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Kritik üben

Die Kunst des feinen Urteils

AutorAnthony O. Scott
VerlagCarl Hanser Verlag München
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783446256262
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Wir alle sind Kritiker. Ob im Kino, im Restaurant oder beim Fußball, wir wissen sofort genau, was gut war und was in die Hose gegangen ist. Und wir machen unser Urteil auch gleich in allen möglichen Medien öffentlich: Daumen rauf, Daumen runter. Reicht das? A. O. Scott, in der 'New York Times' für die Filmkritik verantwortlich, hat da so seine Zweifel. Er plädiert dafür, die Kritik als eine Kunst zu betrachten. Nicht der spontane Reflex zählt, sondern die fundierte Kenntnis, dazu das genaue Argument, das zu einem begründeten Urteil führt. Langweilig? Überhaupt nicht. Das feine Urteil als hohe Kunst betrieben macht unsere Gespräche interessanter, egal, ob es um Romane oder um Rotwein geht.

Jahrgang 1966, US-amerikanischer Filmkritiker und Journalist. Seit 2004 leitender Filmkritiker bei der New York Times und Professor für Filmkritik an der Wesleyan University. A.O. Scott lebt in Brooklyn, New York. Bei Hanser erscheint im Februar 2017 Kritik üben. Die Kunst des feinen Urteils.

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Leseprobe

 

 

Einleitung:

 

Was ist Kritik?

 

(Ein einführender Dialog)

 

 

F:  Was hat Kritik für einen Sinn? Wozu sind Kritiker gut?

A:  Das sind die großen Fragen! Die naheliegenden Fragen jedenfalls. Aber sie sind nicht genau gleichbedeutend.

 

F:  Ist denn Kritik nicht einfach alles das, was Kritiker machen?

A:  Sicher. Und jeder, der kritisiert, ist ein Kritiker. Du siehst das Problem. Kaum haben wir angefangen, da drehen wir uns schon im Kreis. Wenn wir von Kritik reden, sprechen wir dann über eine berufliche Tätigkeit – eine Art Schriftstellerei, eine Sorte von Journalismus oder Forschung, eine irgendwie geartete intellektuelle Disziplin – und darum über die Leute, die sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen? Oder sprechen wir über ein weniger spezialisiertes Unternehmen, so etwas wie Kartenspielen oder Kochen oder Fahrradfahren, etwas, was jeder lernen kann? Oder vielleicht sogar über eine elementarere, reflexartigere Tätigkeit wie Träumen oder Atmen oder Weinen?

 

F:  Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, dass ich hier die Fragen stelle.

A:  Entschuldigung.

 

F:  Fangen wir also noch einmal an, und zwar mit dir. Du bist ein berufsmäßiger Kritiker und ebenso ein Mensch, der viel über die Frage nachdenkt, was Kritik ist und wozu sie dient.

A:  Wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Und natürlich nicht ausschließlich.

 

F:  Okay. Aber was ich frage, ist –

A:  Wozu ich gut bin? Was für einen Sinn meine Tätigkeit hat?

 

F:  Wenn du es so formulieren möchtest. Ich hätte es vielleicht nicht ganz so feindselig ausgedrückt.

A:  Keine Sorge. Widerspruch ist wahre Freundschaft, wie William Blake gesagt hat. Jeder Kritiker gewöhnt sich allmählich daran, mit Skepsis und Argwohn und manchmal mit regelrechter Verachtung umzugehen. Wie können Sie es wagen? Was gibt Ihnen das Recht? Warum sollte irgendjemand auf Sie hören? Das bekommen wir ständig zu hören. Menschen zu reizen, dass sie unsere Kompetenz, unsere Intelligenz, ja überhaupt unser Existenzrecht in Frage stellen – das macht anscheinend einen großen Teil dessen aus, was es heißt, ein Kritiker zu sein.

 

F:  Und nun hast du beschlossen zurückzuschlagen. Du fühlst dich in der Defensive. Träfe es zu, wenn man sagte, dass du dieses ganze Buch geschrieben hast, um mit Samuel L. Jackson abzurechnen?

