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E-Book

Joseph Haydn

Das unterschätzte Genie

AutorFrank Huss
VerlagHollitzer Wissenschaftsverlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl196 Seiten
ISBN9783990121115
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Joseph Haydns (1732-1809) große Bedeutung als Schöpfer der Wiener Klassik ist heute unbestritten und es ist längst an der Zeit, dass er aus dem Schatten Mozarts und Beethovens heraustritt. Die vorliegende Biografie soll, basierend auf den neuesten Forschungen, das Leben dieses ungewöhnlichen Komponisten anschaulich darstellen und durch Hinzuziehung teilweiser noch unveröffentlichter Quellen, das Bild des niederösterreichischen Genies in einem neuen Licht zeigen.

Dr.phil. Frank Huss, Jahrgang 1971, studierte Musikwissenschaft, Geschichte und Germanistik an der Universität Wien. Er schrieb eine Reihe von historischen Sachbüchern. Derzeit unterrichtet er als Lehrer an einem Wiener Gymnasium und arbeitet nebenbei als Journalist für mehrere historische Zeitschriften und Magazine.

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Leseprobe

KAPELLSÄNGER AM WIENER STEPHANSDOM –
EIN KASTRAT SOLL ER WERDEN


Damals waren am Hofe und an den Kirchen in Wien noch viele Kastraten angestellt, und der Vorsteher des Kapellhauses glaubte ohne Zweifel des jungen Haydns Glück zu gründen, wenn er mit dem Plane, ihn sopranisieren zu lassen, umging, und auch wirklich den Vater um seine Einwilligung befragte.5

(Georg August Griesinger)

SCHULZEIT IN HAINBURG


Eines Tages kam Johann Mathias Franck (1708–1783), Schulrektor und Chorregent im benachbarten Hainburg und gleichzeitiger Ehemann der Halbschwester von Haydns Vater, zu den Eltern Haydns auf Besuch. Als dann abends wieder einmal alle im fröhlichen Kreise musizierten, wurde Franck auf Joseph aufmerksam, als er sah, wie der kleine Haydn neben seinen Eltern sitzend einen Geiger nachahmte, indem er „einen Stab auf dem linken Arme“6 strich. Franck war augenblicklich vom musikalischen Talent des Knaben überzeugt und machte den Eltern den Vorschlag, ihn auszubilden.

Der Dorfschullehrer nahm den Fünfjährigen daraufhin im Jahre 1737 ins nahe Hainburg mit, wo er ihn in sein Haus aufnahm. Joseph besuchte in der Folge als eines von insgesamt 70 Kindern den Unterricht Francks in einem Raum des Schulgebäudes, das neben Francks Dienstwohnung im Erdgeschoss auch ein Wirtshaus beherbergte. Das Leben war hart für die Schulkinder. Der Unterricht begann um sieben Uhr morgens und dauerte bis 10.00 Uhr. Um diese Zeit wurde die Heilige Messe besucht und dann ging es zum Mittagessen nach Hause. Der Unterricht ging dann am Nachmittag weiter. Die Eltern Haydns waren froh über diese Chance für ihren Sepperl, schienen sie für ihren ältesten Sohn doch anfänglich von einer Laufbahn als Geistlichem geträumt zu haben. Neben dem Lesen, Rechnen und Schreiben erhielt der kleine Haydn auch Unterricht in Gesang, lernte ferner Geige, Orgel, Cembalo und Pauke, seinem Lieblingsinstrument, das er auch später noch mit Vorliebe schlug, wann immer er konnte:

Frank war durch den Tod seines Paukenschlägers in große Verlegenheit gesetzt worden. Er warf sein Auge auf Joseph, der sollte in der Eile die Pauken schlagen lernen, um ihn aus der Verlegenheit zu ziehen. Er zeigte Joseph die Vorteile im Schlage und ließ denselben nunmehr allein. Joseph nahm einen kleinen Korb, wie ihn die Landleute zum Brotbacken gebrauchen, überspannte denselben mit einem Tuche, stellte seine Erfindung auf einen mit Tuch beschlagenen Sessel und paukte mit so vielem Enthusiasmus, daß er nicht bemerkte, wie das Mehl aus dem Körbchen herausstaubte und der Sessel zugrunde gerichtet wurde. Er bekam dafür einen Verweis, doch war sein Lehrer leicht besänftigt, als er mit Erstaunen bemerkte, daß Joseph so geschwind ein vollkommener Paukenschläger geworden […]7

