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E-Book

Typisch Europa

Ein Kulturverführer in 100 Stationen

AutorPieter Steinz
VerlagKnaus
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl464 Seiten
ISBN9783641186548
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
'Ein einzigartiges Kaleidoskop unseres Kontinents.' Geert Mak
Von Pippi Langstrumpf bis Johann Sebastian Bach, von der Sixtinischen Kapelle bis zum Billy Regal - Pieter Steinz widmet sich dem Schönen und Verbindenden auf unserem Kontinent. Er beschreibt unsere gemeinsame Kultur, die Grenzen überwindet und auf die alle Europäer stolz sein können. 'Beim Lesen habe ich voller Bewunderung gedacht: So eine prächtige Gesamtschau konnte nur ein Niederländer schreiben.' Dirk Schümer

Pieter Steinz, 1963 in Rotterdam geboren, studierte Geschichte und englische Literatur in Amsterdam. Mehr als 20 Jahre lang arbeitete er als Kunst- und Literaturkritiker des NRC Handelsblad. Seit 2012 ist er Direktor des Niederländischen Letterenfonds.

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Leseprobe

Einleitung

Wenn ich an Europa denke, kommen mir die Kathedrale von Chartres und die Sixtinische Kapelle in den Sinn, die Theaterstücke Shakespeares und Le Sacre du Printemps von Strawinsky. Ich höre den Schlusschor aus Bachs Matthäus-Passion und »Back in the U.S.S.R.« von den Beatles. Ich habe Fellinis Satyricon vor Augen und den Tim-und-Struppi-Comic König Ottokars Zepter, die französische Mode und die griechische Tragödie, die deutsche Romantik und die holländischen Meister, das skandinavische Design und den russischen Roman.

Wenn ich an Europa denke, sehe ich eine gemeinsame Kultur, die von Dublin bis Lesbos und von Sankt Petersburg bis Lissabon reicht. Literatur und Kunst, die Grenzen überwinden. Vielleicht bin ich ein hoffnungsloser Romantiker, denn obwohl ich ganz bestimmt nicht der Einzige bin, denken die meisten bei Europa an etwas ganz anderes. An Probleme mit dem Euro zum Beispiel. An die Bürokratie in Brüssel, an überflüssigen Normierungseifer und politische Ohnmacht. An offene Grenzen und die manchmal schwierige Integration von Migranten. An ideologische Unterschiede zwischen Ost und West und das Wirtschaftsgefälle zwischen Nord und Süd, kurzum an scheinbar unüberwindbare Gegensätze.

Die Zerrissenheit Europas lässt sich nicht leugnen. Aber ebenso wenig lässt sich leugnen, dass es vieles gibt, was Europa zusammenhält: In den Museen von Sankt Petersburg und Bukarest werden Werke von Malern gezeigt, die auch in London und Madrid hängen. Beethoven und Wagner sind im Baltikum ebenso beliebt wie am Mittelmeer. In den europäischen Städten bringen Dance-Partys junge Leute aus allen möglichen Ländern zusammen. Möbel von IKEA dominieren die Wohnungseinrichtungen in Polen ebenso wie die in Portugal und Irland. Barockarchitektur findet sich in Slowenien und Luxemburg, aber auch in den Niederlanden und Finnland, und der Jugendstil eroberte ganz Europa, auch wenn er in jedem Sprachraum anders heißt.

Glaubt man den EU-Skeptikern, kann man von Europa nichts Gutes erwarten. Für Glaube, Hoffnung und positive Vorbilder sollen bitte die jeweiligen Nationalkulturen und Traditionen sorgen. Doch es gibt allerhand Schönes auf unserem Kontinent, das grenzüberschreitend ist, genug paneuropäisches Kulturgut, auf das alle Europäer stolz sein können. Und genau davon handelt dieses Buch. In etwas mehr als 100 Kapiteln versuche ich, einen Überblick über die Kunst zu geben, die alle Europäer gemeinsam haben – eine positive Alternative zu den politischen und wirtschaftlichen Institutionen, bei denen die meisten von uns gelangweilt gähnen. Ich versuche zu ergründen, welche typisch europäischen Errungenschaften unsere »kulturelle DNA« oder besser noch das kulturelle Geflecht unseres Kontinents bilden.

