Wichtig für die Frage nach der Gliederung ist, ob die einzelnen Schriften des Averroes eine einheitliche Systematik erkennen lassen, der ohne weiteres gefolgt werden kann.
Averroes hält sich in seinen Kommentaren zu Aristoteles[52] jeweils an den Aufbau des vorgegebenen Textes. In seiner theologisch-philosophischen Schrift Destructio destructionum (Tahafut at-tahafut[53], 1180-1181[54]), ist es ähnlich. In diesem Werk lehnt er sich an die Vorgehensweise von al-Ghazzalis Tahafut al-falasifa[55] an.[56] Im Buch Fasl al-maqal[57] (1179-80)[58] gibt es keine Gliederung. Dieses Werk diskutiert, als Verteidigungsschrift der Philosophie gegenüber der Theologie, verschiedene aneinander gereihte Themen. Die Abhandlung Kitab al-Kashf[59] (1179-80)[60] lässt eine klare Ordnung erkennen, die später noch im Vergleich zu Thomas von Aquin diskutiert werden wird.[61] Aufgrund der unterschiedlichen Systematik der einzelnen Texte ist es schwer, eine klare Struktur zu entwerfen.
Averroes stellt Gott in seinen Schriften zumeist auch nicht als erstes dar und dann dessen Schöpfung. Er unterscheidet sich darin etwa von Thomas von Aquins Compendium theologiae, STh oder der ScG.[62] Das Buch al-Kashf bildet hier eine Ausnahme. Es handelt besonders von Gott und implizit von der Schöpfung.
Zur unterschiedlichen Systematik des Schrifttums kommt ein anderes Problem: Averroes vertritt zunächst einen Emanatismus, den er später ablehnt. Aus diesem Grunde wird zu Beginn der Arbeit Averroes’ Auseinandersetzung mit dem Emanatismus skizziert. Nach den sich hieran anschließenden Erörterungen zu den großen Kommentaren zur Physik (1186)[63] und zur Metaphysik (1190[64] od. 1192/1194?[65]) werden – in chronologischer Reihenfolge - die theologisch-philosophischen Schriften Fasl, al-Kashf, Destructio destructionum herangezogen. Da dem aktiven Intellekt bei der Ursache von Existenz in der Lehre des Averroes eine besondere Bedeutung zukommt, wird diese Frage in einem gesonderten Teil besprochen. Ein letzter Teil behandelt „Der Mensch und andere Lebewesen”. Der Akzent liegt hier besonders auf der Frage nach Seele und Intellekt. In die Diskussion werden vor allem Destructio destructionum, al-Kashf und die Kommentare zu De anima[66] einbezogen.
Wie noch eingehend gezeigt werden wird, setzte Averroes sich auf verschiedene Weise mit dem Emanatismus Avicennas und al-Farabis auseinander. Darum sollen deren Lehren an dieser Stelle kurz angesprochen werden, um in einem weiteren Schritt die konkrete Erörterung bei Averroes anzusehen.
Es ist bekannt, dass Avicennas Aristotelismus neuplatonische Elemente enthält und davon ausgeht, dass aus Gott, der aus sich notwendig ist und in dem Dasein und Wesen identisch sind, die Welt über die Sphärengeister in einem ewigen notwendigen Prozess emaniert.[68] In Avicennas Emanationslehre wird die These entwickelt, dass eine Handlung mit der wesenhaften Natur ihrer Ursache übereinstimmen muss und dass aus dem Einen nur eines hervorgehen kann.[69] So gibt es auch al-Ghazzali nach Averroes’ Destructio destructionum wieder.[70] Wenn mit dem „Einen” Gott gemeint ist, dann heißt das, dass dieser - wie natürliche Ursachen auch - nur einen einzelnen, bestimmten Akt vollzieht und dementsprechend nur eine einzelne Wirkung hat. Letztgenannte ist die erste Intelligenz, die vom ersten Prinzip, das ihre Ursache ist, unterschieden werden muss. Da nur die erste Intelligenz den folgenden Sphären, Seelen und getrennten Intelligenzen durch ihre erkennende Handlung die Entstehung verleiht, ergibt sich, dass Gott innerhalb dieses kosmologischen Entwurfes weder den Vorsitz über irgendeinen himmlischen Körper hat, geschweige denn ihn bewegt. Er ist völlig transzendent.[71] Die göttliche Wirkung wird durch diese Emanationslehre als in eine Richtung gehend und vertikal dargestellt. Sie dehnt sich äußerlich aus und - aus geozentrischer Sicht - zur sublunaren Welt absteigend.[72]
