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Was das Leben sich erlaubt

Mein Deutschland und ich

AutorHardy Krüger, Olaf Köhne, Peter Käfferlein
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783455851649
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Hardy Krüger, Weltstar aus Deutschland mit vielen Facetten: Schauspieler, Schriftsteller, Weltenbummler - und Zeitzeuge eines bewegten Jahrhunderts, auf das er nun, mit 88 Jahren, zurückblickt. Krüger erzählt im Gespräch von seiner Heimat Deutschland, seiner Liebe zu Afrika und seinem Leben in Amerika, Frankreich und England: Wer ihn damals prägte, was ihn heute antreibt und warum er sich um die Welt von morgen sorgt. 1928 in Berlin geboren, wächst Hardy Krüger unter dem NS-Regime auf und spielt bereits mit 15 Jahren seine erste Filmrolle. Ufa-Star Hans Söhnker konfrontiert ihn in dieser Zeit mit der Wahrheit über die Verbrechen der Nazis - und so wird aus dem Adolf-Hitler-Schüler Hardy Krüger der Kurier einer Gruppe von Widerständlern. Kurz vor Kriegsende muss Krüger an die Front, wird wegen Befehlsverweigerung zum Tode verurteilt und überlebt nur knapp. Nach 1945 startet er eine internationale Filmkarriere und spielt an der Seite von Charles Aznavour, John Wayne, James Stewart und Sean Connery. Zeitlebens bleibt Krüger ein Pendler zwischen allen Kontinenten und engagiert sich im Kampf gegen das Vergessen. Er legt sich mit Kanzler Adenauer an, klebt Wahlplakate für die SPD und wird zum Freund Helmut Schmidts. Eindrucksvoll und offen wie kaum ein anderer berichtet Krüger von den Grausamkeiten des Krieges, der Sprachlosigkeit einer ganzen Generation, von Begegnungen mit anderen Religionen und Kulturen und den wichtigsten Stationen seines bewegten Lebens.

Hardy Krüger, Jahrgang 1928, erlernte sein Handwerk auf deutschen Bühnen und startete schon früh eine internationale Schauspielerkarriere, wurde - mit bislang 16 Büchern - erfolgreicher Schriftsteller und schrieb mit der Reportagereihe Weltenbummler Fernsehgeschichte. Fast zwanzig Jahre lang lebte Krüger im afrikanischen Busch zu Füßen des Kilimandscharo, wo er während der Dreharbeiten zu dem Filmklassiker Hatari die Farm Momella kaufte. Er ist Offizier der französischen Ehrenlegion und Träger des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

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Leseprobe

WIE GESAGT, IST ES HERBST GEWESEN, als ich mit dem Buch begann, und gut zehn Monate habe ich mit den Erinnerungen zugebracht. An einem Tisch, den mir Sean Connery mal überlassen hat, weil er ihn selbst nicht stellen konnte.

Ich weiß noch, dass ich am ersten Tag des Schreibens in einen blauen Himmel hochgesehen habe, der Computer war angeworfen, und beim Denken über das neue Buch ist mir die Frage durch den Kopf gegangen, wie in drei Teufels Namen es nun weitergehen soll. Die Antwort darauf kam, wie es in meinem Leben oft geschieht, von der inneren Stimme: »Verlass den Wedding«, hat die Stimme mir gesagt. »Mach in Kassel weiter.«

»Hmmm. In Kassel«, habe ich überlegt. »Das bedeutet, das Buch geht mit den Eltern weiter: Ich habe die beiden sehr geliebt. Und ohne die wäre ich nicht hier.«

Richtig. Also Kassel. Wo Max Krüger Ingenieur gewesen ist. Bei einer Fabrik, die Lokomotiven baute. Henschel & Sohn hat sie geheißen. Vaters Auskommen war gut. Und seine Frau ist jung gewesen. Vater betete sie an. Sie war eine geborene Meier. Vorname Auguste. Mit leiser Zärtlichkeit nannte er sie Gustchen. Jeder fand sie schön.

Das erste Kind war eine Tochter. Ilse. Kaum war die sechs Jahre alt, da zogen die Krügers nach Berlin. Und da hat Mutter mich zur Welt gebracht. Im Wedding. Doch das habe ich ja bereits erzählt.

Der Umzug nach Berlin ist entschieden worden, weil’s in der Hauptstadt besser bezahlte Arbeit gab. Und zwar in einer Fabrik am Rand des Flugfelds Tempelhof. Anstelle von Lokomotiven konstruierte der Ingenieur Krüger fortan Maschinen. Solche für den Straßenbau.

