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E-Book

Wirtschaftsethik zur Einführung

AutorFelix Heidenreich
VerlagJunius Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783960600237
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Wirtschaft und Ethik haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun: Das wirtschaftliche Handeln zielt auf Rendite ab, das ethische Handeln hingegen auf die moralische Pflicht oder die Vorstellung eines guten Lebens. Die Wirtschaftsethik hat dieser Entgegensetzung mit verschiedenen Argumentationen widersprochen. Ein Strang der Debatte betont, dass ökonomisches Kalkül nicht in Widerspruch mit ethischen Ansprüchen gerät, sondern zumindest langfristiges Wirtschaften immer schon ethisch ist. Andere Ansätze plädieren hingegen dafür, durch sanktionsmächtige Anreizsysteme die Sphäre der Wirtschaft zu zivilisieren und so Wirtschaft und Ethik von außen zu versöhnen. Die Einführung stellt diese Debatten anschaulich dar und legt den Schwerpunkt auf die genuin philosophischen Fragen, die sich in der Diskussion unvermeidlich stellen.

Felix Heidenreich ist wissenschaftlicher Koordinator am Internationalen Zentrum für Kultur und Technikforschung (IZKT) der Universität Stuttgart und lehrt im Fachbereich Politische Theorie und Empirische Demokratieforschung.

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Leseprobe

2. Was ist Wirtschaft?


2.1 Antike Interpretationen wirtschaftlicher Prozesse


Es ist kein Zufall, dass wirtschaftliche Prozesse in der griechischen Philosophie erst von Aristoteles systematisch thematisiert werden. Die griechischen Stadtstaaten waren zwar durch regen Handel eng verbunden. Doch blieb die wirtschaftliche Produktion und Verteilung von Gütern den politischen und militärischen Fragen stets nachgeordnet. Das Wohl der Polis entschied sich letztlich auf dem Schlachtfeld und weniger auf dem Marktplatz. Die Heroen der Griechen waren Halbgötter, legendäre Feldherren, Dichter oder Athleten, aber keine Unternehmer. Zudem war die Sorge um den Lebensunterhalt auf die Sklaven abgewälzt. Die Überflussgesellschaft der freien Bürger konnte deren Mühen aus der Distanz beobachten. Die ökonomische Tätigkeit der Bürger beschränkte sich auf die Anleitung des Haushalts, des oikos, die der oikonomikos möglichst klug und nachhaltig, aber eben nicht primär profitorientiert zu betreiben hatte.

Die europäische Theoriegeschichte beginnt denn auch, so könnte man pointiert zusammenfassen, mit Konsumkritik. Zu den feststehenden Topoi der abendländischen Literaturtradition gehören Exempla philosophischer Bedürfnislosigkeit. Heraklit erklärt, die Schweine liebten den Dreck mehr als das saubere Wasser (DK 22 B13); offenbar ist den Verlockungen der Dingwelt nicht zu trauen. Wie die Schweine könnten auch wir Menschen mit unseren Präferenzen für andere lächerlich oder abstoßend sein. Diogenes trägt die philosophische Bedürfnislosigkeit ebenfalls demonstrativ zur Schau, wenn er Alexander den Großen auf dessen Frage, was er wünsche, bittet, dieser möge ihm doch aus der Sonne gehen. Und auch von Sokrates erfahren wir bei Diogenes Laertius, dieser habe beim Gang über den Markt gesagt: »Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf.« (II, 25)8

Vor allem die letztgenannte, halb historisch, halb literarisch ausgestaltete Figur des Sokrates ist von Bedeutung, weil sie durch die Schriften Platos eine enorme Wirkung entfaltet. Der Skeptizismus des Sokrates wendet sich gegen die Welt der Erscheinungen insgesamt und trifft damit die Welt der Waren ebenso wie die Lockungen des gesellschaftlichen Ruhms. Für Plato ist es daher nur folgerichtig, dass die in seiner rätselhaften Utopie eines politischen Gemeinwesens unterteilten Stände die Klasse der Wächter über den Handwerkern und Händlern anordnen. Wertschöpfung und Allokation, so kann man folgern, werden hier als notwendige, aber eben auch bloß notwendige Bedingung politischer Gesundheit und militärischer Verteidigungsbereitschaft verstanden. Sie bilden gewissermaßen den Tross, die Versorgungseinheit eines hierarchisch organisierten und von Philosophenkönigen geleiteten Bildungsstaates, der sich zwar der Früchte des Wirtschaftens bedient, deren Herstellung und Verteilung aber immer unter das Primat der Politik stellt.

Diese Unterordnung wirtschaftlicher Prozesse unter die Kontrolle der Philosophenkönige spiegelt eine soziale Hierarchie, die die Aufgabe der Wertschöpfung den Sklaven oder den Vielen (polloi) zuordnet. Im Hintergrund operiert bei Plato die Vorstellung einer Hierarchie der Erkenntnisse, die sich letztlich aus der unterschiedlichen Wertigkeit der Gegenstände ableitet. Die Vielen, die sich als Sklaven, Bauern, Handwerker oder Händler in der Auseinandersetzung mit der Natur und ihren Gewalten abmühen, begegnen dort immer nur Einzelfällen von Dingen. Sie sind durch die Verschiedenartigkeit und Wandelbarkeit ihrer konkreten Herausforderungen auf die Sphäre des Anschaulichen beschränkt. Wahre Erkenntnis (episteme) hingegen kann nach Plato nur die Erkenntnis von unveränderlichen und überzeitlichen Ideen sein. Diese erfahren die Philosophenkönige paradigmatisch in der Mathematik, die nicht-empirische und gewissermaßen ideelle Gegenstände behandelt und daher ein Wissen von Formen bereitstellt, das dem Blick auf veränderliche Erscheinungen verborgen bleibt. Platos Geringschätzung der wirtschaftlichen Abläufe hat ihre Gründe folglich in einer hierarchischen Ontologie, die der Ökonomie eine untergeordnete Rolle in der großen Stufenfolge des Seins zuweist.

