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Fundamentalismus

Radikale Strömungen in den Weltreligionen

AutorWolfgang Wippermann
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783451346941
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Fundamentalistische Strömungen finden sich in allen Weltreligionen: Judentum, Buddhismus, Christentum, Hinduismus etc. Wolfgang Wippermann stellt sie alle vor und ordnet sie historisch wie aktuell-politisch ein. Er zeigt Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Fundamentalismen auf. Ein Buch, das unverzichtbar für alle ist , die sich mit einem der wichtigsten Phänomene unserer Zeit beschäftigen wollen oder müssen.

Wolfgang Wippermann, Prof. Dr., lehrt an der FU Berlin Neuere Geschichte. Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Geschichte desNationalsozialismus und Faschismus. Mit seinen streitbaren Thesen ist er in Fernsehen und Zeitungen ein häufig eingeladener Gast.

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Leseprobe

2. „Cruzada“
Katholischer Fundamentalismus in Spanien


„Cruzada“ („Kreuzzug“) stand auf einem spanischen Propaganda-Poster. Es wurde 1936 gedruckt und warb für den Kampf der spanischen Putschisten gegen die legitime Regierung der spanischen Republik. Dieses politische Ziel wurde mit dem Hinweis auf den christlichen Kreuzzugsgedanken legitimiert. Dabei handelt es sich um eine christlich-fundamentalistische Ideologie, die im Unterschied zur islamisch-fundamentalistischen Dschihad-Ideologie nicht durch eine fundamentalistische Auslegung der Heiligen Schrift begründet werden kann.35 Denn „Kreuzzüge“ und sonstige angeblich „gerechte“ oder gar „heilige Kriege“ kennt die Bibel nicht. Im Alten und noch mehr im Neuen Testament ist weit mehr vom Frieden und seiner Bewahrung als vom Krieg die Rede. „Selig“ sind nicht die Kriegerischen, „selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen“ ist bei Matthäus 5,10 zu lesen, und bei Matthäus 26,52 steht geschrieben, „wer das Schwert nimmt, der soll durch das Schwert umkommen“.

Die von Kirchenvätern wie Augustin und von Päpsten wie Urban II. entwickelten und gepredigten falschen Lehren von „gerechten Kriegen“ und „Kreuzzügen“ sind von Martin Luther überwunden und von den Aufklärern als Ideologien bezeichnet und kritisiert worden. Die katholische Kirche hat sich der aufklärerischen und reformatorischen Kritik angeschlossen und sich vom Kreuzzugsgedanken distanziert. Dies aber erst nach langem Zögern und ohne ein Wort des Bedauerns für die Opfer der Kreuzzüge und sonstigen unheiligen Kriege zu finden.

In Spanien war und ist dies jedoch anders. Hier werden die spanischen Kreuzzüge immer noch verherrlicht. Dies sowohl von Repräsentanten der katholischen Kirche als auch von den meisten katholischen Historikern und Politikern. Doch nicht nur das. In Spanien wird nicht nur die katholisch-fundamentalistische Kreuzzugsideologie verteidigt, der katholische Fundamentalismus insgesamt ist hier nicht überwunden worden. Seine Geschichte soll hier kurz skizziert werden.36 Wir beginnen mit den fundamentalistisch begründeten „heiligen Kriegen“ gegen die spanischen Muslime, die zu dem geführt haben, was in der spanischen Historiografie als Rückeroberung – „reconquista“ – bezeichnet wird.37

Reconquista


Die muslimischen Berber hatten zwar kurz nach ihrer Landung im Jahr 711 die christlichen Westgoten am Rio Guadalete vernichtend geschlagen und bis auf das Baskenland ganz Spanien erobert, waren aber in Asturien auf Widerstand gestoßen. Angeführt wurde er von einem westgotischen Adligen namens Pelayo, der ein muslimisches Heer im Jahr 722 besiegte und das neue christliche Königreich Asturien begründete. Zum asturischen kamen die Königreiche in Aragon, Kastilien, Navarra und Portugal. Sie drängten die Muslime weiter nach Süden zurück. Die jetzt nur noch über Andalusien herrschenden muslimischen Almoraviden wurden 1212 in der Schlacht von Las Navas de Tolosa besiegt und verloren große Teile ihres andalusischen Territoriums. Der Rest – das Emirat von Granada – wurde 1492 erobert. Damit war die Reconquista ganz Spaniens, von dem sich aber Portugal abgespalten hatte, beendet.