Das Wort »fortan« ist mir bei Schwester Ilse und den Eltern eher rausgerutscht, als es durchdacht gewesen ist. Denn »fortan« lässt an einen längeren Zeitraum denken. Den gab es aber nicht. Mein »fortan« hat kaum ein halbes Jahr gehalten, da stürzte das Glück von Max und seinem Gustchen in nie gekannte Tiefen ab. Gerade so, als wäre das Leben eine Achterbahn, ging es von »himmelhoch jauchzend« rasend schnell nach »zu Tode betrübt« – nach unten. Und so habe ich von Schlimmem zu berichten. Von einer Krise. Einer Tragödie. Einer, als Banken Pleite machten. Als Fabriken schlossen. Als Menschen sich aus Fenstern zu Tode stürzten. Als Vater arbeitslos geworden war. Ich spreche von der Weltwirtschaftskrise, die bis in unsere Tage als große Angst vor Wiederholung weiterlebt.

WELTWIRTSCHAFTSKRISE

Am 24. und 25. Oktober 1929 sinken an der Wall Street die Aktienkurse ins Bodenlose. Die Nachricht vom »Schwarzen Freitag« geht um die Welt. Auch Deutschland gerät in den Strudel der Weltwirtschaftskrise. Der Boom der zwanziger Jahre endet jäh. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland steigt bis 1933 auf über sechs Millionen an. Die Realeinkommen sinken um ein Drittel, Armut und Kriminalität nehmen zu. Die Bevölkerung verliert zunehmend das Vertrauen in die junge Demokratie der »Weimarer Republik«. Dies ist einer der Faktoren, die zum Aufstieg Adolf Hitlers führen, der verspricht, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen, und der 1933 die Macht übernimmt.

 

JA. GENAUSO WARS. Max Krüger wurde arbeitslos. Um seine Familie zu ernähren, arbeitete der Ingenieur am Bahnhof. Dem Anhalter Bahnhof. Schleppte Koffer. Gegen Hungerlohn. Und am Ende seines Tunnels gab es nicht das kleinste bisschen Licht. Doch als die Not am größten war, griff das Schicksal ein und die eben abgestürzte Achterbahn rauschte ratternd steil nach oben. Was dahinter steckt, ist Folgendes:

Im Wedding, See-Ecke-Müller, fuhr eine schwere Limousine vor. Eine amerikanische. Rechtsgesteuert. Marke Packard. Am Heck das ovale Schild eines fremden Staates. Schwarze Buchstaben auf weißem Grund: SAU. Abkürzung für SOUTH AFRICAN UNION. Auf Deutsch keinen Krümel anders. SAU.

SÜD-AFRIKANISCHE UNION.

Der Wagen war auf einem Ozeanriesen von Kapstadt über Hamburg nach Berlin gekommen. Vor dem Haus, das – soweit ich weiß – schon damals ein Kino war, hielt ein livrierter Chauffeur den Schlag des Wagens auf. Ein untersetzter Mann stieg auf den Bürgersteig hinaus. So sah er aus: Schultern breit, Beine voller Kraft. Gesicht mit Furchen. Haare mit Bürstenschnitt, Haarfarbe weiß. Die Haut hell. Die Lippen voll.

Wer da kam, war ein Cousin von Vater. Für mich wurde er zu Onkel Albert. Aber das erst Jahre später. Sein Lebenslauf hat mich begeistert. Weil auch die Leser dieses Buches ganz sicher den Charakter dieses Mannes schätzen werden, schreibe ich seine Geschichte jetzt hier auf.

 

ONKEL ALBERT WAR SCHLACHTERMEISTER. Ursprünglich aus Neuruppin. Als ganz junger Mann ist er ausgewandert nach Südafrika. Seine junge Braut hat er gleich zu Anfang mitgenommen. In Kapstadt, weit am Hafen unten, haben sie einen Grillstand aufgebaut. Deutsche Bratwürste sind bei den Longshoremen zum Erfolg geworden. Die Bouletten ebenso, und die blonde Braut aus Neuruppin hat bei den Schwarzen Beachtung ausgelöst. Aus dem Grillstand ist schon bald ein kleiner Store geworden, kurz danach waren es zwei und schließlich mehrere Filialen. Nur ein paar Jahre später haben die jungen Unternehmer Kühlhäuser aufgemacht. Über das weitgestreckte Land der Buren waren sie verteilt. Und kaum war der Stummfilm in Kalifornien zum Erfolg geworden, da finanzierte Onkel Albert im Süden Afrikas eine Kinokette. Außerdem gab es da noch seine Hengste, die aus Arabien stammten. Wie erwartet brachten die bei Pferderennen weiteren Gewinn. Summa summarum also: Wegen Alberts weit gestreuter Geldanlagen berührte ihn die Weltwirtschaftskrise kaum.