Joseph sang während jener Zeit einige Male im Zuge kirchlicher Hochämter in Messen mit und erhielt demnach in diesen frühen Jahren einen ersten Einblick in die Kirchenmusik, die er später auch schätzen sollte. Wie jeder Dorfschullehrer, so hatte nämlich auch Johann Mathias Franck die Aufgabe, neben seiner Tätigkeit als Pädagoge auch den Kirchenchor samt Kirchenmusik zu leiten. Abgesehen davon war es für ihn eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle zu seinem mehr als dürftigen Schulmeistergehalt. Besonders die für aus Anlass hoher kirchlicher Festtage komponierten feierlichen Messen oft verwendete Tonart C-Dur faszinierte den jungen Joseph und schien ihm im Gedächtnis geblieben zu sein. Ebenso wie der Brauch, gerade in solchen C-Dur-Messen verstärkt Pauken und Trompeten einzusetzen. Denn später sollte er diese Tonart häufig für eigene Messkompositionen verwenden.

Zusätzlich dürfte Haydn ab und an dem Schulmeister zugesehen haben, wie er an Sonntagen nach den Gottesdiensten, wieder um sich sein dürftiges Gehalt aufzubessern, im hauseigenen Wirtshaus zu den Frühschoppen aufspielte.

Letztlich sollte Haydn etwas über drei Jahre im Hause Francks verbringen. Am Ende seines Lebens gestand er Griesinger gegenüber Folgendes über diese offenbar nicht immer angenehme Phase seines Lebens und seinen einstigen Lehrer: „Ich verdanke es diesem Mann noch im Grabe […] daß er mich zu so vielerley angehalten hat, wenn ich gleich dabey mehr Prügel als zu essen bekam.“8

Dann aber sollte Haydn durch einen glücklichen Umstand eine weitere wichtige Stufe auf dem Weg zum großen Komponisten erklimmen können.

WIENER SÄNGERKNABE


Als Georg Reutter, der damalige Kapellmeister des Wiener Stephansdomes, 1739 auf der Suche nach neuen Sängerknaben durch Hainburg kam, stellte ihm der stolze Franck seinen Schüler Joseph Haydn vor. Als der Kapellmeister sah, dass der Knabe beim Singen selbst die schwierigsten Passagen bewältigen konnte, engagierte er den jungen Haydn mit dessen schöner Sopranstimme für seinen Chor am Stephansdom. Haydn war damals sieben Jahre alt. Albert Christoph Dies berichtet über diese Begegnung:

Joseph wurde herbeigerufen. Er erschien. Reutter fragte ihn: „Büberl, kannst du einen Triller schlagen?“ – Joseph mochte der Meinung sein, es sei nicht erlaubt, mehr zu können als andere ehrliche Leute. Er beantwortete daher die Frage mit den Worten: „Das kann ja der Schulmeister auch nicht.“

„Schau“, erwiderte Reutter, „ich will dir einen Triller vormachen; gib recht acht, wie ich ihn mache! Öffne den Mund sehr mäßig, halte die Zunge still, ohne Bewegung; singe langsam einen Ton und dann, ohne abzusetzen, den daneben liegenden; dann wieder den ersten […] Kaum hatte er denselben geendigt, so stellte sich Joseph mit der größten Freimütigkeit vor ihn hin und schlug nach höchstens zwei Versuchen einen so vollkommenen Triller, daß Reutter vor Verwunderung „Bravo!“ ausrief, in die Tasche griff und dem kleinen Virtuosen einen Siebzehner schenkte […] Reutter gab dem Vater die tröstende Zusage: er wolle für des Knaben Fortkommen sorgen, doch sei derselbe noch zu jung zu seinem Vorhaben, müsse bis zum vollendeten achten Jahre warten, bis dahin fleißig die Tonleiter singen, um die Stimme rein, fest und geläufig zu bilden.9