Die frühen Dialoge Platos sind jedoch durch eine bemerkenswerte Ambivalenz gegenüber den Handwerkern gekennzeichnet. Diese vermögen nämlich auf die Fragen des Sokrates nach dem Wesen der Tugend, dem Wesen der Gerechtigkeit, dem Wesen der Besonnenheit nicht abstrakt zu antworten und verweisen stets nur auf Beispiele von gerechtem oder tugendhaftem Handeln. Als Meister ihres jeweiligen Fachs werden sie dennoch zum Paradigma eines praktischen Wissens, das echte episteme, echte Erkenntnis darstellt, auch wenn sie nicht direkt verbalisiert und auf ein Ensemble von Propositionen reduziert werden kann. Die systematische Arbeit an und mit dem Material des jeweiligen Handwerks macht sie so zu Trägern echten Wissens (bezogen auf den engen Bereich ihres jeweiligen Handwerks) und zum Modell für die Philosophenkönige, auch wenn deren Gegenstandsbereich, die Welt der Ideen, ontologisch höherwertig ist. Der Handel jedoch kommt als Beispiel eines Handwerks in diesem Sinne nicht vor, weil er kein greifbares und daher qualitativ einzuschätzendes Ergebnis hat, seine Wertschöpfung nicht augenscheinlich ist.

Will man Platos wirtschaftsskeptische Stoßrichtung betonen, so ließe sich auch auf seine Kritik an den Sophisten verweisen. Idealtypisch wird hier nämlich die Vermischung von Wahrheitssuche und Profitorientierung kritisiert: Die Sophisten bieten als Wanderlehrer ihre Lehren und ihren Rhetorikunterricht feil. Sie versprechen, den Jünglingen durch die Rhetorik eine Art All-Kompetenz vermitteln zu können, die das (wenn auch nicht sachlich orientierte, so doch beeindruckende) Reden über jeden beliebigen Gegenstand ermöglicht. In Platos frühen Dialogen wird diese Verquickung von Wissenschaft und Wirtschaft als Dekadenzerscheinung gegeißelt.9 Wissen, so eine zentrale These, ist kein handelbares Gut und kann nicht auf verkäufliche Meinungen (doxai) reduziert werden. Wissenschaft und Wirtschaft sind streng zu trennen, ja mehr noch: Die Ökonomisierung der Wissenschaft zerstört die Wahrheitsorientierung systematisch, indem sie sekundäre Zielsetzungen in den Forschungsprozess einführt.

Ein zweiter Schüler des Sokrates, Xenophon, formulierte hingegen eine Art Anleitungsbuch für die angemessene Haushaltsführung mit dem Titel Oikonomikos. Die detaillierten und mit biologischen Metaphern durchzogenen Vorgaben für die sachgemäße Führung eines Wirtschaftshofes blieben bis in die Spätantike ein viel gelesenes Handbuch für Gutsverwalter. Der hier gezogene Vergleich mit einem Bienenstock wird bis zu den Schriften des Sozialtheoretikers Bernard Mandeville (1670-1733) eine prägende Allegorie bleiben. Durch ihn wird paradigmatisch ausgedrückt, dass die richtige ökonomische Tätigkeit der Natur gemäß zu erfolgen hat.10

Erst bei Aristoteles wird Wirtschaft zum genuinen Gegenstand philosophischer Reflexion. Die Ökonomie bildet zwischen der Ethik und der Politik den dritten Teil der Praktischen Philosophie. Die aus dem Wort für Haushalt (oikos) abgeleitete Wissenschaft von der sittlichen Bewirtschaftung eines Gutes ist vollkommen in den Rahmen ethischer und politischer Überlegungen eingewoben und nur durch diesen Kontext angemessen zu verstehen.11 Das zugrunde liegende Modell ist der freie, land- und sklavenbesitzende Bürger, der seinen eigenen Haushalt so zu führen hat, dass ihm freie Zeit für politische oder philosophische Tätigkeit bleibt.

Ähnlich wie bei Plato bleibt die ontologische Theorie für die Beschreibung ökonomischer Prozesse bestimmend.12 Die immer wiederkehrende Formel »naturgemäß« (kata physin) zeigt, wie sehr Aristoteles auch die Ökonomie als einen teleologischen und zur Einhaltung eines bestimmten Maßes verpflichtenden Lebensbereich des Menschen betrachtet. Dies zeigt sich deutlich an seiner Theorie gerechter Preise. Diese müssen nach Aristoteles dem tatsächlichen Wert entsprechen; sie ergeben sich quasi aus den Investitionen, die bei der Herstellung notwendig waren. Tugendhaftes Haushalten orientiert sich folglich an der Stillung von Bedürfnissen und der Angemessenheit der Preise.

Erkennbar ist daher auch bei Aristoteles eine deutliche Skepsis gegenüber der Funktionslogik des Handels. Indem Waren über große Distanzen transportiert und über Zwischenhändler veräußert werden, löst sich quasi ihre ontologische Bindung an ihre Produktionskosten. Preise lassen sich nun unabhängig vom Entstehungskontext festlegen; das Gebot des Maßhaltens gerät in Gefahr. Es droht eine Lebensform, die Aristoteles am Beginn der Nikomachischen Ethik und vor allem in der Politik (Buch I, Kap. 8-11) unter dem Titel des bios chrematistês verhandelt: Der gewinnstrebende Lebenswandel versteht Geld und Wohlstand nicht mehr als Mittel zum Zweck,...

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