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Media Control

Wie die Medien uns manipulieren

AutorNoam Chomsky
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783492962537
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Nicht erst im Irakkrieg spielten die US-Massenmedien eine fatale Rolle als Propagandainstrumente der Außenpolitik. Noam Chomsky, einer der wichtigsten Querdenker der USA, wirft den Medien vor, unbequeme Tatsachen bereitwillig zu verschleiern und die Verbrechen des »Feindes« wie mit der Lupe zu betrachten. Obwohl sie keiner direkten staatlichen Kontrolle unterliegen, verstehen sich die Massenmedien in den USA nicht als kritische Gegner, sondern als Partner der Regierung und ihrer hegemonialen Ziele.

Noam Chomsky, geboren 1928, Professor für Sprachwissenschaft am Massachusetts Institute of Technology, ist Träger von zehn Ehrendoktorwürden sowie etlicher anderer hoher Auszeichnungen und Autor erfolgreicher Bestseller über Linguistik, Philosophie und Politik. Neben seiner linguistischen Arbeit gilt Chomsky als einer der bedeutendsten Intellektuellen Nordamerikas und ist als scharfer Kritiker der US-amerikanischen Außenpolitik bekannt.

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Leseprobe

II. Über die spektakulären Erfolge der Propaganda

Die Rolle der Medien in der gegenwärtigen Politik zwingt uns zu der Frage, in was für einer Welt und in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, und vor allem, in welchem Sinn diese Gesellschaft demokratisch verfaßt sein soll. Ich möchte zunächst zwei unterschiedliche Konzeptionen von Demokratie einander gegenüberstellen. Die eine geht davon aus, daß in einer demokratischen Gesellschaft die Bevölkerung die Möglichkeit hat, sich auf sinnvolle Weise an der Regelung ihrer Angelegenheiten zu beteiligen und ungehinderten Zugang zu den Informationsmitteln besitzt. Wenn man in einem Lexikon den Begriff »Demokratie« nachschlägt, wird man eine Definition dieser Art erhalten.

Eine andere Konzeption besagt, daß die Bevölkerung von der Regelung ihrer Angelegenheit ausgeschlossen und der Zugang zu den Informationsmitteln streng begrenzt und kontrolliert werden muß. Das mag sich seltsam anhören, aber diese Konzeption von Demokratie ist die vorherrschende, und das schon seit langem, in der Theorie ebenso wie in der Praxis. Es ist eine Geschichte, die bis zu den frühesten demokratischen Revolutionen im England des 17. Jahrhunderts zurückreicht. Ich betrachte im folgenden die Epoche der Moderne, sage etwas zur Entwicklung des Demokratiebegriffs und erörtere, wie und warum das Problem der Medien und der Desinformation in diesem Zusammenhang auftaucht.

Frühgeschichte der Propaganda

Beginnen wir mit der ersten modernen Propagandaoperation einer Regierung. Sie fand während der Amtszeit von Woodrow Wilson statt, der 1916 mit dem Slogan »Frieden ohne Sieg« zum Präsidenten der USA gewählt worden war. Zu der Zeit, Mitte des Ersten Weltkriegs, war die amerikanische Bevölkerung äußerst pazifistisch gesonnen und sah keinen Grund, sich in einen europäischen Krieg hineinziehen zu lassen. Die Regierung Wilson hatte sich jedoch auf den Kriegseintritt festgelegt und mußte nun etwas gegen die friedfertige Stimmung unternehmen. Es wurde eine Propaganda-Agentur, die so genannte Creel-Kommission, auf die Beine gestellt, der es innerhalb von sechs Monaten gelang, die Bevölkerung in eine hysterische Begeisterung zu versetzen. Jetzt auf einmal wollte man alles Deutsche vernichten, die Deutschen in Stücke reißen, in den Krieg ziehen und die Welt retten. Dieser propagandistische Erfolg führte zu weiteren Unternehmungen ähnlicher Art: Nach dem Krieg benutzte man die gleichen Techniken, um die »Angst vor den Roten« (Red Scare) zu schüren, wobei es gelang, der Gewerkschaftsbewegung schweren Schaden zuzufügen und so gefährliche Probleme wie die politische Meinungs- und Pressefreiheit zu beseitigen. Geschäftswelt und Medien sekundierten bei diesem Unterfangen, das insgesamt ein großer Erfolg wurde.

