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Reichskanzler Bernhard von Bülow

Mit Weltmachtphantasien in den Ersten Weltkrieg - Ein politische Biographie

AutorPeter Winzen
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl576 Seiten
ISBN9783791760056
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Bernhard Fürst von Bülow war von 1900 bis 1909 deutscher Reichskanzler. Zunächst von den Zeitgenossen gefeiert, verkörpert er wie kein anderer die Großmannssucht der Wilhelminischen Ära. Als Machtpolitiker sah er Deutschlands 'Platz an der Sonne', ein Weltmachtanspruch, an dem er und auch das Kaiserreich letztlich scheiterten. Bülows viele Fehlentscheidungen in der Außenpolitik führten zu Konfrontationen, hauptsächlich mit England und Frankreich, und zur Isolation Deutschlands. Wie verhielten sich die Nachbarstaaten? Das vorliegende Buch bietet deutsche und europäische Zeitgeschichte vor dem Ersten Weltkrieg. Die Biografie - quellengestützt, umfassend und kritisch distanziert - zeichnet prägnant die Situation des Kaiserreichs vor und nach der Jahrhundertwende und den Weg Deutschlands in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs nach. Zur Debatte um die Kriegsschuld Deutschlands und einen möglichen Anteil des Reichskanzlers von Bülow leistet sie einen wertvollen Beitrag. Der Autor gilt als ausgewiesener Bülow-Biograf und als Experte des zeitgeschichtlichen Umfelds.

Peter Winzen, Dr. phil., geb. 1943, Historiker; bis 1998 im Höheren Schuldienst, bis 2003 Lehrauftrag am Historischen Seminar der Universität Köln; bis 2002 Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen Außenpolitik in der Ära Bülow.

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Leseprobe

2. Vom Attaché zum Botschafter (1873–1893)


Das Erlernen des diplomatischen Handwerks


Außenstaatssekretär Bülow sorgte dafür, dass sein hoffnungsvoller Filius das diplomatische Handwerk von der Pike auf erlernte. Am Anfang stand das Kennenlernen der Arbeiten, welche die Subalternbeamten in den verschiedenen Abteilungen des Auswärtigen Amts zu erledigen hatten. Der Staatssekretär ließ ihn je drei Wochen im Zentralbüro, im Chiffrierbüro, in der Geheimen Registratur und in der Legationskasse beschäftigen, anschließend je sechs Wochen lang in der Handelspolitischen Abteilung und in der Rechtsabteilung ausbilden. Die Abende verbrachte der junge Bülow häufig in den führenden Berliner Salons, um an seinem gesellschaftlichen Auftreten zu feilen und Beziehungen zu wichtigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens anzubahnen. Dabei kamen ihm seine außergewöhnliche Kommunikationsfähigkeit, seine Belesenheit und sein gutes Aussehen zugute. Besonders gern besuchte der Ministersohn den Salon des Fürsten Bismarck, dessen ausgeprägte Persönlichkeit ihn magisch anzog. „Ich habe Bismarck nie in das Zimmer treten sehen“, schrieb er fünfzig Jahre später, „ohne die Empfindung, daß ich einen Großen, einen ganz Großen vor mir sähe, den größten Menschen, den ich erblickt hätte und je erblicken würde.“ So habe ihn beim Eintritt Bismarcks in den Salon gewöhnlich „jener heilige Schauer“ erfasst, „der den für Großes empfänglichen, Größe begreifenden Menschen erfasst, wo die Kritik aufhört und das Staunen beginnt“.1 Umso beunruhigter sei er gewesen, als er im Winter 1873/74 überall in den von ihm besuchten Häusern auf harsche Kritik am Führungsstil und an der Politik des Reichskanzlers gestoßen sei. Für den angehenden Diplomaten war Bismarck nicht nur der Reichsgründer und somit Vollstrecker der seit dem Spätmittelalter brachliegenden nationalen Idee, sondern auch der Garant für die Einheit der deutschen Nation. Deswegen sei er schon in jungen Jahren über die Zeit nach Bismarck besorgt gewesen. „Der Deutsche“, so lautete schon damals – in Weiterführung der Lehren Daniels – sein Credo, „neigt im Innern nicht zur Sammlung und Konzentration, sondern zu Spaltung, Föderalismus, Partikularismus und selbst Separatismus. Nach außen gefallen wir uns in Träumen von dem endlichen Sieg des Guten über das Böse, von Völkerverbrüderung und ewigem Frieden, die, wie die Geschichte leider lehrt, an der Realität der Dinge und dem unveränderlichen Egoismus der Menschen immer wieder zuschanden werden. Da uns der massive Nationalstolz abgeht, laufen wir immer wieder Gefahr, Deutschland zum Aschenbrödel der Völkerfamilie werden zu lassen, wenn nur jeder Deutsche seine verschwommenen Doktrinen in die Praxis umsetzen, vor allem aber seine speziellen Partei-Interessen fördern kann.“2

