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E-Book

Literarische Porträts

Vollständige Ausgabe

AutorEgon Friedell
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl129 Seiten
ISBN9783849614560
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Dieser Band bietet fünf biografische Essays zu folgenden Personen: Novalis Carlyle Lord Macauley Emerson Peter Altenberg

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Leseprobe

Literarische Persönlichkeit


 


Wir haben am Schlusse der Lebensskizze Hardenbergs seiner biographischen Persönlichkeit gedacht, und es erübrigt nunmehr, noch einen kurzen Blick auf seine literarische Persönlichkeit zu werfen. Beide Charaktere brauchen sich nicht notwendig zu decken, ja es wird fast nie eine völlige Übereinstimmung zwischen ihnen stattfinden. Im täglichen Leben erscheint das Wesen des Schriftstellers unklarer, schwankender, gemischter, denn es ist nicht zu vermeiden, daß der Verkehr mit verschiedenartigen Menschen fortwährend kleinere oder größere Aberrationen in seiner persönlichen Richtung hervorruft, und gerade je höher und reifer eine Persönlichkeit entwickelt ist, desto mehr wird sie versuchen, im geselligen Umgang eine Art mittlerer Proportionale zwischen sich und den andern herzustellen. Sobald dagegen der Dichter oder Philosoph an den Schreibtisch tritt, nimmt sein Wesen einen viel freieren und selbstmächtigeren Charakter an, nun wird er erst er selbst: er ist mit sich allein, und er fühlt die Verpflichtung, möglichst mit sich allein zu bleiben. Und doch ist er auch wieder weniger allein als je, denn er hat gleichsam das Gefühl, als säße er in einem großen Spiegelzimmer, und er weiß sehr wohl, daß es nicht lauter Planspiegel sind, die sein Bild auffangen. Unwillkürlich wird ihn daher das Bestreben leiten, sich eine solche Haltung zu geben, daß möglichst wenige Karikaturen von ihm entstehen, oder doch möglichst ästhetische Karikaturen. Dieser Zustand, in den die öffentliche Wirksamkeit unfehlbar versetzt, wird bei vielen Schriftstellern eine Befangenheit und Unnatürlichkeit erzeugen, die ihre Gedanken zu Boden fallen läßt und ihre Begabung verdunkelt. In denen jedoch, die zu den wahrhaft Berufenen gehören, wird die Wirkung eine entgegengesetzte sein: es wird in ihnen eine Ungezwungenheit, Kraft und Freiheit erwachen, die sie im gewöhnlichen Leben nie besitzen.

 

Diese Berufung zur künstlerischen oder philosophischen Wirksamkeit ist auch eine Art höherer Gnadenwahl und von mysteriösem Ursprung. Sie äußert sich in dem bestimmten und sichern Gefühl des Künstlers oder Denkers, daß er reden darf und muß, daß er als öffentlicher Sprecher auf einem Posten steht, der ihm gebührt, und daß man wohl über den Wert seiner einzelnen Leistungen streiten kann, niemals aber über seine allgemeine Berechtigung, sich zu einer Vielheit zu äußern. Dieses Gefühl beherrscht ihn oft schon, ehe er noch recht weiß, was er sagen wird, und gibt ihm die größte Sicherheit.

 

Zu diesen Berufenen gehörte Novalis, und daher sind die Züge, welche er als Schriftsteller trägt, ganz andere als die, welche er im täglichen Verkehr hatte. Seine philosophischen Schriften sind keineswegs naiv, sondern von einer schriftstellerischen Überlegenheit, die mit der des jüngern Schlegel wetteifert; ebensowenig sind sie konziliant, sie tragen zumeist ein fast diktatorisches Gepräge. Aber Novalis durfte sich so äußern, denn er hat philosophiert, nicht bloß um seinen Geist in Bewegung zu setzen, sondern um das auszusprechen, was sein innerstes Gemüt ihm zurief. Hier lag wohl auch der Grund für seine Abneigung gegen die französischen Enzyklopädisten, mit denen er manche Berührung hätte finden können: diese waren voll Geist, aber sie waren eben nur Geist, und man spürte sehr wohl, daß sie von allem, was sie sagten, auch ebenso glänzend das Gegenteil hätten beweisen können. Novalis hätte aber niemals etwas andres sagen können, als er gesagt hat, von ihm darf in einem veränderten Sinne gelten, was von dem König im Uhlandschen Gedicht gesagt wird: "was er schreibt, ist Blut".

 

Neben und nach ihm wirkten auch andre hochbegabte romantische Dichter und Schriftsteller, aber in keinem ist der romantische Geist so zu Fleisch und Blut geworden wie in ihm: er ist gleichsam der Archetype der Romantik. Was andre nur in dem und jenem Punkte waren: er war es ganz: als Mensch, als Dichter und als Denker.

 

Ganze Menschen sind selten in der Geschichte, aber wenn sie erscheinen, dann bleiben sie auch und widerstehen standhaft dem Weltlauf, denn sie sind mehr als eine historische Spezialität, sie sind jeder eine Gattung für sich, die unersetzlich und unauslöschbar ist. Eine solche Erscheinung war Novalis, und darin liegt seine Größe.

 

Carlyle


 


Es ist ungemein leicht, Carlyle zu tadeln, und es ist ungemein schwer, ihn zu loben. Wer irgendeine seiner Schriften gelesen hat, ja auch nur die ersten zehn Seiten irgendeiner seiner Schriften, der wird mühelos eine Menge von Schwächen, Fehlern, Mängeln, Unzulänglichkeiten an ihm entdecken können. Er wiederholt sich; er widerspricht sich; er übertreibt; er hat seine Mittel nicht in der Gewalt; er schreibt dunkel und weitschweifig; sein Pathos ist überheizt; sein Tempo ist unsicher; seine Bilder und Gleichnisse sind schief oder gesucht, seine Gedanken sind ungeordnet und barock.

