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Mein Lebensgang

Vollständige Ausgabe

AutorHoffmann von Fallersleben
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl768 Seiten
ISBN9783849638368
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
August Heinrich Hoffmann, bekannt als Hoffmann von Fallersleben war Hochschullehrer für Germanistik, Dichter sowie Sammler und Herausgeber alter Schriften aus verschiedenen Sprachen. Dies ist seine Autobiographie.

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Leseprobe

Erster Band. 1798 bis Frühling 1823.


 

Ich bin geboren den 2. April 1798 zu Fallersleben, dem Hauptorte des gleichnamigen Amtes im ehemaligen Churfürstenthum Hannover. Mein Vater war Heinrich Wilhelm Hoffmann, Kaufmann und Bürgermeister († 23. April 1819), meine Mutter Dorothea geb. Balthasar († 3. December 1842), sie stammte aus Wittingen. In der Taufe erhielt ich die Namen August Heinrich. Meine Pathen waren Heinrich August Hoffmann, nachheriger Pastor zu Mühlhausen im Waldeckschen und Frau Maria Wolff zu Havelberg. Mein elterliches Haus, jetzt im Besitze meines Schwagers Georg Friedrich Boes, ist noch vorhanden. Auf dem Querbalken über der Hausthür steht die Inschrift:

BESSER NEIDEN DEN BECLAGEN

WEN ES GOTT THVT BEHAGEN

WER AFV GOTT THRAWT

HAT WOWL GEBAWT

ER WIRT MIR GEBEN

WAS MICH DIENT ZVM LEBEN

In meiner frühesten Kindheit war ich körperlich sehr schwach und krankte in Einem fort. Außer den damals gewöhnlichen Kinderkrankheiten, Pocken und Masern, bekam ich auch hinterdrein noch das Friesel. Ich mußte viel ausstehen und nahm geduldig ein und that Alles was der Arzt und die Eltern für gut hielten. Ich erinnere mich, daß ich an einem bösartigen Ausschlage über den ganzen Körper litt und eine Zeit lang fast blind war, so daß ich das Tageslicht nicht vertragen konnte und mich gerne in einen dunkelen Gang zwischen zwei Thüren einsperren ließ, aber auch da noch jammerte, wenn der Widerschein der Sonne durch die kleinen Spalten der vorderen Thüre drang. Eine leichte Reizbarkeit der Nerven habe ich seit dieser Zeit immer behalten, namentlich in den Augen, obschon ich noch heute keine Brille brauche.

Unter der sorgsamen, oft ängstlichen Pflege meiner Großmutter, deren Liebling ich war, wuchs ich auf und wurde, wie es bei schwächlichen Kindern in ähnlichen Verhältnissen immer der Fall ist, sehr verzogen, und bald launisch und eigensinnig.

Obschon ich täglich wenn ich aufwachte und wenn ich Abends zu Bette gegangen war und vor dem Einschlafen mit meiner Großmutter betete, so hatte doch diese Andacht, weil sie gewöhnlich geworden, keinen Antheil weiter an dem was ich des Tages that und trieb. Mehr wirkte ihr frommer liebevoller Sinn und die Wahrheit in ihren Worten und Werken, wodurch sie mehr als durch ihr Alter bei Jung und Alt sich hoher Ehrfurcht erfreute. Sie verstand es vortrefflich, jedem die Meinung zu sagen. Nur in Bezug auf mich, ihren Liebling, war sie zu nachsichtsvoll, ja zu schwach.

Gegen den Willen der Eltern setzte ich Vieles durch: wenn mir eine Speise zuwider war oder auch nur nicht schmeckte, ließ ich sie stehen; erhielt ich nichts nach Wunsch, so hungerte ich lieber. Da ereignete es sich denn wol, daß die Großmama noch spät Abends zu mir in die Kammer kam und mir mit einer angenehmen Speise den Hunger zu stillen suchte. Wurden ihr dann darüber Vorwürfe gemacht, so wußte sie sich zu entschuldigen: ›Dem armen Jungen schrumpft ja der Magen zusammen.‹ Innig dagegen konnte sie sich freuen, wenn ich bei Tische einen guten Appetit entwickelte. Da pflegte sie denn wol zu sagen: ›et schînt als ob't dem Jungen smeckt‹ – was nachher sprichwörtlich bei uns wurde.

