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Industrieverlagerung in Deutschland als Luftschutzmaßnahme gegen die 'Combined Bomber Offensive' 1943

AutorFrederic Gümmer
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl44 Seiten
ISBN9783656753674
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Akademische Arbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Note: 1,3, Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Gesamtmenge der Bombenlast, die zwischen 1941 und 1945 durch britische und amerikanische Flugzeuge auf das vom Deutschen Reich besetzte Europa abgeworfen wurde, betrug mehr als 2,6 Millionen Tonnen. Über 50% davon fielen auf das ursprüngliche Reichsgebiet. 28% der gesamten Bombenlast, und damit die größte Menge, wurde über Städten abgeworfen. Mit 23% war das Verkehrsnetz am zweit schwersten betroffen und die chemische Industrie stand mit 13% an dritter Stelle der Luftkriegseinwirkungen. Beachtung verdient die Tatsache, dass sich die Produktion vieler deutscher Rüstungszweige trotz der umfangreichen alliierten Luftoffensiven bis zum September 1944 immer wieder erholen und sogar steigern konnte. Zahlreiche Faktoren bewirkten diese Entwicklung, aber mitunter waren dafür auch Industrieverlagerungen verantwortlich. So wurden zwischen November 1943 und November 1944 über 4.100 Betriebsumsetzungen aller Art durchgeführt. Aus dem Inhalt: - Oberirdische und Untertageverlagerungen - Luftangriffe auf die Flugzeugindustrie - Luftangriffe auf die Kugellagerindustrie - Die Gründung des Kesslerstabs - Gegenmaßnahmen des Geilenbergstabes

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Leseprobe

2 Industrieverlagerungen als Luftschutzmaßnahme


 

2.1 Typologie der Verlagerungen


 

Die Auflockerung der industriellen Ballungszentren des Deutschen Reichs war bereits im Rahmen der Kriegsvorbereitungen geplant worden. Allerdings sollte dies zum damaligen Zeitpunkt nicht durch Verlagerung vorhandener Anlagen geschehen, sondern im Rahmen der industriellen Expansion. Es sollten Regionen des Deutschen Reiches erschlossen werden, die, weit entfernt von den Grenzgebieten, weniger der Gefahr unmittelbarer Luftangriffen ausgesetzt waren.[18] Allerdings rechnete die Mehrheit der Unternehmen mit einem kurzen Krieg und vernachlässigte deshalb Planungen und Maßnahmen zum Luftschutz ihrer Werke.[19] Erste Pläne für eine Dezentralisation aufgrund von Bombenangriffen kamen 1940 auf. Zu diesem Zeitpunkt wurden sie aber noch nicht durchgesetzt, da man die Produktionseinbußen durch den Verlagerungsvorgang als zu hoch einstufte.[20] Als erstes Unternehmen verlagerte die Focke- Wulf Flugzeugbau AG einen Teil ihrer Fertigungsstätten, nachdem ein Werk bei einem britischen Nachtangriff getroffen worden war.[21] 1942 führten dann immer mehr Unternehmen Dezentralisierungsmaßnahmen durch. Die Verlagerung deutscher Industrieanlagen während des Zweiten Weltkrieges lässt sich in drei Kategorien gliedern:[22]

 

1. Oberirdische Verlagerung: Das Grundprinzip der oberirdischen Verlagerung war die Verteilung einzelner Abteilungen eines Werkes auf viele kleine Betriebe in umliegenden Ortschaften. Somit konnte die Fertigung bei Ausfall der Hauptproduktionsstätte immer noch in einem gewissen Umfang fortgesetzt werden. Die Endmontage verblieb jedoch aufgrund des hohen Platzbedarfes meist im Stammwerk.[23] Aufgrund mangelnder Baukapazitäten und als Tarnmaßnahme waren Neubauten aber nicht zulässig, sondern lediglich die Nutzung vorhandener Räume.[24] Die Verlagerungskosten[25] übernahm das Reich. Gegen Ende des Jahres 1942 begann die Dezentralisierung von Rüstungsbetrieben in größerem Maßstab und verstärkte sich bis etwa in das dritte Quartal 1944.[26] Ab 1943 wurden auch verstärkt Verlagerungen ins europäische Ausland vorgenommen, da man die dortige Luftbedrohungslage geringer einstufte als auf dem alten Reichsgebiet.[27]

 

2. Untertageverlagerung: Das Prinzip glich dem der oberirdischen Verlagerungen, jedoch lagen die neuen Produktionsräume in diesem Fall unter natürlichem oder künstlichem Bombenschutz. Die ersten Maßnahmen dieser Art begann das Deutsche Reich Mitte 1940 mit der Errichtung verbunkerter U-Boot-Werften an der Atlantikküste.[28] Vorhaben dieser Kategorie wurden bis zum Kriegsende fortgeführt.

