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Montagsdemos als Ausdruck einer neuen Wut?

Eine vergleichende Analyse der Montagsdemos von 1989 und 2008

AutorSusan Burger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl116 Seiten
ISBN9783640428403
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Politik - Politische Systeme - Politisches System Deutschlands, Note: 1,0, Universität Potsdam (Lehrstuhl Methoden der Empirischen Sozialforschung), Sprache: Deutsch, Abstract: Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung bewegt sich nicht im luftleeren Raum, sondern findet zu einem historischen Zeitpunkt, in einer bestimmten Entwicklungssituation der Gesellschaft, an einem bestimmten Ort und durch eine bestimmte Person statt. So ist es auch mit dieser Untersuchung. Zunächst soll theoretisch geklärt werden, was unter einer sozialen Bewegung verstanden wird, und wie sie zustande kommt. Denn die Untersuchung beschäftigt sich mit einer aktuellen gesellschaftlichen Aktion. Da ein ähnliches gesellschaftliches Engagement für gesellschaftliche Veränderung vor noch nicht allzu langer Zeit (1989) in der Geschichte stattgefunden hat, ist es von Interesse Ähnlichkeiten und Unterschiede beider Aktionen durch einen Vergleich herauszuarbeiten. Die theoretische Einführung soll hierfür eine Basis schaffen, auf der dann eine genauere Betrachtung der Montagsdemonstrationen von 1989 und der Berliner Montagsdemonstrationen von 2008 erfolgen wird. Des Weiteren wird eine Untersuchung der Montagsdemonstrationen von 2004 vergleichend herangezogen. Hierzu werden beide Montagsdemonstrationen im historischen Kontext dargestellt, in die zuvor vorgestellte Theorie eingeordnet und dann verglichen. Sozialwissenschaftlich wurden die Montagsdemonstrationen bisher nur zur Zeit der größten Teilnehmerbeteiligung untersucht, 1989 und 2004. Eine Einordnung der aktuellen Montagsdemonstrationen in die Theorie konnte ich in der Literatur nicht finden, sodass ich diese selbstständig entwickelte. In meiner Erhebung beschäftige ich mich mit den Unterschieden und Ähnlichkeiten der Montagsdemonstrationen. Es werden jedoch auch Theorieannahmen über die Beteiligungsgründe überprüft, wie z.B. die Annahme der Wut als Motivation teilzunehmen. Dies geschieht über Hypothesenbildung, die ich durch eine eigene empirische Erhebung (Befragung) überprüfen werde, was dann Aussagen über die aktuelle Montagsdemonstration zulässt. Die empirischen Untersuchungen von 1989 und 2004 berücksichtige ich vergleichend. Ein Ende der aktuellen Montagsdemonstrationen ist den Aktivisten zu Folge nicht abzusehen, so ist eine weitere Forschung zu dem Thema möglich.

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Leseprobe

2 Betrachtung ausgewählter Bewegungen


 

2.1 Montagsdemonstration in der Deutschen Demokratischen Republik


 

2.1.1 Historische Ursachenbetrachtung


 

Dem sich Ende 1989 herauskristallisierenden Volksprotest geht eine lange Phase der Entwicklung des Widerstandes voraus. Ich beschränke meine Darstellung auf die Zeit nach 1968. In dieser Zeit verlagerte sich der öffentliche Fokus nach dem Arbeiteraufstand am 17.06.1953 hin zu den Protesten der Intelligenz, darunter Robert Havemann und Rudolf Bahro. Die Kirchen gründeten 1973 den Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und stellten sich somit nicht mehr dem politischen Regime der DDR entgegen, sondern begannen eine Zusammenarbeit, die sich als „Kirche im Sozialismus“ verstand (Thaysen, 1990, 157). Die Gruppen aus dem künstlerischen Milieu forderten in Veröffentlichungen die Einlösung von mehr Bürgerrechten (Fehr, 1996, 204), was bereits mit der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 zugebilligt hätte werden müssen. Diese Forderung deutet auf ein oben genanntes Merkmal zur Entstehung von sozialen Bewegungen hin, nämlich der Entkopplungstendenz zwischen dem Staat der DDR und der Zivilgesellschaft (Klein, 1999, 9). Sie konnte durch Selbstbedienung und wachsender Korruptionsdichte entstehen, was zu einem allgemeinen Vertrauensschwund in den Staat und die politischen Parteien der DDR führte. Aus den Kontroversen zwischen dem Staatsapparat der DDR und Wolf Biermann kristallisierten sich Kernthemen wie die Garantie der Menschenrechte und die freie Meinungsäußerung heraus (Fehr, 1996, 205). Ein Höhepunkt der Auseinandersetzungen war die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976, was als offener Bruch zwischen der Elite des Landes und der Bevölkerung einzustufen ist. Die Ausbürgerung löste Protestaktionen und einen offenen Brief aus, der von mehreren bekannten Künstlern unterzeichnet und an die Presseorgane der DDR und Westeuropa verschickt wurde. Die Ausbürgerung führte zudem zu Solidaritätsbekundungen außerhalb des Schriftsteller- und Künstlermilieus und damit zu einer stärkeren Beschäftigung mit den kontrovers diskutierten Themen. Der Protest ging in den 70ern von einer punktuellen Interaktion zu einer Beteiligung Mehrerer über (ebenda, 319), die Zahl der Beteiligten stieg dann 1989 noch einmal um ein Vielfaches.

