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E-Book

William Shakespeare

AutorAlan Posener
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644564817
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
William Shakespeare ist ein Phänomen: Alle kennen ihn, erstaunlich wenige wissen wirklich etwas über ihn. Diese Monographie sucht unter dem Schutt der Legenden nach dem Menschen Shakespeare - dem Kleinstädter, Schauspieler, Theaterunternehmer, dem vom Ehrgeiz getriebenen Stückeschreiber. Anhand einer thematisch gegliederten Darstellung des Werks wird zugleich der Frage nachgegangen, warum jede Generation den Dichter William Shakespeare als ihren Zeitgenossen neu zu entdecken vermag. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Alan Posener, geboren 1949, wuchs in London, Kuala Lumpur und Berlin auf. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter die Rowohlt-Monographien über John Lennon, John F. Kennedy, Elvis Presley, William Shakespeare, Franklin Delano Roosevelt und die Gottesmutter Maria. Zuletzt erschien in einer Neuausgabe: «John F. Kennedy. Biographie» (2013). Posener ist Autor der WELT. Er lebt in Berlin.

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Leseprobe

Geschichte einer Karriere


Ein Mann aus Stratford


William Shakespeare stammt aus einer Kleinstadt; nur wenige Schritte von seinem Geburtshaus entfernt lagen Felder und Wiesen. Seine Großeltern, Onkel und Tanten waren Bauern. An Markttagen war Stratford erfüllt vom Blöken der Schafe, die auf den Hügeln der nahen Cotswolds weideten; auch an anderen Tagen prägten ländliche Gerüche und Geräusche die Stadt:

Ziegen, Schweine, Hühner, Hunde und Katzen gehörten zu jedem Haushalt wie der Misthaufen vor der Tür. Erst wenige Häuser hatten Schornsteine, und an kalten Tagen waren die Zimmer und Gassen vom Rauch der Kohle- und Holzfeuer erfüllt. In den hellen Sommernächten vergnügte sich die Jugend in den Wäldern der Umgebung; Liebespaare und unglücklich Verliebte zog es zum Fluss Avon. Als Shakespeare fünfzehn war, ertrank dort eine junge Frau namens Katharine Hamlet[1] – erinnerte sich der Dramatiker an sie, als er zwanzig Jahre später Ophelias Tod beschrieb?

Die Kleinstadt hat Shakespeare geprägt. Bilder aus der Landschaft seiner Kindheit und Jugend durchziehen das Werk: Wenn bunt Maßliebchen, Veilchen blau / Und Schneeglöckchen blüht silberweiß, / Wenn Kuckucksblumen rings die Au / Mit Gold bemalen rings im Kreis / […] / Wenn Lerchenschlag den Pflüger weckt, / Der frohe Schäfer flötet leicht, / Wenn Taube und Fink die Flügel reckt, / Das Mädchen ihren Kittel bleicht, / Von jedem Baum verspottet dann / Der Kuckuck jeden Ehemann: / Kucku! / […] / Wenn Eiszapfen beschweren die Wand, / Der Hirt sich auf die Nägel haucht, / Wenn Tom die Scheite schleppt zum Brand / Und Milch erst Zeit zum Auftaun braucht, / Wenn’s Blut uns stockt, der Weg verschneit, / […] / Wenn rund ums Haus der Sturmwind röhrt, / Wenn Vögel hocken dumm im Schnee, / Wenn Husten selbst die Predigt stört, / Und Marions rote Nas’ tut weh, / Und Obst liegt schon zum Punsch bereit, / Dann ist’s, dass nachts das Käuzchen schreit. / Komm mit! Schuhu tönt’s froh im Kreis, / Und Hanne macht den Kessel heiß.[2]

Es ist über Shakespeare schon so viel gesagt, dass es scheinen möchte, als wäre nichts mehr zu sagen übrig, und doch ist dies die Eigenschaft des Geistes, dass er den Geist ewig anregt.

