Bevor im weiteren Verlauf unterschiedliche Pflegekonzepte und –modelle bei Demenzerkrankungen vorgestellt werden, hat zunächst eine grundlegende Einordnung bzw. Definition des Begriffs „Pflege“ zu erfolgen.
Auf der Internetseite des International Council of Nurses, ICN findet sich hierzu folgende Begriffsbestimmung:
„Nursing encompasses autonomous and collaborative care of individuals of all ages, families, groups and communities, sick or well and in all settings. Nursing includes the promotion of health, prevention of illness, and the care of ill, disabled and dying people. Advocacy, promotion of a safe environment, research, participation in shaping health policy and in patient and health systems management, and education are also key nursing roles”. (ICN 2010)
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe DBfK übersetzt dieses Verständnis wie folgt:
„Pflege [im professionellen Sinn] umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften, sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings).
Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die
Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein.
Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind Wahrnehmung der Interessen und
Bedürfnisse (Advocacy), Förderung einer sicheren Umgebung, Forschung,
Mitwirkung in der Gestaltung der Gesundheitspolitik sowie im Management des
Gesundheitswesens und in der Bildung“. (DBfK 2013)
Kastner und Löbach verweisen darauf, dass es bei Pflege stets darum geht, sich mit den „Reaktionen eines Menschen auf eine entweder bereits vorhandene Erkrankung, Behinderung oder durch andere Faktoren bedingte Beeinträchtigung der Alltagskompetenzen oder seinen Umgang mit Gesundheitsgefährdungen“ auseinander zu setzen. Anders als in der Medizin spielen hierbei ergo Diagnostik und Therapie von Störungen und Erkrankungen eine untergeordnete Rolle, von zentralem Interesse ist hingegen die „Alltagsbewältigung“ der Betroffenen. (Kastner, Löbach 2010: 86)
Dementielle Erkrankungen spielen eine immer größere Rolle im pflegerischen Alltag, jedoch kann bei diesen meist progredient verlaufenden, nicht heilbaren Krankheitsformen von „gesund pflegen“ nicht die Rede sein – die Pflege von Personen mit einer derartigen Erkrankung bedeutet vielmehr eine „Begleitung der Betroffenen auf deren Weg, der mit zunehmenden Verlusten einhergeht und schließlich zum Tod führt“. Pflegepersonen kommt unweigerlich eine „Schlüsselrolle im Umgang mit den Betroffenen und deren Angehörigen“ zu, denn in vielen Fällen findet eine emotionale Orientierung der Betroffenen an der Haltung der Pflegekräfte statt, sie erhoffen sich Rat und Unterstützung. Als primäres Ziel bei der Pflege von Demenzpatienten gilt die „Bewahrung bzw. Förderung und nach Möglichkeit die Wiederherstellung von relativem physischem und psychischem Wohlbefinden, von Fähigkeiten und von größtmöglicher Sicherheit der betroffenen Person“. Von Bedeutung ist hierbei zudem die Anerkennung und Unterstützung der individuellen Wünsche und Bedürfnisse der zu versorgenden Person sowie die Stärkung deren Selbstachtung. (Kastner, Löbach 2010: 89f.)
Prof. Dr. Doris Schaeffer und Dr. Klaus Wingenfeld vom Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld weisen in diesem Kontext darauf hin, dass zu der Zeit, als nur begrenzte medizinische und pharmakologische Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung standen, Aids als sogenannte nursing disease (Corless et al. 2006) bezeichnet wurde, da der Pflege bzw. den Versorgungsaspekten (care) von Aids- Erkrankten aufgrund mangelnder wirksamer Behandlungsmethoden (cure) damals eine herausragende Stellung zukam. Diese Situation lasse sich nun auf dementielle Erkrankungen durchaus übertragen; Demenz kann ebenfalls als eine nursing disease betrachtet werden, als „eine Krankheit, bei der der Pflege ein wichtiger Part für die Betreuung und Versorgung zukommt“. Den vielfältigen, verbesserten Behandlungsmöglichkeiten zum Trotz sind Demenzerkrankungen bislang „in aller Regel mit einem im Verlauf steigenden und zunehmend komplexer werdenden Bedarf an Unterstützung und Pflege verbunden“. (Schaeffer, Wingenfeld 2008: 293f.)
Zwar existieren mittlerweile sehr unterschiedliche Einschätzungen der spezifischen Probleme und Bedürfnisse von dementiell erkrankten Personen, jedoch besteht ein weitgehender Konsens bei der Betreuung und Pflege der Betroffenen darin, dass der Abbau geistiger Kräfte aufgrund von neurologischen Beeinträchtigungen letztlich nur verzögert und nicht abgewendet werden kann.
