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E-Book

Unbewusstes in Organisationen

Zur Psychoanalyse von sozialen Systemen

VerlagFacultas / Maudrich
Erscheinungsjahr1997
Seitenanzahl Seiten
ISBN9783990302903
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Die Artikel dieses Buches beschäftigen sich mit einem neuartigen Ansatz an der Schnittstelle von Psychoanalyse und Organisationsentwicklung: Nicht nur der einzelne, in den Organisationen Tätige, gelangt in den Aufmerksamkeitsfokus, sondern die Gesamtorganisation, die andere Eigenschaften und Merkmale besitzt als ihre Mitarbeiter. Das Aufspüren und Verstehen von unbewussten Motiven innerhalb einer Organisation gestattet einen klareren Blick auf Hindernisse, Hemmungen und Widerstände dieser Organisationen. Dadurch können Reibungsverluste im Produktionsbereich verringert und die Mitarbeitermotivation verbessert werden.

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Leseprobe

Das Unbewußte bei der Arbeit

Anton Obholzer

1. Einleitung

Eine allgemeine Erfahrung bei der Arbeit, wie überhaupt im Leben ist, daß Pläne, die gemacht wurden, nicht ausgeführt werden; daß Entscheidungen, die getroffen wurden, nicht in die Tat umgesetzt werden; und daß Zeitpläne sich offensichtlich als irgendwie undurchführbar erweisen.

All dies sind Beispiele von Entscheidungen oder Plänen auf der Basis von rationalen, logischen, bewußten Überlegungen, die sich in ihrer Planung oder Durchführung als mangelhaft erweisen. Es ist für uns somit von unabweisbarem Interesse, herauszufinden, nicht nur warum die Dinge falsch laufen, sondern – vielleicht sogar von noch größerer Wichtigkeit – warum sie fortgesetzt falsch laufen oder, um es auf eine andere Weise zu sagen, warum es so schwer ist, aus der Erfahrung zu lernen.

Es gibt viele Wege, diese genannten Probleme zu betrachten, und diese Wege werden durch eine Unzahl von verschiedenen Schulen und Theorien über Management und Organisationsberatung repräsentiert. Der Umstand, daß viele dieser Schulen beanspruchen, über umfassende Werkzeuge des Verstehens zu verfügen und die Arbeit mit anderen Ansätzen zu erübrigen, macht die Situation für jene, die in diesem Feld arbeiten – für die Berater wie für die Käufer der Beratung noch schwieriger.

Dieser Vortrag beschäftigt sich mit einer Methode jene Faktoren zu betrachten, die einen Beitrag dazu leisten, daß die Management- und Organisationsabläufe unterlaufen werden, wie es soeben beschrieben wurde. Sie basiert auf psychoanalytischen Theorien und geht davon aus, daß viele der Vorgänge, die zu den organisatorischen Schwierigkeiten beitragen, ihrer Natur nach unbewußt sind. Damit meine ich, daß sowohl die Organisation als auch ihre Mitglieder sich der zugrundeliegenden Faktoren, die ihr Verhalten bestimmen, nicht bewußt sind und auch nicht die Tatsache erkennen, daß ihr Verhalten eine destruktive Wirkung auf die Organisation hat. Tatsächlich glauben sie oft genau das Gegenteil: daß nämlich ihr Verhalten solchen Werten wie Treue, Wahrheit und dem Firmeninteresse usw. dient.

Bevor ich damit beginne, einige grundsätzliche Prinzipien einer psychoanalytisch orientierten Organisationsberatung herauszuarbeiten, möchte ich diesen Ansatz in einen umfassenden Zusammenhang stellen. Ganz allgemein glaube ich, daß alle Theorien, um welches Gebiet es sich auch immer handelt, Systeme sind, unsere Angst vor dem Nichtwissen einzudämmen. Zum Teil ist es also die psychologische Funktion einer Theorie, unsere Furcht davor, uns selbst zu verlieren und auf bedrohliche Weise überschwemmt zu werden, aufzufangen. Diese Betrachtungsweise basiert auf dem Werk des Analytikers Wilfred Bion.

