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E-Book

MITTELSCHICHT FÜR ALLE

Wie die digitalen Eliten das Grundeinkommen finanzieren

AutorVolker Schmitz
Verlagepubli
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl285 Seiten
ISBN9783748513339
Altersgruppe1 – 99
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Vor der Digitalisierung gibt es kein Entkommen. Verschwindet die Arbeit, spaltet sich die Mittelschicht in Digitalisierungsgewinner und eine Masse von Verlierern. Und die benötigt einen neuen Sozialstaat. Genug Geld wird da sein, dank Robotern und künstlicher Intelligenz. Doch auf die Solidarität der zukünftigen Eliten ist kein Verlass. Für die Mittelschicht eine historische Herausforderung: Sie muss für sich und ihre Kinder die Teilhabe am Wohlstand und Fortschritt sichern, während ihre wirtschaftliche Bedeutung sinkt. Solange sie sich liberale Demokratie und Rechtsstaat nicht aus den Händen nehmen lässt, wird sie auch künftig ein freies Leben genießen - in Wohlstand ohne oder in Reichtum mit Arbeit.

Volker Schmitz ist Consultant und Wirtschaftsforscher. Sein Themenschwerpunkt ist die Schnittstelle von Unternehmen, Finanzmarkt und Gesellschaft. Bisherige Publikationen u. a.: Private Altersvorsorge (2002); Die sozialen Grenzen der Aktienrendite (2016); Der Finanzmarkt sind wir (2016).

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Leseprobe

1


Der Weg in die digitale Massenarbeitslosigkeit


„Prognosen sind äußerst schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen." Dieses Zitat, mal Mark Twain, mal Winston Churchill, mal Kurt Tucholsky zugeschrieben, bringt es auf den Punkt. Von den unendlich vielen Wegen, auch Zickzack-Kursen, die Wirtschaft und Gesellschaft in Zukunft einschlagen können, sind viele denkbar, aber keiner sicher. Mit einem davon setzt sich das Buch in diesem Kapitel auseinander: dem Weg in die digitale Massenarbeitslosigkeit. Das hier beschriebene Modell zielt darauf ab, mögliche Entwicklungen und Entscheidungen, die auf uns zukommen können, denkbarer und greifbarer zu machen. Und legt damit eine Grundlage für die anschließenden Kapitel, in denen wir die heute angedachten Maßnahmen zur sozialen Einhegung der Digitalisierung auf ihre Wirkungsmacht prüfen werden. Da zeitliche Abläufe ebenfalls nicht prognostizierbar sind, hat das folgende Szenario keinen Zeithorizont, sondern ist in fünf Phasen unterteilt. Für Deutschland wird die Rechnung konkreter. Ein Zahlenbeispiel am Ende des Kapitels zeigt die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen, die das Zusammenspiel von digitalem Wachstum und dem Verschwinden der Arbeit in Deutschland herbeiführen kann.

Phase 1: die Vorboten des Umbruchs


Zunächst scheint alles so weiterzugehen wie bisher. In den meisten europäischen Industrieländern mit liberaler Demokratie und Marktwirtschaft dominiert der technokratische Mainstream. Von Existenzkrise keine Spur, dafür deutliche Zeichen einer Orientierungs- und Legitimationskrise. Sein Wirtschaftswachstum: umstritten. Seine Verteilungsgerechtigkeit: unbefriedigend. Sein Umweltschutz: mangelhaft. Seine Demokratie: nicht mehr selbstverständlich. Immer offensichtlicher werden die seit langem prognostizierten weltwirtschaftlichen und geopolitischen Gewichtsverlagerungen am Beispiel Chinas, das seine ökonomische Bedeutung inzwischen auch politisch geltend macht. Außer der Einsicht, dass die, vom Westen für gut befundenen, Zeiten der europäischen Hegemonie unwiderruflich vorbei sind, zeichnet sich für die Stellung Europas innerhalb einer zukünftigen Weltgesellschaft keine zukunftsorientierte Strategie ab.