Wie aber kommt es in Avicennas Lehre zum Entstehen der ersten Intelligenz? Gott ist identisch mit dem notwendigen Sein. Er erkennt sich selbst. Es handelt sich bei diesem Akt der Selbsterkenntnis um einen schöpferischen Akt, welcher in seiner Existenz allein von einem Wesen abhängt, und zwar von der ersten Intelligenz. Von dieser Intelligenz geht die Vielheit aus. Sie trifft (I.) auf die Existenz Gottes, die in sich selbst notwendig ist; (II.) auf ihre eigene Existenz, die durch eine andere notwendig ist und (III.) auf ihre eigene Existenz, die in sich selbst nur möglich (und nicht notwendig) ist. Die Erkenntnis dieser drei Fakten des Seins durch die erste Intelligenz beruht darauf, dass aus ihr jeweils folgende drei Dinge emanieren: „eine weitere Intelligenz, eine Seele und ein Körper, der äußerste Körper der Welt.“[73] Die erste Intelligenz stellt den Beginn einer Kette dar, die sich fortsetzt bis zur zehnten Intelligenz, dem aktiven Intellekt. Dieser ist der unmittelbare Ursprung der Formen,[74] die den Dingen unterhalb der Mondsphäre verliehen werden. Er waltet nicht über der Mondsphäre, die sein Beweger ist, und gehört eigentlich nicht zum himmlischen Bereich.[75]
Da, im Unterschied zu Gott, bei den Dingen die Existenz nicht zur Wesenheit gehört, existieren diese nicht notwendig. Ihre Existenz verdanken sie Gott. Die Wesenheit der Dinge besteht in einer Art des Seins, das grundlegender ist als das Real-Sein, weil etwas nur, wenn es möglich ist, realisiert werden kann. „Diese Überordnung der Wesenheit (bzw. der Möglichkeit) über das aktual existierende Ding (bzw. der Wirklichkeit) stieß ... in der islamischen Philosophie auf Widerspruch, namentlich bei Averroes”.[76]
Nach dem Emanationsschema al-Farabis[77] ist Gott als Ursache allen Seins zu verstehen. Aus ihm entstehen durch allmähliche Emanationen sowohl die himmlischen Intellekte als auch die supralunaren Himmelskörper - diese wiederum bringen die supralunare Welt hervor. Von dem Grundsatz ausgehend, dass durch Eines nur eines hervorgebracht werden kann, emaniert als erstes nur der erste Intellekt (ein Wesen).
„Aus diesem ersten Intellekt entstehen durch das Denken zweier Wesen notwendig zwei Dinge: durch das Entstehen seiner Ursache, d. h. Gottes, entsteht der zweite Intellekt, und durch das Denken seines eigenen Wesens entspringt aus ihm der erste Himmel. Der zweite Intellekt denkt wiederum Gott und sein eigenes Wesen und bringt dadurch den dritten Intellekt und den Fixsternhimmel hervor. Dieser Prozess setzt sich bis zum neunten Intellekt und über die Sphären von Saturn Jupiter, Mars, Sonne, Venus und Merkur bis zum Mond fort. der zehnte und letzte Intellekt, ..., ‘aktiver’, ‘wirkender’ Intellekt genannt, regiert die Sphäre der supralunaren Welt.”[78]
Diesem werden nun von Avicenna und al-Farabi Funktionen unterschiedlichen Umfangs zugeschrieben. Er aktualisiert bei beiden die potentiell im menschlichen Intellekt vorhandenen Intelligibilia,[79] er gibt der werdenden und vergehenden Welt einige oder sämtliche ihrer Formen und heißt deshalb Formengeber (dator formarum), aus ihm emaniert gemäß Avicenna „darüber hinaus ... auch die Urmaterie.”[80]
Den Emanatismus Avicennas kritisiert Averroes an verschiedenen Stellen seines Schrifttums.[81] Ist sein Welt- und Schöpfungsbegriff dennoch völlig frei von Elementen der Emanation? Welche Entwicklung hat er im Laufe der Jahre durchgemacht? Diese Frage soll nun, ausgehend von der Epitome der „Metaphysik“ (1161/1191?)[82], untersucht werden.
Averroes hält in der Epitome der „Metaphysik“ die Emanationslehre für die einleuchtendste Erklärung zur Universumsentstehung. Sein Emanatismus unterscheidet sich dort nur in Einzelheiten von dem Avicennas und al-Farabis.[83] Dem Leser muss jedoch...