Der christlich-muslimische Krieg um Spanien war von beiden Seiten als heilig ausgegeben und ist von beiden Seiten mit unheiliger Grausamkeit geführt worden. Wer damit angefangen hat, ist unklar und auch unerheblich. Müßig ist auch die Beantwortung der Frage, ob der christliche „Kreuzzug“ eine Reaktion auf den islamischen „Dschihad“ war oder ob es genau umgekehrt war, nämlich ob die Muslime auf den christlichen Kreuzzugsgedanken reagiert haben, indem sie den im Koran zu findenden Begriff „Dschihad“, der an sich und wörtlich „Anstrengung“ bedeutet, als „heiligen Krieg“ interpretiert und ausgegeben haben.38

Wichtig und einwandfrei nachweisbar ist dagegen, dass diese „Dschihads“ und „Kreuzzüge“ nicht ständig geführt worden sind. Abgelöst und unterbrochen wurden diese vorgeblich „heiligen Kriege“ nämlich von langen Friedenszeiten. In ihnen bewahrten beide Seiten so etwas wie eine friedliche Koexistenz und ließen die jeweiligen religiösen Minderheiten in ihren Territorien in Ruhe. Dieses In-Ruhe-Lassen war jedoch sehr relativ und hatte mit Toleranz wenig zu tun. Die jeweiligen christlichen und muslimischen Herrscher haben ihre andersgläubigen Untertanen deshalb nicht vertrieben, weil sie an ihrem Geld und der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft interessiert waren. Das war nicht tolerant, sondern sehr eigennützig. Immerhin hat es dazu geführt, dass ganz Spanien eine Zeit der kulturellen und wirtschaftlichen Blüte erlebte.

Dies gilt vor allem für den muslimischen Teil. Das muslimische Andalusien und dann vor allem das kleine Emirat von Granada waren das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des damaligen Europas. Beigetragen dazu hatten ihre Bewohner muslimischen, christlichen und jüdischen Glaubens, die ungeachtet ihrer religiösen Unterschiede und wechselseitigen Animositäten am kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung ihres Landes interessiert waren und ihn beförderten. Dies unter Verwendung und Anwendung des Wissens der Antike und des Orients, das durch die muslimischen und nicht zuletzt auch durch die jüdischen Spanier Europa bzw. dem „christlichen Abendland“ vermittelt und vermacht worden ist. Darauf sollte Spanien stolz sein. Ist es aber nicht. Anstatt die spanische Toleranz zu feiern, wird der intolerante Fundamentalismus verteidigt.

Seine Geschichte ging nicht mit der Reconquista zu Ende. Auf die Rückeroberung Spaniens folgte die, „Conquista“ genannte, Eroberung Mittel- und Südamerikas, der große Teile der einheimischen Bevölkerung zum Opfer fielen. Beides – die Eroberung des Landes und die Ermordung seiner Bewohner – wurde wiederum mit der fundamentalistischen Kreuzzugsideologie legitimiert. Dies ist zu verurteilen, stellt aber kein singuläres Verbrechen dar und ist auch keineswegs ein spezifisches Kennzeichen des katholischen Fundamentalismus. Schließlich sind die Eroberung Nordamerikas und die weitgehende Vernichtung seiner indianischen Ureinwohner ebenfalls mit fundamentalistischen, genauer protestantischfundamentalistischen Motiven begründet worden.

