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Lissabon. Eine Stadt in Biographien

MERIAN porträts

AutorBettina Winterfeld
VerlagMerian / Holiday, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783834217417
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Lissabon. Eine Stadt in Biographien - Eine Stadt wird nicht nur von Gebäuden und Straßenzügen geprägt, die Identität von Lissabon entsteht erst mit den Geschichten seiner Bewohner. Denn was wäre die Stadt ohne Vasco da Gama, Fernando Pessoa oder Ana Salazar? 20 ausgewählte Biographien zeichnen ein lebendiges, historisches wie auch aktuelles Bild der Stadt. Die Porträts werden durch Adressen ergänzt, die eine Stadterkundung auf den Spuren der porträtierten Personen ermöglichen. Dieser Band umfasst Porträts von: Antonius von Padua, Leonore Teles de Menezes, Heinrich der Seefahrer, Manuel I., Vasco da Gama, Luís de Camões, Sebastião José de Carvalho e Mello, Rafael Bordalo Pinheiro, Calouste Sarkis Gulbenkian, António de Oliveira Salazar, Fernando Pessoa, Maria Helena Vieira da Silva, Amália Rodrigues, José Saramago, Álvaro Siza Vieira, Ana Salazar, António Lobo Atunes, Eusébio, Mário Viegas, Pedro Ayres Magalhães. Autorin: Bettina Winterfeld

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Leseprobe

SANTO ANTÓNIO


11951231

In der Altstadt Alfama wird ein gewisser Fernando Martim de Bulhões geboren, der später zum Stadtheiligen avanciert. Die Lissabonner verehren ihn noch heute mit rührender Inbrunst.

Ein Geruch von frisch gegrillten Sardinen, der portugiesischen Leibspeise, weht durch die Alfama. Über den Gassen flattern Girlanden und Fähnchen im Wind. Überall, an allen Ecken und Enden stehen die Menschen im Freien, essen und trinken, lachen, tanzen und feiern bis in die Morgenstunden. Viele Hauseingänge sind mit Basilikumtöpfen geschmückt.

Jedes Jahr am 13. Juni feiern die Lissabonner den Gedenktag des heiligen Antonius und verwandeln die Altstadt in eine Partyzone. Sie schmücken ihre Bairros, die Stadtviertel, grillen auf der Straße Sardinen, trinken Bier, Bowle und Wein. Besonders liebevoll werden die Gassen, Treppchen und winzigen Plätze in der Alfama geschmückt. Das Viertel, in dem der Franziskanermönch geboren wurde, verwandelt sich dann in ein einziges, verwinkeltes Wohnzimmer. Es ist die Nacht der Nächte.

Im Lissabonner Rathaus findet an diesem Tag eine große Hochzeitszeremonie statt. Dutzende von Brautpaaren lassen sich in einem prachtvollen Festakt in der alten Catedral Sé Patriarcal 8 ( ? H 5) gemeinsam trauen. Die Stadt Lissabon kommt für die Kosten auf und finanziert den glücklich Auserwählten Brautkleid, Kränze und Festessen.

Santo António gilt nicht nur als der Schutzheilige der Liebenden, sondern auch als Glücksbringer für alle Schusseligen und Vergesslichen. Wer also an diesem Tag den Bund fürs Leben schließt, kann sich darauf verlassen, dass der oder die Liebste den Jubiläumstag in Erinnerung behält und rechtzeitig für Blumen und andere kleine Aufmerksamkeiten sorgt. Santo António zaubert verlorene Gegenstände ebenso nonchalant zurück wie liebende Ehepartner herbei. Deshalb tragen viele Lissabonner ein Foto des Heiligen in ihrem Portemonnaie.

Die schönste Art, sich Lissabons Lieblingsheiligem zu nähern, ist kein Kirchenbesuch, sondern eine Fahrt mit der wunderbar altmodischen Straßenbahnlinie 28. Die gelbe Eléctrico rattert einmal quer durch die Altstadt.

