Welche Erwartungen haben Projektleiter, Auftraggeber, Manager, Kunden, Mitarbeiter an Planung im Projektmanagement? Sind diese Erwartungen überhaupt realisierbar? Die Spanne möglicher Antworten reicht von „Wir planen lediglich die organisatorische Einbindung des Projekts in das Unternehmen" über „Wir planen nur die Meilensteine" bis „Bei uns wird jede Einzelaktivität für individuelle Teammitglieder geplant". Ein Blick in die Projektmanagement-Literatur soll Aufschluss geben, wo der Kern der Planung im Sinne des klassischen Projektmanagements liegt. Anschließend widmet sich das Kapitel den Grenzen einer solchen rational planmäßigen Herangehensweise und gibt am Ende eine Empfehlung, wie Projektmanagement im Einklang mit diesen Grenzen aussehen sollte.
Menschen planen, weil sie sich davon mehr Sicherheit erhoffen. Sie wollen vor ihnen liegende Ereignisse und Handlungen möglichst genau vorhersehbar machen, um sich und anderen Orientierung zu geben. Sie wollen das Verhalten der Beteiligten in eine gewünschte Richtung lenken, damit sie sich deren Handlungen nicht gegenseitig behindern und zu einem gewünschten Ziel führen. Planung steht damit im Gegensatz zur Improvisation, bei der Ad- hoc-Entscheidungen die nächsten Aktivitäten bestimmen:
„Es gibt vier Gründe, warum eine Projektplanung durchgeführt werden sollte:
um Unsicherheit zu eliminieren oder zu reduzieren
um die Effizienz zu steigern
um die Zielvorgaben besser zu verstehen
um eine Grundlage für die Projektsteuerung und -überwachung verfügbar zu haben" (Kerzner 2003, S. 335)
Grundsätzlich lassen sich bei der Planung zwei inhaltliche Schwerpunkte unterscheiden:
1. Planung zur Koordination des Arbeitsprozesses durch die Gestaltung der Organisationsstrukturen
2. Planung zur Koordination der Arbeitsergebnisse durch Zerlegung und Zuteilung von Teilaufgaben
Das klassische Projektmanagement definiert die Planung als Teil eines fremdorganisierten, kybernetischen Regelkreises: „In der Projektplanung befasst sich der Projektleiter mit
projektbezogenen Ereignissen und Aufgaben, die er über die Steuerung in Form von Arbeitspaketen, Koordinationsanweisungen und Maßnahmen an das Projektteam weitergibt. Das Projektteam bzw. die einzelnen Projektmitarbeiter führen diese Arbeiten aus. Die entstehenden Ergebnisse, sprich Lieferobjekte, werden über die Projektkontrolle mit den Planwerten respektive den vorgegebenen Zielen verglichen (Soll/Ist-Vergleich)." (Jenny 2005 S. 39)
Abbildung 1: Klassicher Projektmanagement-Regelkreis (eigene Grafik)
Planung, Steuerung und Kontrolle ist im klassischen Projektmanagement eine Aufgabe des Projektleiters: „Es ist vorwiegend der Projektleiter, der diese Projektführungsrespektive die Managementtätigkeiten wahrnimmt. Das Element Projektführung hat das Ziel, dass ein Projekt durchdacht und kontrolliert durchgeführt wird." (Jenny 2005, S. 25)
Probleme im Ablauf, Konflikte, unerwartete Ereignisse, Verzögerungen etc. sind demnach auch immer auf die Planung bzw. die Projektleitung zurückzuführen. Wenn Projektplanung und Wirklichkeit sich trotz aller Sorgfalt immer mehr voneinander entfernen, wird in Unternehmen schnell der Ruf nach besseren Informationen und genauerer Planung laut.
Diese „vom okzidentalen Rationalismus geprägten traditionellen" (Kieser 1994) Managementhandlungen in Projekten lassen sich auf die Wurzeln des Projektmanagements zurückführen: Ursprünglich wurden Projekte vor allem zur Durchführung von Aufträgen in der Bau-, Anlagenbau- und IKT-Industrie eingesetzt. Ausgehend von der Systemtheorie (Bertalanffy 1950) entstand das Konzept des Systems-Engineering (Hall 1962). Dieses und das System- Analysis-Konzept der Rand Corporation war die Basis für das System-Konzept der US Air Force zur Entwicklung großer und hochkomplexer technischer Systeme. Mit in dieses Konzept aufgenommen wurde das Know-how aus der Entwicklung des ersten digitalen Rechners Enivac. Sämtliche heutigen Projektmanagement-Konzepte basieren auf diesen Grundlagen (für eine ausführliche Darstellung siehe z. B. Saynisch 1990).
Die Zeiten, in denen Projekte lediglich auf technologische Entwicklungen Einfluss nahmen, sind jedoch längst vorbei. Da mit der Veränderung technischer Systeme fast immer auch eine Veränderung der beteiligten sozialen Systeme einhergeht, sind Entwicklungsprojekte oft nur in Verbindung mit Organisationsentwicklungsprojekten oder Marketingprojekten effektiv.
