DAS INNERE KIND WAHRNEHMEN UND ANNEHMEN
Wenn sich unser inneres Kind zeigt und in ohnehin kniffligen Situationen Alarm schlägt, kann es problematisch werden. So kann beispielsweise das jährliche Mitarbeitergespräch so schon schwierig genug sein, vor allem wenn es in der vergangenen Zeit Konflikte gab oder vertragliche Klärungen anstehen. Noch viel schwieriger wird es aber, wenn sich unser unsicheres, sich minderwertig fühlendes Kind meldet und sagt: »Ich bin nicht gut genug. Andere leisten viel mehr.« Am liebsten würden wir das Gespräch verschieben und die Auseinandersetzung mit dem Chef ganz vermeiden.
Doch geht es uns wirklich besser, wenn wir dem Gespräch aus dem Weg gehen? Ist der Rat unseres inneren Kindes wirklich hilfreich? Sicher nicht. Im Gegenteil: Wenn wir Situationen wie diese meiden, nehmen Unsicherheit und Angst langfristig zu.
Viel hilfreicher ist es, sich den kindlichen Anteil in uns selbst bewusst zu machen und ihm als Erwachsener zur Seite zu stehen. Unser inneres Kind braucht einen Partner, der ihm hilft zu reifen und erwachsen zu werden. Oft sind dabei die Inhalte, die uns unser Kind mitteilt, nicht so wichtig, wichtiger ist, wie wir darauf reagieren und damit umgehen.
»Wir glauben Erfahrungen zu machen, aber die Erfahrungen machen uns.«
EUGÈNE IONESCO
ENTDECKEN, DASS DA JEMAND IST
Ich möchte Sie einladen, sich mit den unsicheren Situationen in Ihrem Leben schrittweise auseinanderzusetzen. In den folgenden Kapiteln erhalten Sie viele Anregungen, um sich inneren Kindanteilen zu stellen, ihre Sprache und ihre Bedürfnisse besser kennenzulernen und schließlich als Erwachsener liebevoll und fürsorglich mit ihnen umgehen zu können. Das kann Ihr gesamtes Leben vereinfachen und Sie Ihren Zielen näher bringen.
Wenn Sie sich und Ihre Persönlichkeitsanteile besser verstehen, bemerken Sie, dass viele Gedanken und Gefühle, die Sie haben, letztlich zu Ihrem inneren Kind gehören und auf die Vergangenheit bezogen sind. Deshalb ist es wichtig, die Existenz und die Energie des inneren Kindes anzunehmen, aber nicht allem zu glauben, was es Ihnen einredet.
DIE UNTERSCHIEDLICHEN KINDSTIMMEN
Um einen inneren Kindanteil besser zu verstehen, hat es sich bewährt, ihn nach dem Gefühl zu benennen, das in ihm vorherrscht. Wenn Angst dominiert, dann zeigt sich demnach das ängstliche Kind. Wenn es Wut oder Scham ist, dann das wütende oder beschämte Kind. Insgesamt haben sich in meiner Praxis und Erfahrung fünf Typen des inneren Kindes herauskristallisiert:
- ➝ Trauriges Kind
- ➝ Ängstliches Kind
- ➝ Beschämtes/schuldiges Kind
- ➝ Wütendes Kind
- ➝ Glückliches Kind
Es gibt natürlich viele weitere innere Kindanteile, die wir im Laufe unseres Lebens entwickelt haben, zum Beispiel das impulsive, das trotzige, misstrauische oder psychosomatische Kind. Ich habe mich in diesem Buch auf die Kindanteile beschränkt, die mit unseren Grundgefühlen verbunden sind und aus meiner Sicht sehr häufig vorkommen.
WIE ZEIGT SICH IHR INNERES KIND?
Alle fünf Kindqualitäten werde ich Ihnen im Folgenden genauer vorstellen und Sie einladen, Bezüge zu Ihrem eigenen Erleben herzustellen. Anfangs ist es vielleicht schwer, die einzelnen Anteile zu unterscheiden, aber mit der Zeit werden Sie spüren und erleben, dass Sie sich in einem oder mehreren Anteilen wiederfinden. Ihr inneres Kind kann sowohl traurig als auch ängstlich sein und hinter dem wütenden Kind kann sich ein beschämtes Kind verbergen. Der folgende Test soll Ihnen helfen, genauer hinzuspüren und eigene Zugänge zu entwickeln, um besser zu verstehen, was Ihr inneres Kind Ihnen sagen will und was es braucht. Diese Unterscheidung ist eine Vereinfachung, in Wirklichkeit ist alles viel komplexer, als ich es hier darstellen konnte.
REFLEXION
Der große Test
Dieser Test soll Ihnen helfen, sich innere Kindanteile bewusst zu machen und sie in ihrer typischen Gefühlsqualität kennenzulernen. Das schenkt Ihnen eine erste Orientierung darüber, wie sich Ihre Kindanteile im Leben zeigen und was Sie tun können, um sie konstruktiv in den Alltag einzubinden. Beantworten Sie die folgenden Aussagen möglichst spontan. Geben Sie an, inwieweit die aufgeführten Sätze und Gedanken auf Sie persönlich zutreffen, indem Sie jeweils ein Kästchen ankreuzen.
0 Punkte: stimmt überhaupt nicht
1 Punkt: stimmt eher nicht
2 Punkte: stimmt ein bisschen
3 Punkte: stimmt weitgehend
4 Punkte: stimmt genau
Ich spüre oft einen Kloß im Hals. | □ | □ | □ | □ | □ |
Ich versuche zu vermeiden, an wichtige verstorbene Menschen aus meiner Kindheit zu denken. | □ | □ | □ | □ | □ |
Ich bin nicht gern allein und unternehme viel, um das Alleinsein zu vermeiden. | □ | □ | □ | □ | □ |
Ich habe oft Angst, von anderen verlassen zu werden. | □ | □ | □ | □ | □ |
Oft fühle ich mich traurig, obwohl mir kein Anlass bewusst ist. | □ | □ | □ | □ | □ |
Ich klammere mich an Menschen, die mir nahe sind, aus Angst, sie zu verlieren. | □ | □ | □ | □ | □ |
Ich fühle mich oft fremd und nicht dazugehörig. | □ | □ | □ | □ | □ |
Auf andere will ich mich nicht verlassen, weil ich oft erlebt habe, dass jemand unzuverlässig ist. | □ | □ | □ | □ | □ |
Ich habe mich früher oft nicht verstanden und nicht geliebt gefühlt. | □ | □ | □ | □ | □ |
Ich fühle mich oft ängstlich und verunsichert. | □ | □ | □ | □ | □ |
Oft spüre ich in meinen Körper hinein, mit der Angst, eine schlimme Krankheit auszubrüten. | □ | □ | □ | □ | □ |
Ich habe häufig das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren könnte (ohne konkreten äußeren... |
