Der Winter war vorübergegangen: der Frühling hatte die Erde mit seinem grünen, blumendurchwirkten Gewande geschmückt, die Auferstandene mit Lerchenjubel begrüßt, und nun lag ein heißer Sommer über den Fluren, deren reiche Fruchtfelder sich schon gelb färbten. Bienen summten jetzt geschäftig von Blume zu Blume und die Morgensonne lächelte freundlich vom blauen Himmel herab, als aus dem Thore der Stadt Salzburg eine alte, gebrechliche Kutsche ihren Weg nach dem Fürstbischöflichen Lustschlosse Hellebrunn nahm.
Man sah es diesem Fuhrwerke an, daß es der Jahre und mit den Jahren der Schicksale viele erlebt hatte, und seine Geschichte glich in der That derjenigen manches Menschen, der in seiner Jugend goldene Tage gesehen und im Alter Zeiten kennen gelernt hatte, von welchen er mit Recht sagen kann: "sie gefallen mir nicht."
"Golden" waren die Jugendtage dieses Fuhrwerkes allerdings, und zwar im eigentlichsten Sinne des Wortes gewesen; denn noch immer konnte man an einigen Stellen des seiner Zeit reichen – jetzt freilich nur noch in Trümmern vorhandenen – Schnitzwerkes Spuren von einstiger Vergoldung erkennen. Einem geübten Auge mußte selbst die Form und riesige Größe des Wagens auf den ersten Blick sagen, daß er einst den hohen Rang einer Fürstbischöflich-Salzburgischen Hofequipage eingenommen; wenn gleich nur der tiefer Eingeweihte wissen konnte, daß er sogar bei Kaiser Karl VI. Krönung als Staatscarosse mit in Frankfurt gewesen war. Aber diese schönen Tage waren freilich längst vorüber. Vom herrschaftlichen Staatswagen zur Equipage des Gefolges degradirt sank der alternde Freund, all' seines Glanzes durch den Zahn der Zeit beraubt, endlich zur "Musikanten-Kutsche" herab, das heißt, zu dem gefährlichen Fuhrwerke, mit welchem die Musiker der Hof-Capelle bei besonderen Gelegenheiten zum Dienste nach den fürstlichen Lustschlössern gebracht und wieder zurückgeliefert wurden. "Gefährlich" war der Wagen aber deshalb, weil er – im höchsten Grade invalid – den guten Salzburgern bereits schon über ein halbes Jahrhundert als "Musikanten-Kutsche" bekannt war.
Heute nun schleppte er, langsam und nach allen Seiten hin wackelnd, von zwei alten, dürren Pferden gezogen, den Vice-Capellmeister Mozart, und die Hofmusiker Adlgasser, Lipp, Schneuzer und Regenauer durch die lachende und blühende Frühlingslandschaft. Aber welche Stöße er auch, im heimtückischen Zorne über sein Alter und im aristokratischen Gefühle seiner Herabwürdigung, den Künstlern versetzte, in eines vermochte er sie nicht zu versetzen – und das war, in eine üble Laune. Im Gegentheile, der Gesammtinhalt der "Musikanten-Kutsche" war heute besonders freudig angeregt, denn sie fühlten sich sämmtlich durch ein Ereigniß geehrt, welches ihren gemeinschaftlichen Freund, ihren allverehrten Vice-Capellmeister Mozart betraf.
Kurz vor ihrer Abfahrt hatte dieser nämlich einen Brief von Berlin erhalten, in welchem eine Gesellschaft musikalischer Notabilitäten ihm anzeigte, daß sie gesonnen sei, eine Zeitschrift unter dem Titel: "Kritische Briefe über die Tonkunst" herauszugeben. Nun aber ward Vater Mozart nicht nur in diesem Schreiben aufgefordert, bei diesem schönen und für die damalige Zeit höchst wichtigen Unternehmen mitzuwirken; – nein! die Gesellschaft sagte darin auch, daß sie gesonnen sei, jeden dieser Briefe an irgend eine hervorragende musikalische Persönlichkeit öffentlich zu richten, und daß sie sich daher erlauben werde, das erste Schreiben ihm zu dediciren. "Konnte" – heißt es in dem Briefe weiter – "die Gesellschaft bei diesem Vorsatze einen glücklicheren Anfang als mit Ihnen machen?"8
Dieses Zeichen der Achtung aus so weiter Ferne mußte nun natürlich nicht nur den, den es betraf, sondern auch – in ihm – die ganze Hof-Capelle ehren und erfreuen und so kam es denn, daß sich die ganze Gesellschaft der "Musikanten-Kutsche" heute in so heiterer Laune befand, wie der herrliche Frühlingstag, der die reizende Umgebung Salzburgs mit seinem schönsten Sommergolde überzog.
Da lag es ja, das freundliche Salzburg, – das alte Jouani der Römer, die Haupt- und Residenzstadt des gleichnamigen, damals noch reichsunmittelbaren Erzbisthums; – da lag es, hingestreckt an beiden Ufern der Salza, auf drei Seiten umschlungen von den grünen Armen bewaldeter Berge, während sich gegen Norden der Blick in ein fruchtbares Thal öffnete, das sich, längs der Salza hinab, in eine unabsehbare Ebene gegen das angrenzende Bayern verlor.
Auch das niedliche Schlößchen Emslieb winkte den Vorüberfahrenden und erinnerte sie, daß gerade dessen Besitzer, der Fürst Bischof zu Chiemsee, es sei, dessen Besuch am Salzburger Hofe die heutige Festlichkeit verursachte.
