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Arbeitskampf und Tarifautonomie in Zeiten der Fachgewerkschaften. Muss die Kampfparität der Kampfmittelfreiheit weichen?

Der moderne Arbeitskampf von Fachgewerkschaften im Spannungsverhältnis zwischen Koalitionsfreiheit und dem Wegfall der Tarifeinheit

AutorDominik Boisen
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl124 Seiten
ISBN9783640777921
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Jura - Zivilrecht / Arbeitsrecht, Note: 1,7, Universität Augsburg (Fakultät für Rechtswissenschaften), Veranstaltung: LL.M. Recht der internationalen Wirtschaft, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit befasst sich mit dem Arbeitskampf der Fachgewerkschaften im Lichte der Tarifautonomie. Eine besondere Rolle spielt dabei die Frage, wie sich neueste Rechtsprechung des BAG zum Arbeitskampfrecht sowie die Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit auf die Kampfparität auswirken.

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Leseprobe

§ 2 Grundlagen der Tarifautonomie, der Gewerkschaften und des Arbeitskampfs


 

Der Arbeitskampf als das wohl wirkungsvollste und somit wichtigste Mittel zur Durchsetzung der jeweiligen Position im Rahmen der Austragung von Interessenkonflikten im Zusammenhang mit der Verhandlung von Lohnhöhe und sonstigen Arbeitsbedingungen, sowie die Tarifautonomie, die als Mittel zur interessengerechten Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen insbesondere für Arbeitnehmer und Gewerkschaften von überragender Wichtigkeit ist, sind aus dem heutigen Arbeitsrecht nicht weg zu denken. Allerdings bedurfte es einer langen Entwicklung, bis sich die Tarifautonomie und das damit einhergehende Recht zum Arbeitskampf als Rechtsinstitute langfristig und nachhaltig im deutschen Rechtssystem und in der Arbeitswelt etabliert hatten. Es war ein mühsamer und schwieriger Prozess, bis der heutige Status des Koalitionsfreiheit als verfassungsrechtliche Garantie von Tarifautonomie und des Arbeitskampfrechts erreicht waren und nach wie vor ist die Entwicklung dieser Rechtsinstitute nicht abgeschlossen, da die stetigen Neuerungen der Arbeitswelt auch die Koalitionsfreiheit vor immer neue Herausforderungen stellen und eine dynamische Fortentwicklung, die den jeweiligen Anforderungen und Bedürfnissen gerecht wird, erforderlich macht. Um sich die Dynamik des Arbeitskampfrechts vor Augen zu führen und die historischen Errungenschaften des Arbeitskampfrechts einordnen zu können, ist es angezeigt, sich die Entwicklung dieser Grundelemente des kollektiven Arbeitsrechts in der Sozialgeschichte zu vergegenwärtigen.

 

I. Historische Grundlagen des Arbeitskampfes


 

Der Arbeitskampf ist eine historisch entstandene Erscheinung des Arbeitslebens, der sich als Mittel zur Erreichung eines bestimmten Ziels durch eine Störung des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf verschiedene Art und Weise ereignet.[96] In unterschiedlichster Ausprägung und Intensität gibt es Arbeitskämpfe bereits solange, wie es abhängige Arbeit gibt. Immer dort, wo es Gegensätze zwischen Dienstpflichtigen und Dienstberechtigten gab, führten diese früher oder später zum Aufbegehren. So sind erste kollektive Arbeitsverweigerungen bereits aus der Zeit um 1400 v. Chr. bis 1100 v. Chr. überliefert, etwa die langandauernde bzw. wiederholte Arbeitsniederlegung durch ägyptische Arbeiter beim Nekropolenbau unter Pharao Ramses III., die sich u. a. dagegen zur Wehr setzten, dass das ihnen zustehende Getreide nicht rechtzeitig oder vollständig ausgehändigt wurde.[97] Während dieses und auch die in den folgenden Jahrhunderten erfolgten kollektivistische Auflehnens gegen die Dienstherren einzig der Durchsetzung formal bestehender Rechte und der Erzwingung der Gewährung vereinbarter Leistungen und Vergütungen diente, enthielten die ersten überlieferten Arbeitsniederlegungen des Mittelalters eine neue Qualität kollektiver Interessenwahrnehmung. Erstmals sah man in der kollektiven Aktion nicht nur ein Mittel zur Durchsetzung, sondern auch die Möglichkeit zur Verbesserung geltender Arbeitsbedingungen. Aus der ältesten bekannten Arbeitsniederlegung des Mittelalters im Jahr 1329 in Breslau ergibt sich, dass die Gürtlergesellen ein Jahr lang für höhere Löhne gestritten haben. In den Jahren 1351 bis 1362 kam es in Speyer zu einer Auseinandersetzung zwischen Weberknechten und ihren Meistern; die am Ende erzielte Einigung wurde schriftlich in einer Urkunde niedergelegt, die wohl als ältester Tarifvertrag gelten kann.[98]

 