Daher verfolgt die Betreuung von Demenzpatienten vorrangig das Ziel, „mithilfe von positiver Arbeit an der Person, die persönliche Wesenheit, also die Identität dieses Menschen, zu erhalten“. (Thieme 2008: 470)
Das jeweilige Stadium der Krankheit bestimmt letztlich, welche Art der Pflege- und Betreuungsmöglichkeiten für die Betroffenen bzw. Unterstützungsmöglichkeiten für die Angehörigen in Frage kommen. Während im frühen Stadium ambulante Hilfen wie ehrenamtliches Engagement, Sozialstationen oder auch spezielle Betreuungs-gruppen für Demenzkranke in Betracht kommen, ist im mittleren Stadium bereits eine wirksamere Entlastung für die Angehörigen notwendig: Hier empfiehlt es sich, auf die Hilfe ambulanter Dienste bzw. auf das Angebot der Tages- und Kurzzeitpflege zurückzugreifen. Wenn im späten Stadium einer dementiellen Erkrankung die fortgeschrittene Pflegebedürftigkeit einer Person die Angehörigen zuhause vor immer größere Herausforderungen stellt und Belastungen mit sich bringt, entsteht oft die Notwendigkeit, den Patienten in einem Pflegeheim bzw. der gerontopsychiatrischen Abteilung einer Klinik unterbringen zu lassen. (Braas et al. 2005: 96)
Auch Catulli verweist darauf, dass Demenz eine Erkrankung darstellt, welche nicht nur den dementen Menschen selbst betrifft, sondern auf gravierende Art und Weise auch die Lebenswelt der pflegenden Angehörigen verändern kann – dem familiären Netz wird im Krankheitsverlauf eine beachtliche Anpassungsleistung abverlangt. (Catulli 2007: 9)
Im Folgenden sollen nun verschiedene Formen der Versorgung und Betreuung von dementiell erkrankten Personen vorgestellt und, sofern der Autorin bekannt, anhand von exemplarischen Maßnahmen in der Praxis näher erläutert werden. Dabei wird vorab darauf hingewiesen, dass im Rahmen dieser Arbeit nicht die gesamte Bandbreite der Angebote und Möglichkeiten vorgestellt werden kann und die Praxisbeispiele frei nach eigenem Empfinden ausgewählt wurden und daher kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird.
Bei Menschen mit Alzheimer oder einer anderen Form der Demenz ist es durchaus möglich, dass sie im frühen und mittleren Stadium der Krankheit noch im eigenen Zuhause wohnen bleiben können. Notwendig ist hierbei jedoch, dass sich Betroffene und Angehörige rechtzeitig informieren, welche gesellschaftlichen Hilfsangebote es gibt bzw. was im individuellen Fall erwünscht und möglich ist. Zwar liegt diese Entscheidung bei dem Erkrankten und seiner Familie selbst, jedoch haben auch äußere Faktoren hierauf einen großen Einfluss: Das Ausmaß der Angebote sowie die finanzielle Lage des Demenzkranken und seiner Angehörigen bestimmen letztlich den Rahmen der Betreuungsmöglichkeiten.
Die meisten Menschen wünschen sich, ihren Lebensabend zuhause in vertrauter Umgebung zu verbringen, denn mit der eigenen Wohnung werden meist auch Erinnerungen an die eigene Biografie bzw. das Familienleben verbunden, ein Aspekt, welcher im Allgemeinen ein Gefühl der Sicherheit bei Menschen hervorruft. Zudem stellt für viele Menschen das Leben in der eigenen Wohnung einen Ausdruck von Individualität dar; dies ist der Bereich, in dem sich der Mensch als Einzelner in hohem Maße verwirklichen kann. Das Wohnen gilt neben der Arbeit als ein äußerst bedeutsamer Aspekt im Leben eines adoleszenten Menschen, welcher Identität stiftet. Damit einhergehend kann Wohnen auch Ausdruck der eigenen Souveränität sein, die Selbstständigkeit einer Person wird häufig darin offenbar, dass sie über einen eigenständigen Bereich zum Wohnen und Leben verfügt. (Thieme 2008: 662)
Derzeit leben in der Bundesrepublik immerhin zwei von drei Demenzkranken weiterhin zuhause; meist gelingt dies allerdings nur, wenn nahe Angehörige dabei einen Großteil der Versorgung und Betreuung übernehmen. Gegenwärtig sind es weiterhin vor allem Ehefrauen, Töchter oder...