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E-Book

Fremd- und Selbstevaluation von sozialen Projekten unter konstruktivistischer Sicht

Inhaltsanalyse nach Mayring, Philipp

AutorChristian Gotz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl110 Seiten
ISBN9783640686377
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,4, Evangelische Fachhochschule Freiburg, Sprache: Deutsch, Abstract: [...] Nach einer ersten Annäherung an den Begriff Konstruktivismus, spüre ich den philosophischen Wurzeln nach. Hier lassen sich einige Anfänge späterer Erkenntnisse finden. Ziel meiner Betrachtungen im zweiten Kapitel ist es, Kriterien zu finden, die eine Auswertung von Projekten im sozialen Bereich erfüllen muss. Die neueren philosophischen Einsichten des Konstruktivismus stelle ich mit Arbeiten von Helmut Willke, Heinz von Foerster, George Spencer Brown, Gregory Bateson, Ernst von Glasersfeld und Niklas Luhmann dar. In diesem Kapitel werde ich auch konstruktivistische Beiträge aus eher naturwissenschaftlichen Betrachtungen anführen. Mit einem Modell der Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela soll das Gedankengebäude des Konstruktivismus für diese Arbeit vervollständigt werden. Ihre Richtung nennt sich radikaler Konstruktivismus, weil sie die Theorie am fundamentalsten herleitet und am weitesten denkt. Neben dem radikalen Konstruktivismus fand ich auch im Sozialkonstruktivismus und symbolischen Interaktionismus wichtige Bausteine für meine Kriterienliste. Mit der Auflistung von Kategorien befasse ich mich in Kapitel 3. Dort fasse ich alle wichtigen Kriterien für die Untersuchung von sozialen Projekten zusammen. Die, in meinen Augen, dazu geeignete Auswertungstechnik stelle ich im darauffolgenden Kapitel 4 vor. Hier leite ich mit einer kleinen Historie zum Thema ein und stelle dann die wesentlichen Schritte dieses Auswertungsverfahrens vor. Hierbei zeige ich, wo meine konstruktivistischen Kriterien in den Auswertungsregeln erfüllt werden. Eine spezielle Form qualitativer Auswertungsverfahren stellt die Evaluation dar. Diese ist auf die Begleitung und Beurteilung von Projekten spezialisiert. Deshalb wurde sie für mich zum Instrument der Wahl. Im fünften Kapitel zeige ich die Entstehung und Entwicklung von Evaluation in der Bundesrepublik auf. Im nächsten, dem Kapitel 6, vertiefe und erläutere ich die verschiedenen Aspekte von Evaluation heute. Mit dieser Struktur stelle ich auch das Projekt help! vor. Kapitel 7 skizziert die Planung von Evaluation und stellt parallel dazu das Vorgehen meiner Projektbegleitung dar. Schließlich stelle ich in Kapitel 8 die qualitative Auswertungstechnik vor, mit der ich das konkrete Projekt evaluieren will. Auch hier bildet das konkrete Projekt den Mittelpunkt der Darstellung - während die theoretischen Überlegungen flankieren.

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Leseprobe

2. Konstruktivismus als Grundlage der Evaluation


 

Mein Vorhaben ist es, eine geeignete Untersuchungshaltung und -technik zu finden, um Maßnahmen im sozialen Sektor so zu evaluieren, dass sie dem Untersuchungsgegenstand gerecht werden. Um etwas untersuchen zu können, muss es beobachtet werden. Eine philosophische Strömung, die sich sehr stark mit Beobachtung und damit zusammenhängenden Phänomenen beschäftigt, ist die Theorie des Konstruktivismus. Deshalb suche ich in dieser Lehre nach Grundlagen für mein praktisches Vorgehen.

 

2.1 Überblick des zweiten Kapitels


 

In diesem Kapitel soll die Theorie des Konstruktivismus[3] dargestellt werden. Nach einem kleinen Experiment für den Leser erfolgt eine erste gedankliche Annäherung. Eine Definition schlage ich unter 2.3 vor. Zur philosophischen Hinführung werde ich unter 2.4 die historischen Quellen in der abendländischen Philosophie skizzieren, die, aus heutiger Sicht, konstruktivistisch genannt werden können. Insgesamt stellt der Konstruktivismus eine philosophische Strömung dar, dessen Ursprünge bereits im platonischen Weltbild zu finden sind. (vgl. von Amseln 2004: 23)

 

Im Abschnitt 2.5 folgt eine Darstellung der naturwissenschaftlichen Einsichten, die die Aussagen des Konstruktivismus bestätigen beziehungsweise neue Prämissen formulieren.

