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E-Book

Franz Joseph und seine Familie

Ein Kaiser blickt zurück

AutorSigrid-Maria Größing
VerlagVerlag Carl Ueberreuter
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783800079469
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Die Habsburgexpertin Dr. Sigrid-Maria Größing charakterisiert Franz Joseph I. und seine Ära nicht aus historischer Distanz, sondern lässt den Kaiser selbst zu Wort kommen. Durch diesen unmittelbaren Zugang gelingt ihr ein sehr menschliches Porträt des zum Mythos gewordenen Herrschers - ein faszinierendes, ungewöhnliches Buch. 10. September 1916: Am Todestag von Kaiserin Elisabeth betritt der alte Kaiser Franz Joseph I. die Kapuzinergruft, um seiner vor 18 Jahren ermordeten Gemahlin zu gedenken. Seit zwei Jahren tobt ein entsetzlicher Krieg, der Fortbestand des Habsburgerreiches steht auf dem Spiel. An den Särgen seiner Vorfahren legt er Rechenschaft ab über knapp 70 Regierungsjahre. Die Bilanz fällt ernüchternd aus und steckt voller Zweifel: Auch die Schicksalsschläge in seiner Familie lasten schwer. Knapp zwei Monate später stirbt der Kaiser. Eine Epoche geht zu Ende, unwiderruflich.

Sigrid-Maria Größing, geboren in Bayern, studierte Geschichte und Germanistik in Wien und Salzburg. Veröffentlichung von 27 Büchern, vor allem auf dem Gebiet der Geschichte des Hauses Habsburg, übersetzt in acht Sprachen.

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Leseprobe

Eine Kindheit zwischen
Pflicht und Tradition


Mühselig wandte sich Franz Joseph den Sarkophagen seiner Gemahlin und seines Sohnes Rudolf zu. Ein Hustenanfall raubte ihm den Atem, der Tod streckte allmählich die Hand nach ihm aus.

Seine Gedanken glitten zurück in längst vergangene Zeiten, als er voller Energie danach trachtete, der »lieben Mama« ein folgsamer Sohn zu sein. Ein Lächeln glitt über sein faltiges Gesicht, als er daran dachte, wie sehr sich seine Mutter um sein Wohl bemüht hatte, ohne allerdings jemals ihr Ziel, ihn zum Kaiser zu machen, aus den Augen zu verlieren. So hatte sie zu seiner Aja, zur Kinderfrau, die ihn in den ersten Lebensjahren betreuen sollte, die Baronin Sturmfeder ausgewählt, eine Frau, die der Familie ganz und gar ergeben war und die Erziehungsprinzipien der Erzherzogin liebevoll in die Tat umsetzte. Später, als er allmählich die Kinderschuhe abstreifte, bestimmte der Graf Bombelles den Lebenswandel seines gefügigen Zöglings. Denn von klein auf zeichnete er sich durch Lerneifer und Pflichtbewusstsein aus. Mama hatte für ihn die besten Lehrer engagiert, die sich mit ihm in den Sprachen der Monarchie unterhielten oder es zumindest versuchten: in Ungarisch und Tschechisch, aber auch in Italienisch und vor allem in Französisch, der Sprache der Diplomaten und des Adels. Weshalb er eigentlich mit Latein und Altgriechisch gequält worden war, wusste er bis heute nicht, wobei er stundenlang die Aufzeichnungen Caesars studieren musste, etwas, was er lieber in Deutsch gelesen hätte. Andere Professoren weihten ihn in die geografischen Gegebenheiten des riesigen Reiches ein oder versuchten ihm die Gleichungen mit mehreren Unbekannten näherzubringen. Aber der Tag hatte für ihn auch nur 24 Stunden, wobei schon um sechs Uhr früh nach der heiligen Messe, die die Familie jeden Tag besuchte, sein vielstündiger Unterricht begann. Das umfangreiche Lernprogramm hatte ihm kaum Freiheiten gelassen, denn nach jedem Trimester musste er beinah »hochnotpeinliche« Prüfungen absolvieren, vor denen er sich wie ein ganz normaler Schüler fürchtete, obwohl es wohl kaum möglich gewesen wäre, dass er irgendeinen »Nachzipf« bekommen hätte.

