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E-Book

Französische Staatsmänner

Vollständige Ausgabe

AutorMax Nordau
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl121 Seiten
ISBN9783849632748
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Dieser Band enthält die biographischen Essays, die Max Nordau über französische Staatsmänner schrieb. Inhalt: Die zwei Frankreiche Adolphe Thiers Mac Mahon Jules Simon Léon Gambetta Jules Grévy Jules Ferry Waldeck-Rousseau Emile Combes Georges Clemenceau Jean Jaurès Zeittafel

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Leseprobe

 


Die Geschichte kann das Witzemachen nicht lassen. In einem der kritischsten Augenblicke der dritten Republik mußte just der Mann ihr Präsident werden, der seine politische Laufbahn damit begann, daß er in der Nationalversammlung von 1848, kaum zu ihrem Zweiten Vorsitzenden gewählt, den Antrag stellte, die Präsidentenwürde abzuschaffen und an die Spitze der Regierung ein häufiger Erneuerung zu unterwerfendes Ministerkollegium zu stellen. Beging er eine Folgewidrigkeit, als er 31 Jahre später das Amt annahm, dessen Überflüssigkeit er einst scharfsinnig und überzeugend nachgewiesen hatte? Nein. Denn als Präsident bemühte er sich mit Erfolg, der lebendige Beweis zu sein, wie richtige Ansichten er als Abgeordneter vertreten hatte.

 

Daß Grévy die Präsidentschaft annahm, war von ihm ein Opfer. Ein helläugiger Beobachter und selbsttäuschungsloser Kenner seines Volkes, wußte er, daß die Franzosen, wie die Frösche der Fabel, noch nicht ohne Oberhaupt sein konnten, und er zog vor, selbst der harmlose Holzpflock zu sein, damit nicht, wenn er diese verdienstliche, doch undankbare Rolle ablehnte, ein bedenkenfreier Storch sie übernahm. Oder sagen wir, wenn man Holzpflock für ein verletzendes Gleichnis halten sollte, Grévy habe sein Amt als ein rein dekoratives aufgefaßt. Er brachte es über sich, seine Persönlichkeit aufzugeben und nur ein Grundsatz zu sein. Er war die Ausgleichung des Widerspruchs, daß eine auf dem allgemeinen Stimmrecht beruhende Republik, also die Leugnung des persönlichen Regiments, an die Spitze ihres Regiments eine mit Willen und Macht ausgerüstete Persönlichkeit setzt. Der 16. Mai 1877 hatte gezeigt, welche Störungen eine derartige Persönlichkeit hervorrufen könne. Grévy wollte im Gegensatz zu seinem Vorgänger Mac Mahon keinen Willen und keine Macht entfalten. Er war wie das Bild auf einer Münze: er trat mit kaum merklicher Erhöhung von der Fläche der verfassungsmäßigen Gewalten hervor; man sieht es, doch man fühlt es nicht. Dieses freiwillige Sichverflachen, dieses Verbergen der individuellen Physiognomie hinter der typischen Maske des obersten Würdenträgers der Republik war das Verdienst und die Bedeutung der Präsidentschaft Grévys.

 