Für die kommenden Jahrzehnte, die nächsten Generationen haben die wirtschaftlichen und politischen Eliten keine Vision. Anstatt strategische Ziele zu entwickeln und zu verfolgen, dominiert „Muddling Through“ das wirtschaftliche und politische Tagesgeschäft. Den Denkhorizont bestimmt der nächste Jahresbericht, die kommende Wahl, ein aufflammender politischer Krisenherd. Als Benchmark dienen quantitative Kurzfristziele, man vergleicht sich mit Vorperioden, Nachbarländern und dem Durchschnitt der EU oder OECD. Konjunktur zählt mehr als Struktur, das schnelle Zehntelprozent Bruttosozialprodukt mehr als eine langfristige Weichenstellung. Die ökonomische und politische Ereignisdichte lässt den Akteuren kaum noch Zeit zum Atemholen. Die Gegenwart der westlichen Mittelschicht steht so sehr im Vordergrund, dass wenig Raum bleibt systematisch ihre Zukunft zu sichern. Diese Aufgabe wird bestenfalls an Kommissionen zur Begutachtung delegiert.

Dem Tempo der Digitalisierung tut dieses Kurzfristdenken keinen Abbruch. Sie breitet sich unaufhaltsam in allen wirtschaftlichen, öffentlichen und privaten Bereichen aus. Und zwar in ihrer gesamten Bandbreite, die zusätzlich Biotechnologie, Nanotechnologie und Umwelttechnik mit all ihren Untergruppen und Querverbindungen umfasst. Das erhöht die Produktivität, beschleunigt das Wirtschaftswachstum, bringt innovative Produkte auf den Markt und verbessert bestehende technische Verfahren. Und schafft neue Arbeitsplätze um den Preis vieler alter. Diese Entwicklung verstärkt einen Trend, der schon seit Jahrzehnten kritisch beobachtet wird: das Absinken des „labour shares“, des Anteils der Löhne und Gehälter am Sozialprodukt. Unaufhaltsam zeigt seine Entwicklung nach unten. Im Gegenzug steigen die Gewinne der Unternehmen, die Börsenhöchststände eilen von Rekord zu Rekord, die Ungleichheit der Einkommensverteilung ebenfalls.

Innerhalb des Westens tobt der Verteilungskampf. Die Globalisierung, die noch etwas Wachstum und Einkommensverbesserungen für die Spitzenverdiener versprach und Stagnation und Arbeitsplatzverluste für die Mittelschicht, wird rückabgewickelt – angeführt von den USA. Europa versucht sich zu wehren und schmiedet neue Handelsallianzen. Viele Arbeitslose in Europa finden keine neue Beschäftigung mehr. Einige Regierungen suchen einen Kompromiss zwischen Innovation und dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, indem sie den Arbeitsmarkt mit Transformationsgarantien regulieren, die den Kündigungsschutz bei Einsatz von Robotern und künstlicher Intelligenz verlängern. Eine von Wissenschaft und NGOs angeregte internationale Einigung über die Steuerung und Kontrolle der Digitalisierung bleibt unrealisiert. Die Politik hat zwar keine Strategie, um die sozialen Konsequenzen der Digitalisierung abzudämpfen, dafür aber ihr wirtschaftliches und militärisches Potenzial komplett in den internationalen Wettbewerb integriert. Die Digitalisierung soll nicht nur den Menschen nützen, sondern auch der Macht der Staaten. Es ist von Aufholjagd, Konvergenz, Überholen oder Zurückfallen die Rede.

Doch die steigenden Arbeitslosenzahlen, die wirtschaftliche Ungleichheit und die Umweltbelastung haben ihren Preis: Unruhe und Kritik innerhalb der europäischen Bevölkerung. Sie glaubt nicht mehr an den herrschenden technokratischen Mainstream, der sich weiterhin am Status quo orientiert, und sucht nach neuer Orientierung.

