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E-Book

Keine Kinder sind auch keine Lösung

Recht und Beistand für Familien

AutorNina Katrin Straßner
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl301 Seiten
ISBN9783732540686
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

'Bekommt endlich mehr Kinder', tönt es seit Jahren aus aller Munde. Sind die dann aber da, haben wir den Salat. Im Beruf werden Mütter und geltende Gesetze ausgebremst. Väter, die mehr als zwei Monate Elternzeit nehmen, sind auch weg vom Fenster. Und wenn die Eltern ihren Kummer im Biergarten ertränken wollen, nagelt einer ein Schild an den Eingang: 'Kinder verboten!'

Nina Straßner sagt, was wir tun können. Die Juristin lotst Eltern mit leichter Feder durch alles Gesetzliche und erklärt, wann wir Arbeitgeber belügen dürfen, warum sich tobende Kinder im Supermarkt rechtlich einwandfrei benehmen und weswegen übergewichtige Königspinguine ein optimales Rollenbild abgeben.




Nina Katrin Straßner ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Fachanwältin für Arbeitsrecht. Da es sich in den deutschen Gerichtssälen nicht schickt, statt "diese Auffassung entbehrt jeglicher Grundlage" einfach mal laut "F*ck you very much" zu brüllen, musste sie dieses Buch schreiben. Außerdem bloggt sie als Juramama und schreibt eine Kolumne für die Brigitte Mom. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Kiel.

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Leseprobe

NEULICH VORM KÜHLREGAL


»Sind wir bald fertig? Ist bald Wochenende?
Ist wenigstens gleich Freitag? Warum ist Montag?
Wie lange dauert der noch? Ich muss mal.«

Deutschland ist schön. Der Blick aus dem Autofenster lässt keine andere Feststellung zu. Während wollige Schafe und wogende Birken an mir vorbeiziehen und die Kinder auf dem Rücksitz aus Versehen eingeschlafen sind, nicke auch ich ein und träume von unserem vergangenen Urlaub.

Schirmchencocktails mit Zuckerrand am Strand unter Palmen, kredenzt von einem höflichen All-inclusive-Hotelangestellten mit entzückendem Akzent. Vertieft in einen 1200-Seiten-Roman muss ich mich nur vom hauseigenen Fitnesstrainer unterbrechen lassen, der immer wieder mal vorbeigemuskelt kommt, um mich zu einem Einsteiger-Tai-Chi-Kurs vor dem zweiten Obstgartenfrühstück zu überreden. Formvollendeter Sex vor und nach dem in ehelicher Zweisamkeit servierten Dinner bei Kerzenschein in sündhaft teuren und am Po nicht einschneidenden Dessous mit Blick auf den Ozean durch weiße, wehende Vorhänge. Das Leben, wie es sein sollte.

Mein Tagtraum wurde leider jäh durch einen ohrenbetäubenden Freudenschrei beendet. Die Kinder haben das goldene M entdeckt und fordern energisch ein »Käsebrötchen«. Das ist unser Codewort für Cheeseburger. Ein Code war notwendig, damit unsere Kinder im Waldorfkindergarten-Morgenkreis nicht unangenehm auffallen, wenn sie von ihrem Lieblingsessen berichten.

Während mein Mann unsere Bestellung in den Lautsprecher hineinschreit, erinnere ich mich wieder. Ich bin weder gerade aus einem Ferienbomber gestiegen noch habe ich einen einzigen Bikinistreifen oder Ahnung von Tai-Chi. Ich habe massive Augenringe, sitze auf dem Beifahrersitz eines Kleinbusses und kehre gerade aus dem fünftägigen Dänemarkurlaub und somit auch von dem obligatorischen Legolandbesuch zurück. Statt eines Cocktails von Pedro in der Abendsonne servierte mir ein bleicher Däne zum Dinner nach zwanzig Minuten Wartezeit in der Imbissschlange überteuerte Wiener Würstchen, die »Pölser« heißen, und auch so aussehen, in einem geschmacksneutralen Wattebrötchen. In der Hatha-Yoga-Position »Würgender Schakal« erbrach ich schon am ersten Urlaubstag den schwarzen Frühstückskaffee vollkommen reizüberflutet am Ausgang der Stroboskop-Achterbahn auf meinen Regenmantel und schlief abends schneller ein, als man Sex überhaupt hätte buchstabieren können. Ich will meinen Tagtraum zurück!

