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E-Book

Postkoloniale Erinnerungslandschaften

Wie Deutsche und Herero in Namibia des Kriegs von 1904 gedenken

AutorLarissa Förster
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl391 Seiten
ISBN9783593410319
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
Die Kolonisierung Namibias durch das Deutsche Reich mündete 1904 in einen Kolonialkrieg: Herero erhoben sich gegen die deutsche Kolonialmacht; diese führte in der Folge einen erbitterten Krieg gegen große Teile der afrikanischen Bevölkerung des Landes. Bis heute erinnern deutsch- und hererosprachige Namibier an dieses zentrale Ereignis namibischer Geschichte. Larissa Förster untersucht die mündlichen Überlieferungen von Deutschen und Herero in Namibia und analysiert die Gedenkfeiern, die beide Gruppen seit den 1920er Jahren regelmäßig begehen. Sie stellt Entstehung und Wandel ihrer Erinnerungskulturen dar und entdeckt dabei zahlreiche Verflechtungen - im kolonialen wie im postkolonialen Kontext.

Larissa Förster, Dr. phil., ist Ethnologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Internationalen Forschungskolleg Morphomata an der Universität Köln.

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Leseprobe
I Einführung 1 Thema und Fragestellungen Im Januar 1904 brach in Deutsch-Südwestafrika, einer der vier afrikanischen Kolonien des Deutschen Reiches, ein Krieg aus. Mehrere Bevölkerungsgruppen des südwestlichen Afrika erhoben sich gegen die deutsche Kolonialverwaltung und leisteten Widerstand gegen die fortschreitende Kolonisierung. Betroffen waren das heutige Zentral- und Südnamibia und damit vor allem herero- und nama- bzw. damarasprachige Gruppen. Der Krieg dauerte annähernd vier Jahre. Unter Einsatz brutaler Methoden der Kriegführung und nicht zuletzt durch ihre technische Überlegenheit konnte die deutsche Kolonialmacht den Widerstand der einheimischen Bevölkerung brechen. Der Ausgang des Krieges schuf Machtverhältnisse zwischen Europäern und Afrikanern, die während der nächsten acht Jahrzehnte, das heißt bis zur Unabhängigkeit Namibias im Jahr 1990, fortbestehen sollten. Die langfristige und umfassende Entrechtung und Enteignung der schwarzen Bevölkerung sowie die räumliche Segregierung weißer und schwarzer Landesbewohner wurden zu Kennzeichen des (deutsch-)südwestafrikanischen Alltags. Erst 1990 wurde Namibia nach einem über dreißigjährigen Befreiungskampf mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft unabhängig. Die in der Kolonialzeit etablierten Strukturen wirken jedoch bis heute nach, etwa in der ungleichen Verteilung von Landbesitz zwischen weißen und schwarzen Namibiern, und in der Verarmung breiter Schichten der afrikanischen Bevölkerung. ?Sieger? und ?Besiegte? leben heute Seite an Seite als Bürger der Republik Namibia. Die Nachkommen deutscher Siedler, Soldaten und Kolonialbeamten, die vor dem Krieg, während des Krieges, aber auch nach dem Krieg ins Land kamen, bilden zusammen mit später eingewanderten Deutschen eine kleine, aber wirtschaftlich einflussreiche deutschsprachige Minderheit in Namibia (1,1 Prozent, das heißt circa 20.000). Die Nachkommen von Herero und Nama bzw. Damara stellen zwei von fünf größeren afrikanischen Sprachgruppen in Namibia dar und bilden innerhalb der Gesamtbevölkerung