Auf einer anderen Ebene, nämlich auf jener der Wissenschaftstheorie von Karl Popper, geht es bei Theorien zentral darum, eine Hypothese so zu formulieren, daß sie überprüft und durch Erfahrung modifiziert werden kann.

Die Theorien, die wir als Teil eines psychoanalytischen Modells zum Verständnis unbewußter Prozesse in Organisationen verwenden, sind keine Ausnahme davon. Sie haben den Vorteil uns gewissermaßen mit einem Raster des Verstehens zu versehen, innerhalb dessen wir unsere Beobachtungen deuten können; haben aber den Nachteil, uns durch eine vorgefaßte Betrachtungsweise einzuschränken, so daß die Möglichkeiten einer unvoreingenommenen Betrachtungsweise der Phänomene stark eingeschränkt sind.

Schließlich möchte ich festhalten, daß psychoanalytische Modelle der Analyse von Organisationen nicht beanspruchen können, umfassende Modelle für das Verständnis und Management von Organisationen zur Verfügung zu stellen. Sie sollten das auch gar nicht beanspruchen. Sie müssen in Verbindung und in Zusammenarbeit mit soziopsychologischen Theorien, mit Managementtheorien und anderen Theorien, die sich auf die Beobachtung der äußeren Realität richten, angewandt werden.

Am Tavistock-Institut machen wir zunehmend die Erfahrung, daß psychoanalytische Modelle der Beratung – so wie wir sie praktizieren – dann gefragt sind, wenn es um Probleme des Widerstandes gegen Veränderung geht, die durch andere Organisationsintervention nicht behoben werden konnten. Ein psychoanalytischer Ansatz wird somit immer mehr als ein zusätzliches spezielles Werkzeug gesehen, um auf der unbewußten Ebene des organisatorischen Gefüges zu intervenieren.

2. Arbeit in unserer Gesellschaft

Will man den unbewußten Prozessen bei der Arbeit nachgehen, ist es wichtig, über die Funktion der Arbeit in unserer Gesellschaft nachzudenken. Ganz grundsätzlich ist Arbeit eine notwendige Aktivität für das Überleben der Gesellschaft. In der heutigen westlichen Gesellschaft, in der die Bedeutung der Großfamilie, der Religion usw. verkümmert ist, wird Arbeit und die Institutionen der Arbeit (oder deren Fehlen bei Arbeitslosigkeit) zunehmend bedeutend – als zentraler Pfeiler unserer persönlichen Identität. Wird uns die Möglichkeit zu arbeiten genommen, sei es durch Entlassung, durch Pensionierung, durch Zusperren von Betrieben oder anders, erleben wir uns zunehmend als verloren, erleiden physische oder psychische Erkrankungen, und das Risiko frühzeitig zu sterben steigt.

Marie Jahoda’s Studie über die Arbeitslosen von Marienthal, die in den 30er Jahren in Österreich durchgeführt wurde, hat uns zu ersten Einsichten über diese Probleme verholfen.

Heute leisten wir den größten Teil der Arbeit als Mitglieder von Organisationen und Institutionen und jede Veränderung in deren Strukturen oder in deren Management droht die Pfeiler unserer personellen und professionellen Identität zu erschüttern. Dies erklärt bis zu einem gewissen Grad den überall anzutreffenden Widerstand gegen Veränderungen in Institutionen.

Doch Arbeit ermöglicht uns nicht nur unsere Identität in wesentlichen Bereichen herzustellen, Arbeit und Arbeitsplätze haben auch noch eine andere wichtige Funktion: sie erlauben uns, an einer Gruppe und an einem institutionellen Geschehen teilzunehmen. Somit geben sie uns die Möglichkeit, „institutionalisiert“ zu sein, in dem Sinne, in dem Goffman diesen Begriff verwendet hat.

