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E-Book

Frida Kahlo

Leidenschaften einer großen Malerin. Romanbiografie

AutorBarbara Krause
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783451808883
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Frida Kahlo ist eine der großen, starken Frauen des letzten Jahrhunderts, die gegen alle Konventionen lebte. Das Malen war Obsession und Kraft zugleich, sie litt unter den Schmerzen ihrer körperlichen Behinderung. Es sind Bilder voller Intensität sie spiegeln das faszinierende Leben der surrealistischen Malerin wider. Ihr Leben ist auch die Geschichte ihrer großen Liebe zu Diego Rivera, einer Liebe, so kompliziert, fesselnd und intensiv wie ihr ganzes Leben.

Barbara Krause lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Autorin zahlreicher erfolgreicher Romanbiografien.

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Leseprobe

1.


Der Windhund unter der Sonne, er jagte über das sonnendurchglühte Fruchtland. Unter der weißen Hirtin war er kühlend über ihre offenen Wunden gestrichen. Kleines Wild, von Pfeilen durchbohrt. Immer verletzt. Niemals erjagt. Diego hatte sie gegen Morgen gefunden. Er hatte sie auf dem Lager der Eidechsen und Salamander entdeckt. Er hatte sich ihrer angenommen. Pore um Pore. Berührungen. Zärtlichkeit. Glück, das ihr die Wangen netzte. Ihr Herz klopft noch immer vor Erregung und Angst. Angst vor neuen Wunden. Angst, die stets an wahnsinnige Freude gefesselt ist. Angst und Freude – Zwillinge, die einen gemeinsamen Lebensnerv hatten. Furcht vor Diegos vertrauensvoll anmutender Mitteilsamkeit, wenn er von Charme und Grazie und Schönheit anderer Frauen erzählte, wenn er auf Ausführlichkeit verzichtete und nur einen Frauennamen erwähnte. Dann brachte Fridas Fantasie die quälendsten Szenen zustande.

Im Traum wurde es Frida bewusst, dass tausende Kilometer Ozean zwischen Diego und ihr lagen. Nur ein Traum konnte ihre Sehnsucht nach Diego stillen. Sie hatte Diego im Arm gehalten, und er war ihr Kind geworden. Den Geschmack seiner unwahrscheinlich weißen, zarten Haut trägt sie noch immer auf den Lippen. Sie hatte ihn gewiegt. Und er hatte ihr das wunderbare Gefühl geschenkt, seine Mutter zu sein. Er hatte es genossen, wie ein Kind in ihren Armen zu liegen. Diego hatte sie glauben gemacht, dass er sich nur in ihrer Liebe selbst zu begreifen vermag und die Welt, dass er nur durch ihr Dasein in das Universum eingehen kann. Sie sollte sich den Traum aufschreiben und ihn Diego schicken.

Ungewohnte Geräusche in der fremden Wohnung. Defektes Rauschen einer Wasserspülung. Das kurze Aufweinen eines Kindes, das gleich wieder abbricht. Unterdrückter Husten von Jacqueline aus dem Nebenzimmer. An die Fensterscheiben schlägt schon die ganze Nacht der Regen. Nicht auf die Uhr schauen. Europa ist unfreundlich. Der Januar in Paris ist trist. Sich nicht vom Wetter abhängig machen. Sich einreden, dass sie Regen liebt. Auch nicht den Ärger über Breton hochkommen lassen, der nicht das Geringste für ihre Ausstellung vorbereitet hatte. Große Worte damals in Mexiko. Versprechungen. Er hatte Frida gepriesen als seine überraschende Entdeckung – eine mexikanische Surrealistin, die in Paris Triumphe feiern werde. Frida hatte schon damals nicht viel auf sein Lob gegeben. Anders Diego. Er hatte Bretons Worte in sich aufgesogen, um sie überall zu wiederholen, sie in der ihm eigenen Weise auszuschmücken, Bretons Lob zu ergänzen und zu interpretieren … Sie hatte Diego längst durchschaut.

