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Neues von vorgestern

Die ganze Geschichte der alltäglichen Dinge

AutorGreg Jenner
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783732523238
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR

Seit wann schlafen Menschen eigentlich in einem Bett? Wer hat das Zähneputzen erfunden, und wer hat sich überhaupt 'Arbeit' ausgedacht? TV-Historiker Greg Jenner, Englands populärster Geschichts-Erklärer nimmt uns mit auf eine Reise in die Geschichte unseres Alltags. Wir begleiten seinen Protagonisten vom Aufstehen ins Bad und zur Arbeit; wir sitzen mit am Tisch, wenn er isst und telefoniert, und erfahren, welche Kulturen die alltäglichen Dinge erfunden oder entscheidend weiterentwickelt haben - Geschichte zum Anfassen und Miterleben!



Greg Jenner gehört zu den profiliertesten TV-Historikern und Comedians Englands, er berät Fernsehsender, Serienautoren und schreibt Sketche unter anderem für Stephen Fry. Er lebt in Woking. Folgen Sie ihm auf Twitter: @greg_jenner

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Leseprobe

9 Uhr 30


REISE, REISE, RAUS AUS DEN KOJEN!


Das Schrillen des Weckers schreckt uns aus dem Land der Träume. Wir heben den Kopf aus den sabberfeuchten Falten unseres warmen Kissens und sperren unsere vom Sandmann verklebten Augen auf, um nach der Uhrzeit zu schielen. Dabei hoffen wir inständig, dass unser Wecker falsch geht und uns noch zwei Stündchen Schlaf gegönnt sind. Leider bestätigt ein Blick auf unser Handy – es ist höchste Zeit.

Warum spielt die Anzeige unserer Uhr eine so große Rolle? Warum machen wir die Augen nicht einfach wieder zu, bis wir richtig ausgeruht sind? Nun, weil Zeit die Architektur ist, die die Rhythmen unserer Existenz bestimmt – sie zu ignorieren hieße, dem Chaos Tür und Tor zu öffnen. Und dennoch, so sehr die Zeit seit Millionen von Jahren eine stabile Größe ist, ihre Messung gab dem Menschen seit jeher Rätsel auf. Ihre strikte Einteilung in genormte Einheiten – Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre – ist keineswegs ewiges und universelles Gesetz, sondern auf Übereinkunft beruhender Usus, ein verzweifelter Versuch, einer heillosen Unordnung zu begegnen, der im Lauf vieler Jahrhunderte allgemeine Annahme fand. Die eingehendere Beschäftigung mit der Geschichte der Zeitmessung gleicht denn auch dem Versuch, einer belgischen Seifenoper ohne Untertitel zu folgen – zunächst unergründlich, entwickelt sie langsam, aber sicher eine merkwürdige Anziehungskraft.

Guten Tag!

Heute ist Samstag und wir wissen das, weil gestern Freitag war. Aber was meinen wir eigentlich, wenn wir von einem »Tag« sprechen? Es mutet irgendwie albern an, dass ausgerechnet das Englische, das gern als die wortgewaltigste aller Sprachen bezeichnet wird, mit einem Wort – day – zwei unterschiedliche Sachverhalte benennt: 1) den Zeitraum von 24 Stunden, in dem die Erde sich einmal um ihre Achse dreht, und 2) das Gegenteil von »Nacht«. Trotz eindeutig vorprogrammierter Missverständnisse beharren wir auf dieser nicht eben eleganten Lösung – stolz und stur wie wir nun mal sind und in diesem Fall buchstäblich eben auch ein bisschen schwer von Begriff. Das Deutsche hält es mit seinem Tag genauso; viele andere Sprachen dagegen haben keinen Sinn für derlei Albernheiten. Das Holländische etwa umgeht jede Verwirrung mit den Wörtern dag (die Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang) und etmaal (24 Stunden); Bulgaren, Dänen, Italiener, Finnen, Russen und Polen halten es ähnlich. Einem Begriff wie etmaal noch am nächsten kommt das Englische mit dem geradezu absurd prickelnden griechischen Wort nychthemeron (Tagnacht), hinter dem sich freilich auch eine finnische Heavy Metal Band verstecken könnte; im Deutschen muss man sich mit einem ganzen oder vollen Tag behelfen, will man besagte Zeitspanne von einem lichten Tag unterscheiden. Mir ist nychthemeron im Gespräch nie untergekommen, und selbst Wissenschaftler ignorieren das Wort; nur Etymologen halten es zu besonderen Anlässen hoch, um sich schwärmend über seine grandiose Absurdität zu ergehen.

