Bei diesem Abschnitt handelt es sich um die Präsentation des empirischen Teils der Arbeit. Zunächst wird ein Blick auf die Schwierigkeiten geworfen, auf die die Forscher in der wissenschaftlichen Befragung von jungen Flüchtlingen stoßen. Anschließend wird die methodische Herangehensweise der Forschung dargestellt, dann werden die Ergebnisse aufgezeigt und schließlich diskutiert.
3.1 Schwierige Momente in der empirischen Forschung mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Befragungen junger Flüchtlinge in hessischen Jugendhilfeeinrichtungen (Heun u. a. 1992 zitiert nach Weiss, K. et al. 2001, S. 19) kommen zu dem bedeutsamen Ergebnis, dass das Wohlbefinden und die Orientierungen der Jugendlichen davon abhängig sein können, ob sie gemeinsam mit Landsleuten in einer Unterkunft leben. Ebenfalls herausgestellt wird die große Bedeutung der Bezugspersonen, Erzieher, die ebenfalls über Flucht- und Migrationserfahrungen verfügen. In Studien anderer Länder, beispielsweise zu in der Schweiz aufgewachsenen Tibetern, kommt man zu weiterführenden Erkenntnissen durch das Thematisieren der Auswirkungen verschiedener Sozialisationsmilieus auf die emotionale Zufriedenheit, die Bildungschancen, die Kontaktwünsche und das ethnische Bewusstsein junger Flüchtlinge (Brauen und Kantowsky, 1982 zitiert nach ebd. a. a. O.). Eine andere Studie der 1980er Jahre aus Amerika zeigt, dass die Unterbringung in Pflegefamilien derselben Herkunft - so genannte ethnische Pflegefamilien – sich besonders positiv auf die psychische Entwicklung auswirkt (Schulz und Sontz, 1985 zitiert nach ebd. a. a. O). Als wichtige Bedingung um Belastungen, denen junge Flüchtlinge im Herkunftsland, auf der Flucht und im Aufnahmeland ausgesetzt sind, verarbeiten zu können, werden u. a. das Zusammenleben mit Angehörigen und religiöse oder ideologische Überzeugungen genannt, die zur Einordnung des Erlebten beitragen können (Athey und Ahearn, 1991 zitiert nach ebd. S. 20).
Besonders Informationen aus erster Hand stellen einen Mangel in der Literatur daraus der Perspektive der betroffenen Jugendlichen. Problematische Punkte für die wissenschaftliche Befragung junger Flüchtlinge sind:
Zu Befragende Personen wurden beispielsweise in andere Heime verlegt
Scheitern der Befragung oder Fehlinterpretationen durch Verständigungsprobleme. Notwendig hier: Befragung in der Heimatsprache oder mit Dolmetscher
Die wissenschaftliche Befragung wird durch Misstrauen oder Argwohn erschwert, bedingt durch die Erfahrungen im Rahmen offizieller Befragungen bzw. im Zusammenhang mit der Fluchterfahrung wird vermutet, dass Bespitzelung und Denunziation im Spiel sind
Die Jugendlichen haben eine geringe Motivation bzw. Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Teilnahme an der Befragung
Die Zahl der Jugendlichen, die für eine wissenschaftliche Befragung ansprechbar sind, ist gering, so dass Anonymität nicht gewährleistet werden kann oder aber eine statistische Auswertung kann keine repräsentativen Ergebnisse vorweisen (vgl. ebd. S. 20ff.)
Da es im Rahmen dieser Arbeit sowohl um die Darstellung der Situation der UMF geht, als auch um die Frage, wie eine professionelle Hilfebeziehung gestaltet werden muss, steht demnach die soziale Interaktion zwischen UMF und Betreuer im Vordergrund der Forschung. Damit es mir gelingt, die Forschungsfrage gerecht zu beantworten, wollte ich die subjektive Sicht der Zielgruppe: UMF und Betreuer erschließen. Deswegen kam für mich nur eine qualitative Forschung in Frage (vgl. Gläse, J. u. Laudel, G. 2010, S. 71f.). Des Weiteren habe ich mich für die qualitative Forschung entschieden, weil:
„standardisierte Methoden benötigen für die Konzipierung ihrer Ehrhebungsinstrumente (z. B. ein Fragebogen) eine feste Vorstellung über den untersuchten Gegenstand, wogegen qualitative Forschung für das Neue im Untersuchten, das Unbekannte im scheinbar Bekannten offen sein kann“ (Flick, U. et al.)
In der vorliegenden Arbeit wird das problemzentrierte Interview (PZI) als Erhebungsverfahren angewendet, denn diese Methode ist durch ihre drei Grundpositionen sowie durch ihre vier Instrumente am dienlichsten für das vorhandene Forschungsvorhaben.
