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E-Book

Kurdistans Erwachen. Stabilität, Demokratie oder Flächenbrand?

AutorMehran Zolfagharieh
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl70 Seiten
ISBN9783668899254
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Fachbuch aus dem Jahr 2019 im Fachbereich Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient, , Sprache: Deutsch, Abstract: Weltweit streben Völkergruppen seit dem Ende der Kolonialzeit nach politischer Unabhängigkeit. Auch die kurdische Bevölkerung in der Türkei, dem Irak, dem Iran und in Syrien wünscht sich mehr Autonomie. Ein unabhängiges Kurdistan würde jedoch nicht nur die Kurden selbst, sondern die gesamte Region des Nahen Ostens betreffen und zu grundlegenden Veränderungen führen. Wie könnte ein solcher kurdischer Staat aussehen? Und welche Folgeerscheinungen für die ethnische und politische Situation der Region sind zu erwarten? Mehran Zolfagharieh beleuchtet in seinem Buch die komplexe Geschichte des kurdischen Volkes sowie die Chancen und Probleme, die eine Unabhängigkeit Kurdistans mit sich bringen kann. Die Kurdenfrage führt bis heute zu Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Insbesondere durch den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat findet die Thematik auch im Westen wieder mehr Beachtung. Zolfagharieh zeigt, wie Kurdistan zum verlässlichen Verbündeten sowie Stabilitätsfaktor im Nahen Osten werden könnte. Bei seinen Untersuchungen lässt er aber auch das erhebliche Konfliktpotenzial nicht außer Acht.

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Leseprobe

1 Autonome Region, Staat, Nation und Nation-Building


 

In den letzten Jahrzehnten, nach dem Ende der Kolonialzeit, ist eine erneute Unabhängigkeitsbewegung in der internationalen Staatengemeinschaft zu verzeichnen. Insbesondere Regionen, die von Seiten der übergeordneten Zentralregierungen den Status einer „Autonomen Region“ erhalten haben, entwickeln oftmals im Laufe der Zeit ein neues und erweitertes Selbstbewusstsein, welches in einem Zerwürfnis mit dieser Zentralregierung münden kann, wie zuletzt im Jahr 2017 in Spanien geschehen. Auch die Entwicklung der Kurdischen Autonomieregion im Irak zeigt diesen nahenden Konflikt zwischen der Kurdischen Regionalregierung[8] und der irakischen Zentralregierung. Solche Unabhängigkeits-bewegungen in den Autonomen Regionen äußern sich anfangs auf politischer Ebene, können jedoch schnell in eine bewaffnete Auseinandersetzung mit der jeweiligen Zentralregierung und, durch repressive Politik eben dieser, letztlich in einer bewaffneten Sezessionsbewegung, einem Untergrundkampf bzw. Bürgerkrieg enden. Die Geschichte lehrt hierbei, dass solch ein Bürgerkrieg meist ein langer Krieg ist. Es werden hohe Opferzahlen auf beiden Seiten zu beklagen sein, die unbeteiligte Zivilbevölkerung wird leiden müssen und er wird erst beendet, wenn durch eine der beiden Seiten ein Momentum der De-Eskalation ergriffen und eine weniger repressive Politik umgesetzt wird. Die Autonomie einzelner Regionen kann also schnell in bewaffnete Unabhängigkeitsbestrebungen münden, die zu einem eigenen Staat und später zu einer neuen Nation führen können.

 

In der deutschen Sprache wird umgangssprachlich oftmals der Begriff „Staat“ als ein Synonym für „Nation“ verwendet, was sui generis jedoch nicht dasselbe ist. Vielmehr ist der Staatsbegriff Teil der Definition einer Nation, umschließt jedoch nicht die Vollständigkeit dessen, was eine Nation ist. Im Folgenden sollen daher die Begriffe Autonomie, Staat, Nation und Nation-Building definiert werden, um die Unterschiede zu erläutern, gleichzeitig jedoch die Zusammenhänge der Entwicklung von einer Autonomen Region hin zu einer Nation darzustellen.

