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E-Book

Nackte Tatsachen

Meine wilden Jahre als schwuler Stripper

AutorCraig Seymour
VerlagBruno-Books
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783867875394
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Vom Stripper zum Starjournalisten: 'Nackte Tatsachen' ist die wahre Geschichte von einem, der auszog, sich auszuziehen. Anfang der 90er Jahre ist Craig Seymour auf der Suche nach einem Thema für seine Doktorarbeit und einem gutbezahlten Nebenjob. Er findet beides in den Stripclubs von Washington, D.C., den wildesten der Welt. Während Männer ihn überall angucken - und anfassen - dürfen, lernt Seymour mehr über Sex, Liebe und Verlangen, als er je zu träumen gewagt hätte.

Craig Seymour ist Schriftsteller, Fotograf und Musikkritiker. Als Journalist schrieb er unter anderem für die 'Washington Post', 'Entertainment Weekly' und 'Vibe'. Darüber hinaus verfasste er die Biografie 'Luther. The Life and Longing of Luther Vandross' und ist Associate Professor für Journalismus an der Northern Illinois University.

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Leseprobe

»Scheiß drauf.« Diese Worte durchzuckten meinen Kopf, während ich im kalten Flur stand und die Hand schon an der Tür zur Bühne hatte. Ein Schild auf der Tür stellte fest: »Das hier ist kein Ausgang.« Die Musik wummerte laut vor sich hin, nichts als dumpfe Beats, helles Zischen und abgerissene Schreie, als wäre eine Gospel-Queen zufällig in den Schleudergang einer Waschmaschine geraten.

Ich atmete tief durch, drehte den Türknauf und ging rein, vom neonhellen Sonnenschein des Flurs ins mitternächtliche Dunkel des Theaters. Ich sah überhaupt nichts. Es dauerte eine gefühlte Minute, bis sich meine Augen an die Lichtverhältnisse in dem Raum aus schwarz gestrichenen Ziegelwänden gewöhnt hatten. Dann begann ich, die Umrisse von Menschen wahrzunehmen, die in den Sitzreihen vor der Bühne saßen oder an der hinteren Wand lehnten. Die Musik wummerte weiter und war noch lauter, jetzt, da ich drinnen war. Es roch nach einer Mischung aus Putzmitteln und Sex. Kalter Schweiß tropfte mir von den Achseln. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Wieder dachte ich: »Scheiß drauf.«

Ich ging die Stufen zur Bühne rauf und stellte mich vor eine große, von der Decke herabhängende Leinwand, auf der nur wenige Minuten zuvor die unscharfen Projektionen zweier kalifornischer Surfer zu sehen gewesen waren, die sich an einem Pool fickten. Sobald ich in der Mitte der Bühne angelangt war, schaltete der DJ in der Kabine gegenüber der Bühne die Scheinwerfer an. Plötzlich stand ich im Licht einer unerbittlich heißen Sonne.

Weil ich nichts als ein viel zu enges T-Shirt und strategisch zerfledderte Jeans-Shorts trug, die meinen Arsch eher betonten, als ihn zu bedecken, sah ich aus wie der dauergeile Junge, der im Ferienlager andauernd mit den kunstbeflissenen Betreuern in die Büsche verschwindet. Da Leute mir ständig erzählten, wie jugendlich ich wirkte, hielt ich das für den passenden Look.

Noch bevor sich meine Augen vollständig an das gleißende Bühnenlicht gewöhnen konnten, bellte der DJ in sein Mikro, als würde er die nächste Runde beim Glücksrad ankündigen: »Meine Herren, willkommen im ›Follies‹. Unser nächster Tänzer hat heute Abend seinen ersten Auftritt hier. Ich bitte um tosenden Applaus für … (lange dramatische Pause) Craig.«