 

3. Rückverlagerungen: Aufgrund der Kriegsentwicklungen an allen Fronten wurden vorher verlegte ober- und unterirdische Fertigungsstätten ab 1944 wieder zurück ins alte Reichsgebiet verlagert.[29]

 

Es war jedoch nicht möglich, jede Art von Fabrik zu verlagern. So blieb die Verlagerung der Stahl und Kohle verarbeitenden Industrien aufgrund der Größe ihrer Anlagen und ihrem permanenten Bedarf an Rohstoffen ausgeschlossen. Die Verlagerung von Komplexen dieser Größe hätte mehrere Jahre für sich in Anspruch genommen und große Mengen an Ressourcen verbraucht, während die eigentliche Produktion des Werkes aber still stand. Daher war es notwendig, die Regionen, in denen sich diese Branchen befanden, mit Kräften der Flugabwehr und durch die Stationierung von Jägerverbänden der Luftwaffe zu schützen. Da sich 70% der Stahl- und Kohleindustrie im Ruhrgebiet befanden, war konzentrierter aktiver Luftschutz auf relativ engem Raum möglich und dadurch effektiver als bei vereinzelt liegenden Werken. Die Produktionseinbußen und der Arbeitsaufwand zur Wiederherstellung durch Luftangriffe zerstörter Werksgebäude wurden gegenüber denen der Verlagerung als geringer eingestuft.[30]

 

2.2 Oberirdische Verlagerungen


 

Aufgrund der zunehmenden Luftangriffe erließ das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition gegen Ende 1942 eine grundsätzliche Weisung zur Dezentralisierung von Industriebetrieben:

 

„[..] zunehmende Stärke der feindlichen Luftangriffe […] beschleunigst

 

Vorkehrungen für die Verlagerung […] zu treffen.“

 

Die Verlegung von Produktionsstätten sollte entweder durch langfristige „Ausweichplanung“ oder umgehender „Sofortverlagerung“ stattfinden. Für die erstgenannte Methode waren zum Zeitpunkt des Erlasses zunächst 280 Betriebe verschiedener Branchen der Flugzeugindustrie vorgesehen. Die „Sofortverlagerung“ hingegen betraf vor allem „einzigartige“ Fertigungen, die für die gesamte Rüstungswirtschaft von zentraler Bedeutung waren.[31]

 

Viele Rüstungsunternehmen waren zunächst recht unwillig, oberirdische Verlagerungen vorzunehmen. Sie sahen aufgrund der Luftkriegssituation vorerst keine Notwendigkeit darin und befürchteten zudem hohe Produktionsausfälle.[32] Die Kapazität von Verlagerungsbetrieben wurde als eingeschränkt beurteilt, denn die kleineren Räumlichkeiten zwangen häufig zur Aufgabe der Massenfertigung.[33] Die Leistungsfähigkeit einer ausgelagerten Fertigungsstraße wurde um 25% geringer eingeschätzt als die einer regulären Produktionsabteilung.[34] Dieser Verlust konnte lediglich durch eine sehr hohe Anzahl von Verlagerungsstandorten ausgeglichen werden. Aufgrund zunehmender Luftangriffe im ersten Halbjahr 1943 revidierten viele Unternehmen jedoch ihre Meinung.[35] Nun erschien eine Produktionsverlagerung deutlich wirtschaftlicher als der Wiederaufbau zerstörter Werke.[36] Bereits im Juni war daher ein regelrechter Wettbewerb um die besten Verlagerungsräume entstanden.[37] Das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition übernahm daher wenig später die Koordinierung dieser Maßnahme. So sollten künftig die Unternehmen, das Rüstungsamt, das Rüstungslieferungsamt und technisches Amt gemeinsam über die Notwendigkeit der Verlagerung beraten und die Firmen sollten nicht mehr selbstständig verlagern.[38] Die oberirdische Dezentralisierung der bedeutendsten Fertigungen sollte in etwa einem Jahr abgeschlossen werden.[39]

 

Aufgrund der immens gestiegenen Verlagerungsanfragen reduzierte sich die Zahl der freien Räume erheblich. Firmen, die als weniger kriegswichtig eingestuft wurden, ließ man schließen. Ab 1944 fand dieses Verfahren verstärkt Anwendung[40] und es führte zur regelrechten Ausschaltung kleiner und mittelständischer Unternehmen: Zwischen September 1943 und Mai 1944 wurden über 1.700 Betriebe mit mehr als 220.000 Beschäftigten zugunsten der oberirdischen Verlagerung stillgelegt.[41] Ein weiteres Problem stelle die Unterbringung und Versorgung der Belegschaft dar, die durch die Betriebsverlagerung unumgänglich geworden war.[42] Dies führte bei der Bevölkerung aufnehmender Ortschaften oftmals zu Engpässen in der eigenen Versorgung.[43] Weitere Nachteile der oberirdischen Verlagerung waren mit der wachsenden Zahl und steigenden räumlichen Entfernung der Fertigungsabschnitte verbunden. So waren etwa 20% mehr Arbeitskräfte erforderlich,[44] das lokale Verkehrsnetz wurde stärker beansprucht und es dauerte weitaus länger, Modifikationen am Arbeitsprozess vorzunehmen.[45] Trotz der erwähnten Schwierigkeiten trug die oberirdische Verlagerung dazu bei, dass sich die Rüstungsproduktion, welche ab Sommer 1943 unter den stetigen Strapazen durch die an Umfang und Intensität zunehmenden alliierten Bomberoffensiven litt, bis September 1944 noch erheblich steigern konnte.[46] Allerdings hing der gesamte Erfolg oder Misserfolg der oberirdischen Verlagerungsmaßnahmen von einem besonderen Faktor ab: der Tarnung. Falls die alliierte Aufklärung neue Produktionsstandorte eines kriegswichtigen Unternehmens entdecken sollte, würden diese in absehbarer Zeit ebenfalls bombardiert werden. Um einer Entdeckung zu entgehen, besagte ein Geheimhaltungsgrundsatz, dass die eigentlichen Namen der Unternehmen im Zusammenhang mit deren Verlagerungsstätten nicht genannt werden durften; für sie wurden daher erfundene Firmennamen verwendet.[47] Trotz dieser und anderer Tarnmaßnahmen wurden zahlreiche dezentralisierte...

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