Aber der Anglofone kommt durchaus zurecht oder behilft sich gelegentlich bei der Messung von Zeitspannen mit der night, etwa bei der Buchung von Hotelzimmern, wo er sich clever des angelsächsischen fortnight bedient, wenn er vierzehn Nächte im Stück bleiben will. Aber selbst das will nicht so recht aufgehen, weil das Reisebüro unweigerlich nachhakt: »Sind das vierzehn Tage, dreizehn Nächte?« Spätestens dann nehmen wir die Finger zu Hilfe wie Kinder beim Einmaleins. Aber gehen wir nicht zu hart mit uns ins Gericht, schließlich ist diese Schwäche nicht zuletzt erblich bedingt; die Terminologie für den Tag ist für die Menschheit seit jeher ein vertracktes Problem. Im 3. Jahrhundert sprach der römische Philosoph Censorinus sich dafür aus, den 24-Stunden-Zyklus als »bürgerlichen Tag« zu bezeichnen und die Stunden des lichten Tags als »natürlichen Tag«. Was sich zunächst einmal ganz vernünftig anhört, nur dass eine Schar Wichtigtuer im 7. Jahrhundert für ein heilloses Durcheinander sorgte, als sie den 24-Stunden-Rotationszyklus zum »natürlichen Tag« erklärte und die lichte Zeit zum »künstlichen Tag«.

Aber Sie brauchen das erst gar nicht auswendig zu lernen in der Hoffnung, ihre Bekanntschaft damit zu beeindrucken, da die moderne Astronomie zur Bezeichnung einer ganzen Erdumdrehung einmal mehr auf den »bürgerlichen Tag« zurückkam. Das hatte zur Folge, dass man sich heute unter einem »natürlichen Tag« nach der Bezeichnung zweier unterschiedlicher Konzepte überhaupt nichts mehr vorstellen kann, während man sich für den »künstlichen Tag« bei der Glühbirne bedanken muss. Alles klar? Na ja, mir auch nicht … aber ich fürchte, in diesem Kapitel ist nichts so ganz einfach, noch nicht einmal die Definition von Anfang und Ende des Tags.

Zu mitternächtger Stund

Öffnen wir unsere müden Augen etwas weiter, sehen wir, dass die Sonne sich durch einen Spalt zwischen den Vorhängen zwängt; es ist also definitiv Morgen – nicht dass Tageslicht notwendigerweise eine Voraussetzung für den Morgen wäre. Sowohl im Westen als auch im Osten beginnt heute ein Tag im Finstern um 00 Uhr 00. Deshalb stimmt der Brite in feuchtfröhlicher Silvesternacht die ersten beiden Zeilen von Auld Lang Syne auf den Glockenschlag um Mitternacht an. Man stelle sich vor, die angeheiterten Partygäste müssten mit ihrem Gedenken der Verstorbenen bis zur Dämmerung warten, von Minute zu Minute betrunkener – das Ganze hörte sich weniger nach gemeinschaftlichem Gesang als nach einer ertrinkenden Viehherde an. Einerseits handelt es sich bei »Mitternacht«, wie die erste Hälfte des Wortes uns deutlich macht, um die Mitte der Nacht, andererseits signalisiert der Zeitbegriff auch das Einsetzen des Morgens. Es ist also nicht ganz richtig, eine um ein Uhr morgens ausgestrahlte Sendung als »late-night TV« zu bezeichnen; desgleichen sollten wir eigentlich nicht damit prahlen, »die ganze Nacht durchgemacht zu haben«, wenn wir um vier Uhr morgens nach Hause gekommen sind. Dieses Verwischen der Grenzen, wir lassen den Tag ja über seine offizielle Schlafenszeit hinaus aufbleiben, gibt unserem Tagesablauf eine überraschende Parallele zu dem einer Kultur, die ihren Höhepunkt vor 3500 Jahren erreichte: der des Alten Ägypten.

