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E-Book

Wie Wunder möglich werden

Mein Weg zur chinesischen Medizin

AutorGünter Gunia
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783451338588
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Günter Gunia steht wie kein anderer in Deutschland als Person für die nachweisbar erfolgreiche Anwendung von Akupunktur. Sein Weg führte ihn von der Schlosserlehre über das Studium der Ökonomie zur Medizin, die er als Landarzt zehn Jahre erfolgreich praktizierte. In den 1990er Jahren folgte ein Neuaufbruch: die Ausbildung am Akupunkturinstitut der Chinesichen Akademie für traditionelle Medizin in Peking. Heute praktiziert und lehrt er als Honorarprofessor und Beauftragter der Pekinger Akademie in Deutschland Traditionelle Chinesische Medizin: mit spektakulären Heilungserfolgen. In diesem Buch erzählt er von seinen außergewöhnlichen Erfahrungen und von dem unglaublichen Potenzial einer Heilkunde jenseits westlicher Apparatemedizin.

Günter Gunia, geb. 1962, Landarzt und Experte für Traditionelle Chinesische Medizin, Dozent Uni Potsdam

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Leseprobe

1 Die Ankunft


AUF DEM FLUR wird es plötzlich laut. Ich schaue nach, was los ist. Andreas steht da, mit nichts weiter bekleidet als einer Unterhose und einer Socke am rechten Fuß, die andere baumelt in seiner linken Hand. Er versucht, die Dame zu beruhigen, die sich vor ihm gerade lauthals echauffiert. Eine Zumutung sei ihr Zimmer, die reinste Bruchbude. Und ihr Badezimmer möge sie gar nicht betreten, bei all dem Getier, das da hemmungslos auf dem Boden herumkrabbelt. Ihre Stimme überschlägt sich vor lauter Aufregung. Andreas zuckt die Schultern, breitet die Arme aus mit den Handflächen nach vorn, die Geste derer, die gerade nichts ändern können, wobei die Socke in seiner Hand trostlos nach unten hängt, was den ganzen Anblick noch ein bisschen trauriger macht. Er sagt etwas, das im Wortschwall der anderen untergeht. Wäre ich nicht so müde, würde ich unserem Reiseleiter zur Seite springen. Würde die Frau daran erinnern, dass wir doch bereits vor der Fahrt gebeten wurden, uns auf einige Unannehmlichkeiten einzustellen, und dass China, auch wenn wir das Jahr 1990 schreiben, noch ein Entwicklungsland ist und vieles einfach nicht so funktioniert wie bei uns. Und dass wir schließlich auch nicht zum Vergnügen hier sind und uns doch in Anbetracht dessen durchaus mit den Umständen arrangieren könnten. Aber Andreas, das wird schnell klar, braucht mich nicht. Durch seine souveräne Art oder durch seinen Mitleid erregenden Aufzug oder vielleicht auch aufgrund der unwiderstehlichen Kombination von beidem schafft er es bald, die Frau zu beruhigen. Also schließe ich die Tür, um endlich das zu tun, was ich schon seit Stunden möchte: einfach schlafen.

Ich schaue auf die Uhr. Hier in China ist es Mitternacht, doch in Deutschland erst 17 Uhr. Kein Wunder, dass ich keinen Schlaf finde, obwohl ich nach dem langen Flug, den ganzen Empfängen und Treffen, die ich gleich nach der Ankunft absolvieren musste, hundemüde bin. Doch die innere Uhr ist unbarmherzig. Unbarmherzig ist auch der Nachbar, der offensichtlich ebenfalls nicht schlafen kann. Er hat angefangen, auf seiner Klarinette zu spielen, und dank der dünnen Wände sitze ich im Publikum in der ersten Reihe. Fassungslos starre ich an die Decke. Ein Schnaps wäre jetzt nicht schlecht. Doch eine Minibar suche ich in dem winzigen Hotelzimmer vergeblich. Dafür finde ich im Handgepäck die Großfamilienpackung Kirschpralinen, die ich mir in weiser Voraussicht im Duty Free Shop in Frankfurt gekauft hatte. Ich lege mich zurück auf die Matratze, schiebe mir eine Praline nach der anderen in den Mund und fixiere wieder die fleckige Decke über meinem Kopf. Und dann passiert, was auf Reisen wohl nicht selten geschieht, wenn man völlig übermüdet und gereizt ist, wenn die Bilder des Tages im Kopf Karussell fahren und einfach nicht zum Stillstand kommen wollen: Die elementaren Fragen des Seins schieben sich erbarmungslos ins Bewusstsein und fordern Antworten. Wo bin ich? Woher komme ich? Und wie, in aller Welt, bin ich nur hierher gelangt? Und schon fliegen die Gedanken durch Räume und Zeiten, so, wie nur wenige Stunden zuvor das Air-China-Flugzeug über die Länder auf seinem Weg von Frankfurt nach Peking.