 

Der schrittweise Verlust der Macht und der Legitimität des Staatsapparats zeichnete sich in den verstärkt gegründeten Gruppen ab. So sind hier die jugendliche Gegenkultur, die Friedens- und die Umweltinitiativen zu nennen (Fehr, 1996, 203). Das Verschieben der Realisierung der kommunistischen Utopie in ungewisse Ferne machte einen Konflikten in der Gesellschaft deutlich (Meuschel, 1991, 22). Die Jugend beschäftigte sich vorwiegend mit der Militarisierung/Aufrüstung und veröffentlichte ihre Meinung z.B. in Form des Aufnähers „Schwerter zu Pflugscharen“ (Fehr, 1996, 207). Die Militarisierung/Aufrüstung war durch die Einführung des Wehrkundeunterrichts 1978 für die Schüler spürbar geworden. Vielerorts gründeten sich zwischen 1980 und 1985 Friedensgruppen, die nicht nur christlicher, sondern auch anarchistischer, linkssozialistischer oder pazifistischer Überzeugung waren (Fricke, 1984, 190). Ihre Treffen fanden aber meist unter den Dächern der Kirchen als Orte für unabhängige Öffentlichkeit statt (Fehr, 1996, 306). In ihnen wurden demokratische Verhaltensformen praktiziert und relativ offene Dialoge geführt (Urich, 2006, 65). Im Binnenraum kirchlicher Öffentlichkeit konnten Fähigkeiten wie die Bildung politischer Urteile geübt und praktiziert werden (Fehr, 1996, 226). Dass dies im großen Masse nur in den Kirchen möglich war, deutet auf eine fehlende Pluralität gesellschaftlicher und politischer Institutionen sowie auf fehlende Demokratie hin (Meuschel, 1991, 23). Die 1981 begonnenen wöchentlichen Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche wurden Ende der 80er zu Kristallisationspunkten der Auseinandersetzungen zwischen den Basisgruppen (Fehr, 1996, 227). Dadurch, dass der Staatsapparat dazu überging die Oppositionsgruppen zu tolerieren (Meuschel, 1991, 23), konnten einige der Gruppen 1989 auf ältere Organisationsstrukturen aus den 70ern zurückgreifen (Fehr, 1996, 209) und 1989 mit einer größeren Effektivität arbeiten. Das legale Oppositionsverständnis wurde von den Kirchen 1989 forciert, um von ihrer politischen Stellvertreterrolle entlastet zu werden (Knabe, 1990, 21).

 

In den Jahren von 1987 bis 1989 lassen sich in der DDR Ansätze für Protestzyklen unabhängiger Initiativen feststellen, die dann im Herbst 1989 zu kollektiven Massenprotesten auf der Straße führten (Fehr, 1996, 335). Die Verhaftung der Schlüsselpersonen der Umweltbibliothek im Winter 1987 kann zu einer erhöhten Bedeutung von politischem Raum für eine Teilöffentlichkeit außerhalb der Kirche (Fehr, 1996, 221) gezählt werden. Zu Beginn des Jahres 1988 fanden erneute Protestversuche in Berlin statt, wie z.B. während der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration, die mit Verhaftungen endete. Diese Protestversuche wiederholten sich ein Jahr später auch in Leipzig.