Zwar war er ein interessierter Schüler gewesen, aber manchmal kam doch das Kind in ihm zum Vorschein. Nicht nur seinem Bruder Maximilian fielen ab und zu irgendwelche Dummheiten ein, auch er sorgte durch harmlose Streiche für Unruhe in der Familie oder bei seinen Professoren. Die Strafen folgten auf den Fuß, denn seine gestrengen Lehrer nahmen keine Rücksicht auf seine Stellung als Erzherzog und eventueller Kronprinz. Ungezogen war ungezogen, da kannte man kein Pardon.

Es war natürlich für ihn als Kind nicht leicht gewesen, die verschiedenen Sprachen zu erlernen, doch er sah ein, dass er vor allem Ungarisch sprechen musste, um diesem renitenten Volk wenigstens ein bisschen zu imponieren. Damals konnte er freilich nicht ahnen, dass sich seine geliebte Sisi einmal mit ihm nur in dieser Sprache unterhalten wollte.

Langsam schritt der alte Kaiser zum Sarkophag seiner Gemahlin. Mit zittriger Hand strich er über das kalte Metall, in dem seine Elisabeth schon seit 18 Jahren ruhte. Warum hatte sie ihn nie verstehen können? Weshalb hatte sie ihm sein Pflichtbewusstsein bei jeder kleinsten Meinungsverschiedenheit vorgeworfen, seinen Ordnungssinn, seine absolute Pünktlichkeit? Sie musste doch wissen, dass er all diese Eigenschaften schon von klein auf entwickelt hatte, dass dies Wesenszüge waren, die sich nicht verändern ließen, selbst wenn er es gewollt hätte. Er war nun einmal durch eine harte Schule gegangen, in der es keinen Individualismus gab, vor allem keine Widerrede. Er hatte zu akzeptieren, was die »liebe Mama« für richtig hielt. Dabei interessierte er sich weder für die Musik noch für die Dichtkunst, obwohl er später ein eifriger Theaterbesucher war. Aber das hatte weniger mit den Werken der Schriftsteller als vielmehr mit der Hauptdarstellerin am Burgtheater zu tun. Einzig und allein das Zeichnen hatte es ihm angetan und da wiederum die Darstellung von Landschaften. Natürlich sammelte die »liebe Mama« seine Werke, die zum Teil auch in den Ländern der Monarchie entstanden waren, etwas, was zum 40. Regierungsjubiläum eine kleine Sensation hervorrief, als die Zeichnungen des Kaisers, die er im Alter von 16 Jahren in Dalmatien angefertigt hatte, öffentlich zur Schau gestellt wurden. Auf diese Weise hatte er, so erinnerte sich der alte Kaiser, schon in jungen Jahren Freude bereiten können, denn er hatte 13-jährig dem Grafen Timotheus Ledóchowski eine Sammlung seiner Zeichnungen geschenkt.

Besonders gern aber karikierte er die Menschen in seiner Umgebung, vor allem die Brüder lachten begeistert, wenn er ihnen die von ihm angefertigten Konterfeis seiner Lehrer zeigte. Später allerdings, als das Leben noch ernster als in der Jugendzeit wurde, blieb ihm keine Zeit mehr für derlei Späße. Vielleicht hätte er seine Sisi mit Karikaturen erfreuen können, denn sie fand oft einen plausiblen Grund, über den oder jenen zu lästern, sodass sie sicherlich hocherfreut gewesen wäre, wenn auch er, ihr Gemahl, durch leicht boshafte Zeichnungen ihre Aussagen unterstützt hätte. Doch sie waren sich schon sehr bald sehr fremd geworden!

Der Kaiser seufzte tief: War es seine Schuld gewesen, dass sie sich jahrzehntelang nichts mehr zu sagen gehabt hatten? Was den einen interessierte, dafür fand er kein Echo beim anderen. Ihre Kühle ihm gegenüber hatte ihn immer wieder unendlich traurig gemacht, denn er hatte nie aufgehört, sie zu lieben. Sie hatte von ihm das verlangt, was er ihr nicht geben konnte: die Freiheit, die sie von Kindheit an gewöhnt war. Sie konnte sich nicht in seine Rolle hineinversetzen, sie kannte das Reglement seiner Kinder- und Jugendzeit nicht.