 

Alle diese Defekte und noch viele andere lassen sich ohne weiteres herausfinden und genau bezeichnen; will man aber ebenso kurz feststellen, welche guten Eigenschaften ihnen gegenüberstehen, so gerät man in Verlegenheit. Wollte man zum Beispiel sagen, daß Carlyle Temperament, Denkschärfe, psychologische Feinfühligkeit, plastische Charakterisierungsgabe besitzt, daß er originell, interessant oder geistreich ist, so wäre damit so gut wie gar nichts über ihn gesagt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß dies alles zutrifft, aber es trifft ihn nicht. Jeder, der ihn kennt, hat das unabweisbare Gefühl, daß mit solchen Worten an das Phänomen Carlyle nicht heranzukommen ist, daß sie vollständig an ihm abgleiten.

 

Die Verlegenheit beginnt sogar schon in dem Augenblick, wo man angeben soll, in welche literarische Kategorie er überhaupt gehört. Ist er Philosoph, Historiker, Kritiker, Soziologe, Biograph, Ästhetiker, Romancier; ist er dies alles zusammen oder vielleicht auch nichts von alledem? Ja, ist er überhaupt auch nur ein Schriftsteller? Er selber hat diese Frage verneint. "Wenn es etwas gibt", sagte er, "wofür ich kein besonderes Talent habe, so ist es die Literatur. Hätte man mich gelehrt, die einfachste praktische Tätigkeit auszuüben, so wäre ich ein besserer und glücklicherer Mensch geworden." Diese Selbstbeurteilung eines Mannes, dessen Bücher heute in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet sind, mag zunächst überraschen; indes, sobald man näher zusieht, wird man etwas an ihr finden. Wenn man nämlich unter einem Schriftsteller einen Menschen versteht, der die Gabe besitzt, seine Beobachtungen und Empfindungen leicht und glänzend zur Darstellung zu bringen, der gelernt hat, alles, was in ihm ist, gewandt und mühelos herauszusagen, kurz einen Menschen, der besonders gut imstande ist, seine Eindrücke auszudrücken, so war Carlyle ganz gewiß kein Schriftsteller. Die literarische Arbeit war ihm nie etwas anderes als eine Qual, niemand hat mehr unter den Hemmungen und Widerständen des Produzierens gelitten als er. Wenn er von einem Stoff erfüllt war, so fühlte er sich wie unter einer schweren Last wandelnd, er empfand nichts als einen unerträglichen Druck, die Freudigkeit des Gestaltens fehlte ihm vollständig. Und auch das fertige Werk trägt bei ihm noch die Spuren des Kampfes mit der Materie. Der Grundcharakter seines Stils ist eine merkwürdige Verbindung von Lebhaftigkeit und Schwerfälligkeit; es ist eine Ausdrucksweise, bei der man fortwährend im Zweifel ist, ob man sie feurig oder holprig nennen soll, ein Pathos, das unwiderstehlich mitreißt und dennoch immer mühselig mit sich selbst ringt, sich überstürzend, dann wieder hinkend und zurückbleibend, formlos und formell; mit seinen hunderterlei Einschiebungen, Einschränkungen, Rückbeziehungen, plötzlichen Parenthesen, angehängten Nachsätzen und zerreißenden Interjektionen die Verzweiflung vieler Leser; eben hierdurch erhält ja Carlyles Prosa ihren eigenartigen Rhythmus. Wollte man Carlyles Wesensart mit einem einzigen Worte bezeichnen, so könnte man ihn vielleicht, indem man dabei aus Carlyles eigenem Vokabular schöpft, einen Denkerhelden nennen. Carlyle hat die verschiedenen Äußerungen des Heldentums in allen menschlichen Betätigungen aufgesucht und aufgefunden: seine Auffassung war, daß im Grunde jeder wahrhaftige und tüchtige Mensch ein Held sein kann und daß daher die äußere Gestalt des Helden, so wechselnd sie ist, nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Nur eine Form des Heldentums hat er übersehen: den " hero as thinker"; aus einem sehr einfachen Grunde: weil er sie nämlich selbst verkörperte. Indes ist gerade sie die wirksamste und umfassendste von allen. Der Denker ist gewissermaßen der Universalheld, er begreift alle Formen des Heldentums in sich: er ist Prophet, Dichter, Priester, Schriftsteller, Organisator. Sein Einfluß währt am längsten und reicht am tiefsten. Ohne es zu wissen, leben, fühlen und handeln die Menschen nach seinen Vorschriften, obgleich oder vielmehr weil seine Wirksamkeit oft eine geheime, unterirdische ist. Die Gedanken, die Jesus zu einigen einfachen Landleuten sprach, die sie zur Hälfte anzweifelten und zur Hälfte mißverstanden, haben gleichwohl die halbe Erdoberfläche revolutioniert. Die Erfolge der großen Eroberer und Könige sind nichts gegen die Wirkungen, die ein einziger großer Gedanke ausübt. Er springt in die Welt und verbreitet sich langsam und unwiderstehlich mit der Kraft eines Elementarereignisses, einer geologischen Umwälzung: nichts vermag sich ihm in den Weg zu legen, nichts vermag ihn ungeschehen zu machen. Und der Denker ist...

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