A:  Nicht direkt. Aber ich bin froh, dass du das erwähnst. Ein paar Hintergrundinformationen: Im Mai 2012 wurde in 3500 nordamerikanischen Kinos der Film The Avengers uraufgeführt – den hast du doch gesehen? Alle haben ihn gesehen. An diesem Tag habe ich eine Besprechung veröffentlicht, in der ich einige Aspekte des Films – die klugen Dialoge, die Eleganz des Spiels – lobte, mich über andere dagegen beschwerte; insbesondere monierte ich, dass er seine Originalität auf dem Altar einer Blockbuster-Konformität opferte. Wenn ich mich selbst zitieren darf: »Das Geheimnis von The Avengers besteht darin, dass es sich dabei um eine flotte kleine Dialogkomödie handelt, die als etwas anderes verkleidet ist, und dieses andere ist ein gigantischer Geldautomat für Marvel und ihre neuen Studiobosse, die Walt Disney Company.« Diese Einschätzung ist ziemlich stichhaltig, wenn ich selbst das so sagen darf. Als dann einige Jahre später Avengers: Age of Ultron herauskam, sagten alle anderen anscheinend mehr oder weniger das Gleiche: dass der Reiz und das Spannende dieses Films von seelenlosem Firmenspektakel überlagert werde. Es bereitet eine gewisse Genugtuung, an der Spitze derer gestanden zu haben, die auf das Offensichtliche hinwiesen.

Damals war ich jedoch Opfer eines jähen Gegenschlags. Kurz nachdem meine Besprechung auf der Website der New York Times erschienen war, postete Jackson, der in The Avengers und in anderen Folgen von Franchise-Filmen des Marvel-Universums Nick Fury spielt, auf Twitter einen Aufruf an die »#Avengers fans«, in dem es hieß: »AO Scott braucht einen neuen Job! Helfen wir ihm dabei, einen zu finden! Einen, zu dem er WIRKLICH fähig ist!« Scharen seiner Follower folgten seinem Ruf, wobei sie nicht forderten, dass ich von meiner Redaktion gefeuert werden sollte, sondern in bester Twitter-Manier Jacksons Attacke weiterleiteten und sie um ihre eigenen phantasievollen Vorschläge zum Thema meiner Eignung ergänzten. Die durchdachteren Tweets äußerten bekannte, man könnte sogar sagen kanonische antikritische Positionen: dass mir die Fähigkeit zur Freude abgehe; dass ich allen anderen Menschen den Spaß verderben wolle; dass ich ein Hasser, ein Spießer und ein Snob sei; ja sogar – und das war irgendwie etwas Neues –, dass aus dem jugendlichen Nerd in der Mittelschule, auf dem alle herumhackten, weil er keine Comics mochte, schließlich ich geworden sei. (Zu meiner Zeit waren einige der jugendlichen Nerds, auf denen alle herumhackten, gerade diejenigen, die Comics liebten, aber nun, da die Superhelden und ihre Fanboy-Anhängerschaft die Regie übernommen haben, hat sich das wohl geändert. Auf mir hackte man aus Gründen herum, die nichts mit Comics zu tun hatten.)

Der Avengers-Vorfall plusterte sich zu einem jener absurden und hyperaktiven Internetgewitter auf, die heute ein fester Bestandteil unseres kulturellen Lebens sind. Mace Windu hatte mich herausgefordert! Ich hatte den gerechten Zorn von Jules Winnfield heraufbeschworen! Auf Unterhaltungswebsites erschienen Photoshop-Produkte, die Jackson und mich in Kampfposen zeigten. Kurzkommentare schossen aus dem Boden wie Pilze nach einem Regensturm. Unser Twitter-Heckmeck fand den Weg in brasilianische, deutsche und japanische Schlagzeilen. Einige meiner Kollegen traten dafür ein, nicht nur für meine umkämpfte Person einzutreten, sondern auch für die Integrität und die Bedeutsamkeit der Tätigkeit, für die ich in Jacksons Augen nicht qualifiziert war.