Typisch Europa hat sich direkt aus meinem vorherigen Buch1 ergeben, in dem 16 Reisen quer durch Europa beschrieben werden, und zwar auf den Spuren archetypischer (Anti-)Helden wie Roland und Robin Hood. Der Arbeitstitel dieser gesammelten Reisegeschichten mit den dazugehörigen Mini-Biographien lautete: Das literarische Fundament Europas. Ganz einfach weil ich fest davon überzeugt war und bin, dass Europa vor allem durch eine gemeinsame Kultur geeint wird, die ihre Wurzeln in Poesie und Prosa hat. Weder die gemeinsame Währung noch gemeinsame politische Institutionen werden je so verbindend und inspirierend wirken wie die Volksbücher über Faust und Eulenspiegel. Nicht nur in Deutschland und England weiß man mit dem Baron von Münchhausen etwas anzufangen, sondern auch im Baltikum. Don Juan ist in Mailand und Prag bekannter als in seiner Geburtsstadt Sevilla. Das Schwert von König Artus, die Armbrust von Wilhelm Tell, der Umhang von Dracula, die Nase von Cyrano de Bergerac: Sie sind in allen Ländern der Europäischen Union ein Begriff – und weit darüber hinaus!

Natürlich bin ich als Leser und Literaturkritiker ein wenig voreingenommen: Europas gemeinsame Kultur umfasst deutlich mehr als nur Poesie und Prosa, ja, sogar mehr als die schönen Künste. Man denke nur an die Demokratie, das Christentum, die gesellschaftliche Etikette, die Philosophie Spinozas und Kants, die Trennung von Kirche und Staat, die Gewaltenteilung, die Newton’schen Gesetze, die Quantenmechanik, den Feminismus, die Menschenrechte und die Fußball-EM. Ganz zu schweigen von den politisch-historischen Phänomenen, die heute – in Anlehnung an den französischen Historiker Pierre Nora – »Erinnerungsorte« genannt werden: die Schlacht an der Milvischen Brücke, die Krönung Karls des Großen, die Kreuzzüge, Luthers Thesen, der Dreißigjährige Krieg, die Französische Revolution, Napoleon, der Imperialismus, der Erste Weltkrieg, der Kommunismus, Auschwitz, die Berliner Mauer, die Gastarbeiter, der Maastrichter Vertrag – ich könnte diese Liste noch ewig so fortsetzen.

Aber dieses Buch handelt nicht von Politik, Religion, Wissenschaft, Sport oder Philosophie. Darüber sind bereits genug andere Werke geschrieben worden, außerdem wäre mein Projekt dann wirklich ausgeufert. Der einzige Sportler, der ein eigenes Kapitel bekommen hat, ist der Vertreter des Totalen Fußballs, Johan Cruijff, der zugleich so etwas wie ein Balletttänzer war. Und die Philosophen sind nur durch Platon, Cicero und Montaigne vertreten – lauter Denker, die auch auf literarischem Gebiet großen Einfluss hatten. Religion kommt in den Kapiteln über die Kathedralen und den gregorianischen Choral vor, außerdem in denen über jede Kunstform, die das Lob Gottes verkündet. Die Naturwissenschaften dagegen müssen sich mit einem einzigen Kapitel über das Periodensystem der Elemente begnügen, das wiederum zahlreiche Literaten und Designer inspiriert hat.