Johann Georg Reutter der Jüngere wurde am 6. April 1708 in Wien als Sohn des gleichnamigen Organisten und Komponisten geboren. Den ersten Musikunterricht bekam er von seinem Vater. 1726 trat er erstmals als Organist im Frauenkloster zur Himmelpforte auf. Seine Bemühungen, als Hofscholar in die kaiserliche Hofkapelle aufgenommen zu werden, scheiterten an Johann Joseph Fux (1660/61–1741), dem mächtigen ersten Hofkapellmeister Kaiser Karls VI. 1729 oder 1730 reiste Reutter jedenfalls nach Italien und hielt sich dort nachweislich in Venedig und Rom auf. 1731 kehrte er nach Wien zurück, erhielt nun auch seine erstrebte Anstellung bei Hof als Hofkomponist mit einem Jahresgehalt von 600 Gulden und heiratete die Sängerin Ursula Theresia Hozhauser. In den folgenden Jahren komponierte er hauptsächlich dramatische Werke für den Wiener Hof. Insgesamt wurden bis 1740 38 Opern und Serenate von ihm aufgeführt. Somit war er nach Antonio Caldara (1670–1736) in Wien der fruchtbarste Komponist jener Zeit. 1738 wurde Reutter als Nachfolger seines Vaters Erster Kapellmeister am Stephansdom und reiste in dieser Funktion durch das damalige Österreich, um singbegabte Knaben wie Joseph Haydn aufzuspüren. Im Jahre 1740, als Haydn Mitglied der Kapelle des Stephansdoms wurde, erhielt Reutter vom Kaiser auch den Adelstitel. Nach dem Tod von Johann Joseph Fux, der ihn offenbar nicht sehr schätzte, machte Reutter auch bei Hof Karriere. 1747 wurde er kaiserlicher Vizehofkapellmeister und schon 1751 übernahm er die alleinige Leitung der Hofkapelle unter Kaiserin Maria Theresia. Reutter starb hoch angesehen am 11. März 1772 in Wien.

Im Jahre 1740 wurde Haydn dann, als er alt genug war, als Chorknabe in das Konvikt des Wiener Stephansdomes aufgenommen. Gemeinsam mit fünf anderen von Reutter entdeckten Chorknaben wohnte er in der Folge im Kapellhaus, der 1803 abgerissenen Kantorei, des Domes von St. Stephan, in dem auch Reutter seine Dienstwohnung hatte. Die musikalische Welt Wiensv war zu jener Zeit gerade in einem Wandel befindlich. Der Tod der beiden kaiserlichen Hofkapellmeister Johann Joseph Fux und Antonio Caldara, Zweiterer war auch Lieblingskomponist Karls VI., beschleunigte den Wechsel vom altmodischen strengen Barockstil hin zum empfindsamen und galanten Stil der Frühklassik. Zudem hatte der junge Haydn in Wien die Möglichkeit, sämtliche Sparten der Musik kennenzulernen. In den Kirchen erklangen diverse sakrale Werke (Tedeum, Messe, Requiem, Oratorium oder Passion), in den Adelspalästen betrieb man Kammermusik, in den vielen Theatern der Reichs-, Haupt- und Residenzstadt wurden Opern aller Arten (seria, buffa und Deutsches Singspiel) gegeben und in den Gassen tummelten sich Straßenmusiker, die die volkstümlichen Hits jener Zeit wiedergaben. Genau der Platz also für jemanden, der die Musik zu seinem Beruf machen will.

Besonders wird den jungen Haydn im Zuge seines Dienstes am Wiener Stephansdom beeindruckt haben, welchen großen Aufwand Kaiser und Hof in religiösen Dingen trieben. Wie mächtig die Kirche zu jener Zeit noch war, zeigt der Bericht, den uns Johann Mattheson (1681–1764) in seinem Vollkommenen Capellmeister über Ignazio Maria Conti (1699–1759), einen kaiserlichen Hofmusiker und Sohn des berühmten kaiserlichen Hofkomponisten Francesco Bartolomeo Conti (1682–1732), der im September 1730 in Wien einen sizilianischen Priester verprügelte, überlieferte:

[…] Am 10. September ist zu Wien der Kaiserliche Compositore di Musica […] Conti10, vermöge des, von dasigem Consistorio über ihn erkannten...

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