 

1.1 Autonome Regionen


 

Der Begriff Autonomie stammt aus dem Altgriechischen[9] und bedeutet „sich selbst Gesetze gebend“ oder auch „selbständig“. Der berühmte deutsche Soziologe und Nationalökonom Max Weber[10] definierte, dass „Autonomie bedeutet, daß nicht, wie bei Heteronomie, die Ordnung des Verbandes durch Außenstehende gesatzt wird, sondern durch Verbandsgenossen kraft dieser ihrer Qualität (gleichviel wie sie im übrigen erfolgt)“.[11] Autonome Regionen sind demnach Gebiete bzw. Territorien innerhalb eines Staatsgebietes, die sich selbst verwalten und somit nach innen selbstständig sind, sich jedoch außen- und sicherheitspolitisch von einem übergeordneten Staat vertreten lassen. Sie besitzen demnach eigene Gesetzgebungsorgane und Gesetzgebungsstrukturen und somit die Befugnis, unter Berücksichtigung des jeweils geltenden übergeordneten staatlichen Gesetzgebungsrechts, Bestimmungen mit rechtsverbindlicher Kraft für seine Angehörigen zu erlassen, die innere Angelegenheiten regeln. Autonome Regionen unterliegen also auch der Gesetzgebung des übergeordneten Staates und sind keine souveränen Staaten.

 

Zumeist wird eine Autonome Region eingerichtet, „um Regionen mit ethnischer und sprachlicher Eigenart ein Mindestmaß an interner Selbstbestimmung zu gewähren, ohne Staatsgrenzen verändern zu müssen“[12]. Autonomien bezwecken oft den umfassenden Schutz von Minderheiten, können aber auch „aufgrund einer entlegenen geographischen Lage […], der Geschichte […] oder aufgrund des übergreifenden Konzepts für staatliche Organisation […] entstehen.“[13] Beispiele für Autonome Gebiete gibt es überall auf der Welt, wie z.B. Asad Kaschmir in Pakistan, Gagausien in Moldawien, Färöer und Grönland in Europa und die teilweise ehemaligen Kolonien des Vereinigten Königreiches und Frankreichs sowie viele Republiken der Russischen Föderation und natürlich die Autonome Region Kurdistan im Irak.

1.2 Staat


 

Bis heute hat sich für den Begriff des Staates keine allgemein gültige Definition durchgesetzt. Vielmehr lassen sich vier Staatsbegriffe unterscheiden, die deutlich voneinander abweichen. Der Begriff Staat[14] besitzt im modernen Völkerrecht, nach dem Staats- und Völkerrechtler Georg Jellinek[15], drei Hauptkriterien, die er in seiner Drei-Elemente-Lehre postulierte. Gemäß seiner Definition ist der Staat „ein soziales Gebilde, dessen konstituierende Merkmale ein von Grenzen umgebenes Territorium (Staatsgebiet), eine darauf als Kernbevölkerung ansässige Gruppe von Menschen (Staatsvolk) sowie eine auf diesem Gebiet herrschende Staatsgewalt kennzeichnen.“[16] Der Staat ist also in seinem politischen Handeln sowohl nach außen hin, als auch im Innern souverän. Eine weitere Definition des Staatsbegriffs stammt von Max Weber. Gemäß seiner Definition ist ein Staat „diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes […] das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht“.[17] Es handelt sich demnach um ein „Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen“.[18]

Ein Staat ist also ein politischer Zusammenschluss von Menschen, die keiner Abstammungsgemeinschaft zuzuordnen sind. Nach der sittlichen Auffassung nach Hegel indessen ist es „der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist: sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft“[19] und für jeden Einzelnen die „höchste Pflicht […], Mitglieder des Staates zu sein.“[20] Für Hegel war der Staat also die „Wirklichkeit der sittlichen Idee“[21], denn der Staat ist höherrangig als die Gesellschaft, da einzig er das Gemeinwohl hütet, garantiert, realisiert und kennt.[22] Gemäß der gängigen politikwissenschaftlichen Definition ist der Staat das System öffentlicher Institutionen zur Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens, wobei insbesondere eine politische Instanz zum Staat gehört, die zur Schaffung und Wahrung von Recht und Ordnung in der Gesellschaft zuständig ist und diese mittels eines Staatsapparats durchsetzen kann.

