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E-Book

Poesie und Politik in Antonio Skármetas Roman 'Mit brennender Geduld'

AutorImke Strauß
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl69 Seiten
ISBN9783638029209
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Universität Duisburg-Essen, 30 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Antonio Skármetas Roman Ardiente paciencia - 'Mit brennender Geduld' - versteht sich als eine Hommage an Pablo Neruda, einen der bedeutendsten Autoren Lateinamerikas. Noch heute, über dreißig Jahre nach seinem Tod, ist Neruda das große Vorbild vor allem für chilenische, aber auch andere latein¬amerikanische Autoren. Seine immense Beliebtheit erlangte der Poet nicht nur dadurch, dass er mit seiner Dichtung ganz bewusst einfache Leute zu erreichen versuchte und seine Sprache dieser Zuhörerschaft anpasste. Darüber hinaus war Neruda auch politisch sehr engagiert und erhielt internatio¬nal Anerkennung für seine Solidarität mit politisch Unterdrückten. Die Person Pablo Nerudas ist ein Symbol für die Verbindung von Poesie und Politik schlechthin. Inwiefern dies seinen Niederschlag auch in Skármetas Ro¬man Mit brennender Geduld findet, soll im Zuge dieser Arbeit untersucht wer¬den. Im Zentrum der Untersuchungen steht dabei die Frage, ob Poesie und Politik einander innerhalb des Romans bedingen oder ausschließen - und ob man beides überhaupt voneinander trennen kann. Bevor diese Fragestellung jedoch erörtert wird, sollen in den einleitenden Ka¬piteln zunächst einmal der Autor und sein Werk kurz vorgestellt werden. Im folgenden wird dann ein Überblick über die Rezeptionsgeschichte Skármetas gegeben. Um ein besseres Verständnis für den politischen und sozialen Rahmen des Romans vermitteln zu können, werde ich danach in einem weiteren Kapitel einen Überblick über den historischen Kontext geben. Da der Roman das Chile von 1969 bis 1973 behandelt, wird diese Zeitspanne dabei im Vordergrund stehen. Der weitere Verlauf dieser Arbeit widmet sich dann den Aspekten der Dar¬stellung und der Handlung. Im Blickpunkt stehen hier zum einen ästhetische Gesichtpunkte: Welcher Sprache bedient sich der Autor? Auf welchen sprachlichen Ebenen werden Poesie und Politik dargestellt? Lässt sich eine sprachliche Entwicklung der Protagonisten erkennen? Eine wichtige Rolle innerhalb der Darstellung fällt dem Erzähler zu. Es wird zu klären sein, ob Erzähler und Autor identisch sind und welche Haltung der Er¬zähler gegenüber seinen Protagonisten und den politisch-sozialen Geschehnis¬sen einnimmt. Welche Gewichtung, welche Rolle spricht er der Poesie und der Politik zu? Wie fasst er beide Begriffe auf und in welche Relationen stellt er sie? Der Bearbeitung der ästhetischen Aspekte wird dann die Darstellung der Handlung folgen. ...

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Leseprobe

Antonio Skármeta: Mit brennender Geduld[44]

 

V. Aspekte der Darstellung

 

Skármetas Roman ist in drei Teile untergliedert: die eigentliche Haupthand­lung, die Geschichte des Briefträgers Mario Jiménez, ist in eine Rahmenhand­lung aus Prolog und Epilog eingebettet.

 

Im Prolog wird ein Erzähler eingeführt und anhand eigener Charakterisierun­gen näher vorgestellt.

 

Er gibt zunächst einmal Aufschluss darüber, wie er dazu kam, die Geschichte des jungen Mario aufzuschreiben: als Kunstredakteur eines „drittklassigen Blattes“ (S. 7) bekommt er den Auftrag, eine „erotische Geographie“ über Pablo Neruda zu schreiben (S. 8).

 

Im Klartext hieß das, Neruda so anschaulich wie möglich erzählen zu lassen, wie und wie viele Frauen er aufs Kreuz gelegt hatte. (S. 8)

 

Diesen „niederträchtigen Auftrag“ (S. 8) nimmt er an, um den Aufenthalt im Dorf des Dichters dazu zu nutzen, endlich einen eigenen Roman zu schreiben. Doch jener Roman sei niemals fertiggestellt worden und die Geschichte Marios habe er nur zu Papier gebracht, weil er dies einer gewissen Beatriz González versprochen habe – „ganz gleich, wie lange es dauert und wie viel hinzuerfunden wird“ (S. 11).

