Viele Sozialwissenschaftler haben sich in den letzten Jahrzehnten einer teils kontroversen definitorischen Festlegung von Einstellungen gewidmet. Vor allem in Bezug auf den Aspekt der Resistenz und Dauer von Einstellungen bestehen starke Differenzen (Erber, Hodges & Wilson, 1995). Einerseits sind Einstellungen beständige Organisation von motivationalen, emotionalen und kognitiven Prozessen (Krech & Crutchfield, 1948) oder über mehrere Jahre langanhaltend (Brown, 1970; Hogg & Vaughan, 2005), andererseits erkannten Studien, dass Einstellungen nach Situation und verfügbarer Information doch wiederum flexibel und schnell veränderbar sind (Erber, Hodges & Wilson, 1995).
Unumstritten ist, dass der Aspekt der wertenden Beurteilung ein Kernaspekt bei der Definition von Einstellungen ist. Aktuell und umfassend ist von daher die definitorische Abgrenzung von Eagly & Chaiken (1993, S.1), die Einstellungen als „psychische Tendenz, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass man ein bestimmtes Objekt mit einem gewissen Grad an Zuneigung oder Ablehnung bewertet.“ verstehen. Richtung und Valenz von Einstellungen spielen somit eine wichtige Rolle für ihr Verständnis (Haddock & Maio, 2014).
Einstellungen entwickeln sich aufgrund einer genetischen Disposition (Eagly und Chaiken, 1993; McGuire, 1985). So wies eine Zwillingsstudie nach, dass die genetische Veranlagung Einfluss auf die spätere Einstellung in Form der Wahl des Freundeskreises oder des Lebenspartners hat (Tesser, 1993). Einstellungen werden dabei eher als eine Art Nebenprodukt genetisch bedingter Persönlichkeitsfaktoren (Wänke & Bohner, 2006) und weniger als genetisch festgesetzte Persönlichkeitsfaktoren (Rothenstein, 2011; Zimbardo & Gerrig, 2008) gesehen.
Einstellungen können allerdings auch durch unterschiedliche Prozesse erworben werden (Wänke & Böhner, 2006). Auf einer lerntheoretischen Ebene wird ihre Entstehung durch subjektive Erfahrungen oder durch Sozialisierungsprozesse erklärt (Allport, 1935; Erwin, 2002; Rothenstein, 2011; Wänke & Bohner, 2006). Diese beruhen zum Beispiel auf klassischen sowie operanten Konditionierungsprozessen (Wänke & Bohner, 2006a). Dabei werden in operanten Prozessen Reaktionen mit positiven Konsequenzen positiv konditioniert und negative Konsequenzen negativ konditioniert (Hahnzog, 2011). Beispielsweise belohnen Eltern ihre Kinder für Handlungen, die mit ihren Ansichten übereinstimmen (ebd.). Im Rahmen des Modelllernens (Wänke & Bohner, 2006a) stehen insbesondere Kinder als potenziell Lernende im Fokus. Wenn sie wiederholt negatives Verhalten ihrer Bezugspersonen gegenüber bestimmten Menschen beobachten, so ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass sie diese Einstellungen übernehmen und sich zu eigen machen (ebd.). Ähnliches gilt auch für Gruppen, in denen die Gruppenzugehörigkeit an die Übernahme bestimmter Einstellungen geknüpft ist (Bohner & Wänke, 2002).
Einstellungen entstehen auch in Abhängigkeit von internen Zuständen, also auf der Grundlage eigener Gefühlswahrnehmungen, wobei dieser Prozess durch externe Einflussfaktoren Limitationen unterliegt (Wänke & Bohner, 2006a). Eine Einstellung kann auch rein situativ eher positiv oder negativ ausfallen (zum Beispiel wetterabhängig) (ebd.). Außerdem wird die Entstehung von Einstellungen aufgrund von heuristischen Denkprozessen vermutet (ebd.). So kann ein Reiz (zum Beispiel die Eigenschaft einer Person) einen Verarbeitungsprozess bei einer anderen Person anstoßen, der eine verallgemeinernde Einstellung nach sich zieht. Ein wahrgenommener Doktortitel zum Beispiel kann zur Einstellung führen, einem „Experten“ (ebd., S. 416) zu begegnen. Im Rahmen von Kapitel 4.3, in dem es darum geht, wie Einstellungen kognitiv repräsentiert werden, werden in Bezug zur Einstellungsentstehung Teilaspekte aufgegriffen und differenzierter betrachtet.
Einstellungen befriedigen psychologische Bedürfnisse des Menschen (Haddock & Maio, 2014). In der wissenschaftlichen Erforschung dieser Bedürfnisse hat die Funktionstheorie von Katz (1960) einen besonderen Stellenwert eingenommen (ebd.), diese im Laufe der Jahre stetig weiter differenziert wurden. Nach Katz (1960) ergeben sich vier Hauptfunktionen von Einstellungen.
1. Ökonomie- und Wissensfunktion: Einstellungen helfen dabei, die eigene Umwelt zu ordnen und zu strukturieren. Sie werden als Mittel zum vereinfachten Abwägen und damit zur kognitiven Ressourcenschonung genutzt (Smith, Brunner & White, 1956), indem sie die Ausführung von Urteilen erleichtern (Bohner & Wänke, 2002; Haddock & Maio, 2014).