Phase 2: der Kampf um einen neuen Gesellschaftsvertrag


So entfaltet sich abseits des Status quo die gesellschaftliche und politische Dynamik. Immer mehr Menschen in Europa sorgen sich um die Umwelt und die Zukunft ihrer Kinder, auch wenn es ihnen im globalen Vergleich materiell noch gut geht. Viele engagieren sich für einen „neuen Gesellschaftsvertrag“: die alternative Wirtschaft, in der Umwelt und Lebensqualität an erster Stelle stehen. Sie verspricht eine breitere Verteilung von Arbeit mit mehr Freizeit für die Erwerbstätigen und geringeren Einkommensunterschieden. Ihr Ziel ist ein entschleunigtes Wirtschaftswachstum. Produzenten und Konsumenten werden in ihrer Freiheit eingeschränkt, das betrifft insbesondere die Biotechnologie-Branche, die stärker nach ethischen Kriterien reguliert werden soll. Ohne Eingriffe in die Marktwirtschaft ist diese Vision schwer zu verwirklichen. Dafür ist aber die Entkoppelung der Sozialsysteme vom Arbeitsmarkt kein Tabu mehr. In der alternativen Wirtschaft stagniert die Mittelschicht, bleibt aber intakt.

Völlig anders sieht die Zukunft in den Augen der Digitalisierungseliten aus, einer neuen gesellschaftlichen Gruppe, die sich in Europa und der restlichen Welt in den vergangenen Jahren herausgebildet hat. Zu ihr zählen in diesem Szenario nicht nur die Topführungskräfte aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, sondern eine breitere Oberschicht von Menschen mit einer hohen technisch-wissenschaftlichen Qualifikation, einem hohem Einkommen, großem Finanzvermögen und erheblichem gesellschaftlichen Einfluss. Dazu gehört ebenfalls die gut verdienende Gruppe von Dienstleistenden, die für sie und die Wirtschaft unentbehrlich sind. Diese Elite umfasst alle Gewinner und Gewinnerinnen der Digitalisierung. Mit starkem Engagement in der öffentlichen Debatte versucht sie der öffentlichen Kritik zu begegnen, die der schnelle technologische Wandel hervorruft. Dabei treten ebenfalls Eckdaten für einen möglichen neuen Gesellschaftsvertrag zu Tage. Das Gegenangebot der technologisch-wirtschaftlichen Eliten an die gefährdete Mittelschicht lautet in etwa folgendermaßen: Die digitale Wirtschaft und Wissenschaft darf frei investieren und forschen, um die Innovation in allen Bereichen voranzutreiben. Damit sorgt sie für Wachstum, Umweltschutz, bessere Gesundheit und längeres Leben. Dass die Mittelschicht an allem beteiligt wird, kann nicht garantiert werden, da die Arbeitsleistung, mit der diese bisher ihr Geld verdient hat, immer weniger benötigt wird. Zum Ausgleich gibt es das bedingungslose Grundeinkommen, das den Sozialstaat revolutionieren soll – weg von der differenzierten Leistungsvielfalt hin zu einer Leistung für alle und alles: Sozialhilfe, Arbeitslosenunterstützung, Einheitsrente inklusive medizinischer Grundversorgung in einem. So ausgestattet kann die für Produktion und Dienstleistung nicht mehr benötigte europäische Bevölkerung zumindest begrenzt an der Fülle der neuen Produkte teilhaben. Und, um etwas hinzuzuverdienen, auch ihre Arbeitskraft auf einem noch freieren und effizienteren Arbeitsmarkt ohne Mindestlöhne anbieten. Ein Anspruch auf Arbeit, der rechtlich noch nie bestand, ist ebenso wenig angedacht wie eine Verpflichtung etwas zu tun.

Der Diskussionspegel innerhalb der Gesellschaft steigt. Einige Gruppen aus der Mittelschicht sehen mit dem Angebot der Digitalisierungseliten ihre Hoffnung auf ein Grundeinkommen steigen, das sie seit langem fordern. So entsteht eine ungewöhnliche Koalition aus politisch linken Gruppierungen, utopischen sozialreformerischen Kreisen, Menschen, die Sozialhilfe beziehen, Studierenden, freiberuflich Tätigen, Älteren mit Niedrigrenten, Teilzeitbeschäftigten sowie von Abstiegsangst verunsicherten Teilen der Mittelschicht. Sie alle befürworten das Grundeinkommen, allerdings bei reguliertem Arbeitsmarkt, in dem weiterhin Mindestlöhne gezahlt werden. Große Teile der Gewerkschaften und Parteien aus dem mittleren...

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