive, beschreibt die Kinderfilmsituation der damaligen Zeit folgendermaßen:

 

Ende der 20er, Anfang der 30er gab es den Kinderfilm noch nicht. In der damaligen Zeit gab es die Vorfilme: Chaplin, Keaton, Lloyd, die kurzen, kleinen Slapstickfilme (...). Der erste Kinderfilm war wohl...

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