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E-Book

Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte

David Foster Wallace. Ein Leben

AutorDaniel Max
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl512 Seiten
ISBN9783462308419
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
»Wenn Sie Wallaces Werk lieben, müssen Sie dieses Buch lesen, lieben Sie Wallaces Werk nicht, müssen Sie es sogar unbedingt lesen!« Tom Bissell »Fiction's about what it is to be a fucking human being.« David Foster WallaceMit Unendlicher Spaß wurde David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der amerikanischen Literaturszene.2008 nahm sich der begnadete Schriftsteller das Leben.D.T. Max hat sich auf die Suche nach dem einzig wahren David Foster Wallace gemacht, herausgekommen ist dabei ein facettenreiches Porträt über einen Mann voller Widersprüche: Aufgewachsen als Sohn eines Collegeprofessors und einer grammatikfanatischen Englischlehrerin in einer Kleinstadt im Mittleren Westen, war er ein begabter Teenager, Tennis-Nerd und Klassenclown, später dann Überflieger, großer Stilist, die Stimme einer Generation. Es war ein Leben, geprägt von Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, Panikattacken und »der üblen Sache«, wie David Foster Wallace seine Depressionen selbst nannte - ein andauernder Tanz am Abgrund.Es ist ein Leben zwischen den Extremen, das D.T. Max auf der Suche nach David Foster Wallace gefunden hat: Mit all seinen Entdeckungen und Dramen, der Verliebtheit, der Liebe, der Langeweile, den Ängsten und Krankheiten, den Glücksfällen und Fehlentscheidungen, den Sehnsüchten - eine Geschichte von den dunkelsten und den hellsten Tagen.Mit Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte legt D.T. Max eine Biographie über David Foster Wallace vor, die sich liest wie ein Roman - ein unverzichtbares Buch!

D. T. Max, Absolvent der Harvard University, ist Redakteur beim New Yorker. Er ist Autor von The Family That Couldn't Sleep: A Medical Mystery und lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern in der Nähe von New York.

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Leseprobe

Kapitel 1 »Nennen Sie mich Dave«


Jede Geschichte hat einen Anfang, und so fing die Geschichte von David Wallace an: Er wurde am 21. Februar 1962 in Ithaca, New York geboren. Sein Vater James war Doktorand der Philosophie in Cornell und kam aus gehobenen Verhältnissen. Davids Mutter Sally Foster stammte aus einer ländlicheren Gegend, ihre Familie verteilte sich auf Maine und New Brunswick, ihr Vater war Kartoffelbauer. Vom Großvater, Pastor einer Baptistengemeinde, hatte sie mit der Bibel lesen gelernt. Nachdem sie mit einem Stipendium ein Internat besucht hatte, ging sie ans Mount Holyoke College, um Englisch zu studieren. Sie wurde Vorsitzende der Studentenvertretung und erreichte als erstes Mitglied ihrer Familie einen Bachelor.

Als Jim und Sally zwei Jahre nach David ihre Tochter Amy bekamen, wohnte die Familie bereits in Champaign-Urbana, Zwillingsstädten mitten in Illinois und Heimat der wichtigsten öffentlichen Hochschule des Staats. Die Familie war nicht gerne aus Cornell weggezogen – Sally und Jim mochten das hügelige Umland dort sehr –, aber die Philosophische Fakultät der Universität hatte Wallace eine Stelle angeboten, die er nicht ablehnen konnte. Bei der Ankunft war das Paar verblüfft, wie trostlos ihre neue Stadt wirkte, wie flach und schmucklos. Dafür wurde Jim bald eine unbefristete Professur in Aussicht gestellt, Sally schrieb sich wieder ein, um ihren Master in englischer Literatur zu machen, und 1969 kauften sie schließlich ein zweistöckiges gelbes Häuschen in einer kurzen Straße nahe der Universität. Nur wenige Straßen trennten sie von Feldern voller Mais und Sojabohnen, von Ackerland, so weit das Auge reichte, und einem endlosen Horizont.

Hier wuchsen Wallace und seine Schwester wie die anderen Kinder der Gegend in einem Zuhause auf, in dem viel Wert aufs Lernen gelegt wurde. Daneben herrschten die typischen Werte des Mittleren Westens wie Normalität, Güte und Gemeinschaftssinn. Angeberei wurde nicht gerne gesehen, dagegen war Freundlichkeit wichtig. Die Familie Wallace lebte in einem bescheiden großen Haus mit Blick auf andere bescheiden große Häuser. Die Nachbarn waren nie weit weg, und wie sich ein Freund erinnert, waren die Kinder des Viertels meist in Cliquen auf ihren Fahrrädern unterwegs. Und man konnte fast meinen, in dieser Zeit hieße jeder zweite Junge David.