In dieser hyperreligiösen Kultur begann der neue Tag nicht um Mitternacht, sondern mit der Morgendämmerung. Folglich galt ihr der Sonnenaufgang als heiliges Ereignis, als der Augenblick, in dem der Sonnengott Ra in seinem Wagen die Reise über das Firmament und damit den heroischen Kampf gegen die Schlangengottheit Apophis antrat. Um dieser ewig wiederkehrenden Routine Sinn zu verleihen und die Sonne auch tatsächlich aufgehen zu lassen, musste der halbgöttliche Pharao bei einer morgendlichen Zeremonie in den heiligen Tempeln von Karnak und Heliopolis Reinigungsrituale zelebrieren. In der Praxis besorgte das allerdings eher ein Stellvertreter des Königs und es musste auch nicht unbedingt Karnak sein. Aber die Vorstellung hat doch etwas: Ein Priester, der hastig einige halb vergessene Worte murmelt, während eine Dienerschaft verzweifelt einen grantigen Tutanchamun aus dem Bett zu bekommen versucht.

Den Tag mit der Morgendämmerung zu beginnen war freilich auch in der Antike kein universeller Brauch. So hatten vor 4000 Jahren etwa die Babylonier, die die majestätischen Städte des heutigen Irak erbauten, zwar eine Menge gemein mit ihren ägyptischen Nachbarn der Bronzezeit, aber ihr Tag begann mit Einbruch der Dunkelheit, wenige Augenblicke vor dem Schlafengehen. Diesem Beispiel folgten später die alten Griechen, die Kelten, germanische Stämme und selbst noch die Italiener des Mittelalters, was ebenso zum Florentinischen Kalender gehörte wie der Umstand, dass das Jahr am 25. März begann und am 24. März endete. Und es handelt sich hierbei keineswegs um eine längst vergangene Praxis, bedenkt man, dass ein orthodoxer Jude noch heute zwischen dem Sonnenuntergang am Freitag und der Abenddämmerung am Samstag den Sabbat einhält. Wie ist also die moderne Welt darauf gekommen, den neuen Tag um Mitternacht beginnen zu lassen? Nun, die Antwort ist vermutlich bei den Römern zu finden, bei denen Tag und Nacht in Blöcke von jeweils zwölf Stunden eingeteilt waren.

Die große Frage bleibt natürlich, auf wen die Erfindung der Zeitmessung überhaupt zurückgeht? Ist ein Sumerer eines Morgens aufgewacht und sagte sich: Hm, sieht aus wie sieben Uhr morgens, und der Rest der Welt fand sich damit ab? Wohl kaum! Da müssen wir schon etwas weiter zurückblicken.

Die Uhr am Firmament

Das Makapan Valley in der südafrikanischen Provinz Limpopo mutet in seiner Großartigkeit an wie von CGI-Spezialisten für einen Hollywoodfilm erdacht. Fast erwartet man in diesem üppigen v-förmigen Tal voll grüner, im Herbst rostbrauner Bäume einen Schwarm Flugsaurier am Himmel zu sehen. Aus den Wäldern ragen imposante Kalksteinberge, in die das Wasser über Jahrmillionen ein Netz von Höhlen gegraben hat, in denen Archäologen einige ganz außergewöhnliche prähistorische Überreste gefunden haben wie etwa die Knochen eines unserer ältesten Vorfahren, des Australopithecus.

Dort musste, schon vor drei Millionen Jahren, eines dieser kleinwüchsigen, aber aufrecht gehenden Geschöpfe auf dem Weg in den Schutz dieser Höhlen die in der Abenddämmerung länger werdenden Schatten bemerkt haben. Der Schutz, den die Felswände ihnen geboten...

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