Der beliebte Franziskaner wurde 1195 als Fernando Martim de Bulhões e Taveira Azevedo in der Alfama geboren. Das alte Maurenviertel mit seinem Labyrinth aus verschachtelten, schmalen Gassen, den weißgekalkten Häusern ist eines der interessantesten Bairros von Lissabon. Hier ist schon eine Vorahnung von Afrika zu spüren, von jenem Kontinent, den der Heilige so gern missioniert hätte. Noch vor ein paar Jahren drohten hier viele Häuser zusammenzufallen. Schließlich ist es der älteste Teil der Stadt und das einzige Gebiet, das 1755 vom Erdbeben verschont blieb. Inzwischen sind viele alte Häuser renoviert.

Als Antonius zur Welt kam, waren die Mauren vor nicht einmal 50 Jahren nach Nordafrika zurückgetrieben worden. Auf die Grundmauern ihrer einstigen Moschee wurde die mächtige romanische Catedral Sé Patriarcal gebaut. Und das Castelo de São Jorge 7 ( ? H 4), das 1147 König Alfonso I erobert hat, war zuvor eine arabische Festung. Von ihren Zinnen bietet sich ein grandioser Blick auf die Stadt am Tejo. Außerdem verweisen archäologische Ausgrabungen aus phönizischer, römischer und maurischer Zeit auf die 3000-jährige Geschichte Lissabons.

LISSABON IST 3000 JAHRE ALT

Laut Plinius dem Älteren soll die Stadt bereits von Odysseus gegründet worden sein, es ist jedoch wahrscheinlicher, dass Phönizier um 1000 vor Christus die Siedlung aufgebaut und ihr den Namen Alis Ubbo (fröhliche Meeresbucht) gegeben haben. Ab 205 vor Christus herrschten die Römer über »Olisibo«, später soll Cäsar von hier aus seinen Keltiberischen Krieg, den er natürlich gewonnen hat, organisiert haben.

Den Römern folgten die Sueben, Vandalen, Westgoten und schließlich 719 nach Christus die Araber. Lissabon wurde für gut 400 Jahre eine Hafenstadt des Emirats von Cordoba, bis Alfonso 1147 die Mauren endgültig vertrieben hat. Das ist die historische und politische Situation, in die der spätere heilige Antonius hineingeboren wird. Und sie ist nicht besonders angenehm.

Lissabon, das unter den Mauren eine erste wirtschaftliche Hochblüte erlebt hat, ist unter christlicher Herrschaft zunächst nur ein Schatten seiner selbst. Die Kanalisation, eine Errungenschaft der Araber, verfällt; nicht nur die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal. Dafür wird jetzt mehr gebetet, denn die Stadt wird ständig von Seuchen bedroht, von Dieben übervölkert und der adligen Willkür ausgesetzt.

Fernando Martims stammt aus einem angesehenen Lissabonner Adelsgeschlecht. Einer seiner Vorfahren war der französische Ritter Godofredo de Bulhão, der zu Beginn des 11. Jahrhunderts den ersten christlichen Kreuzzug nach Jerusalem anführt und später auch dort begraben wird.

Das Haus der Familie befindet sich direkt neben der großen Kathedralenbaustelle. So liegt es nahe, dass der Vater den kleinen wissbegierigen Fernando in die Klosterschule zu den Kanonikern des Doms steckt. Eigentlich wünscht sich das Familienhaupt, dass der Sohn eine Karriere als Kaufmann, Politiker oder Kriegsherr macht, doch Fernando will Priester werden, aus zweierlei Gründen: Zum einen lässt die unübersehbare Mittelmäßigkeit und Bestechlichkeit der damaligen Gesellschaft diesen Entschluss reifen, zum anderen drängen die meisten seiner Schulkameraden in den geistlichen Stand.

Wie dem auch sei: 1210 tritt Fernando im Alter von 15 Jahren in das Kloster São Vicente de Fora ein: Er wird Augustiner-Chorherr. Die Abtei liegt auf einem Hügel über dem Tejo, damals noch außerhalb der Stadtmauer. Nur hier kann er, so glaubt er, seine Vorstellung vom Leben nach dem Evangelium ohne Einschränkungen verwirklichen.

