Die Varianz und die Standardabweichung sind klassische Risikomaße mit denen, unter Berücksichtigung aller Verteilungswerte, sowohl positive als auch negative Abweichungen um einen Erwartungswert ausgewiesen werden.[172] Daher werden sie auch als sogenannte Streuungsmaße bezeichnet.[173] Sie werden aber auch als Volatilitätsmaße bezeichnet und haben das Ziel, Chancen und Risiken zu quantifizieren und fallen aufgrund der Berücksichtigung positiver und negativer Abweichungen unter die zweiseitigen Risikomaße.[174] Die Volatilität beschreibt die durchschnittlichen Abweichungen von einem Mittelwert und lässt aufgrund der Schwankungsintensität Rückschlüsse auf mögliche Risiken zu.[175] Risikomaße sind wiederum für die Quantifizierung bzw. Messung von Risiken geeignet und bieten eine Vergleichsgrundlage aller identifizierten Risiken, die im Nachgang durch das Risikomanagement priorisiert werden können.[176]
Die Varianz, die sich aus der durchschnittlichen quadratischen Abweichung aller Verteilungswerte ergibt, drückt aus, wie volatil eine Variable um ihren arithmetischen Mittelwert schwankt.[177] Die einzelnen Abweichungen werden dabei gleichermaßen gewichtet, wonach – bezogen z.B. auf die Messung der Volatilität eines Wertpapieres - nicht zwischen Gewinn oder Verlust bzw. Chance oder Risiko unterschieden wird.[178]
Mithilfe der Quadratwurzel aus der Varianz ergibt sich die Standardabweichung, die in der gleichen Maßeinheit wie die Verteilungswerte selbst angegeben wird und die notwendige Transparenz für Vergleichszwecke aufweist.[179] Durch die Standardabweichung kann Risiko durch Volatilität beschrieben werden. Steigt die Volatilität, steigt sowohl das anzunehmende Risiko als auch die daraus resultierende Chance.[180] Die Standardabweichung eignet sich demnach als Maßzahl für die Volatilität.[181]
Wie hoch Chancen und Risiken auf Basis der Varianz und der Standardabweichung bemessen werden, hängt stark von der Verteilung ab. Durch die vorgegebene Normalverteilung ergibt sich eine symmetrische Verteilung, wonach die Chance und das Risiko in der gleichen Größe bemessen sind.[182] Oftmals wird allerdings die zweiseitige Sichtweise von Chance und Risiko umgangen und nur die negative Standardabweichung herangezogen.[183]
Verwendung findet die Standardabweichung z.B. in der modernen Portfolio Theorie und bringt zur Bemessung von Chancen und Risiken eine hohe Akzeptanz mit sich.[184] Die Standardabweichung kann schnell berechnet und mit dem Erwartungswert auf gleicher Ebene verglichen werden.[185]
Durch die fehlende Differenzierung von positiven und negativen Abweichungen kommt es auch zu keiner unterschiedlichen Gewichtung von Chance und Risiko.[186] In der Praxis unterscheiden sich die Verteilungen für Chance und Risiko. Daraus resultieren unsymmetrische Verteilungen, die die Standardabweichung auf Basis der Normalverteilung nicht berücksichtigt.[187] Aufgrund dessen gerät auch die Normalverteilung in Kritik, weil diese eine gleichmäßige Verteilung von negativen und positiven Werten voraussetzt. Durch die Mittelwertbildung können auch mögliche Extremszenarien in der Zukunft nicht vorhergesagt werden.[188] Weder Varianz noch Standardabweichung bringen die Eigenschaft der Monotonie mit sich und sind daher keine kohärenten Risikomaße.[189]
Meist werden lediglich negative Abweichungen zu einem Erwartungswert als Risiko empfunden.[190] Auch Finanzinvestoren bzw. Anleger interessieren sich tendenziell mehr für das Risiko, welches aus negativen Schwankungen resultiert.[191] Risikomaße, die nur den Verlustbereich berücksichtigen, sind einseitige Risikomaße und fallen unter die Kategorie der sogenannten Downside- oder auch Shortfall-Risk-Maße.[192]
Darunter fällt auch der VaR, der mittels ex ante Steuerung den geschätzten Maximalverlust einer Einzelposition oder eines Portfolios unter marktüblichen Schwankungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (Haltedauer z.B. 10 Tage) mit einer zuvor festgelegten Wahrscheinlichkeit (Konfidenzniveau z.B. 95%) angibt.[193] Anders ausgedrückt, wird dieser angegebene Maximalverlust zu dem gegebenen Konfidenzniveau innerhalb der Haltedauer nicht überschritten.[194] Großen Einfluss in Bezug auf die Höhe des VaR haben vor allem die Haltedauer und das Konfidenzniveau.[195]