Typisch Europa beschränkt sich auf die Künste – auf die klassischen ebenso wie auf die modernen –, die in acht Kategorien eingeteilt sind: Architektur, Bildende Kunst (Malerei und Skulptur), Film, Zeichentrick und Fotografie, Literatur und Comic, Musik, Schauspiel und Tanz, Design und Mode, alles Übrige findet sich im Kapitel »Verschiedenes«. In allen Kategorien kommt sowohl die Hochkultur als auch die Popkultur vor, sprich Beethoven und die Beatles, Shakespeare und der Skandinavien-Krimi, Schwanensee und Das Lied der Schlümpfe. Im Idealfall ist jedes behandelte Thema außerdem …

… eindeutig typisch Europa, wobei Europa recht großzügig ausgelegt wird (also auch die Schweiz, die einst griechische Türkei und Russland westlich des Urals umfasst),

… von überragendem Einfluss, oder es stellt sogar den wichtigsten Vertreter auf diesem Gebiet vor,

… möglichst überall in Europa ein Begriff.

Während meiner drei Jahre dauernden Suche nach Personen, Kunstwerken und Strömungen, die ich auf meiner Liste mit den Errungenschaften der europäischen Kultur sehen wollte, haben sich über 100 Ikonen ergeben, die ich in diesem Buch in eine relativ willkürliche, alphabetische Reihenfolge gebracht habe – angefangen bei »Amsterdam« von Jacques Brel bis hin zur Zypressenholz-Madonna, der Schwarzen Madonna von Tschenstochau. Doch schon bald stellte sich heraus, dass eine Auswahl von über 100 Stationen für eine europäische Kulturreise bei Weitem nicht ausreicht. Jane Austen: Ja, aber Charles Dickens: Nein? Besondere Aufmerksamkeit für Caravaggio und Rembrandt (unter dem Begriff chiaroscuro), aber kein Velázquez? Das Hauptaugenmerk auf Picassos Guernica, ohne auf den Kubismus einzugehen, den dieser Künstler erst groß gemacht hat? Den Propagandafilm anhand von Leni Riefenstahls Werken vorstellen und Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin nur kurz erwähnen? Ein absolutes Unding! Deshalb habe ich beschlossen, jedem Kapitel einen thematisch verwandten Essay zur Seite zu stellen, um die wichtigsten Lücken zu schließen (und Typisch Europa mit Hilfe eines ausführlichen Registers gleichzeitig zu einem Nachschlagewerk zu machen). Diese »Unter-Ikonen« sind meist eine Fortsetzung des Hauptkapitels (wie die Femme fatale zu James Bond, Casanova zu Don Giovanni, Pop-Art zu Dada und Punk), oder aber sie bilden einen Kontrast dazu (wie der Amsterdamer Grachtengürtel zu Le Corbusier, Pasolinis Die 120 Tage von Sodom zu Fellinis Satyricon, der Orient-Express zum Citroën »La DS«). Genau genommen enthält Typisch Europa also über 200 kulturelle Stationen – und trotzdem gibt es immer noch genügend Autoren, Künstler und Strömungen, die nicht berücksichtigt werden konnten.

Abschließend noch Folgendes: Ungefähr in der Mitte von Manhattan, Woody Allens Ode an New York, zählt die Hauptfigur Ike Davis alles auf, was das Leben lebenswert macht. Auf seiner Liste stehen: der zweite Satz von Mozarts Jupitersymphonie, Flauberts Die Erziehung des Herzens, schwedische Filme, die unglaublichen Äpfel und Birnen von Cézanne und dann noch ein paar typisch amerikanische Dinge: Groucho Marx, der Baseballstar Willie Mays, Louis Armstrongs Aufnahme von »Potato Head Blues«, Marlon Brando und Frank Sinatra. Allens Alter Ego beschließt seine Aufzählung mit den Hummerkrabben im Restaurant Sam Wo, einem Lokal in Manhattan, das längst nicht mehr existiert, und mit dem Gesicht der jungen Frau, in die er verliebt ist.

Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der in Anlehnung an Ike Davis so eine Liste erstellt hat. Und das sogar mehrmals: Einige Dinge standen, von den Gesichtern meiner Lieben mal abgesehen, jedes Mal drauf: Monty Python, die niederländische Nationalmannschaft der Fußball-WM von 1974, der dritte Satz von Beethovens Frühlingssonate, das White Album der Beatles, Woody Allens Filme, Evelyn Waughs Wiedersehen mit Brideshead,...

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