Über seinen Vater fand Bülow auch Zugang zum Kaiserhaus. Kaiserin Augusta (1811–1890) schätzte den Leiter des Auswärtigen Amts nicht nur als den politischen und persönlichen Freund des Fürsten Bismarck, sondern vor allem als feinsinnigen Kunstkenner. „In seiner feinen Art sich zu geben“, soll sie einmal gesagt haben, „mit seiner Kultur, im Grunde auch mit seiner Weltanschauung gehört Herr von Bülow in die Goethesche, in meine Zeit.“3 Ihr Sohn, Kronprinz Friedrich Wilhelm (1831–1888), sprach ebenfalls anerkennend von den diplomatischen Qualitäten des Außenstaatssekretärs, zeichnete jedoch kein positives Bild seines Charakters. Wirkliches Vertrauen habe eigentlich niemand zu ihm besessen, vertraute der Kronprinz kurz nach dessen Tod seinem Tagebuch an. „Er besaß eine große Arbeitsgewandtheit und viel Pflichttreue, so daß er vollkommen an seinem Platz im Auswärt[igen] Amt war. Im Uebrigen jedoch steckte in ihm der ‚Diplomat aus der alten Schule’, im eigentlichen Sinn des Worts, denn mit Aal-artiger Gewandtheit wusste er sich mit Jedem gut zu stellen, auch nach dem Munde zu reden […]. Bismarck’s Haupt-Agent bei S.M. in kniffligen Fragen, war er auch S.M. sehr bequem bei den beständigen Abwesenheiten des Kanzlers und ständigen Reibereien zwischen Beiden!“4

Zu den wöchentlichen Empfängen der Kaiserin, an denen gewöhnlich auch Wilhelm I. teilnahm, waren nicht selten die Bülows geladen. Bernhard bekam eines Tages durch Zufall eine von der Kaiserin mit Blaustift revidierte Einladungsliste zu Gesicht. Dort fand er neben dem Namen seines Vaters die von Kaiserin Augusta herrührende Notiz: „Mit seinen beiden Söhnen einzuladen.“5 Auch nach dem Tod des Vaters (1879) blieb für den jungen Diplomaten der Kontakt zum Kaiserhaus erhalten. Dafür sorgte allein schon sein früherer „Kriegskamerad“ Bodo von dem Knesebeck (1851–1911), der nach kurzer Militärzeit bei den Bonner Husaren rasch in den engeren Kreis der Hohenzollern aufgenommen wurde und als versierter Goethekenner Kabinettssekretär Kaiserin Augustas war.6 

Im Herbst 1874 begann Bülows Auslandsdienst als Attaché und Legationssekretär. Als sein Vater ihn fragte, wohin er denn wolle, will er ohne Zögern geantwortet haben: „Nach Italien!“ Einige Italien-Romane hätten ihn dazu inspiriert.7 Bei seiner Anreise nach Rom über Südfrankreich studierte er auf Anregung seines Vaters die „französische Mentalität“ und kam dabei zu dem Schluss, dass die „straffe Zentralisation und die aus ihr hervorgehende innere Einheit der französischen Nation“ das auf den ersten Blick seltsame Phänomen erklären würden, dass sich Frankreich nach empfindlichen militärischen Niederlagen und blutigen Revolutionen „immer wieder rasch erholt“ habe. Die vorbildliche „französische Einheit ist auch der Hauptgrund, weshalb das französische Volk Gebietsabtretungen schmerzlicher empfindet als andere Völker und speziell als das deutsche Volk“.8 

