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SBB - was nun?

Szenarien für die Organisation der Mobilität in der Schweiz

AutorMatthias Finger
VerlagNZZ Libro
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783038104261
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,30 EUR
Die Entwicklung der modernen Schweiz ist untrennbar mit der Entwicklung der SBB verbunden: Bis heute ist die Bahn ein Grundpfeiler des Landes. Um die Geschichte des Erfolgsmodells Schweiz fortschreiben zu können, ist ein leistungsfähiges Mobilitätssystem eine zentrale Voraussetzung. Der Autor argumentiert, dass eine Zehn-Millionen-Schweiz ohne Schweizerische Bundesbahnen nicht funktionieren kann. Er geht auf die Kritik an der SBB ein - Stichworte Service Public, Preissteigerungen, mangelnder Wettbewerb - und zeigt, was die wirklichen Herausforderungen einer Metropolitanregion sind. Wie kann die SBB als identitätsstiftende Institution ihre «Systemführerrolle» im Dienst einer mobilen und wettbewerbsfähigen Schweiz auch in Zukunft wahrnehmen?

Matthias Finger (* 1955), Prof. Dr., hat in Politologie doktoriert und war Professor an den New Yorker Universitäten Syracuse und Columbia sowie am Institut für Verwaltungswissenschaften in Lausanne. Seit 2002 ist er Professor für Management von Netzwerkindustrien an der ETH Lausanne, seit 2010 lehrt er zudem an der Florence School of Regulation.

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Leseprobe

1  Einleitung

Die Politik soll auf Bundesbetriebe wie Post, SBB oder Swisscom wieder mehr Einfluss nehmen, findet der Zürcher SP-Nationalrat Thomas Hardegger. Das Parlament soll künftig deren Verwaltungsräte bestimmen, fordert er. Die Ausgestaltung der Grundversorgung sei Sache der Politik und nicht von Managern, sagt Hardegger. Die Bevölkerung sei zunehmend frustriert über verwaiste Bahnhöfe und Poststellen, moniert er. Bei bürgerlichen Parlamentariern stösst die Idee auf Ablehnung. Damit drehe man das Rad um 20 Jahre zurück. (Ostschweiz am Sonntag, 30. 9. 2018)

In diesem parlamentarischen Vorstoss kommt Unmut über die aktuelle Entwicklung bei den grossen Schweizer Staatsunternehmen zum Ausdruck. Es ist nur eine von vielen parlamentarischen Unmutsäusserungen, die die SBB, die Post und die Swisscom zum Gegenstand haben. Weitere werden zweifelsohne folgen. Und die Kritik, dass die Manager zu viel Freiraum hätten, ist nur eine von vielen Kritiken – oder, wie ich meine, Nörgeleien –, die in den letzten Jahren an den Staatsbetrieben geübt wurden.

Wir wollen uns in diesem Buch mit der SBB auseinandersetzen. Nicht alle kritischen Äusserungen, die das Schweizer Bahnunternehmen betreffen, gehen in die gleiche Richtung, oft sind sie widersprüchlich: Die Privatisierung der SBB wagt zwar heute niemand mehr zu fordern. Vor 20 Jahren war diese Forderung aber durchaus salonfähig. Heute spricht man eher davon, die SBB dem Wettbewerb auszusetzen. Sie soll effizient, pünktlich, billig und innovativ sein und dem neuesten Stand der digitalen Technologie entsprechen. Gleichzeitig soll sie aber auch den Service public (was immer das ist) erbringen oder sogar verkörpern, unrentable Linien und Bahnhöfe bedienen, Züge in Randzeiten halbleer fahren lassen, in Stosszeiten wiederum mehr Züge anbieten und Bahnhöfe und Bahnlinien so ausbauen, dass sie kein Land verbrauchen und den normalen Verkehr nicht beeinträchtigen. Zudem soll die SBB dem Privatsektor keine Konkurrenz machen, zum Beispiel bei den Ladenöffnungszeiten an den Bahnhöfen. Die Ladenlokale soll sie gefälligst günstig vermieten, wie der Gewerbeverband für seine Mitglieder fordert. Aber sie soll auch Konkurrenten zulassen auf ihren eigenen Infrastrukturen, Freude haben, wenn Flix- und andere Busse ihr die Kunden wegnehmen, und sich bitte nicht benehmen wie ein fetter Monopolist, dem ein bisschen Wettbewerb nur gut tut. Das Problem ist, dass nicht alles gleichzeitig zu haben ist, oder vielleicht doch? Die SBB als eierlegende Wollmilchsau?