 

Den Prolog nutzt der Erzähler vor allem, um seine Qualitäten als Schriftsteller herabzusetzen: er charakterisiert sich selbst als einen Menschen mit „fehlen­dem Talent“ (S. 7); die Texte, die er im Zuge seiner Anstellung verfasst habe, seien so maßlos, dass sie sich „jeder Teenager ohne weiteres hätte ausdenken können“ (S. 7).

 

Dabei unterstreicht er vor allem immer wieder seine Trägheit, die letztlich ein Grund dafür sei, warum er für die Fertigstellung dieses Romans ganze vierzehn Jahre gebraucht habe (S. 10).

 

Als ein leuchtendes Beispiel schriftstellerischer Produktivität stellt er seiner eigenen Person Mario Vargas Llosa entgegen, der in derselben Zeitspanne vier Romane veröffentlichte.

 

Zwar bezeichnet sich der Erzähler selbst als „allwissenden Erzähler“ – tatsächlich greift er an einigen Stellen des Romans der Handlung vor[45] - aber sogar das Prädikat der „Allwissenheit“ vermag er abzuwerten:

 

Während andere Meister der freien Erzählung in der ersten Person, des Romans im Roman, der Metasprache oder der Verzerrung von Zeit und Raum sind, bin ich bei den im Journalismus arg strapazierten Metaphern, den bei gnadenlosen Naturalisten aufgeschnappten Gemeinplätzen, den von Borges falsch übernommenen grellen Adjektiven und besonders hartnäckig das geblieben, was ein Literaturprofessor mir einmal angeekelt gesagt hat: ein allwissender Erzähler. (S. 9)

 

Auf diese Weise distanziert er sich aber auch von den Autoren des lateinamerikanischen Boom“, die nicht nur durch ihre gesellschaftskritischen Schriften, sondern vor allem durch ihre stilistische Experimentierfreude große Beachtung gefunden haben.

 

Die Elemente, die seiner Meinung nach die Boomliteratur kennzeichnen – „freie Erzählung in der ersten Person“, „Roman im Roman“, „Metasprache“, „Verzerrung von Zeit und Raum“ (S. 9) schließt er damit für sein eigenes Werk aus.

 

In der Tat wird die Romanhandlung nicht verschachtelt, die Erzählung erfolgt linear. Die Sprache, die dem Roman zugrunde liegt, ist keinesfalls eine Metasprache, sondern vielmehr die alltägliche Sprache gewöhnlicher Menschen (Neruda mit einbezogen), die insbesondere in emotionalen Momenten einen sehr bildhaften Charakter hat.

 

Dies wird im weiteren Verlauf der Arbeit genauer herauszustellen sein.

 

Die konsequente Herabsetzung der eigenen Qualitäten macht den Erzähler in den Augen des Lesers zu einem „normalen“ Menschen, der sich an ein „nor­males“ Publikum wendet: es handelt sich hier nicht um ein hochpoetisches Werk, das einer hochgebildeten Elite vorgelegt wird[46].

 

Im Gegenteil: der Erzähler präsentiert sich als ein alltäglicher Mensch, der für ein alltägliches Publikum schreibt. Damit vergrößert er den Wirkungskreis seines Romans, der der Utopie enthoben und dem Alltäglichen zugeführt wird: keine Geschichte übermenschlicher Helden, die in der reinsten Form der Poesie erzählt wird, sondern vielmehr eine Geschichte „normaler“ Menschen, die aber eben dadurch umso heroischer und glorifizierender wirkt[47].

 

Durch diese Normalität werden auf der anderen Seite aber auch die tragischen Geschehnisse, die der Roman schildert, umso schrecklicher hervorgehoben.

 

Die Schlichtheit der Erzählung gibt so den Blick auf die eigentliche Tiefe des Romans und seine Botschaft frei.

 

Dabei entwickelt sich gerade über die Dialoge innerhalb des Romans eine Situationskomik, die den Personen ihre besondere Glaubwürdigkeit und vor allem Liebenswürdigkeit verleiht[48].

 

Obwohl es sich um einen allwissenden Erzähler handelt, lässt sich feststellen, dass er seinen Figuren emotional sehr nahe steht, fast, als gehöre er zu ihrer Familie.