von circa 1,83 Millionen Einwohnern ebenfalls eine Minderheit (Nama/Damara: 13 Prozent, das heißt circa 238.000; Herero 8 Prozent, das heißt circa 146.000). Obwohl im postkolonialen Namibia die Bedeutung ethnischer Zugehörigkeit aufgrund der Geschichte der Apartheid und im Zuge des nation-building von offizieller Seite eher heruntergespielt wird, ist sie im namibischen Alltag nach wie vor von Bedeutung. Es gibt wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Netzwerke, die in erster Linie auf ethnischer Zugehörigkeit beruhen. Weiße und schwarze Namibier, aber auch die Angehörigen der einzelnen europäischen und afrikanischen Sprachgruppen bleiben im privaten Alltag nicht selten unter sich. Der Krieg von 1904-1908 stellt einen wichtigen Aspekt namibischer Geschichte dar, der Deutsche, Herero, Nama und Damara in Namibia miteinander verbindet, aber auch voneinander trennt. Auch in alltäglichen Diskursen über historische und ethnische Identität wird er immer wieder thematisiert. Während der deutschen und südafrikanischen Kolonialzeit haben deutsch-, herero- und nama- bzw. damarasprachige Namibier sehr unterschiedliche Erinnerungskulturen in Bezug auf den Krieg von 1904-1908 entwickelt. In den diversen Erinnerungspraktiken wurden und werden sowohl die damaligen wie auch die gegenwärtigen Machtverhältnisse zwischen den drei bzw. vier Gruppen thematisiert, aber auch ihr Verhältnis zur jeweiligen staatlichen Macht wie auch zu Deutschland. Als im Jahr 2004 durch verschiedene Gedenkveranstaltungen an den hundert Jahre zurückliegenden Kriegsausbruch erinnert wurde, wurden die Unterschiede zwischen den erinnerungskulturellen Praktiken von Deutschen, Herero, Nama und Damara besonders sichtbar. Doch zeigte sich auch, dass Verweise, Verbindungen und Verflechtungen zwischen ihnen bestehen, die sich über die letzten hundert Jahre hinweg entwickelt und verändert haben. Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit zwei der drei bzw. vier betroffenen Gruppen: mit deutschsprachigen und hererosprachigen Namibiern. Sie vergleicht deren Erinnerungskulturen, das heißt diejenigen kulturellen Praktiken beider Bevölkerungsgruppen, die die Erinnerung an den Krieg zum Gegenstand haben. Neben einem synchronen Vergleich spielt die diachrone Perspektive eine besondere Rolle. Grundlage der vorliegenden Arbeit ist die dichte Beschreibung der Erinnerungsinhalte und -praktiken deutsch- und hererosprachiger Namibier.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Dank10
I Einführung14
1 Thema und Fragestellungen14
2 Theoretische und methodische Verortung19
2.1 Zwischen Vergleich und Verflechtungsgeschichte19
2.2 Erinnerungskultur und Landschaft23
2.2.1 Erinnerungsorte25
2.2.2 Erinnerungsrituale27
3 Vorbemerkungen zu Orthographie und Anonymisierungen31
4 Historische Dimensionen34
4.1 Zur Einführung in die Region: Die Situation vor dem Krieg34
4.2 Der Krieg von 1904–1908 und die Nachkriegszeit42
4.3 Die Aufteilung des Landes bis 199047
4.4 Entwicklungen seit der Unabhängigkeit52
5 Die Region heute: Sprachgemeinschaften und lokale Akteure55
5.1 Deutsche: Farmerfamilien, Farmerverein und conservancy55
5.2 Herero: Okakarara, kommunale Dörfer und kommunale Farmer59
5.3 Grenzgänger61
6 Feldforschung in der Region65
6.1 Feldforschungsorte65
6.2 Probleme des Vergleichs: Die heterogene Datenlage66