Nach dem Unterricht in der Yankee Ridge Elementary School wurden Hausaufgaben gemacht. Um Viertel vor sechs aß die Familie zu Abend. Danach las Jim Wallace den Kindern Geschichten vor. Jeden Abend war für Amy und David je eine Viertelstunde reserviert, in der sie in ihren Betten mit Sally über alles reden konnten, was sie beschäftigte. Um halb neun, mit den Jahren dann später, wurde das Licht ausgeschaltet. Wenn die Kinder schliefen, unterhielten sich die Eltern, erzählten sich ihre Neuigkeiten und sahen um zehn Uhr die Abendnachrichten, bevor Jim um Punkt halb elf das Licht ausknipste. Jede Woche brachte er aus der Bibliothek einen Stapel Bücher mit. Sally suchte sich am liebsten Romane aus, von John Irving bis hin zu typischer Collegelektüre, die sie noch einmal las. In Davids Augen lief der Haushalt wie eine perfekte, gut geölte Maschine; er erzählte später in Interviews, er könne sich daran erinnern, wie seine Eltern Händchen haltend im Bett lagen und sich gegenseitig aus Ulysses vorlasen.

Davids ganze Welt drehte sich um seine Mutter. Sie verwöhnte ihn mit seinen Lieblingsgerichten Roastbeef und Makkaroni mit Käse, backte für seinen Geburtstag Schokoladenkuchen und kutschierte die Kinder in ihrem VW-Käfer, der nach einem Unfall durch einen AMC Gremlin ersetzt wurde, durch die Gegend. Sie kochte an Davids Geburtstag Bœuf Bourguignon und nähte Schildchen in seine Kleidung (die Wallace zum Teil noch im College trug).

Niemand hörte David so zu wie seine Mutter. Sie war klug und witzig, er konnte ihr alles anvertrauen und übernahm von ihr die Liebe zur Sprache. Selbst, als er später mit den Nachwirkungen seiner Kindheit zu kämpfen hatte, sprach er immer voller Zuneigung von der Leidenschaft für Wörter und Grammatik, die seine Mutter ihm mitgegeben hatte. Wenn es für etwas kein Wort gab, erfand Sally Wallace es: »Griebel« waren kleine Fusseln, vor allem die, die man an den Füßen ins Bett schleppte, »twanger« waren Dinge, deren Namen man nicht kannte oder die einem gerade nicht einfielen. Wenn sie starke Abneigung oder Angst vor etwas beschreiben wollte, fand sie es »zum Jaulen«, und um es zu steigern, bekam sie das »zuständige Jaulen«. Solche Wörter und Wendungen fanden wie vieles aus Wallaces Kindheit den Weg in seine Texte.

Auf Außenstehende konnte Sallys Begeisterung für den korrekten Sprachgebrauch extrem wirken. Wenn jemandem am Esstisch ein Grammatikfehler unterlief, hustete sie so lange in ihre Serviette, bis der Sprecher seinen Fehler bemerkte. Sie beschwerte sich jedes Mal, wenn sie in einem Supermarkt ein Schild mit der Aufschrift KEINE SCHECK’S entdeckte. (Wallace schrieb diesen Feldzug im Unendlichen Spaß der lüsternen Mutter Avril Incandenza zu, der Mitbegründerin der »Militanten Grammatiker von Massachusetts«.) Sally betrachtete Grammatik nicht nur als Werkzeug, sie war die Eintrittskarte in den Club der Gebildeten. Die Vorstellung, bei jeder Äußerung stünde so viel auf dem Spiel, faszinierte David und machte es noch aufregender, eine begabte Mutter zu haben. Dazu trug auch ihre Feinfühligkeit bei – Sally konnte Geschrei nicht ausstehen. Wenn sie sich über etwas geärgert hatte, schrieb sie einen Zettel. Und wenn David oder Amy etwas entgegnen wollten, schoben sie die Antwort auf einem Briefchen unter ihrer Tür durch. Wallace entwickelte schon als kleiner Junge feine Antennen für heikle Gemütslagen. In dem kurzen Gedicht, das er mit fünf Jahren schrieb, klingen die Seufzer seiner Mutter durch:

Immer fleißig ist meine Mutter,

Und für Brot braucht sie Butter.