Etwa zwei Jahre bleibt er im Vinzenz-Konvent, dann wird er in das Kloster Santo Antonio Olivares berufen. Die Abtei befindet sich in der damaligen portugiesischen Hauptstadt Coimbra, etwa 230 Kilometer nördlich von Lissabon. Das sind im Mittelalter mindestens sieben Tagesreisen über schlechte und keineswegs sichere Straßen, im Sommer in glühender Hitze.

Aber Coimbra hat auch große Vorteile: Fernando findet unter den etwa 70 Brüdern die besten Lehrer Portugals vor sowie eine bedeutende Bibliothek. Er kann den Dingen auf den Grund gehen und studiert Humanwissenschaften und Theologie. »Doctor Evangelicus« nennen ihn seine Kommilitonen, weil er so eifrig lernt.

Der junge Mann gibt sich ganz seinen Studien hin, für ihn zählt nur die Arbeit und ihr Sinn: das Evangelium. Selbstdarstellung und jegliche Oberflächlichkeit sind ihm zuwider. Mit 25 sehen auch die Kirchenväter, dass er soweit ist: Er wird zum Priester geweiht, was eigentlich nicht der Kirchennorm entspricht, denn nach der muss der Kandidat mindestens 30 Jahre alt sein.

Dann passiert etwas Einschneidendes, was seinem Leben eine neue Wendung gibt. Fernando lernt einige Franzikanerbrüder aus Italien kennen, die auf dem Weg nach Marokko sind, um dort das Evangelium zu predigen. Er ist beeindruckt von ihrem Mut. Später erfährt er, dass seine Glaubensbrüder vom Sultan enthauptet wurden. Das festigt seinen Entschluss. Nun tritt auch er dem Franziskanerorden bei und aus Fernando wird Bruder Antonius. Auch er möchte jetzt nach Afrika, um die Menschen dort zum christlichen Glauben zu bekehren.

In Marokko wird er so schwer krank, dass er monatelang sein Lager nicht verlassen kann. Danach ist er so schwach, dass er sich in Portugal wieder erholen soll. Aber es kommt alles anders. Das Schiff gerät in einen Sturm, der es an die Küste Siziliens treibt. Und so landet Antonius 1221 in Italien und bleibt dort.

In Assisi trifft er den legendären Franziskus, der ihn – beeindruckt von seiner großen Begabung und Sprachgewandtheit – zum Lehrer der Theologie an die Universität von Bologna beruft. Später lehrt er auch in Montpellier, Toulouse, Arles, Le Puy und Limoges. Die Menschen berichten Wundersames von seinen Predigten, sogar die Fische sollen der Legende nach dem portugiesischen Heiligen andächtig gelauscht haben.

Doch seine Gesundheit ist von den Reisen angegriffen. Am Ende einer langen Predigt bricht Antonius in Padua tot zusammen. Er ist kaum 40 Jahre alt geworden. Elf Monate nach seinem Tod wird er von Papst Gregor IX. im Dom von Spoleto heilig gesprochen. Die Italiener errichten ihm zu Ehren eine Basilika in Padua und erklären ihn ebenfalls zu ihrem Stadtheiligen.

DAS ERDBEBEN ZERSTÖRT SEINE KIRCHE

Auch die Lissabonner errichten für »ihren« Stadtheiligen später eine Kirche. Allerdings erst Jahrhunderte später, nachdem Vasco da Gama den Seeweg nach Indien entdeckt hat. Damals schwelgt die Stadt im Reichtum, der säckeweise in Form des kostbaren Pfeffers aus Indien herbei geschippert wird. Jeden Tag legen im Hafen von Santa Maria de Belém, portugiesisch für Bethlehem, schwer beladene Schiffe aus dem Fernen Osten und später auch aus Brasilien an. Es ist ein »Goldenes Zeitalter«, in dem gebaut und gefeiert wird wie nie zuvor.

Die Lissabonner haben ihrem Stadtheiligen auch ein...

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