Das Luftfrachtgeschäft ist seit Jahren eine boomende Branche mit beachtlichen Wachstumsraten. Der weltweite Luftfrachtverkehr erbrachte 2009 eine Beförderungsleistung von 166,8 Mrd. bezahlten Tonnenkilometern (RKT)[79], was einer Verdopplung der beförderten Frachtmenge seit 1993 gleichkommt.[80] Mit dem erneuten Konjunkturaufschwung nach der weltweiten Rezession von 2008/2009 wächst die Luftfrachtbranche wieder durchschnittlich um 5,9 Prozent p.a.[81] Gleichzeitig wird jedoch die augenscheinliche Verwundbarkeit der Branche hinsichtlich konjunktureller Schwankungen deutlich. In der unmittelbaren Vergangenheit hatten Ereignisse wie die Anschläge vom 11.September 2001, die SARS-Pandemie oder die Rezession von 2008 offenkundige Impulse auf die Entwicklung des Luftfrachtverkehrs. Nichtsdestotrotz profitiert die Luftfrachtbranche von einer zunehmenden Globalisierung der Weltwirtschaft und der damit zusammenhängenden Zunahme weltweiter Produktions- und Lieferverflechtungen.[82] Zeitgleich ergeben sich neue Anforderungen an die Leistungsfähigkeit logistischer Dienstleister, welche im Zuge veränderter Produkteigenschaften, hin zu immer kleinvolumigeren und höherwertigen Produkten, neue Strategien bezüglich Flexibilität und Service entwickeln müssen.[83] Mit dem Aufkommen globaler Märkte und Produktionsnetze erhöht sich gleichsam der Bedarf nach einer globalen Organisation des Transportes. Um auf diesem umkämpften Markt ihre Handlungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu wahren, müssen die Logistikunternehmen selber global organisiert sein. Die Unternehmen reagieren auf die veränderten Bedingungen des Luftfrachtmarktes, was in tiefgreifenden Restrukturierungsmaßnahmen in der gesamten Branche kumuliert. Einer dieser Prozesse kann als der Versuch einer ganzheitlichen Integration der Wertschöpfungskette in einem Unternehmen verstanden werden.
Im Folgenden soll die Struktur und Organisation des Luftfrachtmarktes näher beleuchtet, sowie vermeintliche Implikationen, bedingt durch veränderte Strategien seitens der Unternehmen, auf den Raum untersucht werden. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht hierbei die deutsche Flughafenlandschaft und die dort ansässigen Logistikdienstleister zu deren Portfolio die Beförderung von Luftfracht gehört.
Der Luftfrachtmarkt ist gekennzeichnet durch die Beförderung von nationalen und internationalen Warentransporten unter Zuhilfenahme der Verkehrsträger Flugzeug, Luftschiff und Hubschrauber.[84] Fernerhin gelten alle Transporte des bodengebundenen Verkehrs, welche unter Anrechnung von IATA[85]-Tarifen durchgeführt werden, als Teil des Luftfrachtmarktes. Im direkten Vergleich aller Verkehrsmärkte[86] treten die besonderen Eigenschaften des Lufttransportes zu Tage. Demnach können die spezifischen Vorteile der Luftfrachtbeförderung wie folgt charakterisiert werden[87]:
kurze Transportzeiten (2-3 Werktage),
niedrige Kosten für die Transportverpackung
(aufgrund geringer Transportbeanspruchung durch eine schonende Beförderungsart),
hohe Pünktlichkeit von Luftfrachtsendungen,
Minimierung von Lagerkosten durch Reduzierung oder Wegfall der Bestände,
geringe Kapitalbindungskosten durch kurze Transportzeiten,
Flexibilität in der Disposition und die Möglichkeit der kurzfristigen Beschaffung von Gütern aufgrund zügiger Transportrealisierung,
geringe Versicherungsprämien angesichts niedriger Transportrisiken und,
problemlose Dokumentation (Luftfrachtbrief[88]).
Im heutigen Luftfrachtverkehr wird annähernd die komplette Bandbreite der Waren im modernen Welthandel transportiert. Aufgrund der spezifischen Eigenschaften der Luftfracht ist dennoch eine eindeutige Fokussierung auf den Transport von primär wertvollen und/oder zeitkritischen Gütern bzw. unvorhersehbaren Luftfrachtsendungen feststellbar.
