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Historische Zahlungsmittel als Quellen im Geschichtsunterricht

Die Erzeugung historischer Imagination anhand alten Geldes

AutorBjörn Piechotta
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl58 Seiten
ISBN9783656314899
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Didaktik - Allgemeine Didaktik, Erziehungsziele, Methoden, Note: 1,7, Freie Universität Berlin (Friedrich-Meinecke-Institut), Sprache: Deutsch, Abstract: Jeder von uns hat täglich Geld in der Hand. Wir kaufen Lebensmittel mit Banknoten und Münzen, zahlen es auf unsere Konten ein, um Miete, Strom- und Wasserrechnungen zu begleichen. Wir geben gerne Geld für unsere Freizeit aus, sei es im Kino, auf Reisen oder am Bockwurststand beim Open-Air-Konzert. Wir arbeiten hart, um an dieses Zahlungsmittel namens Geld zu gelangen und damit unser Leben auszugestalten. Geld bestimmt unseren Alltag entscheidend mit und zeigt uns Grenzen auf. So kann es darüber bestimmen, welche Kleidung wir tragen, wie weit eine Reise gehen kann oder wie oft im Monat ein Kinobesuch möglich ist. Zahlungsmittel begleiten uns durch die Geschichte hindurch. Sie sind, wie der Begriff bereits impliziert, Mittel und Gegenstand zum Erwerb von Waren, zur Bezahlung einer Dienstleistung oder zur Begleichung von Schulden. Als historische Quelle sind Zahlungsmittel Sachzeugnis vergangener Zeiten, alltägliche Gegenstände, die durch Jahrtausende hindurch nahezu denselben Zweck erfüllt haben. Zwar war Geld nach unserem heutigen Verständnis vor der Prägung der ersten Münze noch nicht vorhanden, dennoch gab es Handel in Form von geregeltem Warentausch. Jedoch war der Tauschhandel schwierig, da nicht nur ein vielfältiges Angebot an Waren bestand, sondern auch die Qualität innerhalb eines Artikelsortiments stark variieren konnte. Bereits seit fast 3000 Jah- ren gibt es Zahlungsmittel in der uns heute geläufigen Form: die Münze. Waren frühe Münzen zunächst nur Elektronklumpen, in die ein lydischer Herrscher ein einfaches Symbol als Zeichen der Werthaltigkeit prägen ließ, so sind sie heute Kunst- und Designwerke wie auch Hightechprodukte. Seit die ersten Münzen ausgegeben wurden, zierten Herrschersymbole, Porträts, Alltagsszenen und Götterbildnisse auf vielfältigste Weise diese Zahlungsmittel. Weil jedermann sie wegen ihrer Werthaltigkeit begehrte, stellten sie ein Medium zur Kommunikation zwischen Herrschern und Untertanen dar, auf denen sich der Herrschaftsanspruch des Monarchen über seine Untertanen ausdrückte oder auch ein politisches Programm verkündet wurde. In dieser Arbeit möchte ich anhand der Betrachtung von Zahlungsmitteln als Quelle im Geschichtsunterricht und den damit verbundenen Möglichkeiten zur Erzeugung historischer Imagination einen kleinen Einblick in ein offensichtlich sehr vielschichtiges Thema geben.

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Leseprobe

2. Die Imagination von Geschichte


 

Historische Imagination hat den Zweck, Fremdes aus vergangenen Zeiten nachvollziehbar zu machen und aus dieser Fremdheitserfahrung historisches Lernen zu ziehen. Dabei kann zwischen zwei Operationen unterschieden werden: das Sich-vorstellen und das Sich-vergegenwärtigen/-einbeziehen/übertragen[20].

 

Beim Sich-vorstellen geht es darum, im Geiste Bilder von historischen Situationen zu entwickeln, diese zu reflektieren, Fragen an historische Situationen zu stellen, Hypothesen zu entwickeln und Vorannahmen gegebenenfalls auch zu revidieren[21]. Die Operation des Sich-vergegenwärtigens/-einbeziehens/übertragens bedeutet, dass der Rezipient die Fähigkeit entwickelt, sich in eine historische Situation einzubinden, dass er oder sie in der Lage ist, eigenes Handeln zu reflektieren und auf das Handeln historischer Akteure zu übertragen. Auch gehört dazu die Fähigkeit, sich von eigenen Erfahrungen und Handlungsmustern zu distanzieren, um auf diese Weise Alterität zwischen sich und einem historischen Akteur zu erfahren[22].