Spezifisch und besonders verbrecherisch war die Behandlung der muslimischen Bewohner Spaniens nach der Reconquista. Sie wurden nämlich nicht mehr von den christlichen Siegern, wie dies vorher der Fall gewesen war, toleriert, sie wurden samt und sonders vertrieben. Das gleiche Schicksal erlitten die spanischen Juden, die vorher ebenfalls sowohl in den christlichen als auch den muslimischen Staaten geduldet worden waren. Die meisten spanischen Juden flohen in das muslimische Osmanische Reich, wo sie zwar auch diskriminiert und entrechtet, aber immerhin genau so toleriert wurden wie unter der Herrschaft der muslimischen Araber in Spanien. Nur wenige der aus Spanien vertriebenen Juden wurden von einigen europäischen Ländern aufgenommen und konnten in einigen (vornehmlich protestantischen) Städten neue Gemeinden bilden. Hier verfügten die „sephardischen“ (= spanischen) Juden zwar über eine etwas bessere Rechtsstellung als ihre „aschkenasischen“ (= deutschen) Glaubensgenossen, verdankten dies aber mehr ihrem im Überseehandel mit den spanischen Kolonien in Amerika gewonnenen Geld als der Toleranz ihrer christlichen, wie gesagt vornehmlich protestantischen, neuen Gastländer.39

Inquisition


Die fehlende Toleranz im sonstigen „christlichen Abendland“ ist aber nichts gegen die absolute Intoleranz im katholischen Spanien, das keine Glaubensfremden duldete. Dazu wurden neben Juden und Muslimen auch Protestanten gezählt. Auch ihnen wurde es verwehrt, sich in Spanien niederzulassen oder hier protestantische Gemeinden zu bilden. Dabei hatte sich die Reformation überhaupt nicht auf Spanien ausgewirkt, weshalb es hier auch keine Gegenreformation gab.

Völlig intolerant war die Behandlung der zum Katholizismus bekehrten Juden und Muslime. Sie standen von Anfang an unter einem Sonderrecht und wurden von einer Institution besonders überwacht, die nach ihrer dabei angewandten (Befragungs-)Methode „Inquisition“ genannt wurde. Derartige, auch mit der Androhung und Anwendung von Folter durchgeführte Inquisitionen (= Befragungen) hat es zwar auch in einigen anderen katholischen und selbst protestantischen Ländern Europas gegeben. Betroffen waren hier aber ‚nur‘ „Ketzer“ und „Hexen“, das heißt Männer und Frauen, die verdächtigt wurden, sich von Gott ab- oder gar dem Teufel zugewandt zu haben.

In Spanien sind dagegen neben „Ketzern“ und (hier übrigens wenigen) „Hexen“ mit den zum Katholizismus konvertierten Juden und Muslimen ganze Bevölkerungsgruppen pauschal unter Verdacht gestellt und gegebenenfalls einer auch „peinlichen“, das heißt mit Folter verbundenen „Befragung“ unterworfen worden. Dies war nicht nur unmenschlich, sondern auch unchristlich. Nach christlicher Auffassung ist nämlich jeder, der getauft worden ist, ein Christ. Egal, welcher Religion er vorher angehört hat und zu welcher „Rasse“ er auch immer gezählt wird. Im katholischen Spanien wurden dagegen alle zum Katholizismus konvertierten Juden und Muslime wegen ihrer früheren Religion und zugleich auch wegen ihrer „Rasse“ diskriminiert und nicht selten verfolgt.

Auch dies wurde mit katholisch-fundamentalistischen Ideologien begründet, aber von kaum jemandem kritisiert. Weder von der katholischen Kirche noch vom sich herausbildenden absolutistischen Staat. Denn der verdankte seine Macht und Stärke der fundamentalistischen Kirche. Das führte wiederum dazu, dass...

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