Noch während meine Tränen trocknen, kommen wir endlich zu Hause an. Hier ist seit unserer Abreise nicht mal ein Tag vergangen. Sagt die Ofen-Uhr und lügt wie gedruckt. Der Strom war tagelang ausgefallen, und der Kühlschrank bildet eine müffelnde Insel inmitten eines Meers aus geschmolzenem Tiefkühleis. Die Kinder haben sich ihre Gummistiefel angezogen und möchten ausschließlich in der Küche Findet Nemo spielen. Mein Mann muss spontan ins Büro und hat irgendeine Erklärung für seinen überstürzten Aufbruch, die im Freudengeheul der Kinder untergeht.

Die Folge dieser Situation kennt jede Mutter, die sich einem Wochenende ohne Milch und Brot und deutschen Ladenöffnungszeiten gegenübersieht: Einkaufen mit Kindern. Der wahre Tough-Mudder-Contest, nur ohne Schlamm, ohne heroische Schwitze-Poser-Fotos mit 200 Facebook-Likes und ohne Siegersause am Abend. Die Koffer sind noch nicht mal ausgepackt, da sitzen alle schon wieder im Auto.

Bereits auf der Fahrt zum Supermarkt tritt der Fünfjährige in eine präpubertäre Punk-Phase ein: »Haste mal ’n Euro?«, bettelt er mich an. Er will den trötenden und blinkenden Polizeihubschrauber vor dem Eingang des Geschäfts in Bewegung setzen. Allein das Vorhandensein dieses Folterinstruments verlängert jeden Einkauf mit Kindern bereits um mehrere Minuten, bevor er überhaupt begonnen hat. Routiniert verweigere ich meinem Sohn eine Geldspende, was er ebenso routiniert scheiße findet und verkündet, mich nicht zu seinem anstehenden Kindergeburtstag einzuladen.

Angekommen auf dem halbvollen Parkplatz, möchte die Zweijährige nicht so gerne aus dem Auto aussteigen. Sie klammert sich an ihren Sitz und tritt aus wie ein Esel. Sie hat ihre Handtasche zu Hause vergessen und möchte außerdem ihre Gummistiefel nicht wieder anziehen. Als ich meine mehrfach preis- und erfolggekrönte One-Woman-Show: »Dann musst du eben im Auto bleiben, dann geht die Mama jetzt ohne dich einkaufen, und dann bekommst du auch keine Scheibe Gelbwurst von dem netten Fleischmann!« gerade effektvoll mit Autotürschließen beenden möchte, erklärt mir ein Passant, dass man Kinder keinesfalls alleine im Auto belassen dürfe. Dies stehe im Grundgesetz. Was für ein beeindruckender Weitblick unserer Gründerväter von 1949, finde ich, und verzichte auf ein Fachgespräch. Der Mann bleibt vor meinem Auto stehen und kontrolliert selbstzufrieden, wie ich das tobende Kind aus dem Kindersitz ziehe, ohne mit der Seitentür das nebenstehende Auto zu zerbeulen. Die vorhandenen Eltern-Kind-Parkplätze haben übrigens aus diesem Grund eine Überbreite, sind aber grundsätzlich von Fahrzeugen ohne Kindersitz besetzt.

Der Fünfjährige ist zwischenzeitlich geflohen. Die Zweijährige findet ihn im Hubschrauber und ist darüber so stolz, dass sie vergisst, dass sie nicht aussteigen wollte. Ihr Bruder reißt unkoordiniert am Steuerknüppel und wirft sich wie in einer Gummizelle darin hin und her, um irgendeine Bewegung zu erzeugen. Mein neuer Freund, der Hüter des Grundgesetzes, weiß erneut Rat und teilt meinem Sohn freundlich, aber bestimmt mit, dass seine Mama da einen Euro reinwerfen müsse, sonst gehe das Spielzeug doch kaputt.

Er ist so ein kluger Mann.

Ich wiederstehe dem Impuls, ihn mit zu meinem Sohn in den Hubschrauber zu falten und 100 Euro reinzuwerfen.