 

In der vorliegenden Arbeit gaben zufällige Beobachtungen aus dem Alltag Anlass zur intensiveren Auseinandersetzung mit der Allgegenwart von Geschichte. Schörken beruft sich in seinem Buch Historische Imagination und Geschichtsdidaktik darauf, dass Schülerinnen und Schüler in gewissen Situationen eingeschränkt in der Lage sind, sich bestimmte historische Gegebenheiten vorzustellen, sie vor ihrem geistigen Auge zu verbildlichen[23]. Mit dem Einwand von Schülerinnen und Schülern, sich eine bestimmte Sache oder Handlung nicht richtig vorstellen zu können, stellen sie zugleich auch historische Aussagen infrage, weil sie an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft stoßen. Jedoch verbinden sie damit keinen Unmut über die Historie an sich. Ihre Klage drückt vielmehr den Wunsch aus, ihre Kenntnisse so zu erweitern, dass sie ihre Vorstellungskraft über historische Aussagen aktivieren können. Sie haben sehr wohl Interesse an der Imagination, für die sie jedoch weiteren Input brauchen. Schülerinnen und Schüler verspüren somit den Wunsch, ihre eigene Lebenswelt zu verlassen und gedanklich in eine historische Situation einzutauchen[24].

 

Rolf Schörken stellt die grundsätzliche Frage, ob Imagination nicht eigentlich die „Erzfeindin der Geschichtsschreibung“[25] sei, die Historiografie sich also aus der Gegnerschaft zur Imagination begründe. Und er beantwortet diese Frage er mit dem Hinweis, dass Imagination erst die Rezeption und Rekonstruktion von Vergangenheit ermögliche, also die Basis von Narration sei[26]. Lesen, betrachten und imaginieren schließen einander nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig, weil ohne Imagination, die aus der Rezeption erwächst, keine Narration entstehen kann[27]. Zwar sind Tätigkeiten wie Lesen und Betrachten passiv. Imagination ist aber ein aktiver Prozess, in dem der Rezipient sein Vorwissen durch das Studium einer Quelle aktiviert und historische Umstände visualisiert.

 

Münzen und Banknoten sind eine Mischform aus textlichen und bildlichen Quellen und – wie eingangs erwähnt – haptisch fassbare Geschichte. Beide Tauschmittel bestehen gewöhnlich sowohl aus Text wie auch aus Bildern, und erweisen sich damit als besonders taugliche Quellen für den Geschichtsunterricht, sei es für die Alltags-, Wirtschafts-, oder Herrschaftsgeschichte, da sich aus ihnen Narrationen sowohl über den Alltag der Menschen, ihre wirtschaftlich-soziale Situation wie auch ihre Herrschaftsstrukturen generieren lassen[28].

 

Der Geschichtsphilosoph Paul Ricœur benennt das grundsätzliche Dilemma der historischen Wissenschaft. Da sie nicht selbst erlebt werden kann, bleibt sie dem Forscher grundsätzlich immer fremd. Es bedarf auch für die historische Forschung der Vorstellung, der Phantasie, um vergangene Ereignisse nachvollziehbar zu machen. An diesem Dilemma zeigt Ricœur die grundsätzliche Überkreuzung von Geschichte und Fiktion auf, die in der Grenzüberschreitung beider Genres besteht[29]. Er kommt zu dem Schluss, dass Geschichte quasi-fiktiv ist, während Fiktion quasi-historisch ist, denn während z.B. ein Roman eine erfundene Geschichte ist, die so erzählt wird, als könnte sie tatsächlich stattgefunden haben, ist Geschichte eine Erzählung realer Ereignisse, als ob sie so stattgefunden hätten[30]. Beide Formen sind also von Annahmen darüber geprägt – als ob – die Dinge so gewesen sind, Mit diesem als ob tauscht für Ricœur „das quasi-historische Moment der Fiktion den Platz mit dem quasi-fiktiven Moment der Geschichte.“[31] Sowohl die Geschichtsschreibung als auch die Fiktion von Geschichte können nicht auskommen, ohne gedankliche Bilder beim Rezipienten erzeugen. Es bedarf eines wechselseitigen Austauschs von Imagination und belegbaren historischen Informationen, um Geschichte vorstellbar zu machen[32]. Ricœur versteht die Imagination als Aufhebung der Distanz zur Geschichte. Zwar ist kein Mensch in der Lage, die Gefühle einer historischen Epoche nachzuvollziehen, jedoch besteht in der „De-distanzierung“ [33] zur Historie die Möglichkeit des Nachvollziehens.