Konsequenterweise ist daher der Fokus des Projektmanagements zu erweitern: Neben der (noch erforderlichen?) Planung und Koordination von Teilaufgaben muss Projektmanagement die Gestaltung der temporären Projektorganisation und die Entwicklung von direkt oder indirekt beteiligten sozialen Systemen zu seinem Aufgabenbereich hinzurechnen.
Klassisches Projektmanagement konzentriert sich überwiegend auf die „harten" Merkmale von Projekten: Zeit, Budget und Qualität. Es ist methodisch problemlösungsorientiert und beruht auf Grundvorstellungen der klassischen Systemtheorie und dem Kontroll- und Steuerungsverständnis der Kybernetik erster Ordnung. Ordnung geht fast immer von der Rolle einer organisierenden Person aus. Diese Person ist kraft ihrer Erfahrung, ihrer Autorität und ihrem Sachverstand dazu in der Lage, eine komplexe Aufgabenstellung so in Einzelaufgaben aufzuteilen, dass sie andere Menschen dazu anweisen kann, was sie als Nächstes zu tun haben.
Zentraler Gegenstand der Betrachtung ist das Projektergebnis, die Aufgabe oder Sache. Ausgehend von einem technischen Problemverständnis liegt das Grundanliegen darin, komplexe Systeme unter Kontrolle zu bringen. (Rüegg-Stürm 2003). Projektmanagement bedient sich dabei der klassischen Systemtheorie, die Systeme als abgrenzbare Einheiten in einer bestimmten Umwelt betrachtet. Systeme bestehen danach aus Elementen, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Diese Vernetztheit führt zu einer charakteristischen Ordnung, die es aufrechtzuerhalten gilt. „Kennzeichnend für diese Sichtweise ist die Vorstellung einer auf Steuerbarkeit ausgerichteten Subjekt-Objekt-Beziehung zwischen Führungskraft (,Controller') [...] und System." Führungskräfte stehen „außerhalb des Systems" und müssen versuchen, „das Ganze unter Kontrolle zu halten". (Rüegg-Stürm 2003)
Charakteristisch für das klassische Projektmanagement ist das Bild der heroischen Führungskraft, die die ganze Last der Verantwortung auf ihren Schultern trägt. Sie plant detailliert, welche Aktivitäten in welcher Reihenfolge durchzuführen sind bzw. welcher zeitliche Aufwand und welche Kosten damit verbunden sind. Mit Hilfe dieser detaillierten Planung verteilt die Führungskraft Aufgaben an einzelne Mitarbeiter und sorgt dafür, dass diese gleichmäßig und im Sinne der Endtermine optimal ausgelastet sind. Wenn ein Termin für die Fertigstellung einer Aufgabe von Mitarbeitern nicht eingehalten wird, betrachtet das klassische Projektmanagement dies als Fehler in der Planung. Sie korrigiert die Planung, ordnet Aufgaben neu zu, erhöht gegebenenfalls den Druck auf die Mitarbeiter und sorgt für eine noch genauere Kontrolle von Einzelaktivitäten.
Zu kritisieren ist am traditionellen Projektmanagement-Verständnis, dass es der heutzutage geforderten Dynamik und Flexibilität oft mehr im Weg steht, als dass es sie unterstützt. Zum einen, weil es auf der Annahme einer objektiv erfassbaren Realität durch die Projektleitung beruht, zum anderen, weil Fremdorganisation die im Projektteam vorhandene Vielfalt, Komplexität und Effizienz nicht zur Entfaltung bringen kann.
Planung impliziert eine geistige Vorwegnahme und ein möglichst exaktes Bild der kommenden Realität. Sie behandelt die künftig mögliche Wirklichkeit, die möglichst objektiv zu erfassen ist (Gälweiler 1986). Zur Sicherung dieser Objektivität sollen ein systematisches Vorgehen und der Einsatz von Planungstechniken beitragen. Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass Planung den Handlungskontext und die Rahmenbedingungen sowohl des Planenden als auch der Ausführenden aktiv mitgestaltet. Sie beeinflusst also die Zukunft und diese beeinflusste Zukunft wirkt wiederum auf die Planung zurück: ein Paradebeispiel für eine hochgradig rekursive Beziehung.
Damit rückt zwangsläufig die Frage in den Vordergrund, ob wir überhaupt in der Lage sind, die Realität zu erkennen und angemessen zu beschreiben. Vom konstruktivistischen Standpunkt aus gibt es auf diese Frage eine eindeutige Antwort:
„Erstens: Wir können eine von uns als unabhängig gedachte Welt prinzipiell nicht erkennen. Zweitens: Wir erzeugen die uns bekannte Welt mit Hilfe mentaler Operationen, mit Hilfe unserer Begriffe - d.h., die Idee von einer gegenüber unseren Vorstellungen...