 

Darüber hinaus nahm ich mir noch etwas vor, das mich fast besessen machte und mich zudem eine enge Verwandtschaft zu meinem Helden Mario Jiménez spüren ließ: Pablo Neruda sollte zu meinem Roman das Vorwort schreiben. (S. 8)

 

Innerhalb des Prologs gibt eine Stelle Auskunft darüber, worauf sich diese Nähe möglicherweise gründet. Dort heißt es:

 

In jenen Tagen, in denen diese Geschichte ihren Anfang nimmt – und die, wie die möglichen Leser bemerken werden, begeistert anhebt und unter den Auswirkungen tiefster Niedergeschlagenheit endet, - [...] (S. 7)

 

Ein genauer Hinweis darauf, worin der Grund für jene Niedergeschlagenheit besteht, die das Ende des Romans beeinflussen wird, findet sich nicht. Dem Leser drängt sich daher die Vermutung auf, dass das Schreiben selber, bzw. der Prozess der Schilderung, diese Empfindung hervorgerufen hat.

 

Dem Roman würde dann ein Akt der Erinnerung zugrunde liegen, der auch die emotionale Nähe des Erzählers zu seinen Figuren erklären würde: ihm sind die tragischen Ereignisse, die der Roman schildert, bekannt, weil er sie selber erlebt hat.

 

Obwohl sich an keiner Stelle des Prologs oder Epilogs feststellen lässt, dass Autor und Erzähler miteinander gleichzusetzen sind - man also davon ausgehen muss, dass es sich um einen fiktiven Erzähler handelt - wird ein Bezug zur Realität immer wieder hergestellt.

 

Die Autoironie des Erzählers lässt dabei jedoch vermuten, dass Erzähler und Autor sich ebenso nahe stehen, wie der Erzähler selbst seinen Figuren.

 

Der Realitätsbezug lässt sich auch an den Personen selber feststellen, insbe­sondere natürlich in Bezug auf Pablo Neruda.

 

Der Pablo Neruda in Mit brennender Geduld ist zwar eine fiktive Person, jedoch gründen sich viele Stellen auf tatsächliche Aussagen des Dichters[49]. Dadurch erscheinen seine Aussagen und Handlungen umso glaubwürdiger – und mit ihnen der Roman selbst, dessen Protagonist er ist. Ähnliches gilt auch für die übrigen Figuren.

 

Zwar wird an mehreren Stellen betont, dass sie fiktiv seien, dennoch werden sehr reale Bezüge mit eingeflochten:

 

In der Hoffnung, mein Buch zu schreiben, blieb ich lange Zeit in Isla Negra, und um der Trägheit, die mich morgens, mittags und abends angesichts der leeren Seiten überfiel, einen Grund zu geben, begann ich, um das Haus des Dichters herumzulungern und so nebenbei auch um jene herumzulungern, die dort herumlungerten. So lernte ich die Personen dieses Romans kennen. (S. 10)

 

Deutlicher wird dies an bereits genannter Stelle, wo der Erzähler berichtet, er habe einer gewissen „Beatriz González“ versprochen, „daß ich für sie die Ge­schichte Marios aufschrieb, ‚ganz gleich, wie lange es dauern und wie viel hin­zuerfunden wird’.“ (S. 11).

 

Beatriz González ist eine der Hauptfiguren des Romans.

 

Prolog und Haupthandlung werden auf diese Weise miteinander verwoben und der Ausdruck „ganz gleich, [...] wie viel hinzuerfunden wird“, suggeriert, dass die Erzählung zumindest in einigen Teilen eine reale Grundlage hat.

 

Selbiges lässt sich auch vom Epilog sagen, in dem der Erzähler noch einmal in der ersten Person berichtet.

 

Auch hier werden Fakten der Haupthandlung bestätigt: der Erzähler trifft nach langen Jahren einen Bekannten, der vor dem Putsch als Redakteur bei der Zeit­schrift La Quinta Rueda gearbeitet hat. Diese Zeitschrift hatte den Literatur­wettbewerb ausgetragen, an dem Mario mit seinem Gedicht Skizze in Blei von Pablo Neftalí Jiménez González teilnahm (S. 129).

 

Der Erzähler fragt seinen Freund nach diesem Gedicht und suggeriert damit,...

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