Unter den drei Grundpositionen sind die Problemzentrierung, die Gegenstandsorientierung und die Prozessorientierung zu verstehen. Die Problemzentrierung, wie schon der Name sagt, beschreibt die Fokussierung auf ein Problem und zwar nicht auf irgendeines sondern auf ein gesellschaftliches Problem. Dies geschieht in Form einer zuvor determinierten Fragestellung bzw. Problemstellung. In diesem Zusammenhang geht es in dieser Arbeit um die Beschreibung der sozialpolitischen, rechtlichen sowie psychosozialen Situation von UMF als eine Herausforderung für die professionelle Hilfebeziehung. Die Gegenstandsorientierung legt den Akzent auf die Fähigkeit dieses Verfahren, Interviews mit anderen Methoden wie der biographischen Methode, der Gruppendiskussion oder einem standardisierten Fragebogen zu verknüpfen. Die Prozessorientierung hat einen prozesshaften Charakter und schließt den ganzen Forschungsablauf ein, insbesondere auf das Schaffen eines Kommunikationsprozesses, der bei den Interviewpartnern Vertrauen hervorruft und letztendlich ihre Offenheit.
Als Mittel zur Realisierung der zuvor erwähnten Grundpositionen bedient sich das PZI Kurzfragebogen, Leitfaden, Tonaufzeichnung des Gesprächs und Postskriptum. Der Fragebogen eignet sich ganz gut für den Gewinn von Sozialdaten wie Alter, Dauer des Aufenthalts in Deutschland und Aufenthalte in anderen europäischen Ländern, falls es sie gibt. Dieser befreit das Interview von denjenigen in Form des Frage-Antwort-Schemas aufgebauten Fragen. Darüber hinaus können sie in Verbindung mit anwärme Fragen stehen, die den Einstieg ins Thema erleichtern. Tonträgeraufzeichnung ermöglicht eine vollständige Aufzeichnung des Gesprächs und bietet dem Interviewer die Gelegenheit, sich auf Beobachtungen und nonverbale Kommunikation zu konzentrieren. Der Leitfaden enthält die großen Linien der Forschungsthemen. Er dient sinnbildlich als ein Seeturm, der die Richtung zeigt, wenn die Orientierung verloren geht. Das heißt, er hilft dem Interviewer dabei, den Befragten beim Thema zu lassen, falls er sich davon entfernt. Er hat also eine Steuerungsfunktion und er stellt einen Sicherheitsanker zur Vergleichbarkeit der Interviews dar. (vgl. Witzel, A. 2000 u. Gläse, J. u. Laudel, G. 2010, S. 112 u. 142f.). Schließlich bilden die Postskripte eine Ergänzung für die Tonaufzeichnung, denn sie verfügen über
„Anmerkungen zu den o. g. situativen und nonverbalen Aspekten sowie zu Schwerpunktsetzungen des Interviewpartners“ (ebd.).
Die Auswertung der Interviews fand nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring statt. Dieses Verfahren zielt auf die systematische Analyse von sprachlichem Material ab. Es lässt sich durch vier Merkmale kennzeichnen:
„Einordnung in ein Kommunikationsmodell: Es soll festgelegt werden, was das Ziel der Analyse ist (Variablen des Textproduzenten, dessen Erfahrungen, Einstellungen, Gefühle, der Entstehungssituation des Materials, des soziokulturellen Hintergrunds, der Wirkung des Textes).
Regelgeleitetheit: Das Material wird in Analyseeinheiten zerlegt und schrittweise bearbeitet, einem Ablaufmodell folgend.
Arbeiten mit Kategorien: Die Analyseaspekte werden in Kategorien gefasst, die genau begründet werden und im Laufe der Auswertung überarbeitet werden.
Güterkriterien: Das Verfahren soll intersubjektiv nachvollziehbar sein, seine Ergebnisse mit anderen Studien vergleichbar machen und Reliabilitätsprüfungen (Interkoderreliabilität) einbauen“ (Mayring, P. 2008, S. 10).
Laut Mayring (2003, S. 58; nach Kuckartz, U. 2010, S. 93) gibt es drei Interpretationsformen: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung. In dieser Arbeit wird die Methode der inhaltlichen Strukturierung angewendet. Dieses Verfahrens
„will Material zu bestimmten Themen, zu bestimmten Inhaltsbereichen extrahieren und zusammenfassen“ (Mayring, P. 1990, S. 79).
Induktiv ausgehend vom Text findet die Kategorienbildung in einem Wechselspiel zwischen
„der Fragestellung und dem konkreten Material“ statt (Mayring, P. 2007, S. 53).
Diesen Abschnitt widme ich der Darstellung des Forschungsentstehungsprozesses und somit wird ein Blick auf die Schattenseite der Arbeit gewährt.
3.2.4.1 Das Erreichen der Zielgruppe
Als ich mich entschieden habe, meine...