Doch nun wird’s traurig. Denn mitten hinein in ein Schaffen, das er emsig nannte, starb ihm die geliebte Frau. Und es geschah in dieser Zeit des Schmerzes, dass er einen Packen Briefe las, die seine Erna und Gustchen, meine Mutter, sich geschrieben hatten. Unerwartet musste er darin von Armut lesen, einer, aus der es keinen Ausweg gab. Das hat den Witwer sehr berührt. Er dachte nach. Für eine Auswanderung nach Südafrika war Cousin Max nicht mehr jung genug. Finanzielle Unterstützung anzubieten, erschien Albert nicht als guter Plan. Der Stolz des Weddingers ließ das nicht zu. Schließlich sagte sich der Mann, die Antwort nach dem Wie der Hilfe könne in einem Brief zu suchen sein. So kam es dann, dass der Multimillionär für einen Kofferträger Schicksal spielte. Und zwar so:

Ein Brief, von Kapstadt in den Wedding, fragte an, ob Max dem Albert einen Gefallen tun würde. Die wegen der tragischen Inflation abgestürzten Immobilienpreise in der alten Heimat, so stand mit steiler Schrift geschrieben, machten dem Südafrikaner das Investment in eine Berliner Wohnanlage durchaus bedenkenswert. Wäre es wohl zuviel verlangt, wenn Max einmal danach Umschau halten würde?

Vater hat mir nie erzählt, ob er den dankenswerten Plan seines Cousins damals durchschaute. Später einmal hat er davon gesprochen, dass er, wie gewünscht, für den guten Albert Umschau hielt. Dass er die Immobilie fand. Dass der Afrikaner eine große Summe Geldes überwies. Dass Ilse, der kleine Eberhard, Max und seine Guste umzogen. Im Jahr 1931 muss das wohl gewesen sein. Ich war also mehr oder weniger drei Jahre alt, was bedeutet, dass ich mich an den Umzug nicht erinnern kann. An nichts und gar nichts kann ich mich erinnern, jedenfalls nicht, bis ich in die Schule kam. Und das geht zurück in die Zeit um 1934. Die Jahre davor kenne ich also nur vom Hörensagen. Das gilt auch für den 30. Januar 1933, einen Tag, der in mein Leben schicksalhaft Schlimmes bringen sollte.

MACHTERGREIFUNG

Die »Weimarer Republik« ist eine junge, aber instabile Demokratie. Weil zu viele Parteien im Parlament vertreten sind, ist die Regierungsbildung schwierig, mehrfach kommt es zu Neuwahlen. Aufgrund der seit 1929 fehlenden parlamentarischen Mehrheiten ernennt der Reichspräsident den Kanzler. Bei der Wahl am 6. November 1932 verliert die NSDAP zwar Stimmen, bleibt aber mit 33,1 Prozent stärkste Partei. Nach monatelangem Machtpoker ernennt der 85-jährige Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. Hindenburg, selbst weder Nazi noch Anhänger Hitlers, glaubt, dass die Mehrheit der Nicht-NSDAP-Minister Hitler in Schach halten könne. Eine fatale Fehleinschätzung!

 

JA, DER 30JANUAR 1933! Über diesen schicksalhaften Tag haben meine Eltern zu Ilse und zu mir mit Begeisterung gesprochen. Sie bezeichneten Hitler als Retter der Nation. Weil er den »frevelhaften« Vertrag von Versailles null und nichtig nannte. Weil er Autobahnen bauen ließ. Weil er die Reichswehr wieder »auf Vordermann« bringen ließ, und das mit Panzern und Kanonen, die Krupp und Thyssen für ihn bauten. Millionen anderer Deutscher haben so gedacht. Dass Reichswehr, Autobahnen und Kanonen einem verbrecherischen Weltkrieg dienen würden, haben die meisten Deutschen nicht vorausgesehen. Gesehen aber haben sie, dass es wieder Arbeit gab. Von dem Mann aus Braunau am Inn haben sich die Menschen blenden lassen. Sind in die »Partei des Führers«...

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