6.3 Chancen des Vergleichs: Grenzüberschreitung als Methode71
6.4 Archivarbeit75
7 Zum Aufbau der Arbeit76
II Erinnerungsorte78
1 Deutschsprachige Namibier79
1.1 Gesprächspartner und Gesprächssituationen79
1.2 Erzählkultur84
1.3 Das Thema: »Der Hererokrieg«87
1.4 Der zentrale Topos: »Die Schlacht am Waterberg«89
1.5 Die lokale Version: Die Gefechte um Hamakari94
1.6 Ritualisierte Ortsbegehung: Gräberfahrten und Schlachtfeldtourismus104
1.7 Am Rande des Erinnerungshorizonts110
2 Hererosprachige Namibier113
2.1 Gesprächspartner und Gesprächssituationen113
2.2 Erzählkultur119
2.3 Das Thema: »Der Krieg der Herero mit den Deutschen«124
2.4 Der zentrale Topos: »Das Gefecht von Ohamakari« und seine Folgen126
2.5 Der Krieg als Familiengeschichte136
2.6 Ortsbegehungen mit der Ethnologin: Erzählungen über Rückzug und Flucht142
3 Ein Erinnerungsort ? zwei konkurrierende Erzählungen?155
3.1 Deutsche Versionen: Helden versus Bestien157
3.2 Herero-Versionen: Helden versus Helden165
3.3 Schweigen statt Erzählen: Erinnern als Politikum171
4 Zusammenfassung176
III Erinnerungsrituale186
1 Das Waterberg-Gedenken der deutschsprachigen Namibier188
1.1 Zur Quellenlage188
1.2 Entstehung und Etablierung: 1905?1929189
1.3 Gedenken in der Zeit des Kolonialrevisionismus: Die 1930er Jahre197
1.4 Die Reetablierung der Gedenkfeier: 1954–1963201
1.5 Diskussion und Wandel des Gedenkens: 1964–1977204
1.5.1 Die ›böswillige‹ Kritik von Herero205
1.5.2 Die ›gutwillige‹ Reaktion der Deutschen: Ein »Eingeborenenfriedhof«208
1.5.3 Internationaler politischer Kontext212
1.5.4 Annäherungen zwischen Deutschen und Herero217
1.5.5 Generationswechsel unter den Gedenkenden219
1.6 Gemeinsames Gedenken von Deutschen und Herero: 1978–1987221
1.7 Die Beseitigung des »Eingeborenenfriedhofs«225
1.8 Gedenken im unabhängigen Namibia: 1990–2002232
1.9 Das Verbot im Jahr 2003243
2 Der Ohamakari Day der hererosprachigen Namibier248
2.1 Zur Quellenlage248
2.2 Die Entstehung des Ohamakari Day in den 1960er Jahren249
2.3 Exkurs zum Entstehungshintergrund: Erinnerungsrituale der Herero250
2.4 Praxis und Bedeutung in den 1990er Jahren254
2.4.1 Gedenken im Kontext von nation-building254
2.4.2 Die symbolische Wiederaneignung des Kriegsschauplatzes257
2.4.3 Kritik an der Regierungspolitik und Reethnisierung des Gedenkens260
2.4.4 Erinnerung und Entschädigung263
2.4.5 Erinnerung ohne Ritual267
2.5 Das Gedenkjahr 2004 und die Ohamakari Battle Commemoration269
2.5.1 Akteure und Positionen269
2.5.2 Das Gedenkjahr bis zur Ohamakari Battle Commemoration275
2.5.3 Ablauf der Ohamakari Battle Commemoration279
2.5.4 Erinnerungsdiskurse287
2.5.4.1 Zur Wahl des Veranstaltungsortes287
2.5.4.2 Umgang mit der offiziellen namibischen Erinnerungspolitik294
2.5.4.3 Die Kampagne für die internationale Anerkennung des Völkermords303
2.5.4.4 Zwei Seiten derselben Medaille: Völkermord und Überleben309
2.5.4.5 Kollektive Identität und ethnische Einheit313
2.5.4.6 Die Monopolisierung des Opferstatus317
2.5.4.7 Ein Gegendiskurs deutschsprachiger Namibier319
3 Zusammenfassung331
IV Schlussbetrachtungen344
V Ausblick350
VI Anhang362
1 Glossar362
2 Abkürzungen363
3 Programmheft der Ohamakari Battle Commemoration364
4 Abbildungsverzeichnis365
5 Literatur367
6 Register386

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