Mein Sohn lässt sich von dem Versprechen aus dem Hubschrauber locken, dass er einen eigenen Einkaufswagen haben dürfe und die Milch alleine an die Kasse fahren und bezahlen könne. Die Zweijährige möchte nun natürlich auch einen eigenen Einkaufswagen haben, und natürlich ist nur noch einer da. Sie bricht schreiend zusammen und liegt mit dem Gesicht nach unten in der Lichtschranke der Automatiktür. Ich erwäge einen Exorzisten zur Hilfe zu rufen, als sie sich nicht mal von den schließenden Glastüren an ihrem Windelhintern beeindruckt zeigt und einfach weiterbrüllt. Um seinen Triumph voll auszukosten, umkreist der Fünfjährige seine Schwester noch zweimal mit seinem Einkaufswagen und beginnt dann ein Gespräch mit dem Tageszeitungs-Abo-Mann an seinem Stand. Ja, er wolle durchaus sehr gerne eine Zeitung abonnieren, aber nur wenn dort Bilder von Autounfällen oder Flugzeugabstürzen abgebildet seien. Dem Abo-Mann ist sein Mitleid mit dem offensichtlich traumatisierten Kind ins Gesicht geschrieben, und er schenkt ihm eine Fernsehzeitung mit Brüsten auf dem Cover und ein Feuerzeug. Meine Tochter möchte auch ein Feuerzeug haben. Ich möchte diese Brüste haben. Ich gebe beide Feuerzeuge dankend zurück, die Brüste behalten wir.

Aus den Lautsprechern des Supermarkts tönt »Stayin’ Alive« von den Bee Gees. Meine Kinder hassen mich jetzt schon – und wir sind noch nicht mal in der Nähe der Pixi-Buch-Schüssel des Spielwarenregals.

Unter Gewaltanwendung stopfe ich die störrische Zweijährige in den Kindersitz des großen Einkaufswagens. Eine ältere Miteinkäuferin missbilligt mein ruppiges Vorgehen und schlägt vermutlich so etwas Zielführendes wie »Kommunikation« vor. Meine Tochter schreit so laut, dass ich die Dame mit den Trekkingsandalen und dem praktischen Haarschnitt leider nicht gut hören kann. Jedoch kann ich sehr gut Lippen lesen, seit Benjamin Blümchen täglich im Kinderzimmer den Dezibelwert eines startenden Düsenjets überschreitet. Ich lächle und nicke, lächle und nicke – und hoffe, sie erwischt die Schale mit den schimmeligen Erdbeeren.

Meine Tochter trägt noch immer keine Schuhe, akzeptiert aber gönnerhaft ein Limettennetz als Handtaschenersatz. Sie schaltet ihr Temperament zwei Stufen runter, ich entlasse sie aus ihrem Sitzgefängnis, und sie catwalked fröhlich mit den Limetten lässig in der Armbeuge durch die Gemüseabteilung. Der Fünfjährige hat zwischenzeitlich die Milch gefunden und stellt sie mittig auf die Packung Eier, die er bereits in den Wagen gelegt hat. Recht zivil erreichen wir das Kühlregal, wo unsere Beziehung erneut auf eine harte Probe gestellt wird.

Nicht nur in Sicht-, sondern sogar in optimaler Griffhöhe für dicke Kleinkindärmchen hat der Konsumberater des Supermarkts die Fruchtzwerge und Kinder-Schoko-Puddings platziert. Das sind sehr teure Lebensmittel, die Eltern nicht kaufen möchten. Deswegen sind Disneymäuse oder glubschäugige Kühe auf den Deckeln aufgedruckt. Meine Kinder schalten sofort auf Angriff. Der Fünfjährige und ich nehmen konzentriert unsere Kampfhaltungen ein. Die Playlist spielt uns als Einmarschmusik »The Heat Is On«. Ich bin Favorit, denn meine Brüder verpassten seinerzeit nicht einen einzigen WrestleMania-Kampf von Hulk Hogan, und ich dachte »Hauptsache fernsehen«. Mein entschlossener »Bear Hug« hebt den Fünfjährigen dann auch erst mal von den Füßen, aber als ich zu einer »Crossed Hand of God« ansetzen möchte, kontert der Kleine geschickt mit einem »Crossface Chickenwing« und bringt mich schließlich mit einem perfekten »Side Slam« aus dem Gleichgewicht. Er legt den Fruchtzwerg in den Einkaufswagen. Ich ziehe meine Trumpfkarte, den »Mommy War Hammer«. Hierbei handelt es sich um eine hocheffektive und populäre Psychokampftaktik, die aus verzerrtem Gesicht und zwischen den Zähnen hervorgepressten Drohungen besteht. In diesem Fall stelle ich ihm zischend in Aussicht, den Fernseher nur noch...

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