 

»JUNGE, DU SOLLST mal einen Beruf erlernen, in dem du weiße Hemden trägst!«, hatten meine Eltern gesagt, wenn es darum ging, was aus ihrem Sohn einmal werden sollte. Bloß keine schwarze Bergarbeiterkluft, wie sie mein Vater, der als Techniker untertage arbeitete, und so viele andere bei uns in Gelsenkirchen trugen, einer Stadt, geprägt von Steinkohle und Schwerindustrie. Stadt der »Tausend Feuer« wird sie auch genannt – nach den vielen Fackeln, über die das überschüssige Gas der Kokereien verbrannt wurde. Den weißen Kittel eines Arztes hatten meine Eltern vermutlich nicht gemeint. Eher das gebügelte Hemd eines kaufmännischen Angestellten.

Dass es tatsächlich in Richtung Arztkittel gehen könnte, realisierte ich auf dem erzbischöflichen Kolleg in Neuss, wo ich das Abitur nachmachte – nachdem ich während meiner Schlosserlehre gemerkt hatte, dass weder das Schlosser-Dasein noch der danach angepeilte Ingenieursberuf das Richtige für mich sein sollte. Es war eine harte Zeit damals auf dem Kolleg, die Anforderungen waren hoch und nicht alle meiner Mitschüler diesen gewachsen. Ich erlebte, wie einige von ihnen mit dem Stress überhaupt nicht zurechtkamen und in schwere psychische Krisen gerieten. Manche waren zeitweise nicht einmal mehr ansprechbar. Auch mich hat die Schulsituation sehr herausgefordert. Die hohe Belastung habe ich am eigenen Körper erfahren und somit die psychische Anfälligkeit des Menschen. Das Phänomen hat mich irritiert wie fasziniert. So entwickelte ich den Wunsch, Psychiater zu werden. Ich wollte die Psyche des Menschen besser kennenlernen und Leuten mit psychischen Problemen helfen können.