»Jetzt ist es so weit«, dachte ich. »Jetzt gibt es kein Zurück mehr.« Ich stand einfach da und begann ein bisschen zu tanzen, bewegte meine Füße hoch konzentriert erst von rechts nach links und dann von links nach rechts, wie die schlaksigen Jungs auf einem Schulball. Glücklicherweise musste man sich in diesem Laden nicht wie ein Chippendale bewegen können. Die Typen, die ins ›Follies‹ kamen – immerhin Washingtons ältestes schwules Pornokino und, glaubte man seiner Eigenwerbung, die Heimat der »heißesten männlichen Burlesque-Truppe« –, wollten einfach nur Fleisch, und das ein bisschen zackig. Hier ging es nicht um Striptease, sondern darum, sich die Kleider vom Leibe zu reißen, damit die Kunden was zum Anfassen bekamen. Tänzer hatten auf die Bühne zu gehen, sich auszuziehen, möglichst schnell eine Erektion zu bekommen und sich dann unter die Gäste zu mischen, die gegen ein Trinkgeld – meistens einen Dollar – den Körper des Tänzers liebkosen, streicheln, angrabbeln oder betatschen konnten. Es war eher Sex als Tanz, und jetzt mein Job.

Das bedeutete eine ziemliche Veränderung für mich, da ich meine Zeit ansonsten als Doktorand und Dozent an der Universität von Maryland in College Park verbrachte. Ich besuchte Seminare, unterrichtete selbst und benotete Arbeiten. Und das alles auf einem Campus, der so idyllisch und grasgrün war, dass man den Spielfilm St. Elmo’s Fire – Die Leidenschaft brennt tief eben dort gedreht hatte. Aber ich war reif für ein bisschen Abwechslung. Ich brauchte sie, auch wenn ich nicht genau erklären konnte, warum eigentlich.

Ich wusste, ich ging ein Risiko ein, indem ich hier tanzte. Das ›Follies‹ konnte ein gefährlicher Ort sein. Ein Brand hatte 1977 acht Menschen das Leben gekostet; unter den Toten waren ein Kongressangestellter, ein Pfarrer aus dem Mittleren Westen, ein ehemaliger Elitesoldat und ein Ökonom, der für die Weltbank arbeitete. Fünfzehn Jahre später waren ein gutes Dutzend Bullen in das dunkle Theater eingefallen, hatten ihre Taschenlampen geschwenkt und schließlich 14 Männer wegen »Sodomie und anderer verbotener sexueller Handlungen« festgenommen. Auch drei Tänzer waren festgenommen worden. Einer von ihnen trug nichts außer seinen Cowboystiefeln; er war so, wie er gerade auf der Bühne stand, abgeführt worden.

Ein Risiko war es allerdings auch deswegen, weil ich nicht sicher war, was passieren würde, wenn die Leute an der Uni, meine Studenten (oder schlimmer noch: ihre Eltern) herausfanden, was ich hier machte.

Doch all das kümmerte mich nicht wirklich. Das konnte und wollte ich mir nicht leisten. Ich musste einfach auf diese Reise ins Unbekleidete aufbrechen. Und dies sollte der erste Schritt sein.

Während ich auf der Bühne herumstand, brüllte sich die Gospel-Diva weiter die Seele aus dem Leib. Ich wusste, ich sollte jetzt mal was ausziehen, war mir aber nicht sicher, wie ich das eigentlich machen sollte. Wie die meisten Menschen hatte ich mir nie großartig Gedanken darüber gemacht, wie ich mich auszog. Ich tat es einfach. Aber jetzt hatte ich ein Publikum, das erwartete, dass ich es auf eine bestimmte Art tat, und es war ja nicht so, als gäbe es einen Lehrgang oder eine Meisterklasse für zukünftige Stripper. Als Erstes kam mein T-Shirt an die Reihe; ich fasste es unten mit beiden Händen an und zog es mir über den Kopf. (Später fand ich heraus, dass es so nur Mädchen machen. Echte Kerle greifen sich in den Nacken und ziehen sich das Shirt am Kragen über den Kopf.) Sobald mein Oberkörper nackt war, zog ich den Bauch ein und spürte, wie meine Brustwarzen in der kalten Luft hart wurden.

