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Freud und das Sexuelle

Neue psychoanalytische und sexualwissenschaftliche Perspektiven

VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl210 Seiten
ISBN9783593402031
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Vor 100 Jahren, 1905, erschien das einflussreichste sexualwissenschaftliche Werk des 20. Jahrhunderts: Sigmund Freuds »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie «. Neben der »Traumdeutung« ist es das berühmteste Werk der Psychoanalyse. Freud sah im Sexuellen die zentrale Antriebskraft menschlicher Tätigkeit und gab so dem »sexuellen Zeitalter« eine Theorie. Und er thematisierte zwei zentrale Tabus seiner Zeit: die kindliche Sexualität und das Perverse.

Ilka Quindeau, Dr. phil. habil., Diplom-Soziologin und Psychoanalytikerin, ist Professorin für Psychologie an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Volkmar Sigusch ist Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft der Universität Frankfurt am Main. Er gilt als Pionier der deutschen Sexualmedizin und Begründer der Kritischen Sexualwissenschaft.

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Leseprobe

Vorwort


Vor 100 Jahren erschien das einflussreichste sexualwissenschaftliche Werk des 20. Jahrhunderts: Sigmund Freuds Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Neben der Traumdeutung ist es zugleich das berühmteste Werk der Psychoanalyse. Indem Freud im Sexuellen die zentrale Antriebskraft menschlicher Tätigkeit sah, gab er dem »sexuellen Zeitalter« eine Theorie. Indem er gegen die Tabus andachte, die auf der kindlichen Sexualität und auf dem Perversen liegen, eröffnete er neue Perspektiven.

Eingeladen vom Frankfurter Psychoanalytischen Institut und vom Institut für Sexualwissenschaft der Universität Frankfurt am Main, nehmen renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Bereiche Psychoanalyse, Sexualwissenschaft und Säuglingsforschung aus Deutschland, Österreich und der Schweiz den 100. Jahrestag zum Anlass, mit Freud gegen Freud zu denken oder unter Einbeziehung neuerer Forschungsergebnisse kontroverse Themen zu erörtern: Was heißt heute kindliche, perverse, weibliche und männliche Sexualität? Bemerkenswerterweise sucht die Frankfurter Tagung »100 Jahre Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Psychoanalytische und sexualwissenschaftliche Perspektiven« vom Februar 2005 ihresgleichen: Sie ist die erste gemeinsame institutionelle Aktion seit Bestehen der beiden Disziplinen, jedenfalls in den deutschsprachigen Ländern.

Umrahmt werden die Kontroversen, die Martin Dornes und Friedl Früh zur kindlichen Sexualität, Wolfgang Berner und Reimut Reiche zur sexuellen Perversion sowie Sophinette Becker und Martin Dannecker zur weiblichen und männlichen Sexualität führen, von einer theoretischen Re-Lektüre Peter Passetts, die den Primat des Anderen betont, sowie von einer Fallgeschichte Jörg M. Scharffs, die den Verästelungen sexuellen Begehrens im Verlauf einer psychoanalytischen Behandlung folgt. Abschließend erörtert Ilka Quindeau die Frage, wozu die Psychoanalyse nach wie vor eine Triebtheorie braucht, und skizziert Perspektiven für ihre Neuformulierung.

Eröffnend stellt Volkmar Sigusch dar, in welcher kulturellen und sexualwissenschaftlichen Situation Freud seine Sexualtheorie entwarf. Als Sexualforscher ergriff Freud erst das Wort, nachdem die erste »sexuelle Revolution« des 20. Jahrhunderts bereits zu einschneidenden Veränderungen geführt hatte. Und er ergriff erst das Wort, nachdem von einer bereits ein halbes Jahrhundert alten Sexualwissenschaft alle »Zutaten« seiner Theorie – Libido, erogene Zonen, kindliche Sexualität, Perversion als allgemeinmenschliches Vermögen usw. – dem Sexualdiskurs hinzugefügt worden waren. Wie Freud jedoch mit diesen »Zutaten«, mit diesen experimentellen Befunden, empirischen Beobachtungen und theoretischen Annahmen verfuhr – das sei, so Volkmar Sigusch, einzigartig und genial. Da er außerdem Widersprüche und Paradoxien, die in der Sache, in den Veränderungen selbst liegen, nicht mit theoretischer Gewalt zu beseitigen suchte und vor eigenen gegensätzlichen Aussagen nicht zurückschreckte, biete sein Werk bis heute zahllose Anregungen, die Dinge kontrovers und neu zu diskutieren.

Peter Passett liest die Drei Abhandlungen aus der Perspektive der französischen Psychoanalyse. Die menschliche Sexualität folgt keinem endogenen, biologischen Programm, sondern stellt eine Antwort auf den Anspruch des Anderen dar. Die von Freud verwendete biologische Terminologie lasse sich daher eher im Sinne einer »Als-ob-Biologie« verstehen. In dieser Anlehnung, im Als-ob-Charakter, sieht Passett ein wesentliches Merkmal des Psychischen, das sich besser durch ein Denken in Differenzen erfassen lasse als durch präzise Identifizierung. Der Bedeutung der Differenz trage Freud in seiner Sexualtheorie durch dualistische Konzeptionen Rechnung wie Lust–Unlust, Natur–Kultur oder Trieb– Instinkt. Seine Kategorien zur Beschreibung der menschlichen Sexualität gewönnen Kontur durch näherungsweise, oszillierende Denkbewegungen und nicht durch exakte naturwissenschaftliche Beobachtung. Mit dieser Schrift öffne Freud das ansonsten hermetisch abgeschlossene Subjekt hin zum Anderen.