Die Atemzüge des kleinen Mädchens sind plötzlich verstummt. Frida schaut zu dem Kind hinüber, mit dem sie die enge Kammer teilt. Das Kind hat sich unter der Bettdecke versteckt. Es hat sich ein kleines Luftloch geschaffen, durch das es die fremde Frau mit einem verängstigten Spähblick zu beobachten scheint. Auf Verdacht lächelt Frida hinüber und macht mit der Hand die winzige Geste eines Grußes. Jäh verschwindet die Öffnung. Fridas Französisch ist so miserabel, dass sie keinen vernünftigen Satz für das Kind zusammenstellen kann. Sogar der Name des kleinen Mädchens ist ihr entfallen. Jacqueline hatte ihn übersetzt – ein neuer Tag beginnt.

Nichts hatte André vorbereitet. Nicht einmal die kleine Tochter vorgewarnt, dass in ihrem Zimmer auf dem Fußboden Besuch einquartiert werde. Die Matratzen hatten sie um Mitternacht vom Boden geholt. Stuhl und Tischchen hastig vor das Fenster geräumt, als wenn nicht seit Wochen der Tag von Fridas Ankunft in Paris festgestanden hätte. Der Zug hatte Verspätung gehabt. Niemand hatte am Bahnhof auf sie gewartet. Frida wollte sparsam in Paris leben, so hatte sie versucht, Bretons Wohnung mit der Metro zu erreichen. Beim ersten Umsteigen hatte sie kapituliert und sich ein Taxi genommen. Der Taxifahrer hatte sich von ihrem exotischen Erscheinungsbild beeindrucken lassen. Er hatte sie wie eine aztekische Prinzessin behandelt. Es war ein seltsames Haus, in dem die Bretons wohnten. Eigentlich Hinterhaus, zu dem es kein richtiges Vorderhaus gab und Frida sich mit dem Taxifahrer, der ihr Gepäck trug, durch eine übel riechende, dunkle Durchfahrt tasten musste. Die Bretons hatten kein Namensschild an der Tür. Der Mann lauschte an den Wohnungstüren und klopfte tatsächlich an der richtigen.

Frida war todmüde gewesen. Ihr sehnlichster Wunsch war, ein Bad zu nehmen und zu schlafen. Die Wohnung besaß kein Bad. Also schlafen. Die Matratzen lagerten auf dem Hausboden. Dann stellte sich heraus, dass das Schloss der Kammertür defekt war. Frida konnte nicht einmal die Tür hinter sich schließen. Natürlich liebte sie Kinder. Aber das musste sie nicht in den Nächten der kommenden Wochen beweisen. Sie hätte weinen mögen. Auf die Anteilnahme der Bretons hatte Frida keine Lust einzugehen, nachdem André sie auf die Frage nach ihren Bildern lachend beruhigen wollte, dass diese beim Zoll bestens aufgehoben wären. Eine geeignete Galerie müsste erst noch gefunden werden. Und Frida hatte geglaubt, sie käme nach Paris, um ihre Ausstellung zu eröffnen. André Breton hatte sich mit Arbeit entschuldigt. Um sein Vielbeschäftigtsein zu beweisen, hatte er noch drei Stunden nach Mitternacht im Wohnzimmer verbracht, an seinem Schreibtisch. Das Licht seiner Tischleuchte fiel direkt auf den Spalt der Kammertür. Und dieser Spalt hatte sein Licht unmittelbar auf Fridas Kopfkissen geworfen. Jede geschriebene Seite las Breton sich mit verhaltener Stimme vor, deutlich akzentuierend, dem Klang des gesprochenen Wortes nachlauschend. Hinzu kam der quälende Husten von Jacqueline, deren Echo sich die Wände der schlecht beheizten Wohnung unablässig zuwarfen.

Der »Papst des Surrealismus« war im vorigen Jahr nach Mexiko gekommen, vom Ministerium zu einer Vortragsreise entsandt. Seine Frau, die zauberhaft blonde Jacqueline, hatte ihn begleitet. Ihr hatte sich Frida sogleich freundschaftlich verbunden gefühlt, zumal die andere auch Malerin war. Breton selbst hatte Frida in seiner Selbstherrlichkeit und Arroganz nicht sonderlich gemocht. Gerührt hatte Frida die überschwängliche Begeisterung, die Breton ihren Bildern entgegenbrachte. Er verstieg sich zu der Behauptung, Mexiko sei der eigentliche Ort des Surrealismus. Auf den gemeinsamen Ausflügen sah Breton in jedem kahlen Felsgestein, in den trunkenen Blüten der Floripondien, in der Wortkargheit der Indios, in den an der Kirchenwand aufgestellten Votivbildern den Beweis der Sur-Realität.