Sie macht das Bett. Und backt das Brot.

Und ist das geschaft,

Ist sie halp tot.

Ebenso hing der Junge an seinem Vater, einem liebevollen, wenn auch etwas zerstreuten Menschen, einem beständigen, freundlichen Mann, der ihm jeden Abend am Esstisch vorlas. »Mein Vater hat eine wunderbare Lesestimme«, erzählte Wallace mit Mitte dreißig in einem Interview,

und ich weiß noch, als ich fünf war und Amy drei, hat er uns Moby Dick vorgelesen – und zwar ungekürzt. Bevor – ich glaube, etwa nach der Hälfte nahm Mom ihn beiseite und erklärte ihm, dass, ähm, sich kleine Kinder nicht gerade rasend für, Sie wissen schon, für Cetologie interessieren. Ähm, also haben sie – aber ich glaube, am Ende musste Amy nicht weiter zuhören. Und bei mir war es nur nach dem Motto: »Dad, ich habe dich lieb. Ich bleibe hier sitzen und höre dir zu.«

Die Erinnerung war überzeichnet – Wallaces Vater sagt, ihm sei schon klar gewesen, dass man kleinen Kindern nicht Moby Dick vorlas, schon gar nicht die langweiligeren Stellen –, aber sie veranschaulicht, wie David die Beziehungen innerhalb der Familie wahrnahm: der freundliche Vater, nicht ganz von dieser Welt, die fügsame kleine Schwester und im Mittelpunkt David, der von seiner Mutter behütet wurde und gleichzeitig versuchte, sich von ihr freizukämpfen.

Wallace hatte eine glückliche, normale Kindheit, das betonte er später mehrfach. Er war ein dünner Junge mit Zahnlücken, schlaffen Haaren und Pony. Er mochte die Chicago Bears, war von ihrem Star-Linebacker Dick Butkus begeistert (er würde »einen großartigen Sergeant im Vietnamkrieg« abgeben, schrieb er in einem Schulaufsatz) und wollte selbst Footballspieler werden. Oder Gehirnchirurg, um seiner Mutter mit ihren Nerven zu helfen. Er fand sich selbst normal – und war es auch. Gleichzeitig merkte man ihm an, dass er aus einer begabten Familie stammte, die, ähnlich wie Salingers Familie Glass, ihre Gedankenwelt mit großer Freude auf die echte übertrug. »Zuhören«, befahl ihm seine Mutter einmal, als er drei Jahre alt war. »Ich bin doch zu hören«, antwortete David. Als er acht oder neun war, machte die Familie bei einer Autofahrt aus, in ihrem Gespräch die Silbe »pi« jedes Mal durch »3,14159« zu ersetzen. Wallace konnte mit Sprache spielen, aber sie war nicht das Wichtigste für ihn; er fand, Logik und Rätsel würden ihm wenigstens genauso liegen. Ein Freund aus Kindertagen besuchte als Erwachsener eine Signierstunde von Wallace und war verblüfft, als sein Freund immer noch die fünfundzwanzigstellige Zahl herunterrasseln konnte, die sie als Kinder zusammen auswendig gelernt hatten.

In einer autobiografischen Skizze etwa aus dem vierten Schuljahr schrieb er:

Dunkle, mittellange Haare dunkelbraune Augen […] Mag Tauchen, Football, Fernsehen, Lesen. Größe 140 cm Gewicht 31½ Kilo.

Unter solchen knappen Entwürfen probierte Wallace gern Unterschriften aus: Dave W. David W. »Hi«, stellte er sich mit neun in einem Brief an einen Lehrer vor. »Ich heiße David W. Aber nennen Sie mich einfach Dave.« »David Foster Wallace« setzte er über ein Gedicht über Wikinger, als er sechs oder sieben war (»Würdest du heute einen Wikinger sehen / wäre es besser, ihm aus dem Weg zu gehen«), um zu sehen, ob der Mädchenname seiner Mutter in seinen Namen passte.

Auch die Texte, die Wallace als Kind schrieb, waren größtenteils durchschnittlich, aber wenn sich die Gelegenheit bot, kam sein Humor zum Vorschein. Er hatte eine Vorliebe für Parodien. »Fruchtkringel«, fabulierte er in einer...

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