 

Schörken bemerkt dazu, dass ein Übermaß an verschriftlichter oder verbildlichter Information beim Rezipienten Verwirrung oder gar ein falsches Bild historischer Gegebenheiten hervorrufen kann, weil seine Imaginationsfähigkeit dadurch eingeschränkt wird[34]. Eine entsprechende Wirkung offenbart sich bei Rezipienten, die in hoher und geringer Qualität Medien konsumierten, welche zwar Bilder und Ansichten vermittelten, jedoch keine Möglichkeiten der eigenen Ausgestaltung von Geistesbildern zulassen[35].

 

Ein Begleiter der Narration ist die Suggestion. Überall dort, wo Narration auftritt, ist sie zu einem bestimmten Zweck hergestellt worden und vermittelt ein bestimmtes Bild, das aus dem Blickwinkel oder auch dem Interesse des Verfassers entstanden ist. Durch die suggestive Wirkung von Narrationen können, wenn es vom Erzähler beabsichtigt ist, Tatsachen verfälscht oder ausgeblendet werden[36]. Ricœur definiert deshalb das Archiv als autorisierten Verwahrungsort von Dokumenten und Spuren der Vergangenheit, das dem Zweck dient, Herrschaftswissen über eine Zeit zu produzieren[37]. Historische Dokumente und Überlieferungen transportieren also Suggestionen, welche bestimmte Absichten verfolgen. Solche Absichten können nur eingeschränkt durch die Imagination des Rezipienten überwunden werden. Historische Narrationen bedürfen zusätzlicher kritischer Reflexion[38]. Kraft seiner kritischen Vorstellungsfähigkeit muss der Rezipient also in der Lage sein, seine eigenen Schlüsse aus einer historischen Narration zu ziehen[39].

 

In diesem Sinne ist auch das Geld zu verstehen. Es gehört in das Archiv, d.h. die offizielle Darstellung des Herrschaftswissens einer Zeit und bietet damit einen Anstoß zu kritischem Fremdverstehen. Fremdverstehen ist, sei die Quelle noch so authentisch, jedoch immer nur eine Annäherung an den Geist jener Zeit. Trotz aller De-distanzierung besteht dennoch eine Distanz zwischen dem historischen Geist und dem heutigen Rezipienten, die kritischen Hinterfragungen Raum gibt, um bestehende Ansichten gegebenenfalls zu entwerten und durch das Gelernte zu ersetzen. Lernen bedeutet, dass bestehendes Wissen durch neues ersetzt wird[40]. Kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte heißt konkret, die Quelle einer Kritik über ihre Bedeutung in der damaligen wie heutigen Zeit zu unterziehen[41].

 

2.1 Die Kompetenz, den Hintergrund einer Quelle zu erfassen


 

Wie Texte, so sind auch Münzen und Banknoten immer nur ein kleiner Spiegel dessen, was in einer historischen Epoche geschah. Sie geben nur oberflächlich etwas über sich preis, sind aber eine Folge weitreichender politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Zusammenhänge[42]. Betrachten wir einen Geldschein aus der Zeit der Inflation, so sehen wir zunächst Ornamente, eine Wertangabe und einen juristisch ausformulierten Text über die eingeschränkte Einlösbarkeit. Die Information, dass es sich um einen Geldschein aus der Inflation handelt, birgt allein schon eine Vielzahl kontextueller Zugänge zum Hintergrund dieses Geldscheins. Bezogen auf den Zeitpunkt seines Entstehens kommt man auf die Krisen der jungen Weimarer Republik zu sprechen, die in dieser Phase eine enorm instabile politische Einheit bildete, große gesellschaftliche Umbrüche stattfanden und Geld eigentlich kaum noch einen Wert hatte, weil es für den Alltag nahezu nutz- und wertlos geworden war. Der juristisch ausformulierte Text über die eingeschränkte Einlösbarkeit auf diesem Geldschein blendet diesen Hintergrund zunächst aus, wenn man der Hintergrundinformation Inflation schuldig bleibt[43]. Für...

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