Wir alle wissen um die negativen Aspekte der Institutionalisierung wie sie von Goffman, Miller und vielen anderen beschrieben wurden. Weniger wird allerdings darüber diskutiert, daß Mitglieder von Institutionen die Institutionalisierung auch schätzen, weil sie sie von der Anstrengung individuellen Denkens und Handelns befreit und ihnen gestattet, sich dem Denken in institutionellen Grundnormen anzuschließen, oder um es vielleicht noch deutlicher zu sagen – ihnen gestattet, schlicht nicht zu denken.

Veränderungen in der Organisation oder der Verlust der Mitgliedschaft bedrohen oder zerstören das Gefühl der Zugehörigkeit und verursachen daher Widerstand oder Turbulenzen, wie dies in vielen Arbeitsorganisationen zu beobachten ist.

3. Die Rolle der Angst im Management von Veränderungen

Im gerade besprochenen Szenario der psychologischen Funktion von Arbeit und Arbeitsplätzen finden wir also zwei einander widersprechende Betrachtungsweisen. Die auf bewußte Vorgänge gerichtete Betrachtungsweise ist die, daß ein Arbeitsplatz dazu da ist, die zugehörige Arbeitsaufgabe durchzuführen, und daß wir als Organisationsmitglieder dazu da sind, unsere Arbeitsrollen im Rahmen der gesamten Arbeitsorganisation auszufüllen.

Die auf unbewußte Vorgänge gerichtete Betrachtungsweise wäre, die Funktion der Arbeitsinstitution darin zu sehen, jedem Einzelnen ein Gefühl der persönlichen Identität zu geben bzw. von der Last individuellen Denkens und von der Unsicherheit einsamer Entscheidungen zu befreien und den Einzelnen mit einer Gruppenmitgliedschaft zu versorgen, so daß die Bequemlichkeit sowohl für ihn, als auch für die Gesellschaft steigt.

Diese beiden Auffassungen stehen zueinander offensichtlich im Widerspruch. Einem Widerspruch allerdings, der hilft, Probleme in Arbeitsorganisationen zu erhellen. Führen wir zum Beispiel das Konzept des Managements ein: Es ist nahezu unmöglich von Management zu sprechen, ohne zugleich Veränderung zu erwähnen. Management ohne Veränderung würde ja bedeuten, den Status Quo zu managen, und da die Umwelt sich in einem ständigen Veränderungsprozeß befindet, hieße, den Status Quo zu managen, sich gegebenenfalls selbst wegzumanagen. Und so wie Management eng mit Veränderung verbunden ist, ist Veränderung unausweichlich mit Angst verbunden. Auf beiden Ebenen also, der bewußten wie der Unbewußten, heißt Management somit auch Management von Angst und Management von Widerstand, der aus dieser Angst entsteht.

Wenn die eben aufgestellte Hypothese richtig ist, nämlich, daß Management mit Veränderung zu tun hat, die wiederum Angst hervorruft, dann wird es für uns wichtig, soviel wie möglich vom Charakter der derart entstandenen Ängste verstehen zu lernen, denn hier ist der wesentliche Schnittpunkt zwischen der Psychoanalyse, die unbewußte Ängste zu verstehen versucht und dem Arbeitsplatz, wo sich diese Ängste durch unbewußtes Agieren zeigen und die Entscheidungen und Pläne unterlaufen, die auf bewußtem Wege gemacht wurden.

Ich benutze die Mehrzahl „Ängste“, weil es sich in der Tat um verschiedene Ängste auf verschiedenen Ebenen handelt. Um sie bei einer Beratung adäquat ansprechen zu können, bedürfen wir einiger Differenzierungen. Ich schlage drei Kategorien vor, die meines Erachtens große Evidenz besitzen:

- primitive Angst

- Angst, die aus der Art der Arbeit entsteht

- personelle Angst.

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