Auch in Bezug auf Kleidung war ich eigen und eigensinnig. Es kostete immer große Kämpfe, ehe ich ein neues Kleidungsstück anlegte, sobald mir die Farbe oder der Schnitt nicht gefiel. Einmal erhielt ich eine Jacke mit drei Reihen dicht an einander gesetzter blanker runder Knöpfe. Des Sonntags mußte ich die Jacke anziehen. Man glaubte wunder welche Freude man mir damit machen würde. Ich ärgerte mich und weigerte mich, sie anzuziehen – half nichts. Ich ging den ganzen Tag darin umher und dachte nur an meine Narrenjacke. Alles Auffallende in meinem Aeußern verdroß mich.

Ich konnte sogar keinen Fleck leiden, keine Dunen, keine Fädchen an meinem Rocke. Wenn wir ausfuhren und ich neben dem Knechte auf dem Bocke saß und der Wind übersäete mich mit den Haaren unserer Schecken, so war mir schon dadurch die ganze Fahrt verleidet. So ärgerte ich mich auch, daß ich weißes Haar hatte, weil das den Kindern Anlaß gab, mir nachzurufen: ›Wittkopp!‹

Wenn ich mit anderen Kindern spielte, so konnte ich es nie vertragen, wenn meinem ein anderer Eigenwille entgegentrat. Dagegen konnte ich allein stundenlang mit mir zufrieden sitzen und spielen. Ich untersuchte gewöhnlich mein Spielzeug so lange von außen und innen, bis es kurz und klein war. Die Spielsachen, die mir im Sommer von der Braunschweiger Messe und die mir zu Weihnachten beschert wurden, erfreuten sich nie einer langen Lebensdauer. Es war nicht eigentlich die Lust am Zerstören, sondern kindische Neugier, wie dies und jenes gemacht war und sich in seinen einzelnen Theilen ausnähme.

Nicht immer war meine Selbstunterhaltung eine so billige. Eines schönen Morgens saß ich mitten in der Stube auf dem großen Homannschen Atlas und riß nach und nach die Bilder mit ihren glänzenden Farben aus den Ecken, um sie mir näher zu betrachten. Am Tische saß der Herr Pastor Hantelmann von Wettmarshagen bei seinem Cafe, rauchte seiner lange irdene Pfeife und sah mir wohlgefällig zu, ohne ein Wort zu sagen. Da trat meine Mutter ein: ›aber, Herr Pastor, und das haben Sie dem Jungen nicht verboten?‹ – ›Nun, er hatte ja seine Freude daran.‹

Von den Erinnerungen aus so früher Zeit ist mir die schmerzlichste der Tod meiner jüngsten Schwester (4. Januar 1803). Sie war zwei Jahre älter als ich und starb an den Pocken. Ich sehe sie noch wie sie in ihrem kleinen Sarge ruhte, das zarte Gesicht durch eine schwarze Pockenbeule entstellt. Dies Bild ist mir mein ganzes Leben hindurch nie wieder verschwunden. Als ich zu dichten anfing, war eins der ersten Gedichte unserer früh geschiedenen Dorothea gewidmet. Von dieser Zeit an ist es mir nie möglich gewesen, Leichen zu sehen. Ich wollte mir das Bild des blühenden Lebens nicht durch den Tod verkümmern lassen. So oft andere Kinder an den Sarg ihrer todten Gespielen mit Blumen und Kränzen traten, ging ich trauernd unter den Blumen in unserm Garten umher.