Hierbei handelt es sich vorzugsweise um Güter aus dem Bereich Textilien
(z.B. Modeindustrie), Maschinenbauteile (z. B. Automobilindustrie), Mikroelektronik
(z.B. High-Tech Industrie), Gefahrgut, verderbliche bzw. exotische Lebensmittel, transportempfindliche Tiere (z.B. Pferde, exotische Fische), Zeitungen und Zeitschriften oder besonders hochwertige und damit diebstahlgefährdete Waren. Insbesondere in der Elektroindustrie (hier vordergründig die Unterhaltungselektronik) ist davon auszugehen,
dass die Wertigkeit eines Produktes pro Gewichtseinheit weiterhin zunehmen wird.
Im gleichen Maße also, wie die Wertigkeit von Produkten aufgrund technologischer Fortschritte steigen wird, nimmt auch die Bedeutung der Luftfracht zu. Weitere Faktoren,
wie die Verkürzung des Produktlebenszyklus (schnellere Wertminderung der Waren), Zunahme weltweiter Arbeitsteilung, Kostendruck durch hohe Lagerkosten (bedingt Ausweitung von globalen Lieferverflechtungen), begünstigen die Entwicklung der Luftfracht.[89] Zahlreiche Studien, z.B. von Boeing, Airbus oder IATA, attestieren der Luftfracht daher eine blühende Zukunft.
Der Logistikmarkt im Luftfrachtsegment weist eine hohe Zersplitterung bzw. Fragmentierung auf.[90] Nach Neiberger ergibt sich eine signifikante Dreiteilung der Branche in sog.
„Global Player“, mittelständische Speditionen, und zuletzt kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 1 Mio. Euro Export-Umsatz.[91]
Die sog. „Global Player“ des Luftfrachtverkehrs, namentlich DHL (Deutsche Post)[92],
DB Schenker Logistics (Deutsche Bahn), Kühne + Nagel und Panalpina, sind gemessen am beförderten Volumen 2009 die führenden Luftfrachtspeditionen weltweit.[93]
Diese weltweit operierenden Unternehmen disponieren bezeichnenderweise über ein global ausgebautes Netz an Niederlassungen und ein breites Leistungsspektrum aus Luft- und Seefracht, Landverkehren, Distributions- und Kontraktlogistik, sowie logistischen Beratungsdienstleistungen, den sog. Third Party Logistics[94]. Aufgrund differierender Abwicklungskonzepte ergibt sich eine eindeutige Segmentierung des Teilmarktes in Expressfracht (Integratoren) und klassische Luftfracht. Die Integratoren, abgeleitet von der amerikanischen Bezeichnung für „integrated service carrier“[95], hierzu gehören DHL, UPS, FedEX und TNT, verfolgen eine Strategie zur vertikalen Integration entlang der Wertschöpfungskette mit durchweg standardisierten „Haus-zu-Haus“-Dienstleistungen aus einer Hand und kurzen Laufzeiten. Die zweite Fraktion wird von den bereits weiter oben geschilderten klassischen Luftfrachtspediteuren wie Kühne + Nagel und Panalpina beherrscht.
Die mittelständischen Unternehmen weisen einen Luftfrachtumsatz von über 1 Mio. Euro auf. Diese Gruppe steht unter einem außergewöhnlich großen Wettbewerbsdruck, welcher durch die Vielzahl an Fusion und Übernahmen in diesem Marktsegment deutlich wird.
Zur Sicherung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit im globalen Verdrängungskampf forciert sich zunehmend eine ausgeprägte Übernahmepolitik. Dies wird insbesondere an der außerordentlichen Akquisitionswelle der letzten Jahre in der Branche erkennbar.[96]
Aufgrund des hohen Kapital- und Managementbedarfs im „M&A“-Geschäft[97] existiert gleichermaßen ein hohes Risiko für die Unternehmen. Infolgedessen wird sich der Markt auf absehbare Zeit nicht beruhigen, vielmehr werden Übernahmen und Insolvenzen unrentabler bzw. kapitalschwacher Unternehmen zunehmen, was einen fortschreitenden Konsolidierungsprozess zur Folge hat.[98]
Gemessen am Geschäftsvolumen und nach Anzahl der Unternehmen bilden die kleinen und mittleren Unternehmen die größte Gruppe im Luftfrachtsegment. Nach wie vor erwirtschaften diese Unternehmen den Großteil des gesamten Teilmarktumsatzes (ca. 70-80 Prozent),
ein Sinnbild für die deutliche Fragmentierung der Branche.[99] In diesem segmentierten Teilmarkt wird eine Vielzahl unterschiedlicher Dienstleistungen erbracht, in der Mehrzahl jedoch im Bereich der General Cargo[100]. Dennoch hat sich eine große Zahl spezialisierter und diversifizierter Spediteure als Nischenanbieter etabliert. Um auch zukünftig wettbewerbsfähig...