2. Umgang mit Tondokumenten im Lichte der archivtypischenKernaufgaben und Arbeitsprozesse
Tonträger sind eine besondere Archivaliengattung, deren Umgang Zusatzkenntnisse erfordert. Der Archivar, der sich mit herkömmlichen Archivgut in der Regel optisch (lesend) auseinander setzt, muss sich bei Tonträgern umstellen: Bewertung und Erschließung erfolgen durch Abhören des Tondokumentes, dies bedeutet ein Umschalten auf eine – zunächst ungewohnte – sinnliche Wahrnehmungsebene. Die Erfordernis von Abspielgeräten setzt technisches Verständnis voraus, um diese Geräte bedienen zu können. Wie intensiv sich ein Archiv mit seinen Tonträgerbeständen auseinandersetzen kann, wird immer abhängen von den beiden Ressourcen Personal und technische Ausstattung.
Ein Ein-Mann-Archiv wird sich kaum intensiv den Tonträgerbeständen widmen können, genausowenig wie ein Archiv mit nur geringem Etat umfangreiche kostspielige Digitalisierungsprojekte wird umsetzen können. Anzustreben ist deshalb das machbare Optimum, Kompromisse und Abstriche sind meist unvermeidbar, gerade bei Kommunalarchiven, die mit wenigen Ressourcen auskommen müssen. Hilfreich ist in jedem Fall die Erstellung einer Prioritätenliste, die erforderliche Maßnahmen in der Reihenfolge ihrer Dringlichkeit aufführt. So besteht beispielsweise dringender Handlungsbedarf bei archivwürdigen Tonträgern, die bereits massive Schäden aufweisen und nicht mehr funktionstüchtig sind. Diese müssen vorrangig restauriert werden. Dagegen kann eine eingehendere Erschließung, die Digitalisierung analoger Tonträger oder der Findbuchausdruck der erschlossenen Audios eher zurückgestellt bzw. nachrangig behandelt werden, sofern dies wegen Ressourcenknappheit unumgänglich ist.
2.1. Übernahme und Bestandsbildung
Übernahme
Übernimmt ein kommunales Archiv – im Rahmen seiner Zuständigkeit und seines gesetzlichen Auftrages - Tonträger von seinem Archivträger, also beispielsweise von der Kreis- oder Stadtverwaltung, so handelt es sich um amtliches Archivgut. Stammen die Tondokumente von privater Hand und wurden durch Kauf, Schenkung oder als Depositum erworben, dann sind sie nichtamtliches Archivgut.
Je nach Herkunft sind unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte zu erwarten: Während die im behördlichen Bereich entstandenen Tondokumente sehr stark am Verwaltungshandeln orientiert sind und zur Unterstützung kommunaler Aufgaben gedient haben, sind Tondokumente privater bzw. nichtamtlicher Herkunft Audio-Zeugnisse des übrigen politischen und gesellschaftlichen Lebens innerhalb des Archivsprengels. In der folgenden Tabelle werden amtliche und nichtamtliche Tonträger einander gegenübergestellt. Unter inhaltlichen Aspekten lassen sich Tonaufzeichnungen den beiden Herkunftsarten folgendermaßen zuordnen:
Schematische Darstellung über die Zusammenführung von amtlichen und nichtamtlichen Tonträgern in einen gemeinsamen Sammlungsbestand, Quelle: eigene Darstellung
Die Mehrzahl der im behördlichen Bereich entstandenen Tonträger enthalten entweder Aufzeichnungen von Sitzungen kommunaler Gremien (Rat, Ausschüsse, Kreistag, Beiräte etc.) oder sind Tapes der Pressestelle z.B. mit Reden (lokal)prominenter Persönlichkeiten. Nichtamtliches Archivgut privater Herkunft wird klassisch unter dem Begriff „Sammlungen“ oder „Sammelgut“ subsummiert. Das Standardwerk „Schlüsselbegriffe der Archivterminologie“ definiert Sammlungen folgendermaßen: „Einzelstücke verschiedener Herkunft, die wegen eines spezifischen Sammlungsinteresses ohne Berücksichtigung von Entstehungszusammenhängen zusammengeführt wurden; archivische Sammlungen haben meist einen inhaltlichen Bezug zur Geschichte des Sprengels“[80]. Dies trifft auf Tonträger weitgehend zu. Im Vordergrund steht der Sachbezug, der inhaltliche Betreff. Wie Bildbestände dienen Tonträger ergänzend zur Dokumentation der Stadt- oder Regionalgeschichte. Tonträger gelangen „wegen eines spezifischen Sammlungsinteresses“ ins kommunale Archiv. Sie werden vielfach nicht systematisch angeschafft, sondern geraten häufig eher zufällig ins Archiv. In manchen Fällen befinden sie sich in Nachlässen oder Vereinsbeständen zwischen Schriftgut.