 

F:  Hattest du Angst?

A:  Im Gegenteil. Ich war dankbar. Weder meiner Person noch meinem Lebensunterhalt drohte irgendwelche Gefahr, und The Avengers brachte es dann so weit, dass er als zweitschnellster Film weltweit an den Kinokassen eine Milliarde Dollar einspielte. Ich bekam auf Twitter einige hundert Follower und wurde für wenige Minuten sowohl zu einem schrecklichen Schurken als auch zu einem imaginären Märtyrer für eine edle und vielgeschmähte Sache. Überall herrschte eine Win-Win-Situation, und danach zog jeder wieder seines Weges.

Doch selbst ein Sturm im Wasserglas kann meteorologische Folgen haben, und ich glaube, dass Jackson eine berechtigte und wichtige Frage aufgeworfen hatte. Sieht man vom Wert oder Unwert dessen ab, was ich über The Avengers oder irgendeinen anderen Film geschrieben habe, dann ist stets die Frage berechtigt, welche Aufgabe denn der Kritiker hat und wie sie sich WIRKLICH bewältigen ließe.

 

F:  Da bist du hier also angetreten, um diese Tätigkeit gegen die Attacken – die Kritik – von sensiblen Filmstars und ihren Fans zu verteidigen? Ist das nicht ein kleines bisschen heuchlerisch? Es sieht so aus, als könntest du zwar austeilen, aber nicht einstecken.

A:  Nun ja, eigentlich nicht. Das heißt, ja, wir werden alle etwas empfindlich, wenn die Leute, über deren Arbeit wir schreiben – oder auch unsere Leser –, an unserer Tätigkeit etwas auszusetzen haben. Das ist nur menschlich verständlich. Was mich hier mehr interessiert, ist die allgemeine Tendenz – ich würde tatsächlich sagen, die universelle Fähigkeit unserer Spezies –, Einwendungen zu erheben. Und auch Lob auszusprechen. Zu urteilen. Das ist das Fundament aller Kritik. Woher wissen wir oder glauben wir zu wissen, was gut oder schlecht ist, was man attackieren oder verteidigen oder wovon man seine Freunde in Kenntnis setzen soll? Wie beurteilen wir den Erfolg oder das Scheitern von The Avengers oder irgendeinem anderen Werk? Denn ob es nun unsere Aufgabe ist oder nicht, tatsächlich urteilen wir. Wir können gar nicht anders.

 

F:  Und wie urteilen wir? Oder vielleicht lautet die Frage: »Warum urteilen wir?«

A:  Um ehrlich zu sein, als ich daranging, dieses Buch zu schreiben, dachte ich, die Antworten würden sich viel zwangloser einstellen, als sie es dann taten. Ich ging davon aus, dass es tatsächlich Antworten geben werde, die so ausfielen, dass ich sie klar und mit Nachdruck formulieren könnte. Vielleicht würde ich entdecken, dass wir wissen, was schön oder bedeutsam ist oder einfach nur Spaß macht, weil es Nervenschaltungen oder hormonelle Reaktionen gibt, die sich zu Beginn der menschlichen Ära herausgebildet haben, um uns dabei zu helfen, Raubtieren zu entkommen und eine zahlreichere Nachkommenschaft zu produzieren. Oder vielleicht käme ich zu dem Schluss, dass wir zum Bestimmen und Unterscheiden von Werten fähig sind, weil wir Zugang zu angeborenen und ewigen Maßstäben haben, die zwar im Laufe der Jahrhunderte Veränderungen unterworfen sind und sich von Ort zu Ort unterschiedlich äußern, die uns aber doch auf dem Weg zu Wahrheit und Schönheit halten.

Wir können uns die Geschichte der menschlichen Kreativität ansehen und dabei Muster – Formen, Klänge, Geschichten – finden, die auf eine tiefliegende Kontinuität schließen lassen. Wir können uns auch die überwältigende Vielfalt menschlichen Schaffens vor Augen führen...

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