Jules Grévy, der 1807 geboren war und 1891 starb, war der Sohn von Landleuten und ein Abkömmling eichenfester Jurabauern. Seine Rechtsstudien machte er in Paris. Er kam während der Tage der Juli-Erhebung nach der Hauptstadt und beteiligte sich mit dem Feuer schwärmender Jugend an den Straßenkämpfen. Er schrieb darüber seinem Vater in seinem ersten Brief aus Paris: »Je suis venu à Paris pour faire mon droit et – mon devoir.« »Ich bin nach Paris gekommen, um das Recht zu studieren und meine Pflicht zu tun«; eine kahle Übersetzung, die das hübsche Wortspiel der Ursprache nicht wiedergibt. Nach Beendigung seiner Studien kehrte er in sein Heimatsdepartement zurück und wirkte als vielbeschäftigter Rechtsanwalt, bis ihn nach der Februar-Umwälzung seine Mitbürger in die Nationalversammlung wählten. Hier lenkte er die allgemeine Aufmerksamkeit zuerst durch seinen Zusatzantrag zur Verfassung auf sich, der die Abschaffung der Präsidentenwürde bezweckte. Er ließ sich von der Regierung als Kommissar in den Jura senden, wo er sich tapfer persönlicher Gefahr aussetzte, um Leben und Eigentum der Besitzenden gegen anarchistische Anwandlungen des Pöbels zu verteidigen. Napoleons Staatsstreichsgehilfen urteilten am 2. Dezember 1851, daß Grévy einer der gefährlichen Politiker sei, deren man sich versichern müsse, und er erfuhr die Auszeichnung, wie sein weit berühmterer Kollege Thiers ins Mazas-Gefängnis gesteckt zu werden. Nach diesem Zwischenfall blieb er in Paris und ließ sich in die Anwaltskammer (»le barrau«) aufnehmen. Seine kühle, überlegene Ruhe, seine knappe, sachliche, trocken witzige Beredsamkeit, sein juristischer Scharfsinn brachten ihm rasch im Gerichtspalast eine erste Stellung ein. Es schadete ihm nicht, daß er ein wohlhabender Mann war. Man schätzte sein Vermögen auf eine Million, die er zum kleinem Teil selbst erworben, zum größern geerbt hatte. Die Bauern des französischen Ostens sind vielfach reiche Leute, die für die Erziehung ihrer Kinder jedes Opfer bringen und sie gut ausstatten können. Auch die beiden Brüder des Präsidenten hatten eine Laufbahn, wie sie anderwärts den Söhnen eines einfachen Ackerbürgers kaum beschieden ist: der eine wurde Kommandierender General, der andere Senator und Generalgouverneur von Algerien.

 

Ehe er in den Elyséepalast einzog, hatte Jules Grévy fünfzehn Jahre lang eine bescheidene Wohnung drei Treppen hoch in der Rue St. Arnaud inne. Er gab sie auch nicht auf, als er zum Präsidenten gewählt wurde, und kehrte in sie zurück, als seine Präsidentschaft ein etwas gewaltsames Ende erreichte. In der höchst einfachen Zimmereinrichtung fiel nur ein Prachtstück auf: eine reizende Marmorgruppe von Carpeaux, zwei spielende halbwüchsige Mädchen darstellend.

 

Politisch trat er während des Kaiserreichs nicht hervor. Erst 1868 ließ er sich in die gesetzgebende Körperschaft wählen, in der er sich der Opposition anschloß, ohne an den Heftigkeiten Gambettas und Rocheforts teilzunehmen, an Streitbarkeit mit Jules Ferry, an rednerischer Emphase mit Jules Favre wetteifern zu wollen. Nach dem Sturz Napoleons III. in die Nationalversammlung geschickt, wurde ihm allseitig eine führende Rolle in der Minderheit zuerkannt. Der dringenden Empfehlung Thiers' verdankte er seine Wahl zum Ersten Vorsitzenden. Er unterstützte Thiers, doch ohne sich zu ereifern. Er war Republikaner, doch gemäßigt. Er bekämpfte die monarchistische Mehrheit, doch ohne unnötige Herausforderung. Gambetta liebte er nicht. Er war ihm zu heftig. Er hatte gegen ihn das Mißtrauen und die Kälte des gesetzten, allem Überschwang abgeneigten Nordfranzosen gegen den stürmisch brausenden Südfranzosen. Er wurde der natürliche Mittelpunkt der Gruppe, die die Republik, die Demokratie, die fortschrittliche Erneuerung der französischen Staats- und Gesellschaftseinrichtungen wollte, aber nicht in der galoppierenden Gangart, die sie fälschlich Gambetta zutraute.