Danach entledigte ich mich meiner Shorts: Ich spielte ein bisschen am Knopf herum, bevor ich den Reißverschluss langsam herunterzog und den Jeansstoff an meinen Schenkeln herabgleiten ließ. Ich trug keine Unterwäsche. Keine Ferienlagerschlampe, die etwas auf sich hält, würde das tun. Dann befreite ich meine Füße von der am Boden liegenden Hose, erst den einen, dann den anderen. Jetzt war ich vollständig nackt, abgesehen von meinen Turnschuhen und einem Paar Tennissocken, das mir meine Omi zu Weihnachten geschenkt hatte und das ich sehr mochte, weil sie an den Zehen und am Hacken grau gemustert waren.

Als Nächstes musste ich mich um meinen Schwanz kümmern. Er war nicht steif. Wegen der Kälte war er sogar ein bisschen geschrumpft. Ich begann nervös daran herumzuspielen. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Wenn ich mir zu Hause einen runterholte, lag ich für gewöhnlich auf meinem Bett, sah einen Porno oder blätterte in einem Magazin und stand nicht kerzengerade in einem Raum vor lauter Fremden. Ich hätte an etwas denken sollen, das mich anmachte, aber mein Gehirn wollte nicht, wie ich wollte. Eigentlich dachte ich an gar nichts – dazu war ich viel zu nervös.

Ich zerrte weiter an meinem Schwanz. Mir war, als vergingen Stunden, Jahre, ja ein ganzes Jahrtausend, ohne dass sich irgendetwas tat. Ich machte noch ein bisschen weiter an meinem Schwanz herum, bis er endlich zu halbwegs respektabler Größe angewachsen war. Wieder dachte ich: »Scheiß drauf« – und machte mich auf meinen Weg ins Publikum. Ich stieg vorsichtig die Treppe zur Bühne hinunter, immer eine Stufe nach der anderen.

Als ich vor den Sitzreihen stand, fühlte ich mich sofort sicherer. Abseits der hell angestrahlten Bühne war es dunkel. Mein Herzschlag beruhigte sich. Es saß niemand in den ersten beiden Reihen, in denen es eine Menge Sitze gab, die mit Klebeband geflickt waren. Also ging ich zu einem älteren Typen in der dritten Reihe. Er lächelte mich an, als ich mich vor ihm aufbaute, einen Fuß anhob und ihn auf einer seiner Armlehnen absetzte. Er steckte mir einen zusammengefalteten Ein-Dollar-Schein in die Socke, griff mir mit einer Hand fest hinter die Eier und schnappte sich mit der anderen meinen Schwanz. Mein Teil wurde knüppelhart, während er seine Hand vor und zurück bewegte. Ich hätte nicht sagen können, warum. Es lag nicht daran, dass er besonders gut ausgesehen hätte, und unter dem üblichen Aroma des ›Follies‹ stieg mir ein Geruch von altem Mann in die Nase. Dennoch war ich so steif wie noch nie in meinem ganzen Leben. Es ging gar nicht so sehr darum, was er tat, als darum, dass ich endlich machte, worüber ich eine Ewigkeit lang nur nachgedacht hatte.

Ich blieb ungefähr eine Minute bei ihm stehen. In meinem Kopf lief eine Parkuhr. Ich überlegte mir, wie viel meiner Zeit sein Dollar wohl wert war. Mein Auftritt dauerte nur zehn Minuten, und es gab noch sechs andere Gäste, um die ich mich ebenfalls kümmern musste.

Ich zog mich langsam zurück, beugte mich über ihn und flüsterte: »Danke dir.«

»Nein«, erwiderte er. »Danke dir

Ich lächelte und bewegte mich in Richtung meines nächsten Kunden, eines anderen weißen Typen, der »Was bist du denn für einer?« fragte, während er mir an den Schwanz fasste.

»Wie bitte?«

»Na, was bist du? Welche Nationalität?«

»Amerikaner. Stand jedenfalls in meinem Pass, als ich das letzte Mal nachgesehen habe.«

»Ich meine deine ethnische Abstammung. Du siehst aus wie ein Südamerikaner oder Philippino oder so.«

Die meisten Tänzer in den Clubs waren weiß, dazu kamen ein paar...

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