Doch einen Studienplatz für Medizin konnte ich nicht sofort nach dem Abitur antreten. Die Zeit bis dahin überbrückte ich mit ein paar Semestern Volkswirtschaftslehre, meinem Dienst bei der Bundeswehr und einem Jahr als ungelernter Hilfspfleger in einer geschlossenen Psychiatrie. Alle diese Stationen waren rückblickend betrachtet sinnvoll. Bei der Bundeswehr bin ich nach der Grundausbildung zu den Sanitätern gewechselt, weil es mir eher lag, Menschen zu retten, statt auf sie zu schießen. Ich wollte helfen, heilen und wieder herrichten, was kaputt gemacht wurde. So lernte ich, wie man Verbände anlegt, Spritzen setzt, Wunden reinigt, Verletzte bergt – aber vor allem: dass mir das Medizinische liegt. In der Psychiatrie in Hannover Langenhagen habe ich danach genau ein Jahr und zwei Wochen gearbeitet. Ein Jahr hätte genügt, sage ich manchmal im Scherz, die zwei letzten Wochen waren zu viel. Wenn man bis zu vierzehn Stunden am Tag mit acht schwer psychisch Kranken in einem Zimmer eingesperrt ist, weiß man irgendwann nicht mehr, auf welcher Seite man eigentlich steht. Von den anderen unterscheidet man sich quasi nur noch durch den weißen Kittel – und durch den Schlüsselbund. Ich erinnere mich daran, wie es die Insassen einmal auf die Schlüssel abgesehen hatten und sich zusammentaten, um mich zu überwältigen. Ausgerechnet der Patient mit Stupor, einer Krankheit, bei der man sich nicht mehr bewegen kann und der Körper ganz steif ist wie ein Brett, hat die Situation für mich gerettet: Der Mann, der sonst immer nur teilnahmslos und – wie es schien – völlig in sich gekehrt auf seiner Pritsche lag, sprang plötzlich auf und schlug wie wild auf einen Stuhl ein. Natürlich schauten ihn alle überrascht an, der Schlüssel war vergessen. Es war das perfekte Ablenkungsmanöver. Der Patient, der übrigens auch noch Jesus hieß, verhinderte durch seine Aktion, dass mir die anderen gewaltsam den Schlüssel entwendeten, und er bewahrte mich dadurch vermutlich auch vor der einen oder anderen Blessur, wenn nicht Schlimmerem. Was mich viel mehr faszinierte als der Umstand, noch einmal davongekommen zu sein, war die Psychodynamik hinter dieser Verteidigungsaktion: Dieser Mann hatte wahrgenommen, was die anderen ausheckten, wollte einschreiten, konnte dies nur, indem er für einen kurzen Moment aus seiner Starre ausbrach – und war auf einmal sogar dazu in der Lage.

Kurz danach erfuhr ich, dass ich in Hannover mein Medizinstudium beginnen konnte, fast von einem Tag auf den nächsten. Und da warteten ganz andere Herausforderungen auf mich. Gleich im ersten Semester hatten wir Anatomie, mussten also an Leichen die menschlichen Organe studieren und uns an ihnen mit dem Skalpell üben. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal in diesem Hörsaal stand und verzweifelt gegen den Fluchtreflex sowie die Übelkeit ankämpfte. Was soll ich hier, fragte ich mich, ich möchte doch nur Psychiater werden und kein Chirurg. Doch wer Arzt werden will, muss da durch. Das galt auch für mich. Ich versuchte, mich zu überwinden, und nahm das Skalpell in die Hand. Schließlich sagte der Professor, was ich tun sollte. Er gab mir eine ganz konkrete Anweisung, und ab diesem Moment ging es. Ich war konzentriert und vermochte es, all meine anderen Gefühle auszublenden. Dennoch wurde ich nie ein Freund dieser Anatomie-Stunden, vielmehr wurde ich darin bestärkt, dass – bei allem handwerklichen Geschick, das ich mitbrachte und unter Beweis stellte – die Chirurgie nicht mein Berufsziel sein würde. Allerdings: In der praktischen Auseinandersetzung habe ich natürlich sehr viel gelernt und erfahren – sehr viel mehr als mir Bücher hätten beibringen können.

Während meines ganzen Studiums habe ich immer die Praxis gesucht und die Zeit lieber in der Klinik als in der Bibliothek verbracht. Zwei Studienfreunde von mir hielten es genauso. Irgendwann hatten wir uns angewöhnt, morgens um acht Uhr in die Pathologie zu gehen und um zwölf Uhr dem Treffen zwischen Klinikern und Professoren beizuwohnen, in dem die jüngsten Fälle besprochen und analysiert wurden. Ich habe die Szenerie noch genau vor Augen – wie die Professoren oben auf dem Podest standen wie auf einer Bühne und ihre Diagnostik und Therapie erklärten, während die Pathologen unten anhand der entnommenen, erkrankten Organe vor ihnen auf den Tischen zeigten, was das Problem des Patienten gewesen war und woran er gestorben ist. Man konnte als Student an diesen Treffen teilnehmen, musste es jedoch nicht. Für mich und meine Freunde waren sie bald Pflichttermine. Hier haben wir vermutlich am meisten gelernt, weil wir hier auch unmittelbar Einsicht in ärztliche Fehler bekamen – waren die Therapien doch offensichtlich nicht immer erfolgreich gewesen.

Während des Studiums arbeitete ich in einem Krankenhaus, wo ich Nachtdienste leistete. Es war das...

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