Wie von seinem Vater zugesichert, arbeitete Bernhard Bülow zunächst an der deutschen Botschaft in Rom (18.10.1874–25.12.1875), dann als Legationssekretär für einige Monate in St. Petersburg und schließlich als 2. Sekretär bei der Kaiserlichen Botschaft in Wien (3.4.–14.12.1876). In Rom plante er, das diplomatische Examen, das für den Herbst 1875 anstand, gemeinsam mit Herbert Bismarck abzulegen. „Vorläufig“, schrieb er dem Kanzlersohn Anfang Dezember 1874 aus der römischen Metropole, „werde ich in Rom freilich kaum zum Arbeiten kommen. Es ist hier wirklich sehr amüsant; auch wird man als Deutscher überall vorzüglich aufgenommen. Den Oktober und November habe ich benutzt, um Italien von Nizza bis Girgendi zu bereisen.“9 Den für seinen Aufstieg äußerst wichtigen Schriftverkehr mit dem gleichaltrigen Herbert von Bismarck (1849–1904), den er seit seiner Frankfurter Kindheit kannte, hatte Bülow im Juli 1874 aufgenommen, als ihn auf einer Urlaubsreise die Nachricht vom Attentat auf den Reichskanzler erreichte. „Obwohl Sie in diesen Tagen“, schrieb er seinem „lieben Bismarck“ damals, „unzählige Briefe erhalten und nur zu sehr in Anspruch genommen sein werden, kann ich es nicht unterlassen, Ihnen meinen herzlichsten und aufrichtigsten Glückwunsch zu der wunderbaren Rettung des Fürsten aus so großer Gefahr zu sagen. Gott, der ihn nun schon zweimal vor Mörderhand beschützt hat, wird auch künftig seine Hand über ihn halten.“10 Ein Jahr später erhielt der angehende Diplomat eine Einladung zum Besuch der Familie Bismarck in Varzin, die er gerne wahrnahm.11 Zu diesem Zeitpunkt hatte er im Auswärtigen Amt gerade die staatswissenschaftlich-statistische Probearbeit über die italienischen Finanzen abgeliefert, die von dem Prüfer „sowohl in materieller, wie in formeller Hinsicht als eine in außergewöhnlichem Maße gelungene Leistung“ bezeichnet wurde. Diese Benotung überrascht, denn nach Meinung des Prüfers Adolph Heinrich Wagner „wäre eine durchgreifendere Vergleichung der Finanzverhältnisse Italiens mit denjenigen Deutschlands und Preußens erwünscht gewesen“.12

Nach seinem Besuch in Varzin trat der Examenskandidat erst einmal einen längeren Erholungsurlaub an. „Ich war von Anfang Juli bis Mitte August in Ischl und Wolfgang“, schrieb er Herbert Bismarck Mitte September 1875 aus der elterlichen Wohnung in Potsdam, „wo ich mich recht gut amüsiert habe. Dann einige Tage in Wien und seitdem hier. Gearbeitet habe ich dort natürlich nicht, mich aber seitdem an das staatsrechtliche Opus gemacht.“ Wenn Herbert – so redete er ihn nun an – nach Berlin komme, würde er „dann herüber kommen, einmal um das Vergnügen zu haben, Sie wiederzusehen, und dann auch um den mündlichen Teil dieses gräulichen Examens zu besprechen.“13 Der Prüfer seiner am 23. Oktober eingereichten staatsrechtlichen Probearbeit war sein früherer Universitätslehrer Rudolf Gneist, dessen Berliner Haus er als Anwärter auf die diplomatische Laufbahn öfter und lieber besucht hatte als die renommierten Berliner Salons.14 „Welche Regeln“, so lautete Bülows Prüfungsaufgabe, „sind bei inneren Parteikämpfen eines europäischen Staates für das politische Verhalten anderer Mächte nach internationalem Rechte aufzustellen?“ Bei seiner Beurteilung der Arbeit hob Gneist hervor, dass die „Darstellung in löblicher Kürze, sachgemäß, klar und fließend, das Urteil des Verfassers überall praktisch und unbefangen“ sei. Allerdings machte der Juraprofessor einige wissenschaftliche Mängel aus: So sei der im Zentrum der...

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