Wegen der beschriebenen Umbrüche im Retail-Banking-Markt müssen Banken nicht nur die Kosten- sondern auch die Erlösseite aktiv gestalten.[132] Grund dafür ist auch, dass der Absatz von Bankdienstleistungen aufgrund des intensiven Wettbewerbs oftmals den Engpassfaktor darstellt, an welchem sich die Unternehmensplanung orientieren muss. Dadurch rücken Marketing- und Vertriebsüberlegungen in den Mittelpunkt.[133]
So sehen auch viele Banken in der Stärkung des eigenen Vertriebs eine geeignete Strategie.[134] Zur Umsetzung dieser ist eine kontinuierliche Anpassung der Distributionspolitik an die veränderten Rahmenbedingungen, insbesondere die veränderten Kundenbedürfnisse und das veränderte Kundenverhalten, erforderlich.[135]
Im Rahmen der Distributionspolitik als Teilbereich des Marketings werden distributionspolitische Ziele aus den übergeordneten Unternehmens- und Marketingzielen abgeleitet[136] und u.a. die Grundsatzfrage beantwortet, auf welchen Wegen Bankleistungen angeboten und verkauft werden sollen.[137] Hierunter fallen z.B. auch Fragen des Produktangebots je Vertriebsweg und Kundentyp, des Standortes und der Geschäftszeiten, welche vor dem Hintergrund der Besonderheit der partiellen Identität des Ortes der Leistungserstellung und des Ortes der Distribution zu beantworten sind.[138]
Die Distributionspolitik bildet die Schnittstelle zwischen Kunde und Bank. Sie muss einerseits die Spezifika von abstrakten Bankprodukten berücksichtigen, welche sich auf das vertrauensempfindliche Gut des Geldes in seinen verschiedenen Varianten beziehen und meist auf langfristigen und komplexen Vertragsbeziehungen beruhen. Diese Spezifika gehen mit einem erhöhten Erklärungsbedarf einher, welcher je nach Wissensstand des Kunden schwankt.[139] Deshalb gilt es andererseits, die spezifischen Fähigkeiten von Kunden zu erkennen und zu berücksichtigen.[140]
Im Folgenden werden ausgewählte Vertriebskanäle[141] von Banken vorgestellt. Dabei werden die drei Hauptvertriebskanäle, der stationäre, der mobile und der technologiegestützte Vertrieb, in dieser Reihenfolge getrennt voneinander betrachtet.[142] Zum Abschluss des Kapitels wird erläutert, warum es für Banken erforderlich und sinnvoll ist eine Kombination mehrerer Vertriebswege im Rahmen eines Multi- bzw. Omnikanalvertriebs anzubieten.
Der stationäre Vertrieb zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass der Ort der Distribution mit dem Ort der Leistungserstellung identisch ist. Die bekannteste Ausprägung dieses Hauptvertriebskanals ist der Vertrieb über Bankfilialen.[143] Weiterhin kann der Vertrieb über Selbstbedienungsautomaten hierunter subsumiert werden.[144] Beide Ausprägungen des stationären Vertriebs werden im Folgenden beginnend mit dem Vertriebsweg der Bankfiliale vorgestellt.
Bankfilialen, auch als Zweig- oder Geschäftsstellen bezeichnet, sind rechtlich unselbständige, jedoch vom Hauptsitz der Bank räumlich abgetrennte Einheiten. Sie gelten als der traditionelle Vertriebsweg im Retail-Banking[145]: Lange Zeit war der Filialvertrieb der einzige bzw. dominierende Vertriebsweg von Banken[146] und galt als Schlüssel zum Kunden: Viele Unternehmen stellten Ende der 1960er-Jahre die Lohnauszahlung auf bargeldlose Überweisungen um, wodurch sich die Notwendigkeit eines Kontos für Beschäftigte ergab. Banken reagierten darauf mit dem Aufbau eines flächendeckenden Filialnetzes, um Kunden für das eigene Institut zu gewinnen und die Kundennähe sicherzustellen. Daraus resultierend erlebte die Filiale eine Boomzeit. Die expansive Zweigstellenpolitik wurde noch bis in die 1990er-Jahre von Banken verfolgt.[147] Dadurch entstand in Deutschland ein im internationalen Vergleich sehr dichtes Filialnetz.[148]
Vorrangiges Ziel des Vertriebs über Bankfilialen ist die Schaffung von räumlicher Nähe, wodurch eine Präferenz für das eigene Institut beim Kunden erzeugt werden soll. Der Grundgedanke dabei ist, dass die Präferenz eines Kunden für eine Bank umso höher ist, je niedriger der Aufwand für einen Filialbesuch hinsichtlich des Weges und der Zeit ist.[149] Ebenso soll der persönliche Kontakt zum Kunden ermöglicht werden, wodurch sich Banken eine Steigerung der Kundentreue und -bindung sowie der Cross- und Up-Selling-Quote erhofft.[150]