2. Utilitaristische Funktion: Einstellungen dienen dazu, die vom Einstellungsobjekt ausgehenden Belohnungen zu maximieren beziehungsweise erwartete Bestrafungen zu minimieren (Haddock & Maio, 2014; Shavitt, 1990). Dies drückt sich auch im Verhalten aus. Personen essen beispielsweise bevorzugt Gerichte, die ihnen schmecken oder gehen auf Menschen zu, die sie persönlich interessant und attraktiv finden (Bohner & Wänke, 2002).
3. Funktion der sozialen Anpassung: Einstellungen helfen Menschen dabei, sich mit den Personen zu identifizieren, die sympathisch erscheinen und von anderen zu differenzieren (Haddock & Maio, 2014). Hierbei spielt die soziale Kategorisierung als Ausdruck der jeweiligen Statusbeziehungen zwischen der Eigen- und Fremdgruppe eine wichtige Rolle (Heitmeier, Küpper & Zick, 2012; Petersen & Six, 2008). Durch das Teilen gleicher Einstellungen innerhalb einer Gruppe, erleben Personen sich als Teil einer Gruppe (Smith et al., 1956; Bohner & Wänke, 2002). Dies ist nach der Theorie der sozialen Identität (Tajfel & Turner, 1986) darauf begründet, dass Individuen bestrebt sind ein positives Selbstkonzept und positive soziale Identität für sich zu erhalten. Die Mitgliedschaft zu einer sozialen Gruppe, und ihrer Bewertung, ist dabei ein Teil ihrer positiven Identität, mit der sich durch Vergleiche die Eigengruppe favorisiert, positiver beurteilt als die Fremdgruppe und damit eine Abgrenzung beider Gruppen stattfindet (Zick, 2002). Allerdings kann dies damit zur Entstehung von Vorurteilen, Rassismus und Diskriminierung gegenüber der Fremdgruppe und Mitglieder dieser Gruppe führen (Heitmeier, Küpper & Zick, 2012).
4. Ich-Verteidigungsfunktion: Einstellungen dienen der Aufrechterhaltung des eigenen (positiven) Selbstkonzeptes und drücken zentrale Werte des Individuums aus (ebd). Dies hat laut Smith et al. (1956) eher den Charakter einer Externalisierung als einer Abgrenzung von negativ besetzten Objekten oder Personen. So dient beispielsweise eine vorurteilsbehaftete Einstellung gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen auch der Wahrung eigener Werte und der eigenen Identität.
4.3 Inhaltliche Komponenten von Einstellungen
In Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung des Einstellungskonstrukts hat das 3-Komponenten-Modell von Rosenberg und Hovland (1960), das Einstellungen auf einer mehrdimensionalen Ebene betrachtet (Aizen & Fishbein, 1980), einen bis heute fast kritikfreien wissenschaftlichen Konsens erfahren (Greenwald, 1989; Rothenstein, 2011). Demnach setzen sich Einstellungen inhaltlich aus drei Komponenten zusammen: der kognitiven, der affektiven sowie der verhaltensbezogenen Komponente (Abbildung 1), die bei der Gesamtbewertung einer Person, eines Objektes oder einer Sache zum Ausdruck kommen können (Breckler, 1984; Eagly & Chaiken, 1993; Haddock & Maio, 2014).
Abbildung 1: Grafische Darstellung des 3-Komponentenmodells nach Bierhoff (2006, S.328)
Die verhaltensbezogene Dimension einer Einstellung umfasst jene Verhaltensweisen, die gegenüber einem Einstellungsobjekt ausgeführt wurden oder ausgeführt werden sollen (Haddock & Maio, 2014). Verhaltensweisen können dabei eine Grundlage von Einstellungen darstellen (ebd.), aber sie können auch die Einstellung eines Menschen widerspiegeln (Bohner & Wänke, 2002; Eagly & Chaiken, 1993; Rothenstein, 2011).
Die affektive Dimension unterstreicht die Bedeutung von Emotionen, die mit einem Einstellungsobjekt verbunden sind (Haddock & Maio, 2014). Allein der Kontakt mit einem Einstellungsobjekt kann eine spontane, affektive Reaktion hervorrufen, welche die persönliche Einstellung fortan maßgeblich prägt (ebd.).
Nach Haddock und Maio (2014, S.200) besteht die kognitive Komponente von Einstellungen aus „… Überzeugungen, Gedanken und Merkmale, die mit einem Einstellungsobjekt verbunden sind“. Es handelt sich um eine Wissensstruktur als Teil eines heuristischen Einstellungskonstrukts, das auf einem individuellen „belief-System“ (Mayerl, 2009, S. 25) fußt. Im Falle der Bewertung sozialer Gruppen als Einstellungsobjekt bilden häufig Stereotype die kognitive Komponente einer Einstellung, über die sich im Rahmen einer Heuristik verallgemeinernden Haltung über Mitglieder bestimmter Gruppen entwickeln, während individuelle Aspekte nicht berücksichtigt werden...