Die Haltedauer bzw. die Halteperiode gibt an, über welchen zukünftigen Zeitraum der VaR bemessen wird. Je länger die Haltedauer, desto größer ist tendenziell der VaR. Die Haltedauer kann, sofern keine regulatorischen Anforderungen bestehen, frei gewählt und in Abhängigkeit des zu bemessenden Risikos skaliert werden.[196] Bezogen auf ein aus Einzelpositionen bestehendes Portfolio eines Unternehmens gibt der VaR in Abhängigkeit zu seiner Haltedauer über einen gewissen Zeitraum Auskunft über mögliche Verluste.[197]
Das festzulegende Konfidenzniveau, welches meist bei 95 oder 99% liegt, bestimmt die Höhe der Wahrscheinlichkeit, zu dem der potentielle Verlust, also der VaR, nicht überschritten wird.[198] Das Konfidenzniveau wird, sofern sich keine regulatorischen Anforderungen ergeben, in Abhängigkeit der Risikoneigung festgelegt.[199] Je höher das festgelegte Konfidenzniveau, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit von höheren Verlusten, die höher als VaR ausfallen. Mit steigenden Konfidenzniveau steigt allerdings gleichermaßen auch das Schätzrisiko, womit der VaR tendenziell ansteigt.[200]
Ursprünglich wurde der VaR für die Bewertung von Marktrisiken verwendet und von Morgan Stanley entwickelt.[201] Im Zeitverlauf und aus heutiger Sicht kann der VaR nach Anpassung von den hinterlegten Parametern ebenfalls für andere Zwecke wie z.B. Kreditrisiken oder operationelle Risiken verwendet werden.[202] Als Risikomaß konnte sich der VaR in der Praxis als Standardansatz durchsetzen und findet, nicht zuletzt durch Anforderungen aus Basel und Solvency, vor allem bei Banken und Versicherungen seine geeignete Anwendung.[203] Bei Anwendung des VaR-Modells als Bewertungsmaßstab bringt dieser vor allem die quantitative Vergleichbarkeit mit sich und sorgt für eine transparente Risikobewertung.[204] Durch die vorhandene Basis der Standardnormalverteilung lassen sich die Ergebnisse individuell auf die gewünschte Haltedauer skalieren.[205] Daher dient der VaR oftmals auch als Limitsteuerung innerhalb des Handels.[206]
Mithilfe des VaR kann neben der Quantifizierung von Einzelrisiken auch das Gesamtrisiko aus einem vorgegebenen Portfolio ermittelt und aggregiert werden, wodurch Rückschlüsse auf die notwendige Eigenkapitalhinterlegung des Unternehmens gezogen werden können.[207] Davon kann auch die Risikokapitalallokation für bspw. einzelne Geschäftszweige abgeleitet werden. [208] Diese Rückschlüsse werden vor allem in der Praxis oftmals zur Limitsteuerung mithilfe des VaR verwendet, um die aktuelle Eigenkapitalhinterlegung mit dem auftretenden VaR zu vergleichen.[209]
Um den VaR zu berechnen sollte zunächst das aktuelle Portfolio mit aktuellen Marktpreisen bewertet werden. Es folgt die Schätzung der Verteilung der Portfoliorenditen und die anschließende Berechnung des VaR für das gesamte Portfolio.[210] Zur Schätzung der Verteilungsfunktion und die anschließende Berechnung werden üblicherweise der Varianz-Kovarianz-Ansatz, die historische Simulation oder die Monte-Carlo-Simulation angewendet.[211] Mit diesen Methoden ist ebenfalls die notwendige Aggregation von Risiken zu einem Gesamtrisiko unter Berücksichtigung der Korrelation möglich.[212] Während der Varianz-Kovarianz-Ansatz einen analytischen Weg verfolgt, basieren die historische Simulation und der Monte-Carlo-Ansatz auf Simulationen.[213]
Häufig wird in der Literatur negativ kritisiert, dass der VaR keine Auskunft über Verluste außerhalb des festgelegten Konfidenzniveaus angibt, obwohl bei Eintritt dieser Verluste das Unternehmen existenzgefährdend getroffen werden kann.[214] Daher ist auch zu berücksichtigen, dass die historischen Daten bzw. die Simulationen möglichst eine solide und realistische Basis bereitstellen sollten. Ansonsten lassen sich höhere Verluste aufgrund der geringen Datenbasis erst gar nicht simulieren.[215]
Ein weiterer Einwand ist in der fehlenden Subadditivität des VaR zu erkennen mit der Auswirkung, dass ein Portfolio aus Einzelgeschäften nicht immer maximal aus der Summe der daraus...