 

Im November 1988 verbot die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) die deutsche Ausgabe der russischen Zeitschrift „Sputnik“ (ebenda, 320), was den Bruch zwischen der Elite in der Sowjetunion und der DDR zeigt. Die erstarkenden Proteste in der DDR sind eng verknüpft mit den Veränderungen in der Sowjetunion. Seit 1986 leitete Michail Gorbatschow einen Prozess zum Umbau und zur Modernisierung des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Systems in der Sowjetunion ein. In diesem Zuge teilte die russische Führung den Machthabern in der DDR mit, dass sich die Rote Armee nicht einmischen werde. Dies verlieh den Demonstranten Mut, sich verstärkt zu beteiligen (Kuhn, 1992, 27 und 29). 1989 protestierte eine Vielzahl an Menschen in der DDR, die sich nicht mehr einfach verhaften ließen (Fehr, 1996, 290). Auf diese Weise eigneten sich die Menschen den öffentlichen Raum wieder an und konnten dadurch ihren politischen Initiativen nachkommen (ebenda, 289). Die erste Montagsdemonstration fand am 04.09.1989 gegen 17:00 Uhr in Leipzig statt, der Montag wurde gewählt, da die Menschen so nicht der Arbeit fern bleiben mussten und die Läden in der Leipziger Innenstadt noch geöffnet waren und so noch viele Menschen sich dort aufhielten, die einen gewissen Schutz vor Übergriffen der Polizei gaben. Ein wichtiger Aspekt war noch, dass der Zeitpunkt vor den Hauptnachrichten der BRD-Sender lag und diese so immer aktuell darüber informieren konnten (Kuhn, 1992, 15).

 

Zum Ende der DDR fehlte der SED eine politische Diagnosefähigkeit, die eine richtige Einschätzung der Proteste verhinderte um für die veränderte Situation im Land eine Perspektive zu entwickeln. Sie verblieb bei dem rituellen Sprachgebrauch und auch bei ihren Repräsentanten (ebenda, 320). Die Sprachlosigkeit der Führung und ihre Konzeptlosigkeit in der Situation (Kuhn, 1992, 25), gestatteten es der SED nicht mehr die Legitimität der Herrschaft zu beanspruchen (Meuschel, 1991, 22), was die Krisentendenz und die Erosion der Legitimität noch sehr verstärkte (Fehr, 1996, 318). Hier ist auch die Lebensfremdheit der Führungsebene der DDR zum Volke zu nennen, wodurch sie nicht in der Lage war, die Situation richtig einzuschätzen (Kuhn, 1992, 17).

 

Als ausschlaggebender Punkt wird in der Literatur die Kommunalwahl im Mai 1989 angesehen. Denn sie zeigte, dass die Unzufriedenheit immer größere Kreise der Bevölkerung erfasst hatte und die kritischen Gruppen nicht mehr länger isoliert werden konnten. Die Unzufriedenheit nahm überhand und die Menschen verloren allmählich ihre Angst vor Repressionen (Knabe, 1990, 25), im Gegenteil, diese Angst schlug in Ablehnung, Hass und Wut um (Kuhn, 1992,19). Als Beispiel kann hier der Vorgang der Wahlen in zwei Wahlbezirken in Weißensee herangezogen werden, da in ihnen plötzlich heftige Diskussionen auf den zuvor kaum beachteten Nominierungsversammlungen der Kandidaten entbrannten, woraufhin die Nominierungsversammlungen gar nicht erst bekannt gegeben wurden. Die kirchlichen Gruppen riefen die Bürger auf an der Wahl nicht teilzunehmen oder mit „Nein“ zu stimmen. Es wurden in verschiedenen Städten flächendeckende Beobachtungen der Auszählungen organisiert, sodass Anzeige wegen Wahlbetrugs von den Beobachtern gestellt werden konnte, als in einem Vergleich die öffentlich bekannt gegebenen Stimmergebnisse nicht mit den beobachteten Ergebnissen übereinstimmten (Knabe, 1990, 25). Auf diese Weise konnte es den Gruppen gelingen aus ihrer Stellung der gesellschaftlichen Marginalität herauszutreten (Meuschel, 1991, 24). Die offenkundige Manipulation der Wahlergebnisse führte zu starken Protesten in der Bevölkerung, die sich einen breiten innergesellschaftlichen Dialog erhoffte. Doch die Reaktion der DDR-Regierung bestand in der Unterdrückung des Themas „Wahlen“ und dem Ignorieren der eingegangenen Anzeigen. Die Reaktion der Regierung hatte zur Folge, dass die Bevölkerung ein immer größeres Interesse an dem Thema der Wahlmanipulation entwickelte (Fehr, 1996, 233).

 

Die Ausreisewelle ab Sommer 1989 führte zu einer verstärkten Diskussion über Themen wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit (Fehr, 1996, 234f). Sie bildete den Anfang der friedlichen Revolution (Mühler et al., 1991, 37). Die Pluralisierung der kritischen Sichtweise der Bevölkerung in Bezug auf verschiedene Themen führte zu Massendemonstrationen auf dem Gebiet der gesamten DDR und drücke auf diese Weise das...

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