Johann Wolfgang von Goethe, 1813

Das ist keine idyllische Beschreibung eines ländlichen Arkadien, keine Schäferlyrik, wie sie am Hof in Mode war. Der Hirt mit seinen kalten Fingern, die über Nacht gefrorene Milch, die hustende Gemeinde, die sich auf den warmen Punsch nach der Predigt freut, und Marions rote Nase sind aus der Erinnerung gezeichnete realistische Miniaturen, ebenso wie die Mädchen, die im Frühling ihre Kleider am Fluss bleichen – und die betrogenen Ehemänner. Marianne Hacket, die dicke Kneipenwirtin von Wincot (d.h. Wilmcote, wo Shakespeares Mutter geboren wurde), und Christoph Schlau, Sohn des alten Schlau von Burton auf der Heide (d.h. Barton-on-the-Heath, wo Shakespeares Tante lebte), von Geburt Hausierer, per Ausbildung Wollkammhersteller, kraft Transmutation Bärenführer und von Beruf jetzt Kesselflicker[3] aus Der Widerspenstigen Zähmung sind ebenso nach dem Leben skizzierte ländliche Typen wie der liebenswert-beschränkte Friedensrichter Schaal und sein Vetter Stille, die Rekruten Schimmelig, Schatte, Warze, Schwächlich und Bullenkalb in Heinrich IV., der Betrüger Autolycus und die Schäfergesellschaft im Wintermärchen und viele andere.

Dem kleinstädtischen Bürgertum hat Shakespeare nur einmal Hauptrollen in einem Stück gegeben: In der Komödie Die lustigen Weiber von Windsor schildert er Pfarrer, Arzt und Gastwirt, wohlhabende Bauern und Handwerker sowie ihre Frauen – seine Nachbarn, Freunde, Verwandten – mit einem klaren Blick für ihre Schwächen, doch mit Sympathie. Und die lebenslustigen, aber tugendhaften Ehefrauen tragen den Sieg über den anmaßenden Hauptstädter und verkrachten Höfling Falstaff davon.

In den Dramen sind Hof und Hauptstadt oft Orte der Intrige und des Verderbens, aus dem die Menschen aufs Land oder in den Wald fliehen – in Wie es euch gefällt etwa in den «Ardenner Wald», den Wald von Arden, in der Nähe Stratfords: Sind diese Wälder / Nicht sorgenfreier als der falsche Hof? / Wir fühlen hier die Buße Adams nur, / Der Jahrszeit Wechsel; so den eis’gen Zahn / Und böses Schelten von des Winters Sturm. / Doch wenn er beißt und auf den Leib mir bläst, / Bis ich vor Kälte schaudre, sag’ ich lächelnd: / «Dies ist nicht Schmeichelei; Ratgeber sind’s, / Die fühlbar mir bezeugen, wer ich bin.»[4]

Doch die Höflinge, die es aufs Land, in den Wald, auf eine einsame Insel verschlägt, kehren zum Happy End an den Hof zurück. Eben weil Shakespeare das Landleben kennt, kann er aus Stratford kein Arkadien, aus Arden keinen Garten Eden machen. Zur Buße Adams – und Evas – gehörte die schwere körperliche Arbeit auf dem Feld, in der Werkstatt, im Haushalt. Das Leben war kurz. Krankheit und Tod waren allgegenwärtig: Beide älteren Schwestern William Shakespeares starben noch als Kinder; in seinem Geburtsjahr (1564) raffte die Pest etwa ein Siebtel der Bevölkerung Stratfords hinweg; in den Jahren vor seinem Tod (1616) verhungerten die Kinder der Armen zu Dutzenden im Wald von Arden.

Arden war der Mädchenname von Shakespeares Mutter Mary. Die Familie Arden war alteingesessen und eine der vornehmsten in der Grafschaft Warwickshire; eine weit verzweigte, ländlich-konservative Sippe. In der Regel waren die Ardens katholisch. In William Shakespeares Jugendjahren war Henry Arden Hoher Sheriff von Warwickshire. Mary war eine entfernte Verwandte dieses hohen Beamten. Ob sie sich für etwas Besseres hielt als ihren Mann, den Weißgerber und Handschuhmacher John Shakespeare? Ihr Vater hatte Land in der Umgebung Stratfords besessen, und John Shakespeares Vater war sein Pächter gewesen.