 

Unter dem Punkt 2.6 ist die neuere philosophische Entwicklung des Konstruktivismus zusammengestellt, die in Bezug auf geeignete Kriterien der Evaluation wichtigen Erkenntnisse ergeben. Mit Aussagen zur Theorie des Sozialkonstruktivismus und des Symbolischen Interaktionismus schließe ich die Liste meiner Kriterien für Untersuchungsmerkmale ab.

 

2.2 Erste Annäherung


 

Einleitend ein gutes Beispiel für die menschliche Beobachtungsleistung: Entfernen Sie diese Seite bitte circa 30 cm von Ihrem Gesichtsfeld nach vorne. Schließen Sie nach dem Lesen des Absatzes Ihr linkes Auge und richten Sie den Blick Ihres rechten Auges kontinuierlich auf den Stern. Sobald Sie das Blatt auf gleicher Höhe langsam hin und her bewegen, dabei weiter nur den Stern anvisieren, kommen Sie früher oder später an eine Position, in der der Punkt unsichtbar wird.

 

 

Abb. 1 Versuch mit dem ``blinden Fleck``

 

Die Ursache, für das unsichtbar werden des Punktes, ist der sogenannte blinde Fleck in der Netzhaut des menschlichen Auges. An diesem zentralen Punkt verlässt der Sehnervenstrang die Netzhaut nach hinten in das Gehirn und vereitelt an dieser Netzhautstelle die Aufnahme von visuellen Reizen. Es entsteht ein Wahrnehmungsloch.

 

Das Experiment funktioniert auch mit dem offenen linken Auge bei geschlossenem rechten und der Fixierung auf den Punkt. Jetzt verschindet der Stern.

 

Weshalb sehen wir sonst ohne Löcher die Welt? Die Antwort: Nicht die Augen helfen sich gegenseitig aus, sondern das Gehirn behilft sich, indem es die Beobachtungen vervollständigt. Hierbei dient unserem Gehirn das Wissen aus Erfahrung über das spezielle Objekt oder allgemeine Objekterfahrungen die Lücken zu schließen. (vgl. von Ameln 2004: 5)

 

So zeigt das obige Beispiel eindrücklich, dass menschliche Wahrnehmung ein aktiver Prozess ist. Unser Gehirn ist beim Sehen aktiv an der Bilderzeugung beteiligt.

 

Der Kern aller konstruktivistischen Theorien ist die Maxime, dass ein Subjekt nicht zu einer objektiven Wahrnehmung fähig ist. Auch mit Hilfe von vermeintlich objektiven Mess- und Forschungsinstrumenten kann dies nicht gelingen. Instrumente sind nur der verlängerte Arm der menschlichen Subjektivität, so der Einwand der konstruktivistischen Idee. Die weiteren Ausführungen konkretisieren das Bild vom Konstruktivismus, welches für meine Arbeit wichtig ist.

 

2.3 Realität und Wirklichkeit


 

Als Erklärungsmodell wird oft mit den Begriffen Realität und Wirklichkeit gearbeitet. Dabei haben Realität und Wirklichkeit folgende Bedeutungen.

 

Mit Realität wird die vorhandene[4] objektive Welt bezeichnet. (vgl. von Ameln 2004: 3) In der Realität leben und existieren alle möglichen Seinsformen[5]. Aus der lebenswichtigen Notwendigkeit mit der Umwelt in Verbindung zu treten (vgl. Maturana und Varela 1987), hat jeder Organismus die Möglichkeit zu interagieren. Da der Organismus an dieser Interaktion maßgeblich durch Energieaufwand und seine Wahrnehmungsorgane beteiligt ist, behauptet der Konstruktivismus, dass diese Interaktion kein passiver Vorgang, sondern ein aktiver ist. Aus der strukturellen Beschaffenheit der Wahrnehmungsorgane erschließt sich dem Individuum eine ganz eigene Repräsentanz[6] der Realität. Diese subjektive Wahrnehmung der Realität wird als Wirklichkeit bezeichnet. (vgl. von Ameln 2004: 3)

 

2.4 Philosophische Wurzeln


 

Die philosophischen Wurzeln des konstruktivistischen Denkens reichen bis in die Antike. Einer der bekanntesten Vertreter des ´frühen Konstruktivismus´ ist Platon (427 v.u.Z bis 347 v.u.Z). In meinen Augen entwarf er mit seinem Höhlengleichnis bereits ein Model von der bedingten Wahrnehmung der Realität. Mit seiner bekannten Ideenlehre prägte er die philosophische Nachwelt und fixierte sie damit, meiner Meinung nach, auf die Suche nach den Urbildern, ohne das dessen universelle Existenz in Frage gestellt wurde.