 

Im 21. Jahrhundert gibt es nahezu keine staatenlosen Gebiete mehr, die zur Staatengründung herangezogen werden können. Vielmehr entstehen neue Staaten durch Sezession, Dismembration oder durch Fusion. Eine Sezession kann auf zwei Wegen erfolgen; durch Abspaltung gegen den Willen des übergeordneten Staates oder aber durch einvernehmliche Entlassung eines Staatsteils[23] aus dem Staatsverband. Wenn sich Neustaaten bilden, da der übergeordnete bisherige Staat zerfällt, handelt es sich um eine Dismembration, was den Untergang des bisherigen Staates bedeutet.[24] Das Gegenteil zur Dismembration ist die Fusion, bei der sich zwei oder mehrere Staaten zusammenschließen oder ein Staat einem anderen beitritt, was zur Eingliederung des betroffenen Territoriums in die Staats- und Verfassungsordnung des Inkorporanten[25] führt.[26]

1.3 Nation und Nation-Building


 

Der Begriff Nation stammt vom lateinischen Wort Natio und beschreibt eine Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Herkunft und gemeinsamen Merkmalen wie Sprache, Tradition, Sitten und Bräuche und beschreibt fremdartige Völker, also Menschen die nicht das römische Bürgerrecht besaßen.[27] Dieses ursprüngliche Nationen-Verständnis lebt heute noch in dem Begriff Volks-Nation weiter und bildet den 1. Nationen-Begriff.[28] In der Moderne und auch heute wird der Begriff Nation allgemeinsprachlich als Synonym für Staat und Volk gebraucht, wobei eine Trennung von der wissenschaftlichen Definition der Nation besteht. Wenn heute der Staat zusätzlich als Nation bezeichnet wird, soll der geeinte, souveräne und geordnete Staat als Werte- und Lebensgemeinschaft betont und verstärkt werden. Das Staatsvolk unterwirft sich also unter gemeinsames Recht und bildet somit eine Staats-Nation, was dem 2. Nationen-Begriff[29] entspricht.[30] Völkerrechtlich werden gem. Art. 1 und 55 der Charta der Vereinten Nationen die tatsäch­lichen Gemeinsamkeiten eines Volkes betont. Einzelne Völker haben ein Recht auf Selbstbestimmung, unabhängig davon, ob sie bereits Teil eines Staates sind. Auf Grundlage dieser Selbstbestimmung und Idee der Nation beruht das Staatsmodell des Nationalstaates. Hierbei werden ein Staat und eine Nation vorausgesetzt, die beide aus historischen Entwicklungen entstanden sind, wobei sich der staatstragende Teil der Bevölkerung einer gemeinsamen Kultur verbunden fühlen soll. Die Bürger, die der nicht-staatstragenden Bevölkerung angehören, bilden eine Minderheit, die meist ethnischer oder ideologischer Natur ist und im Laufe der Zeit einen starken Drang nach Autonomie entwickelt. Dies entspricht dem 3. Nationen-Begriff, bei dem nur jenes Staatsvolk eine Nation darstellt, das aus freiem Willen einem bestehenden Staat angehört oder den Willen zu einem bildenden Staat besitzt.[31] Der Staat muss hierbei also vom Staatsvolk tatsächlich gewollt sein, im Unterschied zu Staaten, die von erheblichen Teilen des Volkes nicht...

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