Allen Arbeitskämpfen gleich war von Beginn an die Eigenschaft, das Mittel zur Austragung von Interessenkonflikten zu sein, die auf friedliche Weise nicht (mehr) ausgeglichen werden können. Dies galt ohne Unterschied, woraus sich die rechtlichen Grundlagen für die Leistungspflichten ergaben und wie diese zu bezeichnen waren. Es machte insbesondere keinen Unterschied, ob die Leistungspflichten zwangsweise, z.B. durch Sklaverei, Leibeigenschaft, Frondienst und Gefangenschaft, oder durch freiwillige Übernahme erbracht wurde, wobei die Freiwilligkeit ohnehin oftmals nur mit erheblichen Einschränkungen angenommen werden kann.[99] So oblag etwa die Ausgestaltung des sog. freiwilligen Dienstverhältnisses bis in das späte 19. Jahrhundert hinein infolge der Übermacht des Arbeitgebers aufgrund der gesamten sozialen Situation und insbesondere der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt allein der Entscheidungsgewalt des Dienstberechtigten. Beim zwangsweisen Dienstverhältnis war dies ohnehin der Fall. Der Arbeitgeber war aufgrund des Besitzes an den Produktionsmitteln der „Herr des Arbeitsmarktes und des Arbeitsverhältnisses" - vom Abschluss, über die inhaltliche Ausgestaltung, bis hin zur Beendigung.[100] Trotz der im Vergleich von damals zu heute in vielfacher Hinsicht gewandelten rechtlichen und sozialen bzw. tatsächlichen Verhältnisse hat die existentielle soziale Unterlegenheit des Arbeitnehmers, die sog. „reale Imparität"[101], bis heute eine gewichtige Bedeutung in vielen arbeitsrechtlichen Normen. Jedoch nicht nur in den arbeitsrechtlichen Normen findet die Imparität ihren Niederschlag, sondern insbesondere im Rahmen des vorgelagerten rechts- und sozialpolitischen Diskurses hat sie gewichtige Bedeutung. In der Rechtsprechung zum Arbeitskampfrechts hat die soziale Unterlegenheit der Arbeitnehmer besondere Anerkennung erfahren. So sieht das BVerfG[102] die Tarifautonomie in erster Linie darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln ausgleichen zu können und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Und das Bundesarbeitsgericht[103] erkennt übereinstimmend bzw. in Anlehnung an das BVerfG, dass Tarifverträge dem Schutz des Arbeitnehmers dienen und die in der Regel bestehende wirtschaftliche Überlegenheit des Arbeitgebers ausgleichen wollen.

 

II. Die Entwicklung der Koalitionsfreiheit


 

In Deutschland erstmals rechtlich anerkannt war die Koalitionsfreiheit durch die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom 21.06.1869. Kraft deren § 152 Abs. 1 waren „alle Verbote und Strafbestimmungen gegen gewerbetreibende gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen der Verabredung und Vereinigung zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter" aufgehoben.[104] Mit diesem geradezu revolutionären Novum wandte sich die Rechtsordnung nicht nur von den bis dahin geltenden polizeilichen, gegen den Kampfcharakter der Gesellenverbände gerichteten Koalitionsverboten ab, wie sie etwa im Preußischen Allgemeinen Landrecht enthalten waren[105], sie trug auch der Erkenntnis Rechnung, dass sich die Freiheit im Arbeitsleben gerade dann verwirklichen kann, wenn sich der einzelne mit anderen zusammenschließt. Somit wurde die Bildung beruflicher Organisationen nicht mehr, wie es das Loi de Chapelier vom 17.06.1791 noch formulierte, als „Attentat gegen die Freiheit und die Menschenwürde" empfunden, sondern gerade als Teil der individuellen Freiheit.[106] Selbstverständlich war dieses Regelung als erstes Zugeständnis gegenüber den Bedürfnissen Arbeitnehmer noch weit entfernt vom heutigen Recht auf koalitionsmäßige Betätigung zur Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. § 152 der Gewerbeordnung beinhaltete lediglich eine Duldung der Koalition, nicht jedoch die Garantie koalitionsspezifischer Betätigungsfreiheit. Dem Fehlen einer solchen Garantie entsprachen dann auch Restriktionen des Vereinsrechts, die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Arbeitskampf und die auch die Gewerkschaften treffenden Sozialistengesetze.[107] Allerdings war die Bestimmung in der Gewerbeordnung ein erster und bedeutender Schritt in die Richtung hin zu mehr Arbeitnehmerrechten.

 

Nichtsdestotrotz wurde der Arbeitskampf in der Folgezeit zunächst erheblich erschwert. Noch im Jahr 1890 fasste ein Strafsenat des Reichsgerichts den Streik als strafbare Erpressung auf.[108] Erst im Jahr 1906 erklärte ein Zivilsenat des Reichsgerichts: „Zu den an sich erlaubten Handlungen gehören auch die Koalitionen gewerblicher Arbeiter zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, und die zur Erreichung dieses Zwecks von solchen Koalitionen oder ihnen zur Seite tretenden Personen ergriffenen Maßnahmen sind keineswegs schon deshalb rechtswidrig, weil durch sie bestehende selbständige Gewerbetreibende geschädigt werden."[109]

 

Den Weg des Übergangs von der bloßen Duldung der Koalitionen hin zu einer gesetzlichen Garantie der Koalitionsfreiheit bereitete schließlich das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst 05.12.1916, wonach die Gewerkschaften anerkannt wurden und an den über die Dienstpflicht entscheidenden Ausschüssen zu beteiligen waren und die sog. „Zentralarbeitsgemeinschaft", ein am 15.11.1918 unter dem Eindruck der Novemberrevolution erfolgter Zusammenschluss der Spitzenverbände von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. In der Vereinbarung wurden die Gewerkschaften als berufene Vertreter der Arbeitnehmerschaft anerkannt und eine Beschränkung der Koalitionsfreiheit der Arbeiter für unzulässig erklärt. Darüber hinaus wurde die allgemeine tarifliche Regelung der Arbeitsverhältnisse vorgesehen.[110]

 

Statuiert wurde die Garantie der Koalitionsfreiheit erstmals in Art. 159[111] und Art. 165[112] der Weimarer Reichverfassung vom...

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