Bei der Übernahme sollten Tonträger zusätzlich zur Zugangsnummer mit dem Aktenzeichen des entsprechenden Vorgangs in den Dienstakten versehen werden, damit bei einer späteren Erschließung alle hierzu erforderlichen Informationen ermittelbar sind. Der Übernahmevermerk sollte schon die wesentlichen Grunddaten zu den übernommenen Tonträgern aufzählen. Denn gerade Tonträger „erleiden“ häufig das Schicksal dass sie nach der Akzession erst einmal längere Zeit – mitunter Jahre – unbearbeitet im Regal liegen. Deshalb ist es wichtig, die essentiellen Angaben und Informationen zum Tonträger selbst und zur Übernahme schriftlich präsent zu halten. Damit kann bei der späteren Erschließung der Zeitaufwand so gering wie möglich gehalten werden. Je weniger Angaben auf dem Tonträger selbst, auf dessen Verpackung oder auf beigefügten Zetteln vorhanden sind, um so ausführlicher sind diese fehlenden Angaben – sofern sie ermittelt werden können - im Aktenvermerk nachzutragen und festzuhalten. Im Gespräch mit der abgebenden Stelle sind alle noch offenen Fragen anzusprechen und zu klären. Dazu zählen im Wesentlichen:
Rechtliche Fragen (Urheber- und Verwertungsrechte)
Fragen zum Inhalt der Aufnahme
Entstehungszweck, Anlass der Aufnahme
Technischer Zustand des Tonträgers (muss z.B. auf Materialschäden geachtet werden? etc.)
Insbesondere Angaben über die Urheber- und Nutzungsrechte sollten als Bestandteil in eine Übernahme-Vereinbarung oder in einen Vertrag (z.B. auch Depositalvertrag) zwischen Archiv und Überlasser einfließen.
Mitzuübernehmen ist neben den Tonträgern alles relevante Begleitmaterial. Dazu zählen alle Dokumente, die über die Begleitumstände der Tonaufnahme Auskunft geben.
Bestandsbildung
Dem Archivar stehen mehrere Möglichkeiten offen, wie er Tonträger bestandsmäßig handhabt.
Zusammenführung der nichtamtlichen und amtlichen Tonträger in einem gemeinsamen Sammlungsbestand / Sonderbestand ohne Rücksicht auf den Bestandsbildner: Es ist dem jeweiligen Archiv überlassen, ob es innerhalb dieses Sammlungsbestandes Unterprovenienzen einrichtet oder Unterbestände bildet, um die einzelnen Betreffeinheiten provenienzmäßig voneinander abzugrenzen. Dies kann z.B. auch über eine detaillierte Klassifikation geschehen. Für welche Lösung der Archivar sich auch entscheidet: In jedem Fall sollte bei der Verzeichnung die Herkunft des Audiodokuments klar ausgewiesen werden, um dem Nutzer seinen Entstehungskontext zu vermitteln. Denn dieser ist Ansatzpunkt für eine äußere Quellenkritik des Tondokuments. Schon allein unter Lagerungsaspekten empfiehlt sich darüber hinaus eine weitere Untergliederung des Bestands nach Formaten. Die nachfolgende Übersicht führt einige Beispiele an, wie Tondokumente in die Archivbestände eingegliedert werden können:
Beispiele für Bestandsbildung bei Tondokumenten unter Herkunfts- und Formataspekten, Quelle: eigene Darstellung
Über eine Klassifikation erfolgt die Zuordnung der Tondokumente unter Provenienz- oder inhaltlichen Gesichtspunkten. Darauf soll im Kapitel „Erschließung“ näher eingegangen werden.
Bei Tonträgern in Nachlass- oder Sammlungsbeständen zwischen übrigem Archivgut (z.B. Schriftgut / Fotos) kann der Archivar auch entscheiden, die Tondokumente in den jeweiligen Beständen zu belassen[81]. Der Überlieferungszusammenhang bleibt so gewahrt, unterschiedliche Archivaliengattungen eines Bestandes werden nicht künstlich auseinander gerissen. Die betreffenden Tonträger können in dem Fall der für den Bestand geltenden Klassifikation bzw. Bestandsgliederung zugeordnet werden. Bei Nachlässen z.B. lassen sich dadurch Bezüge zu Tätigkeiten oder Funktionen des Nachlassers deutlich machen. Diese Verknüpfungsmöglichkeit entfällt oder lässt sich schwieriger kenntlich machen, wenn die Audioquellen aus dem Provenienzbestand entnommen werden und einem Tonträger-Sammelbestand beigefügt werden. Dann muss im Findbuchvorwort des Nachlass- oder Sammlungsbestandes auf die Existenz dieser Tonträger verwiesen werden. Ein weiterer Nachteil wäre, dass im Falle der Nutzung an zwei unterschiedlichen Beständen ausgehoben werden müsste, wenn aus Interesse am Nachlasser vom Benutzer mehrere Archivalien angefordert werden.
Bildung von geschlossenen homogenen Tonträgerprovenienzbeständen: Die Akquisition besteht ausschließlich aus Tonträgern und enthält nicht noch anderes Archivgut. Beispiele: Übernahme einer geschlossenen Serie von Sitzungsmitschnitten auf Tonband oder der Erwerb des Tonträgernachlasses z.B. eines Musikers oder Sprachforschers, wobei nichtamtlicher Erwerb in dieser Form eher selten vorkommen dürfte. Realistischer ist ersteres Beispiel. In beiden Fällen werden Provenienzbestände gebildet: Die Serie von...