John Shakespeares Lebenslauf ist zunächst eine typische Erfolgsgeschichte der elisabethanischen Zeit. Wie viele Zeitgenossen kehrt er der bäuerlichen Lebensweise seiner Vorfahren den Rücken, um in der Stadt sein Glück zu machen. Seine Geschäfte gehen gut, er spekuliert mit Wolle, Gerste und Bauholz, kauft Häuser und Grundstücke, wird in den Rat der Stadt gewählt und schließlich sogar Bürgermeister. Auf dem Höhepunkt seines Ansehens beantragt er bei der zuständigen Behörde in London die Anerkennung als «Gentleman» und die Erteilung eines Familienwappens (1576). Sein Sohn William, geboren zu Beginn eines «Baby-Booms», der zur Verdoppelung der Bevölkerung Englands innerhalb eines halben Jahrhunderts führen wird, ist zwölf.

Ein Jahr später bereits ist John Shakespeare in Schwierigkeiten. Er kann seine Schulden nicht bezahlen, verpfändet das Erbe seiner Frau, erscheint nicht zu den Sitzungen des Rats und wird 1591 in einer Liste von neun Männern aufgeführt, die beim gesetzlich vorgeschriebenen sonntäglichen Kirchenbesuch fehlen – «aus Angst vor Festnahme wegen Schulden», heißt es entschuldigend im Bericht an die Überwachungsbehörde des Erzbischofs von Canterbury.[5] Um diese Zeit erlebt sein ältester Sohn die ersten Bühnenerfolge. Bald kann William dazu beitragen, den wirtschaftlichen Niedergang der Familie aufzuhalten.

Über die Gründe für John Shakespeares Schwierigkeiten ist wenig bekannt. Möglicherweise fiel er der langjährigen politischen Fehde zwischen Henry Arden und dem mächtigen Robert Dudley zum Opfer. Dudley, Graf von Leicester und Favorit der Königin, war ein protestantischer Eiferer. 1583 gelang es ihm, dem verhassten Arden, der auf seinem Anwesen Park Hall einen katholischen Priester versteckt hielt, den er als Gärtner ausgab, die Planung eines Mordanschlags gegen Elisabeth zugunsten der katholischen Maria Stuart anzuhängen. Henry Arden wurde hingerichtet, sein Kopf zur Abschreckung über dem Brückentor der London Bridge aufgespießt, wo ihn William Shakespeare vielleicht noch gesehen hat. Neu entdeckte Dokumente zeigen, dass John Shakespeare bereits 1570 und 1572 dreimal vor Gericht zitiert wurde, weil er illegal mit Wolle gehandelt und Geld gegen Zinsen verliehen hatte. Die Anklage stützte sich in allen drei Fällen auf die Aussagen eines berufsmäßigen Denunzianten. Wurde John Shakespeare wegen seiner Verbindungen zu den Ardens wirtschaftlich ruiniert?[6]

Eine andere Theorie sieht in Hamlets Ausfall gegen das schwindelköpfige Zechen die Spur eines privaten Dramas: Doch meines Dünkens (bin ich eingeboren / Und drin erzogen schon) ist’s ein Gebrauch, / Wovon der Bruch mehr ehrt als die Befolgung.[7] In den örtlichen Legenden, die von den ersten Shakespeare-Biographen im 18. Jahrhundert aufgeschrieben wurden, spielten Williams Zechtouren eine nicht unbedeutende Rolle. Wurde der Sohn mit dem Vater verwechselt?

Man musste aber kein Alkoholiker sein, um finanziell ins Schlingern zu kommen. Die Bevölkerung wuchs schneller als die Wirtschaft; noch schneller wuchs die Armut (vor allem durch die Einhegung von Gemeindeland für die Schafzucht), stieg die Inflation (aufgrund des Zuflusses von Gold und Silber aus Südamerika nach Europa). Wer spekulierte, konnte sich leicht verrechnen.

Der tiefe Fall des Vaters muss auf den ältesten Sohn, der den Aufstieg stolz...

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