Wenngleich der »dunkle Kontinent« in den letzten Jahrzehnten aus vielfältigen Perspektiven beleuchtet und teilweise auch erhellt wurde, gilt die weibliche Sexualität den medizinisch-biologischen Wissenschaften immer noch weitgehend als »sträflich untererforscht«. In ihrem Beitrag zur weiblichen/männlichen Sexualität weist Sophinette Becker darauf hin, dass die grundlegenden Zusammenhänge von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung nach wie vor nicht aufgeklärt sind. In den Drei Abhandlungen entwickele Freud das konstruktive, weiterführende Konzept der Bisexualität und ringe um ein Verständnis von »männlich« und »weiblich«, erliege schließlich jedoch einem sexuellen Monismus, der ausschließlich die männliche Sexualität im Sinne eines Prototyps fokussiert. Dieses Manko ist inzwischen außerordentlich theorieproduktiv geworden und führte zu einer Vielzahl neuerer Erklärungsansätze, die allerdings noch ihrer Integration in den psychoanalytischen Theoriekorpus harren, um auch in der klinischen Arbeit ihre Wirksamkeit entfalten zu können.

Nach Martin Dannecker weist Freuds »große Erzählung« von der Sexualität gravierende Schwächen nicht nur bei der Beschreibung weiblicher, sondern auch männlicher sowie homosexueller, »invertierter« Sexualität auf. Freuds Versuch, Lust und Erregung des Mannes zu erklären, erschöpfe sich in einem höchst mechanistischen Versuch, der vor allem auf die Ebene der Physiologie rekurriere statt an Wünschen und Phantasien anzusetzen. Diese Reduktion mündet im Konzept eines »Primats der Genitalzone«, dem sich die Partialtriebe – ihres Lustcharakters weitgehend entkleidet – unterordnen und der schließlich dazu führe, dass der männliche Körper entsexualisiert werde. So besitze der (heterosexuelle) Mann vor allem ein Sexualorgan, aber keinen sexuellen Körper. Homosexuelle Männer repräsentierten hingegen eine andere Art der Männlichkeit, in der Weibliches und Männliches vermischt ist, und könnten daher als »positiv bisexuell« bezeichnet werden.

Obgleich das Freudsche Konzept der infantilen Sexualität seit langem in der Psychoanalyse und in der neueren empirischen Säuglingsforschung kontrovers betrachtet wird, gibt es selten Kontroversen zwischen VertreterInnen der unterschiedlichen Disziplinen, bei denen die verschiedenen Argumente für die jeweilige Position ausgetauscht werden. In den Beiträgen von Friedl Früh und Martin Dornes zeigen sich die grundlegenden Unterschiede einer empirisch-experimentellen und einer psychoanalytischen Betrachtungsweise. So fordert Dornes von einem wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand, dass er voraussetzungsfrei beobachtbar sein müsse, und bestreitet dies im Hinblick auf die kindliche Sexualität. Im Unterschied etwa zum angeborenen Bindungsverhalten sei der sexuelle Charakter des kindlichen Verhaltens nicht direkt beobachtbar, sondern beruhe auf – möglicherweise fälschlichen – Interpretationen. Aus der Sicht der empirischen Säuglingsforschung seien die stärksten Motive des Säuglings daher nicht sexueller, sondern narzisstischer Natur. Dieser Sichtweise hält Friedl Früh entgegen, dass die infantile Sexualität – einem Kuckucksei vergleichbar – nicht auf die Kindheit beschränkt bleibt, sondern sich in verschiedenen Formen bis ins Erwachsenenleben hinein erhält. Träume, Fehlleistungen und neurotische Symptome bezeugten die Verwandtschaft von infantiler und erwachsener Sexualität. Unterschieden seien sie durch den polymorph-perversen Charakter und den Autoerotismus als den beiden zentralen Kennzeichen infantiler Sexualität sowie die eingeschränkte Fähigkeit zur Befriedigung.

Reimut Reiche stellt seinen Beitrag unter die Frage, ob man heute noch mit einem strukturellen Einheitsbegriff der Perversion arbeiten kann. Als solch ein gemeinsames Vielfaches aller disparaten und fragmentierten psychoanalytischen Konzepte betrachtet er die Sexualisierung, die paradoxerweise zugleich das ungelöste Rätsel der Perversion darstelle. Um diesem Rätsel näher zu kommen, werden aus empirisch-klinischer Perspektive fünf konstitutive Kriterien für die Perversion rekonstruiert: der Fetisch als sexualisiertes Übergangsobjekt; die Gestaltung einer Szene, in welche die Objekte und Handlungen eingebaut werden, die zur sexuellen Erregung notwendig sind; die süchtige Unaufschiebbarkeit im Sinne des »Craving«; die spezifische, teleskopartige »Puppe-inder-Puppe«-Struktur sowie der Orgasmus, der allerdings nicht für alle Formen der Perversion zwingend sei.

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