… »Nie hatte ich einen Klumpen roter Erde in meiner Hand gehalten, der die Statuetten von Colima – halb Weib, halb Grille – göttlich geschminkt, entstiegen sind. Und schließlich hatten auch meine Augen sie nie erblickt, die den Statuetten so überaus gleicht, in der Haltung und im Schmuck einer Märchenprinzessin, mit magischen Kräften in den Fingerspitzen, im Lichtstrahl des Vogels Quetzal, der, wenn er davonfliegt, Opale auf den Felskanten zurücklässt: Frida Kahlo de Rivera.«

In dieser seiner Begeisterung, der Begeisterung des Europäers, des Angereisten, in seiner Überheblichkeit, den von ihm kreierten Surrealismus in der mexikanischen Natur und Tradition entdecken zu wollen, fand Frida einen Grund, den Surrealistenfürsten, diese Lokomotive des Unbewussten, zu belächeln. Seine Theorien und seine Manifeste, die er Frida vermachte, hatten sie gelangweilt.

Sie muss auf die Toilette. Der Körper schmerzt. Mit ihrem Fuß hat sie Mühe aufzustehen. Frida humpelt durch das Wohnzimmer. Sie hört den »Fürsten« allgewaltig schnarchen. Im Spiegel erblickt sie eine übermüdete Frida. Augenränder. Ihr offenes schwarzes Haar lässt ihre Haut noch durchscheinender wirken als sonst. Diego liebt ihr langes dunkles Haar, das sie aufsteckt und mit Blumenkronen schmückt in der Art überlieferter Indio-Traditionen. Wenn sie einmal die Kraft gefunden haben sollte, sich von Diego scheiden zu lassen, wird sie sich ihr Haar wieder kurz schneiden. Wie schon einmal … Als die Sache mit Christina passierte …

Das Wasser stürzt mit Getöse in den Behälter. Der Schnarchton setzt für kurze Zeit aus. Jetzt schaut Frida doch auf die Uhr. Zehn Minuten nach sieben. Wenn sie in San Angel wäre, würde sie aufstehen und frühstücken. Diese neue Freiheit, die sie hier in Europa üben und sich beweisen will, besteht zunächst in der Unfreiheit, in die enge dunkle Kammer zurückzuschleichen, sich auf dem Fußboden zusammenzurollen und zu warten, dass die Gastgeber erwachen. Das Kind schläft wie ein Engel. Es hat sich aus der Betthöhle befreit. Die Wangen sind gerötet. Das Haar ist nassgeschwitzt und lockt sich um Stirn und Schläfen.

Aube – jetzt ist Frida der Name des Kindes eingefallen. Kleine Aube – Verpflichtung im Namen. Beginn. So sollte auch Frida es sehen. Für sie beginnt ab heute ein neues Zeitalter. Unabhängigkeit. Die Kapsel ihrer Angst ist gesprengt. Sie hat sich frei gemacht. Sie ist in Europa angekommen. Sie hat die Reise ohne Diego unternommen. Es geht um ihre Ausstellung. Ihre erste Ausstellung in Europa. Es geht nicht um Ruhm und Anerkennung. Wer sie kennt, weiß, wie unwichtig ihr der Erfolg ist. Es geht um ihre verdammte Selbstständigkeit. Und die erreicht sie nur über ihre Bilder.

Regen. Wenn der Regen nicht wäre. Der Regen mit den schlechten Assoziationen. Am Tag ihrer Geburt hatte der Himmel geweint. Der kalte Morgen des 6. Juli. Sie hatte es sich von Mati erzählen lassen. Mati verfügte über wenig Fantasie. Die kargen Erinnerungsfetzen der großen Schwester reichten jedoch aus, sich mit Konsequenz vom Tag ihrer Geburt loszusagen und sich den darauffolgenden Tag, den siebenten Juli, auszusuchen und an ihm Gratulationen und Glückwünsche...

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