Zu denen, die sich aktiv und begeistert an Wilsons Kriegstreiberei beteiligten, gehörten auch progressive Intellektuelle aus dem Kreis um John Dewey, die, wie man ihren Schriften entnehmen kann, sehr stolz darauf waren, daß es den (so ihre Worte) »intelligenteren Mitgliedern der Gemeinschaft«, nämlich ihnen selbst, gelungen war, durch Verbreitung von Schreckbildern und nationalistischem Fanatismus der Bevölkerung den Krieg schmackhaft zu machen. Dazu waren ihnen so ziemlich alle Mittel recht, wie etwa die »Greuelpropaganda«, die den abfällig »Hunnen« genannten Deutschen das Zerstückeln belgischer Kinder und andere Grausamkeiten andichtete, die in manchen Geschichtsbüchern immer noch zu lesen sind. Vieles davon beruhte auf Erfindungen des britischen Propagandaministeriums, das damals, wie sich geheimen Unterlagen entnehmen läßt, das Ziel verfolgte, »die Gedanken fast der gesamten Welt zu lenken«, Vor allem aber wollte man die Gedanken der »intelligenteren Mitglieder der Gemeinschaft« in den Vereinigten Staaten lenken, damit die von den Briten zusammengekochte Propaganda dort Verbreitung finden und eine friedliche Bevölkerung in Kriegshysterie stürzen könne. Das gelang sehr gut, und man konnte eine Lehre daraus ziehen: Die Wirkungen staatlicher Propaganda sind umso größer, je mehr sie von den gebildeten Schichten unterstützt und keine Kritik daran zugelassen wird. Diese Lektion haben Hitler und viele andere gelernt, bis auf den heutigen Tag.

Demokratie für Zuschauer

Ebenso beeindruckt von diesen Erfolgen waren liberal-demokratische Theoretiker und führende Persönlichkeiten der Medien wie etwa Walter Lippmann, der Doyen der amerikanischen Journalisten, ein einflußreicher Kritiker der Innen- und Außenpolitik der USA und ein großer Theoretiker der liberalen Demokratie. Lippmann war an den Propagandakommissionen beteiligt gewesen und hatte den Wert ihrer Errungenschaften erkannt. Er meinte, daß eine von ihm so genannte »Revolution in der Kunst der Demokratie« dazu führen könnte, »Konsens herzustellen« (manufacturing consent), d. h. mittels der neuen Propagandatechniken die Öffentlichkeit auf Ereignisse einzustimmen, die sie eigentlich ablehnt. Er hielt dies für eine gute, ja sogar notwendige Idee, weil, wie er sagte, »das Interesse des Gemeinwesens sich der öffentlichen Meinung völlig entzieht« und nur von einer »spezialisierten Klasse … verantwortlicher Männer«, die über das notwendige Wissen verfügen, begriffen und in Angriff genommen werden kann. Seiner Theorie zufolge kann lediglich eine kleine Elite – die Gemeinschaft der Intellektuellen, von der die Dewey-Anhänger sprachen – das Interesse der Allgemeinheit adäquat in die Tat umsetzen. Das ist eine sehr alte und zugleich typisch leninistische Sichtweise, die hervorragend mit Lenins Konzept einer revolutionären Avantgarde harmoniert. Diese Avantgarde ist, so Lenin, dazu befugt, aufgrund einer allgemeinen Revolution die Staatsmacht zu übernehmen, um die Bevölkerung dann einer Zukunft entgegenzuführen, die außerhalb der begrifflichen Reichweite der dumpfen Massen liegt. Insofern gehen liberal-demokratische Theorie und Marxismus-Leninismus von gemeinsamen ideologischen Voraussetzungen aus.«10