Für Kunden dient die Filiale als Anlaufstelle. Neben Serviceleistungen, wie z.B. Ein- und Auszahlungen am Bankschalter, können Kunden in allen Lebenslagen und zu allen Produkten Informationen und Beratungen einholen und Finanzprodukte abschließen.[151]
Trotz der genannten Vorteile des Vertriebs über Filialen hat dieser einige Nachteile: Das Kernproblem sind die hohen Personal- und Sachkosten, von welchen ein hoher Anteil als Fixkosten zu klassifizieren ist.[152] Wegen dieser Kostenstruktur kann nur schwierig auf kurzfristige Marktschwankungen reagiert werden.[153]
Die hohe Kosten- und Kapitalintensität wird außerdem durch eine geringe Fokussierung auf lukrative, wertschöpfende Aktivitäten verschärft. So wird beispielsweise durch nicht lukrative Standardtransaktionen ein Großteil der Kapazitäten gebunden.[154]
Vor dem Hintergrund der hohen Kosten sind auch die Öffnungszeiten von Bankfilialen als nachteilig zu erachten, da z.B. die Räumlichkeiten nicht optimal ausgelastet werden. Die meisten Filialen haben nur in Ausnahmefällen an Samstagen geöffnet, wobei viele Kunden gerade an diesem Wochentag Zeit für einen Filialbesuch hätten.[155]
Nachteilig wirkt sich auch der Trend zu weniger Filialbesuchen und einer stärkeren Nutzung von durch die technologische Entwicklung entstanden technologiegestützten Vertriebswegen aus[156]: Folglich wird für die durch das Filialgeschäft induzierten Erträge mit einem Rückgang um 23 Prozent im Zeitraum von 2014 bis 2018 gerechnet[157], wobei die Kosten des Filialgeschäfts trotz fallender Erträge unverändert hoch bleiben sollten.[158]
Konsequenterweise reagierten Banken auf diesen Umbruch und stellen die Wirtschaftlichkeit ihrer Filialen auf den Prüfstand, wodurch die Anzahl an Filialschließungen seit Anfang der 1990er-Jahre zugenommen und die Zahl der Geschäftsstellen kontinuierlich abgenommen hat. Existierten im Jahr 1998 noch rd. 60.000 Filialen in Deutschland[159], hatte sich die Zahl Ende 2013 auf rd. 36.000 reduziert.[160]
Einige Beispiele der jüngsten Zeit zeigen, dass dieser Konsolidierungsprozess noch nicht abgeschlossen ist: Die Deutsche Bank gab in 2015 bekannt, ein Drittel ihrer insgesamt 700 Filialen zu schließen.[161] Auch die HypoVereinsbank vermeldete im August 2014 sich bis Sommer 2015 von 240 der 580 Filialen zu trennen, insbesondere von transaktionsorientierten Kleinstfilialen.[162]
Schließen Banken Filialen in ländlichen Regionen, sehen sich Kunden einer größer werdenden Entfernung zur nächsten Filiale gegenüber. Auch die von Banken aus Kostengründen praktizierte Substitution von Filialen mit Mitarbeitern durch Selbstbedienungsfilialen erhöht die Entfernung, welche für eine persönliche Beratung in einer Filiale zurückgelegt werden muss, und führt zu einer fortschreitenden Entpersonalisierung. Außer zu Kritik von betroffenen Kunden, Politikern und der Lokalpresse[163], können Filialschließungen zu einer schlechteren Betreuung des Kundenstamms, geringerem Vertrauen und folglich deutlichen Marktanteilsverlusten führen.[164] Letzteres stellt insbesondere dann ein Problem dar, wenn andere Banken weiterhin mit Filialen sowie einem persönlichen Service vor Ort sind und Kunden sich deshalb zum Wechsel des Instituts entscheiden.[165] Daran zeigt sich, dass ein dichtes Filialnetz eines der wichtigsten Abgrenzungsmerkmale von regional tätigen Banken ist, u.a. auch gegenüber Direktbanken[166], und kundenseitig geschätzt wird: So wünscht sich ein Drittel der Bankkunden ein dichtes Filialnetz mit persönlicher Beratung.[167]
Die Bedeutung der Filiale als Vertriebsweg und ihre Vorteile einerseits und die nachteilige Kostenstruktur der vielen kleinen, wenig effizienten Bankfilialen andererseits erzeugen ein Spannungsfeld für Banken[168]:...