Nirgends in Europa – und wahrscheinlich sogar weltweit – fährt man häufiger mit der Bahn als in der Schweiz. Durchschnittlich 72-mal pro Jahr fuhr 2016 jede Person in der Schweiz damit. Dabei wurden 2463 Kilometer zurückgelegt. Dementsprechend ist auch die SBB gut unterwegs: Im ersten Halbjahr 2018 hat die SBB täglich 1,25 Millionen Passagiere befördert (Vorjahresperiode 1,24 Mio.). Die Anzahl Generalabonnemente ist im Vergleich zur Vorjahresperiode um 2,5 Prozent, diejenige der Halbtaxabonnemente um 4,8 Prozent gestiegen. Mehr als drei Millionen Reisende haben ein Halbtax- oder Generalabonnement; das sind rund 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Die Schweizer scheinen die Bahn und damit auch die SBB zu brauchen … und zu mögen; und gerade deshalb nörgeln sie vielleicht an ihr herum. Und dies sowohl als Kunden wie auch als Bürger und Steuerzahler. Nur so ist es zu erklären, dass Bahn- und ÖV-Vorlagen seit über 30 Jahren konsistent vom Volk unterstützt werden. Zur Erinnerung: 1987 stimmten 57 Prozent der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Vorlage «Bahn und Bus 2000» zu, die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) bejahten im Jahr 1992 satte 62 Prozent, zur Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe LSVA sagten im gleichen Jahr 67,1 Prozent Ja, den Fonds zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs FinöV nahm das Stimmvolk im Jahr 1998 mit 63,5 Prozent an und die richtungsweisende FABI-Vorlage fand 2014 den Zuspruch von 62,0 Prozent der Schweizer Bevölkerung; einzig im Kanton Schwyz wurde FABI verworfen.

Aber für gewisse Bundes-, Kantons- und Lokalpolitiker, aber auch für Vertreter der Verwaltung, insbesondere des BAV, genügt das nicht: Sie hören, sagen sie, dass die Bevölkerung mit gewissen Entscheidungen – oder Nicht-Entscheidungen – der SBB unglücklich sei, und wollen die SBB deshalb zwingen, auf deren Anliegen einzugehen. Schliesslich sei die SBB ein Staatsunternehmen und als solches gehöre es eben der Bevölkerung, deren selbsternanntes Sprachrohr wiederum die Politiker, von national bis lokal, die Verwaltung, die Gewerkschaften usw. sind. In diesem Wunschkonzert geht meiner Meinung nach die wichtigste Frage vergessen: Wozu braucht es in der Schweiz eine SBB? Und falls man sich einig ist, dass die SBB für die Bahn und die Schweiz eine systemrelevante Funktion verkörpert: Wie müssen dann deren institutionelle Rahmenbedingungen ausgestaltet sein, dass die SBB diese Funktion auch effizient erfüllen kann? Darum geht es in diesem Buch.