 

Dennoch gab es Skeptiker. Diese machten das Zweifeln zur ersten Disziplin des Denkens und stellten in diesem Rahmen auch die Fähigkeit des Menschen zu wirklicher und wahrhaftiger Erkenntnis in Frage. (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Skeptizismus am 27.11.06) Einen leuchtenden Schlusspunkt überlieferter Vertreter der skeptischen Schule bildet Sextus Empiricus. Er lebte im 2. Jahrhundert unserer Zeit und behauptete, „dass der Mensch für seine Urteile keinerlei Anspruch auf Wahrheit erheben könne und deshalb feste, auf Wissen begründete Überzeugungen unmöglich, ja sogar schädlich seien.“ (ebd.) Die Schädlichkeit von zu festen, starren Vorannahmen wird uns später noch begegnen.

 

Eine sehr radikale Position vertritt der Solipsismus. Etymologisch hergeleitet aus dem Lateinischen solus = allein und ipse = selbst, beschreibt diese philosophische Strömung einen Rückzug auf das Selbst als einzig sichere Erkenntnis.

 

Der bekannteste Vertreter einer solchen Philosophie hieß René Descartes (1596-1650). (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Solipsismus am 27.11.06) Er teilt die Welt in das eigene Ich und – salopp gesagt – den Rest. Vom eigenen Ich aus einen Zugang zur restlichen Welt zu finden hält, Descartes für problematisch und vermutet, dass die anderen Individuen und die Umwelt nur Vorstellungen in unserem Bewusstsein sind. (ebd.) Er kommt zwar zu dem Schluss, dass es eine vom Menschen unabhängige Welt geben muss. Er erkennt aber gleichzeitig, dass diese durch den „denkend-seienden“ Menschen nur subjektiv wahrgenommen wird. Deshalb bezweifelt er alles, was außerhalb seiner Selbst ist.

 

Das Einzige, was für Descartes sicher ist, ist seine eigene Existenz im Moment des Zweifels als ein Ausdruck seines Denkens – „cogito ergo sum“. (vgl. von Ameln 2004: 11) Später greift Arthur Schopenhauer (1788-1860) diese Gedanken auf; mit seinem ersten Hauptsatz seiner Philosophie „Die Welt ist meine Vorstellung“. (Schopenhauer zitiert in: http://de.wikipedia.org/wiki/Solipsismus am 27.11.06) Gleichzeitig hebt er die rigide Trennung von Subjekt und Objekt auf. „Es gibt für ihn nichts Beobachtetes ohne Beobachter, kein Objekt ohne ein Subjekt.“ (ebd.) Diese Verknüpfung von zwei bisher als unabhängig gedachten Begriffen ist wichtig für meine Frage nach geeigneten Auswertungstechniken, weil sie Interdependenzen darstellt.

 

Erkenntnistheoretisch steuert der englische Philosoph und Staatstheoretiker John Locke (1632-1704) etwas zu konstruktivistischen Ansichten bei. Er vermutet, dass die menschlichen Sinneswahrnehmungen im optischen, olfaktorischen und gustatorischen Bereich sehr subjektiv sind. Einigen Eigenschaften spricht er allerdings übersubjektive Bedeutung zu. So sind nach Locke geometrische und dynamische Eigenschaften von Objekten unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung real. (von Ameln 2004: 12)

 

Vermutlich ist hier die Wirkung des damaligen Aufbruchs in das mechanistische Zeitalter auf Locke sehr stark. (vgl. Capra 1988: 107 ff) Mit ihm lebt kein Geringerer als Isaac Newton und mit dessen Veröffentlichungen zur Physik und Mathematik wird das Prinzip der Ursache-Wirkungs-Verknüpfung zur Maxime der Weltsicht. (vgl. Schwanitz 1999: 138)

 

Aber schon David Hume (1711-1776) distanziert sich von den objektivistischen Ansichten Lockes. Für ihn ist klar, dass menschliche Vorstellungen eines Objektes nicht durch die den Objekten eigenen Qualitäten, sondern durch das Verknüpfen der menschlichen Ansichten über das Objekt zustande kommen. (vgl. von Glasersfeld 1998: 11) Alle darauf aufbauenden kognitiven Leistungen sollen aus diesen Verknüpfungen menschlicher Ansichten konstruiert sein und nicht aus objektiven Zuständen. (vgl. von Ameln 2004: 12) Somit ist nachvollziehbar, dass menschliche Ansichten nur subjektiv entstehen. Aus dem bisher Dargestellten...

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