Und wie freundlich schimmerten durch die fruchtbeladenen Bäume der langen Obstallee, die die Hellebrunner Landstraße bildete, die Gebäude der Kaiserburg, des Christani-Schlosses und des mit wahrhaft fürstlicher Pracht von Erzbischof Max Gandolph erbauten Froburger Majorats-Hofes. Die Weiher, welche den letzteren umgaben, blinkten aus der Ferne wie silberne Spiegel und zwischen den lichtgrünen Büschen warf hie und da eine Fontaine ihre blitzenden Wasserstrahlen empor.
Zu der Zeit nämlich, von welcher wir erzählen – der Mitte des vorigen Jahrhunderts – war Salzburg, dies Alpenland voll erhabener Naturschönheiten, Gletschern, Wasserfällen, Engpässen und Höhlen, noch ein selbstständiges Fürsten- und Erzbisthum, und machte als solches einen Theil des hundertfach zerklüfteten deutschen Reiches aus. Aber so klein und unbedeutend im Ganzen auch dies Stückchen deutscher Erde war, seine regierenden priesterlichen Herren hielten so gut einen Hof, wie der benachbarte Churfürst von Bayern! und wie der Churfürst es dem Kaiser im Hofhalt gleichzuthun strebte, so war es für die kleineren Fürsten eine Ehrensache, – wenigstens in Aemtern, Hofchargen und Aufwand, den churfürstlichen Höfen nicht nachzustehen.
So war denn auch der Haushalt der Erzbischöfe von Salzburg ganz den churfürstlichen nachgebildet,9 und obgleich das Ländchen unter Steuern und Abgaben fast erlag, und die Beamten Besoldungen bezogen, bei welchen sie – wie man zu sagen pflegt – weder leben noch sterben konnten – bestand doch der Hochfürstlich-Salzburgische Hofstaat aus folgenden Chargen:
Das Ministerium bildete der Obersthofmeister, Graf von Lodron, – der Oberstkämmerer, des heil. römischen Reiches, Graf von Lamberg, – der Obersthofmarschall, der Oberststallmeister, Reichsgraf von Künburg, – der Oberstjägermeister, Reichsgraf von Kinigl und der Leibgardehauptmann, als Kriegsminister. Ferner gab es hier sogar, wie am kaiserlichen Hofe, vier Erbämter: einen Erblandmarschall, einen Erbschenk, einen Erbkämmerer und einen Erbtruchseß, dreißig Kammerherren, von welchen die activen bei dem Lever, der hochfürstlichen Tafel u.s.w. den Dienst hatten und bei Kirchen- und Hoffesten, wie am Kaiserhofe zu Wien unter Maria Theresia, in spanischer Kleidung erscheinen mußten; gegen zwanzig geheime Räthe, einen Leibmedicus, drei Hof-Capelläne, vierzehn Truchsesse und zahllose untergeordnete Aemter bei der Capelle, der Hofküche, der Silberkammer, der Confectstube, dem Marstall, – der allein über sechzig Bedienstete in Anspruch nahm – der Oberstjägermeisterei und der Leibgarde.10
So bildeten um jene Zeit alle die kleinen regierenden Reichsgrafen, Fürsten und Herren des heiligen römischen Reiches souveraine Höfe mit einem Alles erdrückenden Luxus; aber sie spielten auch – was das Schlimmste dabei war – die großen Souveraine selbst; und nirgends vielleicht war Ludwigs XIV. "L'état c'est moi!" mehr im Gange, als gerade an jenen kleineren deutschen Höfen. Daß dies aber bei dem jetzt regierenden Fürst-Erzbischofe von Salzburg, Sigismund, auch der Fall sei, wußte Niemand besser, als unsere kleine Gesellschaft, die jetzt von der "Musikanten-Kutsche" dem Lustschlosse Hellebrunn immer näher gebracht wurde. Hatte doch die Capelle, obgleich sie zumeist aus ausgezeichneten Musikern bestand, unendlich unter der souverainen Verachtung seiner hochfürstlichen Gnaden zu leiden, der selbst seine Capellmeister wie die untergeordnetsten Diener zu behandeln pflegte.
Das niederdrückende Bewußtsein dämpfte denn auch, mit der allmäligen Annäherung an den Ort ihrer Bestimmung, die bis dahin so ungetrübte Heiterkeit des würdigen Vice-Capellmeisters Mozart und seiner Freunde, und als sich nun das aus Marmor aufgeführte Schloß mit seinen altmodischen Stirngiebeln, Altanen und Vorsprüngen zeigte, hatte sich bereits ein trüber Ernst über Alle gelagert.
Jetzt endlich hielt der morsche Hofwagen an einem Nebenflügel des Prachtbaues, und während die Mitglieder der fürstlichen Capelle vorsichtig ausstiegen, um nicht durch irgend einen allzufesten Tritt ein Stück Fuhrwerk mitzunehmen, gewahrten sie auf der Terrasse vor dem Haupteingange zwei Männer, die, in ein tiefes Gespräch versunken, die Hände auf den Rücken gelegt, auf- und abgingen.
"Ist das nicht Graf Herberstein?" – frug jetzt der Vice-Capellmeister, indem er sich den Staub von den Kleidern klopfte – "der wackere Herberstein, der Freund echter, classischer Musik und der freigebige Beschützer ihrer Jünger?"
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