Es waren Jahre des Lernens, Übens und des absoluten Gehorsams gewesen, an die er sich zurückerinnerte. Keiner seiner Erzieher oder die Eltern waren auf die Idee gekommen, dass es für ein kleines Kind viel verlangt gewesen war, schon mit vier Jahren die schwierige Kurrentschrift zu erlernen. Jetzt, nach Jahrzehnten, konnte er sich die mühseligen Versuche, die einzelnen Buchstaben zu Papier zu bringen, nicht mehr vergegenwärtigen, aber eine Situation doch noch: wie stolz er war, als es ihm gelang, einige Sätze zu schreiben, was er der Großmama als Erster berichtete.

So gerne er zeichnete, so sehr lehnte er es ab, zu singen oder ein Instrument zu erlernen, was innerhalb der musikalischen habsburgischen Familie geradezu merkwürdig war. Nur ein einziges Mal hatte er sich in Reichenau an der Rax als Dirigent versucht. Er hatte spontan den Taktstock ergriffen und dirigiert. Ein Wunder war geschehen, denn die Musiker spielten richtig! Nach ihrer Fasson! Es fehlte ihm das notwendige Gehör, sodass er ein Leben lang keinen Zugang zur Musik entwickelte, wobei es einigermaßen erstaunlich war, dass er in jungen Jahren als guter Tänzer galt. Denn schon die Großmama veranstaltete für ihre »Enkel-Neffen« Kinderbälle, auf denen die Buben – wie sie sich äußerte – »wie der Lump am Stecken« tanzten. Im Fasching war es üblich, die Bälle kostümiert zu besuchen, wobei Max einmal den Vogel abschoss, indem er zum Gaudium aller als Mädchen erschien. Zu diesen Festen wurden aus den befreundeten Adelsfamilien kleine Mädchen eingeladen, die natürlich »standesgemäß« sein mussten. Auch später als Jüngling war Franz Joseph nicht nur aufgrund seiner familiären Position ein begehrter Tänzer, sondern auch, weil er sich zu einem attraktiven jungen Mann entwickelt hatte. Jedes Mädchenherz schlug heftiger, wenn sich der Erzherzog der Damenriege näherte, die das Tanzparkett umsäumte. In dieser Zeit – so erinnerte sich der alte Kaiser schmunzelnd – verspürte er die ersten Regungen als Mann. So diskret er sich auch verhielt, die »liebe Mama« bemerkte seine Verliebtheit, Gott sei Dank nicht seine jüngeren Brüder, denn da hätte er sich vor anzüglichen Bemerkungen nicht retten können!

Den ersten Platz innerhalb seiner Interessen allerdings nahm schon in der Kinder- und Jugendzeit das Militär ein. Er war, solange er denken konnte, ein begeisterter Soldat, wobei er bereits in jungen Jahren Kommandeur eines Truppenverbandes wurde. Nichts konnte ihn so begeistern wie die absolute Präzision, die beim Exerzieren der Truppen herrschte. Für ihn musste alles stimmen, von der korrekten Bekleidung der Soldaten bis hin zu den Griffen an den Gewehren. Die jährlichen Manöver bildeten den Höhepunkt seines Lebens.

Franz Joseph fühlte noch heute, am Rande des Grabes, dass er ein Leben lang Soldat mit Leib und Seele gewesen war, wobei er in den Kriegen während seiner langen Regierungszeit ausgesprochen glücklos agierte. Und hätten die Russen die kaiserliche Armee nicht gegen die rebellierenden Ungarn im Jahre 1848 unterstützt, wer weiß, ob die Magyaren sich nicht von der österreichischen Vorherrschaft befreit hätten, was das erklärte Ziel der Aufstände gewesen war. Zwar war es ein Vabanquespiel mit den Russen gewesen, das nicht er...

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