 

Im Kampfe gegen den 16. Mai stand er seinen Mann. Den ersten Lohn seiner Festigkeit fand er in der Auszeichnung, nach dem Tode Thiers' von dessen Wahlkreis, dem 9. Pariser Stadtbezirk, als sein Nachfolger in die Kammer gewählt zu werden, die ihn wieder zu ihrem Vorsitzenden ernannte. Er blieb indes auch jetzt bedächtig. Als das Gerücht zu schwirren begann, daß das Ministerium de Rochebouet einen Staatsstreich sinne, trat ein achtzehnmitgliedriger Ausschuß der Republikaner zusammen, um den Widerstand zu organisieren. Gambetta wollte, daß man Mac Mahon und seiner Regierung gegebenenfalls mit den Waffen entgegentrete. Die Mehrheit stimmte ihm zu. Grévy widerriet mit großer Bestimmtheit jeder Gewalttat. Man müsse, sagte er, fest auf dem Boden der Gesetzlichkeit stehen und alle Schuld den Gegnern lassen. Man dürfe den Titel eines Abgeordneten oder Kammervorsitzenden nicht als Waffe im Bürgerkriege gebrauchen. Komme es zum äußersten, so müsse man den Auftrag niederlegen. Als Privatmann habe dann jeder zuzusehen, wie er seine Bürgerpflicht erfülle. Diese Haltung ist bezeichnend für den vorsichtigen Politiker, der auch in Ausnahmelagen nicht aufhört, Jurist zu sein. Nach dem Rücktritt Mac Mahons war Grévy der einzige Bewerber um die Präsidentenwürde, da Gambetta es abgelehnt hatte, sich gegen ihn aufstellen zu lassen. Seine Wahl bildete ein Datum in der Geschichte Frankreichs. Sie bedeutete, daß Frankreich sich endlich offen zum Geiste seiner Verfassung bekannte. Die Feinde der Republik in Frankreich und außerhalb hatten sie nicht ernst genommen, solange ihr Präsident ein Marschall gewesen war. Das klang noch harmonisch mit monarchischen Überlieferungen und Anschauungen zusammen. Sobald es nur ein Soldat ist, der an der Spitze des Reiches steht, kommt es auf seinen Titel nicht an. Ob er nun Podestà oder Doge oder Präsident oder König heißt, das macht für eine etwas höhere Auffassung keinen Unterschied. Die Hauptsache ist, daß der Grundsatz der persönlichen Autorität, des Befehlens und Gehorchens ohne Widerrede zur Geltung besteht und der Untertanrespekt vor dem Säbel und der goldgestickten Uniform gewahrt bleibt. Der Marschall Mac Mahon hatte während seiner Präsidentschaft eine richtige Hofhaltung im Elysée. Er war von drei Adjutanten und etlichen Zeremonienmeistern umgeben, hatte einen Hofkaplan, einen Hausalmosenier, er sprach von »seiner« Armee, »seiner« Regierung, sogar »seinem« Volke. Am 1. Juli 1877 richtete er nach einer Truppenschau in Longchamps an das Heer einen Tagesbefehl, in dem es hieß: »Soldaten! Ihr begreift eure Pflichten, ihr fühlt, daß das Land euch die Hut seiner teuersten Interessen anvertraut hat. Ich zähle auf euch, um sie bei jeder Gelegenheit zu verteidigen. Ich bin sicher, daß ihr mir helfen werdet, den Respekt vor der Autorität und den Gesetzen in der Ausübung der Sendung aufrechtzuerhalten, die mir anvertraut ist und die ich bis zu Ende erfüllen werde.« Ein Selbstherrscher kann kaum anders sprechen. Jeden Augenblick wurden Leute, die von seiner Gottähnlichkeit nicht zu überzeugen waren, wegen Marschallsbeleidigung – man war versucht, »wegen Majestätsbeleidigung« zu sagen – zu schweren Strafen verurteilt, und öffentliche Beamte der Republik beteuerten fortwährend ihre Ergebenheit für die Person des Herrn de Mac Mahon, Herzogs von Magenta und Abkömmlings irischer Könige einer unbestimmten Fabelzeit. Das sah allerdings einer Monarchie zum Verwechseln ähnlich, und die Feinde der Republik hatten recht, zu...

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