Die ganze Debatte rund um die SBB ist leider in letzter Zeit zu einer grossen Kakofonie verkommen. Es herrscht Konfusion gerade bei den Politikern und, so fürchte ich, immer mehr auch bei der Bevölkerung. Man verliert das Mass der Dinge und weiss nicht mehr, was wichtig und was eigentlich nur Nebengeräusch (oder Nörgelei) ist. Ich habe dieses Buch geschrieben, um die einzelnen Aspekte der Debatte in die richtige Relation zu setzen und den Blick wieder auf die wichtigen Dinge zu lenken: Die SBB ist nicht irgendein Unternehmen, an dem man politisch beliebig herumexperimentieren kann, als ob es nur ein Luxus wäre für die Schweiz, die ja ohne SBB ebsenso gut, wenn nicht besser und vor allem billiger leben würde. Vielmehr hat die SBB zumindest bis zum Autoboom der 1960er-Jahre eine zentrale Rolle bei der Erschliessung und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes gespielt. Auch wenn sich der Anteil der Bahn am gesamten Transportaufkommen seit den 1990er-Jahren bei etwa 40 Prozent für den Güterverkehr und rund 20 Prozent für den Personenverkehr eingependelt hat, sind Bahn und SBB ein Grundpfeiler einer mobilen Schweiz … und werden immer wichtiger, denn die Schweiz wird immer mobiler. Ich bin der festen Überzeugung, und werde in diesem Buch entsprechend argumentieren, dass eine 10-Millionen-Schweiz ohne SBB als Rückgrat des «Bahnsystems Schweiz» – und, wie ich zeigen werde, als «Systemführerin» – nicht funktionieren kann. All die seit einiger Zeit ins Feld geführten «Nörgeleien» an der SBB verfehlen deshalb nicht nur das Ziel, sie vernebeln auch die Debatte, die man eigentlich führen sollte, denn es geht im Grunde genommen um die Frage, wie die SBB institutionell aufgestellt sein müsste, damit sie auf die Herausforderungen einer mobilen 10-Millionen-Schweiz so antworten kann, dass das Land auch in Zukunft für dessen Bewohnerinnen und Bewohner attraktiv und als Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig bleibt. Wie ich zeigen werde, wurden die Herausforderungen für die SBB schon früh erkannt und es wurde seit den 1980er-Jahren daraufhin gearbeitet, die SBB entsprechend fit zu machen. Zu Beginn ging es ja auch flott vorwärts, dann aber ist der Reformeifer erlahmt. Erlahmt ist insbesondere das Interesse der Politik und der Verwaltung an einer konsequenten und vollständigen Umsetzung der Ziele, die mit der Bahnreform I in den Blick genommen worden sind. Zur Erinnerung: Mit der Bahnreform I wurde die SBB 1999 als spezialrechtliche AG aus der Bundesverwaltung ausgegliedert, das Besteller-Ersteller-Prinzip im Regionalverkehr eingeführt und der grenzüberschreitende Güterverkehr in den freien Wettbewerb gestellt. Seither geht es aber nur noch harzig vorwärts, wenn überhaupt. Ich meine, dass es heute darum geht, die 1999 begonnene Bahnreform konsequent zu Ende zu führen, sodass die SBB ihre «Systemführerrolle» im Dienst einer mobilen, attraktiven und wettbewersbfähigen Schweiz auch in Zukunft wahrnehmen kann.

2016 hat mein französischer Kollege Pierre Messulam ein Buch mit dem provokativen Titel Que faire de la SNCF? publiziert. Der Titel hat mich inspiriert und sein Buch hat mich angeregt, etwas Vergleichbares über die SBB zu schreiben. Aber hier muss man gleich anmerken, dass man eigentlich die SNCF und die SBB sowie Frankreich und die Schweiz nicht vergleichen kann: In Frankreich geht es nun wirklich um das Überleben der SNCF. Das Unternehmen hat heute 55 Milliarden Euro Schulden und der Staat hat sich endlich durchgerungen, 20 Milliarden davon zu übernehmen, denn mehr kann er sich nicht leisten. Die französische Eisenbahninfrastruktur ist in einem desolaten Zustand, insbesondere in den Regionen, und das Geld für deren Reparatur fehlt. Es bleiben eigentlich nur Schliessungen von Linien. Der Staat will, dass der Regionalverkehr von den Regionen selbst finanziert wird, aber die Regionen sind wegen der schlechten Leistungen nicht gut auf die SNCF zu sprechen und werden bei der erstbesten Ausschreibungsgelegenheit die SNCF abstrafen. Beim einzigen lukrativen Geschäft der SNCF, nämlich bei gewissen (nicht allen) Hochgeschwindigkeitslinien, will der Staat – teilweise auf Druck der EU – Wettbewerb einführen, was dazu führen wird, dass gerade die lukrativsten Linien der SNCF verloren gehen. Was nun mit der SNCF? Aber noch wichtiger: Welche Zukunft hat die Mobilität auf der Schiene...

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