Der Sinn und die Liebe für die Natur erwachte sehr früh in mir. Im Garten zwischen Blumen war mein liebster Aufenthalt. Wie freute ich mich, wenn die zarten Pflanzen, die ich selbst gesäet hatte, gediehen und unter meiner Pflege zur Blüthe kamen! Jeden Morgen wurde Heerschau gehalten und wenn eine Blume aufgebrochen war, so ward es sofort den Eltern gemeldet. Wo es anderswo schöne und seltnere Blumen gab, wurde hinspaziert, und wenn ich Samen oder einen Ableger erbetteln konnte, so zog ich beglückt heim. Besonders prachtvoll war unser langes Tulpen- und Hyacinthenbeet; auch hatten wir einige Jahre die herrlichsten Nelken, schönere an Farben und Gestalt als die jetzigen verkünstelten. Als ich unter dem Pfeffer Ricinuskörner gefunden hatte, pflanzte ich sie und erlebte die Freude, sie noch im Sommer groß aufgeschossen und in Blüthe stehen zu sehn. Auch Citronenkerne legten wir in Töpfe und erzielten wenigstens zierliche, wenn auch winzige Bäumchen. Wir waren jedenfalls glücklicher damit als bei den früheren Versuchen mit Rosinenkernen.

Aber auch an das Nützliche wurde gedacht. Wie meine Gespielen so legte auch ich eine Baumschule an. Bei dem Ueberfluß an Obst gab es den Winter hindurch Gelegenheit genug Kerne zu sammeln, die dann im Frühjahr gesäet wurden. Auch suchten wir überall in Gärten und Baumhöfen aufgelaufene Obstsprößlinge und vermehrten damit unsere Baumschule. Es war eine große Freude für mich, daß ich nach einigen Jahren, als ich Student war, eine hübsche Anzahl veredelter Stämmchen meinem Vetter verkaufen konnte. 

 

Wie der Garten so wurden bald Haus und Hof, Wiesen und Felder ein unermeßliches Feld kindlicher Freude und Thätigkeit. Das Leben im Freien bei nahrhafter Kost hatte mich gekräftigt, ich fühlte mich meinen Gespielen ebenbürtig und konnte mit ihnen Stich halten. Jede Liebhaberei der anderen Kinder wurde meinerseits mitgemacht. Auch ich mußte Tauben haben, und bald hatte ich Feldflüchter, Trommel- und Pfauentauben, die ich täglich fütterte. Daneben hielt ich mir Kaninchen von verschiedenen Farben, die mir besonders wenn ich sie fütterte ergötzliche Unterhaltung gewährten. Sie hatten aber bald den Stall so unterwühlt, daß ich sie abschaffen mußte. Fast noch mehr Spaß hatte ich an einem Häschen in einer leeren Tabakstonne. Anfangs mußte man ihm die Kohlblätter an einem langen Bindfaden hinabreichen; später als es größer wurde, mußte der Bindfaden immer kürzer werden. Als das Häschen ein Hase geworden, was nun? Da meinte der Vater: ›der Hase muß auf weidmännisch getödtet werden.‹ Die Tonne mit dem Hasen wurde in den Garten gebracht, der Vater stand mit geladener Flinte, den Hahn gespannt, daneben. Da ward die Tonne umgekippt; der Hase sprang hinaus, der Vater schoß hinterdrein und Leporello suchte das Weite.

Im Winter war außer den gewöhnlichen Kindervergnügungen, als Schlittenfahren, Schneebällen, Glandern und Schlittschuhlaufen der Vogelfang eine angenehme Unterhaltung. Wir machten uns Sprenkel, worin wir Rothkehlchen, und Kasten von Fliederstäben, worin wir Meisen fingen. Sobald Schnee lag, spannten wir Fallnetze auf, oder legten einen mit Bindfäden überzogenen Tonnenreif voll Schlingen auf den Schnee und bestreuten die Stelle mit Kaff. Die Rothkehlchen und...

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