Lippmann unterfütterte diese Anschauungen mit einer ziemlich ausgefeilten Demokratie-Theorie. Eine gut funktionierende Demokratie bestehe, so meint er, aus zwei unterschiedlichen Klassen von Bürgern. Zur einen Klasse gehören diejenigen, die aktiv mit den Angelegenheiten der Allgemeinheit betraut sind, d. h. analysieren, Entscheidungen treffen und ausführen und in den politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Systemen die Dinge ins Rollen bringen. Diese Klasse von Spezialisten umfaßt allerdings nur einen kleinen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung. Der Rest gehört zu »den anderen«, den Handlungsobjekten der Spezialisten. Sie machen, so Lippmann, die »verwirrte Herde« aus, vor deren »Getrampel und Gelärm« wir, die Spezialisten, uns schützen müssen. Beide Klassen haben in der funktionierenden Demokratie eine festumrissene Funktion. Die Spezialisten und Planer kümmern sich um das Interesse der Allgemeinheit, während die »verwirrte Herde« die Rolle von Zuschauern spielt, hin und wieder jedoch einem Mitglied der Spezialistenklasse Gewicht verleihen darf, indem sie ihm die politische Führung zuspricht. Denn schließlich leben Hüter und Herde in einer Demokratie und nicht in einem totalitären Staat. Deshalb gibt es Wahlen, nach denen die Herde jedoch wieder in die Zuschauerrolle zurückfällt und an den Planungs- und Entscheidungsvorgängen nicht weiter beteiligt ist.

Hinter dieser Theorie steckt eine Logik und sogar ein zwingendes Moralprinzip. Es besagt, daß die Masse der Bevölkerung zu dumm ist, um größere Zusammenhänge zu begreifen. Wenn sie den Versuch unternimmt, sich an der Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten zu beteiligen, stört sie lediglich den reibungslosen Ablauf. Darum wäre es unmoralisch und unverantwortlich, dergleichen von ihr zu verlangen. Wir müssen die Herde zähmen, damit sie nicht alles zertrampelt. Ihr die Beteiligung an Entscheidungsprozessen zuzugestehen, wäre ebenso unklug wie ein dreijähriges Kind allein über die Straße laufen zu lassen, weil es mit dieser Freiheit sich selbst und andere gefährden könnte.

Wir müssen also die Herde mittels einer neuen Revolution in der Kunst demokratischen Regierens zähmen, nämlich mit der »Herstellung von Konsens«, Medien, Schulen und Alltagskultur müssen zweigeteilt werden. Der politischen Klasse, den Spezialisten, vermitteln sie einen angemessenen Wirklichkeitssinn und die richtigen Überzeugungen. Konsens kann nämlich nur hergestellt werden, wenn eine entscheidende Voraussetzung zwar vorhanden ist, aber nicht ausgesprochen wird: Die Spezialisten gelangen nur an die Entscheidungshebel der Macht, indem sie – was sie auch vor sich selbst verbergen müssen – den wirklich Mächtigen dienen, den Eigentümern der Gesellschaft, einer ganz kleinen Gruppe von Personen. Nur wenn die Spezialisten bereit sind, deren Interessen zu dienen, gehören sie zu den Entscheidungsträgern. Aber das muß unter der Decke gehalten werden, und darum bekommen die Spezialisten jene Überzeugungen und Doktrinen eingetrichtert, mit denen sie den Interessen der privaten Macht dienen können. Mithin gibt es ein Erziehungssystem, in dem die zukünftigen Spezialisten sich die Werte und Interessen der Privatwirtschaft und des sie repräsentierenden staatlich-ökonomischen Sektors zu eigen machen, während die verwirrte Herde einfach abgelenkt und von den Fleischtöpfen der Macht ferngehalten werden muß.

Diese Anschauungen sind von zahlreichen anderen Personen auf ähnliche Weise entwickelt worden. So ging z. B. der berühmte Politologe und Theologe Reinhold Niebuhr – der »Theologe des Establishments« und Guru von George Kennan und den Kennedy-Intellektuellen – davon...

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